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Morgenausgabe

Nr. 503

A 253

47.Jahrgang

Böchentlich 85 Bt., monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar, Boftbezug 4.32 m. einschließlich 60 Bfg. Boftzeitungs- und 72 Bfg. Boftbeftellgebühren. Auslands abonnement 6,- M pro Monat.

Der Borwärts erscheint mochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend". Illustrierte Beilagen Bolt und Zeit" und Kinderfreund". Ferner -Frauenftimme" Technit". Blid in die Bücherwelt". Jugend- Borwärts" und Stadtbeilage.

UDO SUSH

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Sonntag

26. Oftober 1930

Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.

Die einipaltige Ronpareillezeile 80 Pfennig. Reklame eile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen das ettge Brudte Bort 25 Pfennig( zuläffig zwet fettgebrudte Borte), jedes weitere Wort 12 Bfennig. Stellengefuche das erste Bort 15 Bfennig, jedes mettere Bort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmartt Seile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, mochentägli von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Und wieder 100 Tote!

Schlagwetterfatastrophe bei Saarbrücken  / 19 Leichen geborgen Reine Rettung für 90 Eingeschlossene.

Saarbrüden, 25. Oftober.

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Am Sonnabend, um 15% Uhr, ereignete sich im Hauptquerschlag der vierten Tiefbausohle der Schacht anlage Maybach bei Friedrichsthal  ( 15 Kilo. meter nördlich von Saarbrücken  ) eine Schlag wetterexplosion. Von den neunzig eingefah­renen Bergleuten sind drei aus dem Schacht heraus gekommen. Rettungskolonnen sind sofort ein­gefahren. An der Unglücksstelle befinden sich be­reits die Vertreter der Bergbaupolizei sowie der stellvertretende Berghauptmann. Ebenso ist das Mit­glied der Regierungskommission, Morize, an der Un­

glücksstelle eingetroffen.

Ein weiteres Telegramm melbet:

Auf dem weiten Grubengelände drängen sich Tausende von An­gehörigen der verschütteten Bergleute. Nur mit Mühe können die Feuerwehrleute, Sanitätsmannschaften und Grubenbeamten den Ansturm von den Toren des Schachts abdrängen. Im Zeichensaal, wo sich die Bertreter der Presse aufhalten, und wo ab und zu eine tnappe Mitteilung über die Lage ausgegeben wird, hat man riefige weiße Laten ausgebreitet, um die Tolen aufzunehmen. Noch läßt fich das Unglück nicht im, entferntesten übersehen; bis zur Stunde, 9,15 Uhr abends, find 19 Tofe geborgen und 20 Berlegte, darunter fünf Schwerverletzte, von denen einer gestorben sein soll. Wie piele

Lote es sein werden, läßt sich noch nicht annähernd jagen. Berg­feute, die die Verhältnisse kennen, bezweifeln, daß auch nur ciner der Eingeschloffenen das Tageslicht mieder erbliden mitb. lleber die Ursache der Katastrophe ist noch nichts festzustellen. Minister Morize und die gesamte Bergverwaltung sind eingefahren. Nach den Er­zählungen des Fahrsteigers der betroffenen Abteilung 9 ift zu ver muten, daß eine Benzollokomotive im Querbau der vierten Sohle explodierte, worauf eine Explosion schlagender Better folgtc.

90 eingeschlossen und tot.

Friedrichsthal  , 25. Oktober. Wie die Grubenverwaltung Maybach gegen 23 Uhr mitteilte, sind noch etwa 90 Bergleute unter der Erde. Die Bergverwaltung rechnet damit, daß jämt liche 90 Eingeschlossenen tot sind.

Sämtliche im Saargebiet befindlichen Bergwerke sind durch den Versailler Bertrag bis auf weiteres in den Befit des franzo. fifchen Staates übergegangen. Doch gelten die deutschen  Bergbaubestimmungen nach wie vor, wenigstens nach dem Stande vom 11. Oftober 1918.

die im Jahre 1935 stattfinden soll und an deren Ausgang niemand Deutschland   hat im Falle einer günstigen Boltsabstimmung, meifelt, das Recht, die Bergwerte samt und fonders zurückzukaufen. Der Rüdfaufspreis wird durch ein gemischtes deutsch   franzöfifches Expertenfomitee unter dem Borfig eines Unparteiischen, den der Bölkerbundrat ernennen soll, festgesetzt.

20 Tote an Bord der Baden".

Der verhängnisvolle Bolltreffer.

Rio de Janeiro  , 25. Offober.( Eigenbericht.) Der Hapagdampfer., Baden wurde am Freitagabend bei seiner Ausfahrt aus dem hiesigen Hafen, kurz nach dem Uebergang der Macht in die Hände der Aufständischen, von dem Küftenfort Capa­cabana aus beschossen. Der Bug des auslaufenden Schiffes wurde von einer scharfen Granate getroffen. 20 Personen wurden getötet, 35 zum Teil schwer verwundet. Die Opfer find spanische Auswanderer, die nach Buenos Aires   reifen

wollten.

