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Rr. 579* 4«. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Mittwoch, ti. Dezember 1929
mt demSfrurmwoglel"
Ew Jtar-sr, sonniger November­log. Der Start ist auf U Uhr festgesetzt, aber es wird 3 Uhr lwch- mittogs, bis die Mmtenre endlich di« Finger vom Mowr lassen. O 339 rollt ans der Hall« zum Startplatz. Im Nu hat man es sich in den Ledersesseln der Kabine bequem gemacht, schon springt der Motor an noch rasch Abschied gewinkt, da schwebt man schon über dem Flugplatz. Die Welt bekommt Weite, bekommt Farbe, rundet sich in seltsamer Harmonie rings an den Horizont, der in seiner Ver- jchwommenlieit unendlich« Fernen ahnen läßt. Durch die beiden Fenster geradeaus sind die Köpfe des Piloten und des neben ihm sitzenden Monteurs sichtbar. Wie zwei junge Adler vom Horst äugen sie auf die Welt da unten. An Hand der Karte verfolgen sie den Weg nach Südwesten. Das ein- tänig« Surren des Propellers gibt dlsGsiühl wohltuender Beruhigung. Durch das dreiteilige Kabinenfenster blinkt der Silberslügel mit dem I)->59 an seinem Ende. Dann sieht man noch ein Stückchen vom'Seiten- ' euer und tief unten ein Stückchen 'Viitfchtoto: dunkelgrüne KiesernwaAer. dazwischen Buchen und Äirken im leuchtend gelben und roten HerbMeid. Stille Seen, in leiten sich die Wolken spiegeln. In immer neuen, reizvollen Au-- jammenstellungen braun« und grüne Felderstreifen. Wasserläuse in blitzblanker Helligkeit. Chausseen, auf denen winzige Autos krabbeln, MirnatinZbahnen, deren Lokomotiven mit der weißen Rauchfahne immer weiter zurückbleiben. Verträumte Dörfer und mächtige Industxieantogein. in deren Umgebung die Erde eine schwärzliche Färbung bekommen hat und ein zerrissenes und zerfurchtes Gesicht zeigt. Kann man von der geographischen und geologischen Struktur eines Landes einen anschaulicheren Begriff bekommen als von der Höh« des Flugzeugs herab? Wie em weiter, reich geschmückter Mandel liegt die Erde da unten, kein Fältchen bleibt verborgen. und der grandiose weite Horizont umschließt das Bild mit dem Rahmen der Unendlichkeit. Auf einmal das Häusermeer einer Stadt mit Türmen und Schornsteinen! Wir find über Leipzig  , aus dem der neue lb5 Meter höh« Riesenschornstein der Elektrizitätswerke heraussticht D 359 nähert sich in großen Sdjleifen dem Flugplatz Leipzig  -Mockau  . Aus dem schräg liegenden Wugzeug taucht der Blick noch eiinncck in feie lustig bunt« 2ßea da draußen, tee sich terrassenartig aufbaut. Dann gleitet der groß« Bogel   mit abgestelltem Motor gerade aus die Buchstaben.Leipzig  " las. die aus grauem Steingeviert herauf- leuchte«. Gleich darauf hat man wieder festen Boden unter den Füße» und wird von den tüchtigen Sturnwogelkameraden der Leipziger   Ortsgruppe lebhaft begrüßt. Ein leichter Motorschaden ist rasch behoben, leicht und glatt geht der Start vor sich, in zwanzig Mmuttn hofft man die 73 Kilometer lange Strecke nach Gera   zu beiyiWgtN. Schon tauchen die mächtigen Schornsteknriesen der Leunawerte bei Merseburg   zu rechter Hand auf. Am Horizont ballen sich graublaue Abendwolken und überziehen langsam den ganzen Himmel, nur im Westen ein Loch für die untergeheiche Sann« offen lassend. Müßten wir nicht schon über Gera   sein? Da erscheinen wieder die Leunawerke, aber diesmal zur Anken.
Ein Blick durch die Kabinen feoster.
