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Gott   sei Dank für den Krieg! Juftis Neuordnung des Kronprinzenpalais.

Go fagt Pastor Philipps:

Auf dem Evangelischen Kirchentag" in Nürn berg wurde, wie wir berichteten, der Genosse Pfarrer Edert­Mannheim, der einzige Vertreter der Religiösen   Sozialisten, systema­tisch am Reden verhindert. Er hat daher die Konferenz vorzeitig und unter Protest verlassen. Besonders rühmend bei dieser Aktion gegen den Genossen Eckert tat sich als Wortführer der Orthodoxen", Herr Pastor Philipps. Berlin  , hervor. Wer ist dieser Pastor Philipps? Zur Beantwortung dieser Frage erhalten wir folgende

Zuschrift::

Herr Philipps hat im Dezember v. J. seinen 70. Geburtstag ge­feiert. Bei dieser Gelegenheit ist er von den Spizen der evangelischen Kirche mit allen erdenklichen Ehren und Spenden bedacht worden. Im Namen des Konsistoriums schmückte ihn der Generalfuper­intendent Rarow sogar mit dem sogenannten ,, Evangelischen Hausorden", der Luther  - Medaille.

Doch interessanter für uns und lehrreicher zugleich ist folgen­des: Im Herbst 1916 schrieb derselbe Herr Pastor Philipps in der Zeitschrift Die Reformation":

,, Gott   sei Dant, daß der Krieg gekommen ist; ich fag's auch heute noch im dritten Kriegsjahre. Und Gott sei Dank, daß wir noch teinen Frieden haben; ich sag's auch heute noch troy aller. Opfer."

Dieser Pastor Philipps war der Gegenspieler des Genossen Eckert; und mit diesem Herrn hat sich der Evangelische Kirchen­tag" solidarisch erklärt!

av Der Aerger hört auf!

an

Geänderte Umsteigebedingungen der BVG.

Nach Mitteilungen der Berliner   Berkehrsgesellschaft werden die neuen Umsteigebedingungen auf den Berliner   Berkehrsmiffeln, die wegen der Unhaltbarkeit der Bestimmungen vom 1. Juli in der Aufsichtsratsjihung vom vergangenen Freitag beschlossen wurden, wahrscheinlich bereits in den nächsten Tagen. in Kraft treten.

Daß es wie bisher nicht weitergeht, zeigt der Zusammenstoß zwischen Fahrgast und Schaffner auf der Straßenbahnlinie 28 E vom gestrigen Sonntag. Wie die Dinge heute liegen, müssen Bersonal und Bublifum nervös werden. Die neuen Bestimmungen find vom Berliner   Polizeipräsidium heute morgen genehmigt worden. Sie müssen jetzt noch von der Aufsichtsbehörde der preußischen Kleinbahnen geprüft und gutgeheißen werden. Dann wären die Voraussetzungen für die Einführung der neuen Bestimmungen geschaffen.

Als Berbesserung ist vor allem vorgesehen, daß man um steigen tann, wo man will. Man muß nur das zweite Verkehrsmittel sofort im Anschluß an das erste be steigen und zwar da, wo man das erste verlassen hat. Hier wäre natürlich Sorge zu tragen, daß die Vorschrift ohne Härte gehandhabt wird: Will man beispielsweise vom Anhalter Bahnhof  zur Junkerstraße, Ede Lindenstraße, so muß man vom Halleschen Tor zum Belle Alliance- Plaz gehen, da erst dort Anschlußmöglichkeit besteht. Aehnlicher Fälle find viele; sie dürften natürlich nicht als Ueberschreitung der Bestimmungen gewertet werden. Bebingung bleibt, daß auf jeden Fall das Umsteigen eine Stunde nach Antritt der ersten Fahrt erfolgen muß. Hoffentlich beeilt man sich, damit möglichst bald der gröbste Aerger des Fahrpublitums behoben ist.

Wieder Leichenteile gefunden.

Das letzte Patet?

