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Morgenausgabe

Nr. 453

A 229

47.Jahrgang

öchentlich 85, monetfi 8,60 m. im voraus zahlbar, Boftbezug 4,32. einschließlich 60 Bfg. Boftzeitungs- und 72 Pfg. Boftbeftellgebühren. Auslands. abonnement 6,- m. pro Monat. *

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Vorwärts

Berliner   Bolksblatt

Sonnabend 27. September 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5,- Reichs mart. Kleine Anzeigen" das fettge brudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgebrudte Borte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Morte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

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Straßenbahn- Umsturz.

Nazis und Kommunisten verbrüdern sich zum Angriff auf Verkehrsmittel. Am 22. September fand, wie uns mitgeteilt wird, im ,, Biener| präzise Frage der Nazis, ob die KPD  . mit den Hitler  - Leuten zu Garten", Biener Straße 10, eine Versammlung von An­

gehörigen der Berliner   Berkehrsgesellschaft statt,

die von den Nationalsozialisten einberufen war. In dieser Versammlung hielt ein als Nationalsozialist bekannter Angehöriger der christlichen Gewerkschaften, namens König, das Cnleitende Referat. In demagogischer Verlogenheit und in seinen ngriffen auf die Sozialdemokratie, übertraf er selbst die geübtesten Stemmunisten. Er predigte den Massenstreit bei der BVG. und forderte, daß am 2. Ottober sämtliche

Staßenbahnwagen und Autobuffe angehalten und zertrümmert merden. Das Fahrpersonal und das in den Wagen be fndliche Bublifum müsse perdroschen", die gesamte ireltion der BVG. abgesetzt und an ihre Stelle müßten Fachleute terusen werden. Außerdem forderte er den 15- Pfennig- Umsteige­tarif. Die Kommunist en forderte er auf, mit der Hitler artei   zusammenzustehen, um das jetzige System zu stürzen! Auf alle Fälle müßten sie sich an dem Massen ftreit beteiligen.

Um die Kommunisten herauszuloden, stellte er sich, als ob er daran zweifle, daß sie mitmachen würden. Aber prompt riefen ihm niele von ihnen, die in der Versammlung anwesend waren, mit Rot­Front- Gruß zu: Jawohl, wir machen mit!" Rönig schloß ipit dem schönen Bekenntnis: Db wir Kommunisten sind oder Nationalsozialisten, das spielt gar teine Rolle, denn unser Magen Hat den gleichen Hunger. Wir müffen vereint zufammengehen, um fie SPD  . Bonzenwirtschaft zu stürzen." Von beiden Seiten erntete er für diese Redensart begeisterten Beifall.

Dann sprach in der Diskussion

der kommunistische Landtagsabgeordnete Schwent, Mitglied des Aufsichtsrates der BVG.,

der sich natürlich ganz zufällig" in dieser Naziversammlung ein­gefunden hatte. Schment betonte, er freue sich, daß die BVG.­Belegschaft endlich einmal aktiv werde und sich aufraffe. Auf die

sammengehen wolle oder nicht, erwiderte Schwent: Deshalb bin ich ja hier. Sonst brauchte ich ja gar nicht hier zu sprechen, wenn ich nicht für ein einheitliches Vorgehen

wäre!"

In der weiteren Diskussion tam zwar zum Ausdrud, In der weiteren Diskussion tam zwar zum Ausdrud, daß man sich gegenseitig nicht über den Beg traue, aber jede Aufforderung zu gemeinsamem Zusammengehen fand stürmischen Beifall. Schließlich gab König den Kommunisten zu ver­stehen, wenn sie die Aktionen der Nationalsozialisten nicht mit machten, so würden diese auf ihre Hilfe verzichten und den Laden eben alleine schmeißen".

Am gleichen Tage hatte eine von den Kommunisten ein­berufene Bersammlung in der Weberstraße stattgefunden. Diese war durch Anschlag in den Dienststellen der BVG. und der Roten Fahne" bekanntgemacht worden. Trotzdem waren in ihr nur ungefähr Auch in dieser Versammlung traten 150 Personen erschienen. nationalsozialistische Diskussionsredner auf, die in maulrevolutionären

Phrasen die Kommunisten noch zu übertrumpfen suchten.