Plötzlich wieder eine Stadt mit langen, funkelnden Straßenzügen. mit LichtreUam« aller Art sollte das Gera   sein? Gera   ist eine große Stadt. Steil senkt sich D 359 mit grünMouen Flammen­büscheln über dem Auspuff, wenig« Meter an einem Schornstein vorbei, auf den dunklen, unbeleuchteten Flugplatz herunter. Dieselben Hallen und Anlagen. Sind denn die Flughäfen im Sachsen   und Thüringen   all« gleich? Da reißt auch schon der Pilot die Kabinen- tür auf. Cr ist nach Leipzig   zurückgeflogen, denn eine Landung auf dem unbekannten Flugplatz in Gera   schien ihm bei der Dunkelheit zu riskant. Die Todesfahrt der Arbeiter. ilrsache der Katastrophe bei Istamur: Versage« der Bremse? Na««r, 10. Dezember. Au dem bereit» gemeldeten Eisenbahnunglück werben jetzt folgende Einzelheiten bekannt: Z« dem Avgeü- blick, wo der Arbeiterzng Brüssel Slrlon. der die erste« Gtatio» m«$.42 Uhr verlassen hatte,«»* dem Vahnhos® em v l o v x ausfuhr, versagten die Bremsen der- Lokomotive. Der Aug rollte dann die von Gemblonx nach Ramnr abfallende Strecke mit einer zunehmende« Geschwindigkeit hinnnter. be­sonders ans der stark abschüssigen Stelle zwischen Rio- meg und Ramur. Er erreichte in einer rasenden Schnelligkeit die Einfahrt des Bahnhofs Namur. wo infolge der zahlreiche» Weichen und Kurve« die Loko- motive umfiel und die ersten drei Wagen, die gänzlich zertrümmert wurden, mit sich riß. Die anderen Wagen des Auges bliebe» stehe«. Amtlich werbe« jetzt
11 Do t e gemeldet. Nach einer andere« Meldung soll die Zahl der Toten auf achtzehn angewachsen sein. Die Zahl der Verletzten wird auf 75 geschätzt, vo« denen ungefähr 30 als Leichtverletzte zu rechne» sind. Zu dem schweren Eisenbahnunglück in Namur   wird noch cr- gänzend gemeldet, daß die wartenden Reisenden aus dem Bahnst«'q Zeugen des furchtbaren Unglücks waren. Personen, die in dem ankommenden Zug Verwandte erwarteten, gerieten natürlich in ungeheure Erregung, die sich dem ganzen Publikum mit- teilt«. Unter den Toten befindet sich auch der Heizer der um- gestürzten Maschine. Augenblicklich weilt eine Gericht»- und«in« technische Kommission der Eisenbahngesellschast an der Unfallstelle. Das Lokomotivpersonal soll keinerlei Schuld qn dem Unglück haben. Die Ursache des Unglücks ist noch immer nicht aufgeklärt. Gegenüber der oben wiedergegebenen Meldung, wonach die Bremsen aussetzten, soll nach einer anderen Lesart die Entgleisung durch dos Versagen einer selbsttätigen Weiche herbeigeführt worden sein Riesenfeuer im Filmatelier. Fünf Männer, vier Frauen verbrannt New Aork, 10. Dezember. Am Dienstag vormittag brach in den Aufnahmeräumen der Manhallan-Film-Eompany, wo ein Path«. Ton­film gedreht wurde, plötzlich ein Riesenfeuer aus, das mit unge- henrer Schnelligkeit um sich griff, da es an Filmstreifen und Papier  - ballen reichlich Nahrung fand. Fünf Männer und vier Frauen ver­brannten. während viele andere Personen schwer ver­letzt wurden, da sie avs den Fenstern springen muhte». um sich zu retten. Wegen der starken Rauchentwicklung konnte nie- wand das Filmatelier durch dos Treppenhaus verlassen. Die Riesenhitze verzögerte die Löscharbeiten. Man vermutet, dah sich unter den Trümmern noch weitere Opfer befinden. Eine vieltauseno- kSpsige Menge Halle sich an der Brandstelle eingefunden. Abflauen des Gturmesim Rordseegebiei Sturmschäden im Mittelrheingebiet. Hamburg  , 10. Dezember Der starke Scklrm, der im Nardseeküstengebiet in der nerr gangenen Nacht noch bis zur Windstärke 12 anfchwoll und den Schiffsverkehr bei Cuxhaven   völlig zum Stillstand gebracht hatte, hat am Dienstagmorgen stark nachgelassen, so daß die Schiffahrt wieder in Gang gekommen ist. Die auf der Unterelb« vor Anker gelegenen Schiffe haben setzt größtenteils ihre Ausfahrt fortgesetzt. Auch sind von See bis mittag bereit» 45 Schiffe all«« Größen in den Hamburger Hafen   eingelaufen. - Aachen  . 19. Dezember Im gesamten M iiie Ir h et n geb-et und der West mark wurde durch den heftigen Sturm in der Somtznguacht. am Montag und in der Nacht zum Dienstag großer Schaden angerichtet. Aus allen Orten kommen Meldungen über erhebliche Sturmschäden. Auck der Eisenbahnbetrieb bei A a ch«n erlitt st a r k e Per» z ö g e r u n g. Die neue Stadtverordnetenversammlung tritt am Donners­tag um 18 Uhr zusammen. Bürgermeister Gcholtz wird die Einführung der Stadwerordneten vollziehen. A l t e r« p s i- d e n t der Versammlung ist unser Genosse Tempel.