Am Sonntag abend wurde aus dem Landwehr­tanal abermals ein Packet gelandet, das die noch fehlenden Unterschenkel des graufigen Leichenfundes enthielt. Die Großbeeren   Brücke ist die erste stromabwärts hinter der Belle- Alliance- Brücke. Daß gerade hier dieses letzte Paket auftauchte, bestärkt die Vermutung, daß die Teile zum mindesten an der Belle- Alliance- Brüde ins Wasser geworfen wurden. Auch die Schenkel und Füße waren schon start in Bermejung übergegangen. Sie wurden wie die anderen Teile nach dem Schau­hause gebracht. Die Umbüllung und Verschnürung war die gleiche wie bei den anderen Paketen, ist also auch ohne Zweifel von der gleichen Hand ausgeführt worden. Noch nicht weiter geführt hat eine Spur, die die Befundung einer Frau ergab. Diese hatte der Morbtommission mitgeteilt, sie habe einen Mann und eine Frau beobachtet, die zwischen sich ein größeres Batet und an den freien Händen je ein kleineres trugen. Sie beobachtete das Paar auf dem Wege durch die Potsdamer Straße   bis zur Brücke und sah es etwa Stunden später, gegen 5% Uhr nachmittags, ohne die Pakete an der Ueberführung der Eisenbahn am Schöneberger Ufer wieder. Die beiden Paketträger fonnten noch nicht ausfindig gemacht werden.

Zu Gerüchten von einem neuen Verbrechen gab ein Leichen fund Veranlassung, der am Montag früh in der Spree gegenüber den Häusern Köpenicker Straße 13/14 gemacht wurde. Dort wurde die Leiche eines Mannes gelandet, der eine klaffende Wunde an der linken Hüfte hatte. Auch die Kleider waren an dieser Stelle zerfetzt. Der Verdacht eines Berbrechens schwand aber, als man die Personalien des Toten feststellen konnte. Es ist ein 69 Jahre alter Maler Karl Streda aus der Schlesischen Straße 14. Der alte Mann war erst vor kurzem aus dem Krankenhause entlassen worden, hatte aber infolge eines inneren Leidens noch starte Schmerzen zu leiden. Er hatte wiederholt Selbstmordgedanken geäußert und war schließlich vor acht Tagen verschwunden. Die schwere Verlegung dürfte von einem Bootshaten herrühren.

Amerikanische   Marine in Berlin  .

400 Offiziere, Kadetten und Mannschaften der amerikanischen  Kriegsschiffe Arcansas", Florida  " und Utah  ", die in Riel por Unter liegen, trafen heute mittag um 12% Uhr im Sonderzug auf dem Lehrter Bahnhof   ein. Da es sich um einen rein privaten Besuch der deutschen   Reichshauptstadt handelt, hatte man von einem offiziellen Empfang abgesehen. Die amerikanischen   See leute nahmen zum größten Teil im Zentralhotel Wohnung, der fleinere Teil logiert in den Hotels Prinz Friedrich Carl und Prinz Wilhelm. Nach zweitägigem Aufenthalt wird die Rückfahrt nach Kiel   am Dienstag abend um 6% Uhr erfolgen. Für Montag ist eine Rundfahrt durch Berlin   und Charlottenburg   jowie ein Ausflug nach Potsdam   vorgesehen, für Dienstag ein Besuch von Berlins  hauptsächlichsten Sehenswürdigkeiten.

Kunst aufzählen; Versager gibt es wenige darunter.

Ebenso die Skulptur, die an Stellen verteilt ist, die geistig zu ihr gehören: Scharff und G. H. Wolff, Laurent F. Keller und Belling, Barlach  , Ridert, Bauer.