Gestern abend wurde die Hakenkreuzaftion in einer Bersammlung im Kriegervereinshause fortgesetzt, an der rund 1200 Personen teil­nahmen und in der es zur Abwechslung legal zuging. Es sprachen die Nationalsozialisten Engels und Goebbels  . 3mischen beiden Rednern forderte ein KPD.- Mann, es solle, wie versprochen, eine Diskussion stattfinden. Engels erflärte darauf wörtlich: Hier findet heute eine Rundgebung statt, bei der Diskussion ausgeschlossen ist. Troßdem haben wir heute

im Karl- Liebknecht- Haus deswegen angerufen und wollten die Antwort erhalten: Der in Frage kommende fom­munistische Reichstagsabgeordnete Wischnewsti und der kom­munistische Landtagsabgeordnete Schwent sind heute zum Städte­tag in Dresden  . Aber ich bin bereit und berechtigt, morgen, über­morgen, oder wenn die KPD  . es will, an einem neutralen Ort mit der PD. über einen Streif in der BBG. zu verhandeln."

Bredt Partei für Hitler- Kurs.

Sie fordert Aenderung der Außenpolitik und des Friedensvertrages. Die neue Reichstagsfraktion der Wirtschaftspartei hielt| anwalt Frant hat mit seiner Bezeichnung des Staatssekretärs am Freitagnachmittag ihre erste Sigung ab, in der die politische Lage erörtert wurde. Die Wahl des Fraktionsvorstandes wurde vorläufig zurückgestellt.

Im Anschluß an die Fraktionssitzungen hielt der Reichsausschuß der Wirtschaftspartei eine Sitzung ab, über die mitgeteilt wird: Der am 26. September 1930 in Berlin   einberufene Reichs­ausschuß der Wirtschaftspartei, an dem Vertreter aller Teile Deutschlands   teilgenommen haben, beschäftigte sich mit den sich aus dem Wahlausgang ergebenden Folgerungen für die Neubildung der Reichsregierung und der zu führenden Politif. Die Auffassung der Reichstagsfraktion der Wirtschaftspartei, sich an teine Regie rung, auf welche die Sozialdemokratie direkten oder in direkten Einfluß nimmt, meder attip noch duldend zu beteiligen, fand die einmütige Billigung und Zustimmung des Reichs­ausschusses. Das Verbleiben der Wirtschaftspartei in der bestehenden oder ihre Mitwirtung an einer neu zu bildenden Regierung wird die Partei ausschließlich davon abhängig machen, ob die von ihr im Interesse der Wiedergejundung von Wirtschaft und Volk zu stellenden Forderungen berücksichtigt werden. Von aus­fchlaggebender Bedeutung für die endgültige Entscheidung der Wirt­schaftspartei wird die Tatsache sein, ob sich dann aus dem Gesamt programm der Regierung insbesondere der unerschütterliche Wille erfennen läßt, daß rabital mit der sozialistischen   Wirt fchafts, Finanz- und Kulturpolitit Schluß ge­macht wird. In den der Regierung zu überreichenden Forde rungen wird auch eine Aenderung der Außenpolitit mit dem Ziele der Revision des Young- Planes und des Versailler Ver­trages verlangt werden.

Der lasche Reichsanwalt.

3weigert als eines ,, berufsmäßigen bezahlten Vertreters eines ab. sterbenden Systems" unzweifelhaft sich eines Bergehens gegen den § 5 3iffer 1 des Republikschutzgesetzes schuldig gemacht, da er böswillig und mit Ueberlegung" die republikanische Staatsform durch die Bezeichnung, absterbendes System" herabgesetzt hat. Mehr als je hätte es in dieser Zeit stärksten Anfturms aller Reaktionäre gegen die Republit eines energischen und tatkräftigen Reichsanwalts bedurft, der in diesem Augenblick feine Pflicht getan hätte. Wird fich Reichsminister Dr. Wirth, da sein Kollege Reichsjustizminister Dr. Bredt völlig versagt, dieses Verhalten des Reichsanwalts ge­fallen lassen?