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Ich will,* ruft sie,daß du mich auch liebtest, selbst wenn ich meine Freundin Escher wäre, Esther Rubin, meine jüdische Freundin, wie du sie nennst." Aber dann wärest du doch eben nicht du," jagt er bei- nahe lachend westen ihres Unverstandes,dann wärest du doch eben nicht Christine Gast, und liebtest mich nicht" Und wenn ich dich liebte, troßdem! trotzdem!.." . Dann liebtest du mich anders. Und ich liebte dich nicht." Schweigen. Nur der Sturm durch die Bäume. Und wenn du mich trotzdem liebtest! trotzdem!' Wie du dich um nichts ereiferst." sagte er.Christine! Ich liebte Esther Rubin eben nicht. Aber still doch davon," unterbricht er sich- ..Nein wenn aber Esther Rubin dich liebte, und du liebtest sie" Ich sag« dir ja. Uebrigens. fällt ihm ein und er locht, was würdest du selber dazu wohl sagen? Na. Christine?" Ich bin Esther Rubin und ich liebe dich!" ruft sie schrill. Sie stehen nebeneinander, stumm. Der Regen fängt an. die Rinder im Dunkel bewegen sich dichter noch gegeneinander. Wer?" fragt Hans. ',M*e r bist du?" ..Esther.". J,.. Fieber, Christme. Mr müssen nach Hauje. Komm mit.'du'bist trank." Er geht vorwärts und führt sie. .Wi« machst du mir schwer, die Wahrheit zu sagen!"«-c steht wieder still-Christine ist meine Freundin gewesen. ihre Eltern, nicht meine, leben drüben in Amerika  . Als ich dich sah, Hans, da liebte ich dich- Damit du mich solltest kennen lernen, eh du mich wegen meines Namens verwerfen konntest. Hab ich mir chren Namen geliehen und später hat sie ihn mir geschenkt. Wer jetzt will ich ihn nicht mehr tragen, nicht langer, keine Heimlichkeit soll mehr zwischen uns sein. Hans!" schreit sie. denn sie sieht vom Blitz fem Gesicht, ist nur
ein Name, ja nichts als ein Name, du nennst mich Christine, morgen wie heute, wir lachen darüber, ja, wir lachen, nur daß du es weißt, und die Wahrheit weißt." Sie will ihre Arme um ihn werfen, an seine Brust ihre Stirn pressen aber er weicht zurück. Aus der Ferne kommt Donner. Sie sieht seine Lippe abwärtszucken sie hört seine Stimme, beherscht: Und das Kind? Ist dies Kind mein Kind?" Unser Kind!" schreit sie auf. Die Blitze fahren. Er wendet sich weg, mit einem Ruck, und geht in die Nacht. Zwei Menschen," ruft sie und sieht ihn nicht mehr,du.- höre, du.. du.. Zwei Menschen, die so miteinander gelebt haben wie wir, denk an unser Kind, die können doch, du.. nicht so auseinandergehen.- Wo bist du? Hans! Hans!" Aber es scheint, als ob sie doch so auseinandergehen, zwei Menschen. Als Esther Ritbin nach einigen Stunden wirren wütenden Wegs durch den Regen ins Gutshaus heimkam, schon in der Nacht, fand sie in ihrem Zimmer ein Billett. Der Gutsbesitzer teilte ihr mit, Hans von Küster hätte das Gut verlassen. Sie zählte das Geld in ihrem Täschchen. Bitterkeit stieg ihr vom Herzen auf. Sie raffte ihre Sachen zusammen und verließ am nächsten Morge? sehr früh mit dem Verhüllten in den Armen das Gut. Beladen mit allem was sie besaß, wanderte sie den Weg zur Station. *\ Die Eltern Rubin   erwarteten mit jedem Zug. den sie aus der Weite her pfeifen hörten, ihre Tochter. Die beiden Alten waren schon lange miteinander allein. Ihre Tochter Rosine  wohnte bei ihrem Mann, dem