Die Neuerwerbungen der Nationalgalerie, über die ich hier( am| Mueller und Pechstein. Man müßte alle Namen der neueren 17. März) berichtete, sind nun in ihren Bestand eingefügt. Jufti hat das ganze Kronprinzenpalais neugeordnet, so daß jetzt die Uebersicht bedeutend flarer geworden ist. Die Bestimmung der Nationalgalerie als Hauptsammlung moderner Kunst in Deutschland   hebt sich deutlich heraus: als eine Uebersicht über die deutsche   und europäische Kunst der Gegenwart in ihren Spizenleistungen und in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Der Nachdruck liegt, wie es sich versteht, bei den Deutschen  , wobei die Berliner Sezession   den Löwenanteil davon­trägt, vielleicht nicht ganz ihrer wahren Bedeutung entsprechend. Daß von der außerdeutschen Maleirei fast nur die Franzosen berücksichtigt Tschechoslowaken, die Russen( außer Kandinsky  ) vollständig fehlen, liegt werden konnten, daß z. B. die Schweiz  , das junge Italien  , die an der nicht zu ändernden Organisation und den beschränkten Mitteln des Museums. Dennoch ist ein Großes erreicht worden, und die des Museums. Dennoch ist ein Großes erreicht worden, und die daß in Zukunft auch jene Lücken ausgefüllt werden können. Der freiere Antaufspolitik der Freunde der Nationalgalerie" bürgt dafür, Kurs, den Juſti unbeirrt von Angriffen unzufriedener Kunstfreunde und Künstler festhält, und dessen Resultate so erfreulich in der neuen Anordnung erscheinen, ist der richtige.

Im Erdgeschoß sind, in je zwei geschmackvoll vereinfachten Sälen, die französischen   Impressionisten und Lovis Co­ rinth   untergebracht. Die überragende Bedeutung unseres größten Malers der neueren Zeit kann man wohl nirgends so gut erkennen wie vor diesen zwanzig Hauptwerten aus allen Schaffensperioden Corinths; wobei mit Recht seine leßten 15 Jahre am glänzendsten hervortreten. Das erste Obergeschoß gehört den Berliner  Impressionisten und ihren Nachfolgern von Lesser Ury  bis Kraustopf und Kleinschmidt; Mittelpunkt der aus­drucksvoll ausgestattete Liebermann Saal, der alles Gerede von feindseliger Einstellung Justis gegen ihn zu Schanden machen muß; wo finden sich etwa noch soviel Hauptwerte von ihm beisammen? Was seine Feinde vermissen lassen, hat Justi hier reichlich bewiesen: Gerechtigkeit gegenüber echten Werten.

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Das Interessanteste ist nach wie vor das zweite Ober­geschoß, dessen Anordnung natürlich labil bleiben muß und auch in der jezigen Auswahl nicht Endgültigkeit beansprucht. Doch genügt es, die Namen der wesentlichsten Künstler zu nennen, die entweder einen eigenen Saal oder wenigstens eine Wand mit ihren Werken füllen, fast immer mit charakteristisch Ausgesuchtem: Heckel, Sirchner, Nolde, Mare, Feininger  , Bicasso, Paul Klee  , Lehmbrud, Rotoschta, Hofer, Dir. Neu ist der Raum mit Künstlern der tubiftischen und fonstruktivistischen Abstraf. tion; neben Picasso   sind ausgezeichnete Proben von Franzosen   und anderen da( Mezinger, Braque  , Juan Gris  , Moholy Nagy  ) und von Deutschen  : Schlemmer, Baumeister  , Moll, Belling. Dazu gibt es alle Tonarten von der stillen Lyrit der Schrimpf, Dietrich, Champion bis zu Campen dont, Fritsch, Beckmann; Schmidt- Rottluff   und Beder Modersohn fehlen so wenig wie Rohlfs, Otto

Museum der Gegenwart", das zu gleicher Zeit erscheint, Im zweiten Heft der von Jufti herausgegebenen Zeitschrift tritt das Moment des attiv Kämpferischen fast noch stärker hervor als in dem ersten. Man muß im Zusammenhang mit der Justischen Neuordnung und den Angriffen, die gegen ihn und die modernen Künstler erfolgen, mit Nachdruck auf diese schöne und intereffante hier den unerhörten Fall des Zwickauer   Museumsdirektors Hilde Zeitschrift hinweisen( im Rathenau  - Berlag). Jufti selber behandelt reaktionäre Elemente der Stadtverwaltung die Oberhand bekamen; brand Gurlitt, der soeben seines Amtes enthoben wurde, weil Bolschewismus" betrachtet; getreues Spiegelbild der Fridschen Nera weil man dort, in der sächsischen Provinz. moderne Kunſt als in Thüringen  . Ein faum glaublicher Fall unangebrachter Partei­politit.