Eine Milliarde Fehlbetrag.

Die Gorgen des Bürgerblocks.

Man erwartet in unterrichteten Kreisen, daß am Sonnabend anläßlich der Bekanntgabe des Sanierungsprogramms der Reichsregierung auch genaue Mitteilungen über den zu erwartenden Fehlbetrag im Reichshaushalt gemacht werden. Die Ziffern, die zur Zeit in den Kreisen, die der Reichsregierung nahe stehen, genannt werden, belaufen sich nach der TU. auf etwa eine Milliarde Mart.

Damit wird die Meldung, die noch vor einigen Tagen offiziös bestritten wurde, bestätigt. Im einzelnen schäßt man den Fehlbetrag bei der Arbeitslosenversicherung, wie bereits berichtet, auf rund 400 Millionen Mart, während die Minder­einnahmen aus Steuern, 3öllen usw. infolge der Wirtschaftskrise auf 400 bis 500 Millionen Mark beziffert werden. Hinzutreten dann noch zumindest weitere 100 Millionen Mark als Mehraufwendung für die Krisenfürsorge. Insgesamt glaubt man, daß ein zu deckender Betrag für den Reichshaushalt in Höhe von 600 bis 700 Millionen Mark perbleiben wird, wenn die Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge um 2 Proz. die erhofften Mehrerträge in vollem Umfange erbringt.

Bon Beamtenseite wird uns geschrieben: In den Kreisen der Beamtenschaft herrscht die allergrößte Empörung über die geradezu unbegreifliche Laschheit, mit der der Reichsanwalt in Leipzig   der unverschämten Aeußerung des Münchener   Rechtsanwalts Dr. Frant entgegengetreten" ist. Man Da die Reichsregierung ein weiteres Anziehen der faßt es nicht, daß dieser ,, Reichsanwalt" es nicht verstanden hat oder Steuerschraube für wirtschaftlich wie politisch unmöglich nicht verstehen wollte, das Ansehen des Reiches und des Stell­vertreters des Reichsministers des Innern zu wahren, um jo mehr, hält, bleibt ihr somit faum etwas anderes übrig, als den Fehlbetrag als Rechtsanwalt Frant, was dem Herrn Reichsanwalt" völlig ent- in feiner Gesamthöhe von voraussichtlich 600 bis 700 Millionen Mart gongen zu fein scheint, sich einer strafbaren Handlung durch einen turzfristigen Krebit abzudecken, soweit nicht fchuldig gemacht hat, die sofortige Ahndung verlangt hätte. Rechtstoffentechnische Mittel zur Verfügung stehen.|

Krawallverschwörung

Kommunistische Vögel auf faschistischen Leimruten.

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Die kommunistisch- nationalsozialistischen Verhandlungen zweds gemeinsamer Veranstaltung Don Straßen framallen am 2. Oftober wir berichten über sie an anderer Stelle ausführlich sind in mehr als einer Be­diehung interessant. Eben erst hat vor dem Reichsgericht in Leipzig   Adolf Hitler   einen großen Eid geschworen, daß die nationalsozialistische Bewegung nur völlig legale Ziele auf völlig legalem Wege erstrebe; mittlerweile aber haben seine Berliner   Freunde mit den Kommunisten darüber be= raten, wie man am zweckmäßigsten Straßenbahnwagen um­stürzen und zertrümmern fann. Gehört ein solches Vorgehen mit all seinen weiteren Konsequenzen auch zu der frisch be= schworenen Legalität?

Die Nationalsozialisten predigen den Kampf gegen die Margisten, meinen aber damit offenbar, was für uns durchaus ehrenwert ist, nur die Sozialdemokraten. Die Kommunisten auf der anderen Seite schießen zwar gelegent­lich einen oder den anderen Nationalsozialisten tot, sind aber jederzeit bereit, sich mit den Faschisten gegen die sogenannten ,, Sozialfaschisten  "

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- das sollen wir sein zu vereinen.