Fischhändler, in der Nähe des Hafens der kleinen Stadt. Der Viehhändler Jakob Rubin schlief wie gewohnt seinen guten Schlaf in der Nacht, aber die Mutter wachte. Sie mußte auch nachts nach den Zügen hinülierhorcken. Sie verließ leise das Bett, ging in die Stub« hinüber, an s Fenster. Einmal erwachte indessen ihr Mann. Wo bist du? rief er. Sie kam eilig zurück. Sie hatte zum offenen Fenster hinaus straßaufwärts in der Richtung zum Bahnof gespäht. Die Nächte waren kühl, der Herbst kam heran. zum Gott........ J dein Zum-Fenster-Hinaussehen daran nichts mehr ändern.' Slber die Mutter fuhr dennoch fort, nach den Zügen hin- überzuhorchen und straßaufwärts m der Richtung zum Bahn- Hof zu spähen, am Tage und auch nachts,
7. Esther saß in der Eisenbahn, das Verhüllte nn Arm. Wohin nun? Wohin nun? Während die Räder sie vorwärts trugen, wurde sie von Mutlosigkeit mehr und mehr übermannt. Ohne den Glauben. daß ihr Weg der richtige sei, und nur, um zu irgendeinem Entschluß zu kommen, hatte sie aus der Station ein Billett nach Berlin   gelöst. Sie schloß müde die Augen. Was konnte Christine ihr- geben? Die alten Papiere, ja. Und Magda? Sie war be- stimmt dieselbe von früher. Der Gedanke an die mit ihrer Schwester verlebte Zeit in Berlin   verursachte ihr Ekel und Traurigkeit. Ein« Träne fiel in die grauwollene Decke, in die gehüllt das Kind lag. Der Zug stampfte fort. Zu ihren Eltern. ja zu den Eltern wäre sie gerne gereist, in die Heimat. Und noch eine Träne fiel auf das Kind. Aber der Gedanke an ihre Mutter verließ sie nicht mehr, und sie dachte bei sich: Immerhin, das ist gut, daß ich gleichzeitig die Richtung zur Heimat fahre, nach Norden hinauf, das ist gut. Als es Abend war, kam sie in Berlin   an. dem Meer, das ihr unbarmherzig entgegenbrauste, wie jedem, der mit dünnen beladenen Armen gegen den Ttrom schwimmen muß. Und was sie dann erlebte, geschah ihr gleichsam zum zweitenmal. Schon einmal, in ihrer Vorstellung nämlich, war sie den Weg durch die Stadt gegangen, eine dunkle, zirpende, nach Speisen riechende Treppe hinauf: schon einmal hatte Christine so müde und verzweifelt gelächelt, als sie um Unter- kunft bat für das Kind. Nein, die Freundin konnte der Freundin nicht helfen. Und plötzlich dachte etwas in Esther: wie kann einem Menschen das Leben schwer sein, wenn er sich allein durch das Leben trägt, und nicht dies Verhüllte im Arm, das lebt... Zu Magda ging sie gar nicht hinauf. Sie wußte noch nicht, wie sie handeln würde. Mit dem Brief von den Eltern war Magda schon bei Christine aewesen. Und nun wurde für Esther die Ursache klar, die ihr« Eltern bewogen hatte. sie zu rufen. Ja. der Lehrer Tannenbaum! Aber den Lehrer Tannenbaum des Irrtums zu überführen, in dem er sich ja tatsächlich befand, das sollte nicht schwer sein. Ein Plan wurde reif. Sie hatte die eigenen Papiere nun wieder, sie war wieder Esther Rubin. Man mußt« abwarten, das wäre ae- raten, was die Eltern eigentlich wußten, was nicht. Aver wohin mit dem Kind? Abends ging sie zu Magda hinauf- Hoffnungslos wie sie gekommen war, verließ sie ihre Schwester. Sie blieb in der'Nacht mit dem Kind bei Christine- Am Morgen stand sie vom Sofa auf, das Sofa war oerbeult und hart, sie hatte nicht geschlafen,(Fortisetzuag folgst)