Paul F. Schmidt.

Auch eine Verfassungsfeier.

Wie Berlins   Hochschulen die Republik   behandeln.

Sonntag mittag 12 Uhr, feine Fahne, fein Symbol der Republit, wenig Professoren, noch weniger Studenten, eine matte Rede, die übergeht in ein wissenschaftliches Kolleg über Mais und Reis, über Salpeter und Phosphor, über Getreide und Gefrier­fleisch: die Berliner   Hochschulen, die Friedrich- Wilhelm- Universität, die Technische Hochschule  , die Tierärztliche Hochschule  , die Lande wirtschaftliche Hochschule und die Handelshochschule feiern die Ber faffung von Weimar  ( weil die Studenten am 11. August in Ferien sind).

Musit umrahmt die Beranstaltung, die Festrede hält der Geheime Regierungsrat Prof. Dr. Hermann Schumacher  . Ein Wort des Gedenkens an die befreiten Brüder am Rhein  , ein Wort der Hoffnung für die Deutschen   an der Saar  , ein paar Säße über die Verfassung, von denen einer sehr bedenklich scheint. Die Ver faffung von Weimar   ist aus dem nationalen Unglück geboren." Nein, Herr Professor, sie ist mehr als das: sie ist aus dem nationalen Willen geboren, das, was Reaktion und Unfähigkeit zerstört hatten, wiederaufzubauen. Gewiß stand an der Wiege von Weimar   das Unglück des pom Kaiserreich verlorenen Krieges, aber daneben stellte sich die trotz Not und Qual hoffnungsfreudige Gewißheit, das Volk werde, wieder gut machen, was die Fürsten verðarben!

Die republikanischen Studenten werden dieser Verfassungsfeier eine würdige Verfassungsfeier folgen lassen, bei der Professor heller spricht. Man wird hierbei die nationalistischen Kor­porationen mit derselben Freude vermissen, mit der man gestern ihre Abwesenheit feststellte.

Aus der Praxis des Schundgesetzes. Julius Hart   zum Gedächtnis.

manchmal Brüfstelle für Schund- und Schmuhschriften". Sie feßen Ein Dutzend sonst anscheinend ernster Menschen nennt sich sich stundenlang zusammen, um über Verbot oder Freigabe ange­zeigter gefährlicher Sachen zu beraten. Es wird beispielsweise fest­gestellt, daß in manchen Detektivgroschenheften selbst vor den grau­samsten und oft mit sadistischer Betonung ausgedachten Handlungen nicht zurückgeschreckt" wird. Es wird dann entschieden, daß mit der Lektüre eine Abstumpfung des Seelenlebens und eine frankhafte Ueberreizung der Phantasie notwendigerweise verbunden" ist. End­lich wird solch eine Serie für eine ,, erhebliche Gefahr für die Jugend"

erklärt.

Die Verbote werden durch Ausfertigung von Fragebogen durch die die Anklage vertretenden Landesjugendämter vorbereitet. Aus deren Durchsicht sieht man, was für merkwürdige Maßstäbe an die zu beurteilenden Objekte gelegt werden. Diese Fragebogen fragen nach den vorkommenden Gemütsbewegungen, unangebrachten Fremdwörtern, Stil, Sazbau und Orthographie". Sie verlangen die Aufzählung der beschriebenen Verbrechen, Roheiten, etelerregenden Szenen, Graufiges". Es scheint, daß die Anzahl der Berbrechen und Todesfälle durch die Anzahl der Seiten dividiert wird, um die von Rülz gestellte Rechenaufgabe zu lösen: Was ist Schund?

