Donnerstag 23. Oftober 1930
Der Abend
BO
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Spätausgabe des„ Vorwärts
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Nr. 498
B248
47. Jahrgang
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Metallverhandlungen vertagt
grifediu, ale
Die Berhandlungen über den Antrag der Metallindustriellen, den Schiedsspruch für verbindlich zu erklären, die heute vormittag 11 Uhr im Reichsarbeitsministerium beginnen sollten, find auf nachmittag 5 Uhr verta gt worden. Im Reichsarbeitsminifterium wird versucht, eine Stellungnahme zu dem Antrag der Unternehmer dadurch gegenstandslos zu machen, daß vorher zwischen den Parteien eine Einigung erzielt wird.
Es versteht sich von selbst, daß eine solche Einigung weder auf der Grundlage des Schiedsspruchs noch auf der Grundlage einer vielleicht geringeren Lohnfürzung irgendwie in Frage fommen fann. Ob es auf einer anderen Grundlage zu einer Einigung fommen kann, erscheint uns bei der Ein
ftellung der Unternehmer sehr zweifelhaft.
Notopfern sollen alle!
Rede Paul Lobes vor dem Deutschen Beamtenbund.
Auf der Tagung des Deutschen Beamtenbundes begrüßte heute morgen Reichstagspräside nt Baul Lö be die Delegierten. Er sagte: Eine arbeitsfreudige Beamtenschaft, die dem Staate durch ihr Schaffen das wiedergibt, was sie erhält, ist not wendig. Die Beamtenschaft ist opferbereit, aber drei Bedingungen find zu erfüllen: die Beamtenschaft darf nicht unter Aus nahmebedingungen gestellt werden.( Beifall.) Gerechtig teit in der Abstufung der Opfer muß herrschen( erneuter Beifail), und vor allen Dingen muß die niederste schlechtest bezahlte Schicht geschützt werden( anhaltende Zustimmung). Im Volfe herrschen übertriebene Vorstellungen über die Bezüge der Beamten. Denken wir an die Direttoren industrieller und kaufmännischer Unternehmungen, die zehnmal so viel bekommen als die höchstbezahlten Beamten! Es ist feine Gerechtigkeit, die Großverdiener vom Notopfer frei zu lassen. Erwerbslose, Angestellte, Arbeiter, Mittelstand und Bauern leiden, und es wird oft erinnert an die Zeit nach 1806. Ich kenne die Geschichte genau genug, um nicht zu wissen, daß damals nicht nur die erfaßt wurden, die lebenslang auf schmalite Ration gesetzt sind. Fichte jagte:„ Es soll so lange feiner einen Pelz tragen, wie der andere keine Kleider und Schuhe hat, es soll der eine solange keinen Lurus treiben wie der andere friert und hungert." Es muß zum Notopfer auch an die hohen Gehälter der Privatindustrie herangegangen werden.( Lebhafte Zustimmung.) In Tagen großen Unglückes, wie wir sie heute unter dem Eindruck der Katastrophe von Aachen erleben, wird der Gedante des Zusammenrückens besonders wach. An diesem Zusammenrüden zur Abwehr von Not und Elend wird sich auch die deutsche Beamtenschaft beteiligen. In diesem Sinne wünsche ich Ihren Arbeiten Erfolg. ( Anhaltenber lebhafter Beifall.)
Nach einer Begrüßungsansprache des Vertreters des Internationalen Arbeitsamtes Regierungsrats Donau nahm das Wort Ministerialdirektor 3. D. Prof. Dr. Wiedenfeld zu ſeinem Vortrag über das Thema„ Der Weltmarkt und die Probleme der Unternehmungsgestaltung unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Verhältnisse".
Dann sprach Reichsminister Dr. Wirth über„ Das deutsche Berufsbeamtentum im Boltsstaat der Gegenwart".
König Fuad hat durch Dekret das Parlament aufgelöst, das neue Wahlrecht und die Verfassung in Kraft gesetzt. Die Wahl soll nach Fertigstellung der Wähler. listen erfolgen. Polizei und Militär durchreiten die Straßen, um jede Kundgebung zu verhindern.
Der Nazi- Minister, der sich selber deckt
Jahrelang haben sich die Nationalsozialisten als die Reiniger Deutschlands und Hüter der öffentlichen Moral angepriesen. In allen Tonarten haben sie gegen die Amtsführung linksstehender Parteiminister" gehetzt. Was aber ihr Minister Franzen in Braunschweig sich geleistet hat, geht weit über das hinaus, was nationalsozialistische Erfindung je gegen einen sozialdemokratischen Minister zu behaupten magte.
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Wie bereits mitgeteilt, hat Herr Franzen Platate, Flugblätter,
monftration etwa Andersgesinnte, in diesem Falle also Parteigänger des Herrn Franzen, fich zu Gewalttätigkeiten gegen die Demonstrierenden würden hinreißen lassen. Ausdrücklich haben hierzu die höchsten Gerichte entschieden, daß es in solchem Falle gerade Aufgabe der Polizeibehörde sei, das verfassungsmäßig gen währleistete Recht auf freie Meinungsäußerung gegen Gewalttätig feiten zu schützen.
Der Naziminister Franzen hat nicht nur fein Recht, aus per
Bersammlungen unter freiem Himmel, die sich mit seinem, des sönlicher Gereiztheit Plakate, Flugblätter und Demonstrationen zu
Ministers Fall beschäftigen, polizeilich verboten. Herr Franzen verbieten, die fich mit seiner Angelegenheit beschäftigen; gebraucht oder vielmehr mißbraucht sein Amt,
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um fich selber für feine strafrechtlichen Berfehlungen eine polizeiliche Deckung zu schaffen.