Es fann nicht ausbleiben, daß bei einem solchen Hin und er die beiderseitigen Prinzipien ins Wackeln geraten, und es ist kein Zufall, wenn heute Otto Straßer   seinen Hitler beim Ohr nimmt, A. Thalheimer aber seinen Thälmann  . Straßer wirft in seinem Nationalen Sozialist" Hitler   vor, er habe die nationale Revolution an die parlamentarische Demokratie verraten. Thalheimers Zeit­schrift Gegen den Strom" aber wirft der gegenwärtigen tommunistischen Parteiführung vor, daß sie sich der ,, oppor= den Erkenntnissen von Mart und Lenin   herumtrample." tunistischen Schweinere i" schuldig mache und ,, auf

Was die Rechtskommunisten zu dieser heftigen Kritik der fommunistischen Führung veranlaßt, ist eben deren taktische Annäherung an den Hitler- Faschismus. Thälmann   hat diese Schmentung auf der Berliner   kommunistischen   Parteiarbeiter. tonferenz mit folgenden Sägen zu rechtfertigen versucht:

Es gibt eine ganze Anzahl von Genossen, die die historische Bedeutung der Programmerklärung nicht erkennen wollen. Es ist theoretisch richtig, daß die soziale Befreiung vor der natio nalen Befreiung steht, doch mit diesem Programm mendeten wir uns an die breiten Massen. Lenin  hat zu den verschiedensten historischen Zeitabschnitten und Ereignissen die Theorie zurüdfreten laffen, um an die Maffen heranzukommen. So läßt denn auch die Thälmann  - Partei im Namen des heiligen Lenin   die Theorie zurücktreten, um an die Hitler­Partei näher heranzukommen und im Bunde mit ihr den Umsturz von Berliner   Straßenbahnwagen in Szene zu setzen! Nachdem nun der Versuch der beiden Liebesleute, im Dunkeln miteinander zu munteln, mißlungen ist, wird natür­lich am 2. Oktober nichts oder nicht viel passieren. Es wird aber dringend notwendig sein, sich christliche Gewerk­schafter" vom Schlage des Naziführers König etwas genauer anzusehen. Denn was sich am 22. September im Wiener Garten in der Wiener Straße abgespielt hat, das riecht auf hundert Meter gegen den Wind nach Locks pigelei.

Kommunisten

er­

Schon gleich nach den Wahlen ist hier auf die Gefahr hin­gewiesen worden, daß sich die Kommunisten von den Nazis mißbrauchen lassen, um den Sieg des Faschismus herbeizuführen. Kein Narr fann so närrisch sein, zu glauben, daß auf den Trümmern umgestürzter Straßenbahnwagen das Don den sehnte Sowjetdeutschland errichtet werden kann. Der Faschismus ist heute in Deutschland   stärker als der Kommunismus nicht nur an Wählerstimmen, sondern auch an materiellen Kräften, Bundesgenossen und Hilfsmitteln aller Art. Wenn der Kommunismus das nicht begreift und seine Politik nicht danach einrichtet, so wird er bewußt oder unbewußt nichts anderes sein als der Schritt­macher des Faschismus.

Was kann die KPD. von Straßentumulten noch erwarten? Es kann dabei Verwundete, Tote geben und dann tann man noch einmal den sozialdemokratischen Polizei­präsidenten Bluthund und Mörder schimpfen. Aber das ist nicht mehr neu und wird keinen besonders starken Eindruck mehr machen. Man weiß ohnehin schon, daß nach tommuni­stischer Auffassung die russischen GPU., indem sie unschuldige, mehrlose Menschen einfängt und haufenweise niederschießt, revolutionäre Heldentaten verrichtet, daß aber die Berliner  Schutzpolizei   auch nicht das geringste zum Schutze der Ord­nung unternehmen darf, wenn sie nicht von der Roten Fahne" eine Mörderbande genannt werden will. Nein, den Kommunisten können Straßentumulte nichts