Es wäre angebracht, wenn die Landesjugendämter sich mit diesem Maßstabe mal an irgendeine Zeitung heranmachten und dort die Zahl der täglich vorkommenden Todesfälle, Selbstmorde, Unfälle, die Zahl der Arbeitslosen und Sozialverbrechen nachrechnen würden. Es wäre angebracht, wenn von Amts wegen festgestellt würde, daß in den vier Kriegsjahren alle zwei Minuten neun Menschen er­schossen, vergiftet, in die Luft gesprengt, gemordet wurden, daß vier Jahre lang vor den grausamsten und oftmals mit sadistif, Betonung ausgedachten Handlungen nicht zurückgeschredt" murde. Es wäre angebracht, wenn festgestellt würde, wie groß und folgen schwer die mit all diesem verbundene Abstumpfung des Seelen­lebens" der Kinder und Erwachsenen ist, daß all dies eine erheb­liche Gefahr für die Jugend" darstellt.

Der Jugend wird nicht durch Literaturverbote geholfen. Es sei den hohen Amtsstellen zur Erwägung anheimgegeben, ob sie nicht am besten daran täten und am wirksamsten Jugend und Alter schützten, wenn sie den Krieg und die sozialen Verbrechen( auch die von Amts wegen berübten) verbieten und unmöglich machen würden. G. W.

Berliner   Theater zu verpachten. Die allgemeine Unsicherheit in Theaterkreisen für die Gestaltung der fommenden Spielzeit wirkt sich nicht zuletzt in zahlreichen Verpachtungsangeboten für eine Reihe Berliner   Theater aus. Besonders das Schicksal der in der City ge­legenen Theater ist noch völlig ungewiß. Auch für das bisher der Direktion Klein angehörige Berliner   Theater wird ein Bächter gefucht. Neuerdings wird auch das bisherige Deutsche   Boltstheater, das unter der alten Firma, Neues Theater am 300", von Charté im Sep­genden Wintermonate zu verpachten gesucht, und zwar bezeichnend tember eröffnet werden wird, bereits schon für Ottober und die fol für die Neuordnung der Berliner   Theaterverhältnisse, für erstklassige Gastspiele mit oder ohne Ensemble.

Die Ausstellung Georgischer Kunft der Deutschen Gesellschaft zum Stu dium Osteuropas wird Dienstag, 12 Uhr mittags, im ehemaligeu Stunit­gewerbemuseum, Brinz Albrechtstr. 7, eröffnet. Die Ausstellung ist vom 8. bis 30. Juli täglich von 9 bis 3 Uhr, außer Montags, bei freiem Eintritt öffnet.- Mittwoch, abends 8 Uhr, bricht in der Deutschen Befellſchaft 1914. Schadowstr. 6-7, Prof. Georg shubinas wili. Tifts über Die georgische Stunst".

Eine Ausstellung argentinischer Sunft wird am 9. Juli in der Hoch­schule, Hardenbergstr. 33, eröffnet. Sie umfaßt Gemälde des argentinischen Malers Cesario Bernaldo de Quirós, deren Motive hauptsächlich dem Leben der Gauchos eutnommen sind, und Einblide in die bewegte Geschichte ur gentiniens während der Jahrzehnte von 1850-1870 geben.

Julius Hart  , der befannte Schriftsteller und Sritifer, ist heut früh im Alter von 71 Jahren in Zehlendorf   gestorben. Julius Hart   überlebte seinen 70. Geburtstag nicht lange. Als wir Freunde ihn vor einigen Monaten beglückwünschten, sprach er noch von vielen Plänen und Entwürfen. Der Mann, der mehr als ein halbes Jahrhundert in der vordersten Kampflinie der Kritik gestanden hatte, war beglückt, daß er sich endlich in seinen Greisen­jahren in die absolute Ruhe des Arbeitszimmers zurückziehen konnte. Nun entschied das Schicksal plötzlich gegen ihn.