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Der Herr Minister hat durch Begünstigung eines verhafteten Partei freundes, den er fälschlich als immunen Abgeordneten legitimierte, gegen den§ 257 des Strafgesetzbuchs verstoßen, der mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre den bestraft, der nach Begehung eines Verbrechens oder Vergehens dem Täter wissentlich Beistand leistet. Und nach vollbrachter Tat nußt der gleiche Minister die in seinen Händen ruhende Bolizeigemalt im persönlichen Intereffe aus, um eine öffentliche Erörterung seiner Handlungsweise zu verhindern.
er hat im Gegenteil die Pflicht, diese plafate, Zettelverteiler, Demonftranten usw. gegen Gewalttätigkeiten feiner Anhänger sorgfältigst zu beschützen.
Wenn er das nicht tut, so handelt er gegen seine Amtspflicht, und wenn er die gegen ihn gerichteten Rundgebungen verbietet, so ist das der denkbar frasseste Mißbrauch eines öffentlichen Amtes für perfönliche Zwecke.
Im Braunschweiger Nazilager ist ja noch allerhand anderes passiert. Erst jüngst teilten wir mit, daß der Naziabgeordnete Mader, Fraktionskollege des Herrn Franzen im Braunschweigischen Landtag, ein langes Borstrafenregister wegen Diebstahls hat. Mit dem gleichen Recht oder Unrecht wie die Erörterung seines eigenen Falles könnte Herrr Franzen auch die öffentliche Bekenntgabe der gründung, daß durch die öffentliche Erörterung einer minifteriellen Die von Herrn Franzen für sein Verbot angegebene Be Diebstähle seines Parteifreundes Mader polizei. Straftat die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit des Landes Braunschweig gefährdet werde, ist dergestalt an den Haaren herbeigezogen, daß ihrem Urheber der gute Glaube nicht zugesprochen werden kann.
lich verbieten.
Im Interesse des Ansehens der republikanischen Staatsform stellen wir fest, daß Verfassung und Gesetz nicht einem Minister das Recht geben, sich vermöge seiner eigenen Polizeigewalt begründeten Anschuldigungen zu entziehen und die Stimme der Anflage zu ersticken, wie Herr Franzen in Braunschweig das tut.
Maffenprotest gegen Naziwirtschaft.
Die Polizei hat lediglich den äußeren Bestand der Drdnung zu wahren, nicht etwa das Herz irgendwelcher ministeriellen Parteigänger vor innerer Beunruhigung zu schützen. Es ist durch zahlreiche höchſtinstanzliche Entscheidungen festgelegt, daß die Ge fährdung der Ordnung von den Urhebern der betreffenden Rundgebungen selbst ausgehen muß, um ein Verbot zu rechtfertigen. Dagegen genügt nicht die Besorgnis, daß durch die De gliederversammlung der braunschweigischen Sozial.
Braunschweigischer, Selbstschutz"
Nazi- Minister Franzen verbietet Bersammlungen, Flugblätter, plakate ufw, die sich mit seinem alten fundigen Berstoß gegen das Strafgesetz befaffen
Franzen
Jharbinh
Umzüge!
IMMUNITAT
Ich verbinte Flugblätter
Franzen
Raden
If ambinte Versaminlungen!
Frankly
Franken
Ich befehle: 3m 3ntereffe meiner Ruhe und Sicherheit haben alle Braunschweiger sich sechs Wochen lang die Dhren mit Wachs zu verstopfen!
Braunschweig , 23. Oftober.( Eigenbericht.)
In einer großen, von 1200 Personen besuchten Mits demokratie fand nach einem Referat von Rudolf Wissell und nach weiteren Ausführungen von Grothewohl und Thielemann folgende Entschließung gegen 3 Stimmen Annahme:
,, Die am 22. Oftober im großen Saal des Hofjäger stattfindende außerordentlich stark besuchte Mitgliederversammlung des Ortsvereins Braunschweig der SPD. billigt die Haltung der Reichstagsfraktion der SPD. , und fordert sie auf, mit aller Entschiedenheit für die weitere Aufrechterhaltung des Parlamentarismus und die Verhinderung einer Rechtsdiftatur im Reiche zu fämpfen,
Die Mitgliederversammlung proteftiert mit aller Entschiedenheit gegen das brutale Borgehen des braunschweigischen Naziminifters Dr. Franzen und versichert, alles daran zu setzen, um die Naziregierung so schnell wie möglich wieder zu beseitigen."
Es wird weiter geschwindelt.
Eine neue Lesart zum Fall Franzen gibt jetzt der braunschweigische Naziabgeordnete Bertram anscheinend im Auftrage des Ministers selbst. Er behauptet in öffentlichen Versammlungen, daß ,, an allen Anwürfen nichts Wahres" sei. Tatsache sei nur, daß Dr. Franzen im ersten Augenblid seine Aussage verweigert habe, weil er in Anbetracht der Presseleute von Ullstein und Mosse teine Aussage habe machen wollen. Als er mit dem Beamten allein gewesen sei, habe er seine Aussage gemacht und Aufklärung gegeben.
Diese neue Lesart" ist einfach erschwindelt. Bei dem Borfall auf der Polizeimache, mo Franzen fich feines Parteifreundes Guth so liebevoll annnahm, waren selbstverständlich teine Pressevertreter anwesend. Das hat Franzen bisher nicht einmal felbft behauptet. Dazu braucht er seine jungen Leute" in Braun ſchweig .
In einer Berichtigung", die er dem Braunschweiger Boltsfreund" schickt, bestreitet er, daß ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet sei. Der Justiz" munister des Freistaats Braunschweig sollte von dem preußischen Oberstaatsanwalt in Berlin darüber aufgeflär