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Als die beiden Brüder Heinrich und Julius Hart   por 50 Jahren aus dem Krähwinkel von Münster nach Berlin   übersiedelten, fanden sie eine merkwürdige literarische Situation vor. Die anerkannten Größen des Romans und des Dramas, wie etwa Paul Hense und Spielhagen, gefielen fich in banaler Bürgerlichkeit. Die Brüder Hart 30gen in friegerischen Waffengängen" begeistert gegen diese Flach heit los. Sie bekannten sich zu der Sache des Voltes, nicht wie der rebenswürdige Gustav Freytag  , der den jungen Schriftstellern groß­väterlich empfohlen hatte, gelegentlich auch in die Werkstatt des Arbeiters hineinzublicken. Die Brüder Hart wollten die Dichtung revolutionieren. Sie sollte im Roman, in der Lyrik und erst recht im Drama eine Waffe des aufrichtigen Klassenfämpfers fein. Darum mar es selbstverständlich, daß besonders Julius Hart  , der kritische Kopf von den beiden Brüdern, mit seiner agressiven Kritit den Weg für den Naturalismus Gerhart Hauptmanns  , Arno Holzens und ihres literarischen Gefolges ebnete,

Doch Julius Hart   beschränkte sich nicht auf das Attakieren und Theoretisieren. Er war selber ein hochtalentierter Lyrifer. Als er in Berlin   einzog, blidte er sofort in das Elend und in die Größe der Welthauptstadt hinein. Er war der erste wirkliche Großstadt­dichter, besonders geschult an dem französischen   Naturalismus. Und dann lebte auch die große Freude am Organisieren in ihm. Kein lunger Dichter konnte den Weg an die Deffentlichkeit finden, ohne daß Julius Hart   ihn leitete, Er nahm sich der Jugend mit Un­ermüdlichkeit und unendlicher Opferbereitschaft an. Während die anderen zu Ruhm und Ansehen und sogar zu Wohlstand gelangten. verzichtete Julius Hart   auf alle äußeren Erfolge und Bequemtich­feiten. Er gab noch von dem, was er selber nicht besaß. Er schuf in der Neuen Gesellschaft" den bedürftigen Künstlern und Schrift­stellern ein leibliches und geistiges Asyl. In der Zeitschrift fanden die jungen Dichter ein erstes Unterkommen, in dem Hause, das den gleichen Namen trug, durften sie mohnen, bis sie ein Unterfommen gefunden hatten. Die Neue Gesellschaft" ging zugrunde, aber der Geist dieser Jugend war nicht auszurotten.

So geschah es jahrzehntelang, daß Heinrich und Julius Hart  , die Bäter des literarischen Naturalismus, ehrfurchtsvoll respektiert wur den. Sie hatten feinen Borteil von ihrem Entdecergenie. Sie mußten fich für den Tag quälen, um freie Rachtstunden für die eigene Pro­buttion zu gewinnen.

philosophlichen Fragen. Es war merkwürdig, dieser Anbeter der Frühzeitig beschäftigte sich Julius Hart   mit moralischen und mirtlichkeit wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts ein Mystiker, ein Freund des Todesfängers Novalis   und ein Förderer des Belgiers Maeterlind. Julius Hart   war natürlich auch in der standinavischen Dichtung beheimatet, die so starten Einfluß auf die Literatur der jungen Deutschen   gewann. Er übersah eben die ganze Weltliteratur. Sein großes, zweibändiges Ber! Die Geschichte der Weltliteratur" legi Zeugnis von dieser ungeheuren Belesenheit ab.

Julius Hart   mußte, zufrieden mit dem Wenigsten, bis zu seinem 70. Geburtstag dem Journalismus dienen, Als die Freiheit fam, er­trug der Körper, der so viel Entbehrungen auf sich genommen hatte. die Strapazen des Alters nicht mehr.

M. H.