Als die Baden" getroffen war, machte sie fofort tehrt und fuhr mit der Flagge auf Halbma st in den Hafen ein. Die Repa­ratur des Schiffes wird mehrere Tage in Anspruch nehmen. Von den brasilianischen Amtsstellen wird erklärt, daß die Befchießung des Schiffes auf eine Berfettung unglüdlicher Um­stände zurückzuführen fei.

revolutionären Truppenführer vorgeschlagen, die in der Hauptstadt des Landes stattfinden soll. Die Führer des Auf ftandes im Landesimmern haben den Vorschlag angenommen.

Mello- Franco taucht wieder auf!

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Die Leiter der neuen brasilianischen Regierung enthält einen Namen, der in der Welt seinerzeit eine nicht gerade erfreuliche Berühmtheit genoß: Außenminister ist Mello Franco  , jener Diplomat, der im Frühjahr 1926 die Aufnahme Deutsch  lands in den Völferbund durch sein Beto verhinderte. Mello- Franco   war ständiger Bertreter Brasiliens   in Genf   und gehörte als solcher dem Völkerbund an. Unter Berufung auf formelle Instruktionen des damaligen Bräsidenten Alvarez lehnte er die Gewährung eines ständigen Ratssizes für Deutschland   ab, wenn nicht Brasilien   das gleiche Vorrecht zugesichert werde. Der stärkste Drud, die vereinigten Beschwörungen aller übrigen Bölferbunds Der brasilianische Marineminister hat sich inzwischen beim Geftaaten vermochten nicht, ihm umzustimmen. Als er in der Voll­fandten entschuldigt. Damit ist freilich den armen Teufeln von persammlung, die zu diesem negativen Ergebnis Stellung nehmen spanischen Auswanderern, die durch diese, artilleristische Glanz sollte, seine Rede zur Berteidigung des brasilianischen Standpunkts leiftung einer aufgeregten Soldatesta ihr Leben eingebüßt haben, beendet hatte, erhob sich feine Hand zum Beifall, sondern es er. tönten sogar ẞfiffe, ein Vorgang, der in den Annalen des Völker­nicht gedient. Die Reichsregierung wird mit allem Nachdruck von bundes einzig dasteht. Brasilien   eine Entschädigung der Hinterbliebenen sowie der Ver­letzten, abgesehen von der Wiedergutmachung des Sachschadens, for dern müssen. Die neuen Männer in Brasilien   haben sich jedenfalls durch diesen blutigen Zwischenfall vor der übrigen Welt nicht gut eingeführt.

Ein Manifest des neuen Direfforiums.

Rio de Janeiro  , 25. Oktober.  ( Eigenbericht.) Der von feinem Amt zurüdgetretene brajilianische Staats­präsident Luis wurde auf Anordnung des dreiköpfigen Militär Direktoriums als Gefangener auf die Festung Capacabana gebracht. Luis Nachfolger, Prestes  , der in drei Wochen gebracht. Luis Nachfolger, Prestes  , der in drei Wochen fein neues Amt antreten sollte, ist von der Bildfläche verschwun den und verbirgt sich aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwo im Bundesstaat Sao Paulo   Hier streckten die Bundestruppen erft in der Nacht zum Sonnabend die Waffen.

In einem Manifest des Direktoriums heißt es, daß Der Umsturz in der Hauptstadt durch den Wunsch veranlaßt wurde, weiteres Blutvergießen zwischen den Brasilianern zu vermeiden. Der Umfturz in der Hauptstadt tam völlig überraschend und ohne Bissen der revolutionären Führer im Landesinnern. Inzwischen hat das Direttorium eine gemeinsame Konferenz sämtlicher

Bald danach schied Brasilien   aus dem Böllerbund, um nicht aus dem Rat' förmlich hinausgewählt zu werden. Mello- Franco verließ Genf  , wie aber behauptet wird, sehr wider Willen, als Opfer for meller Befehle von oben.

Die Wahlreform im Reichsrat.

Am 6 November Vollsigung des Reichsrats. Die Ausschüsse des Reichsrats haben die erste Beratung der Regierungsvorlage über die Wahlreform abgeschlossen. Eine zweite Lesung ist für den 3. November in Aussicht genommen Die Berab schiedung der Wahlreformvorlage durch das Plenum des Reichsrats dürfte dann am Donnerstag, dem 6. November, erfolgen.

England für Abbau des Kriegsgeiftes. Die englische   Regierung hat die Reglerungen aller Länder in einem Rundschreiben aufge fordert, in 3ufunft die bisher üblichen und gegenseitigen offiziellen Kranzniederlegungen an Krieg egerdenkmälern einzustellen. Die Arbeiterregierung ist der Ansicht, daß es Beit sei, den Krieg zu vergessen und mehr dem Frieden zu dienen.

Die Mahnung der Opfer.

Nicht Totenklage, fondern Kampf!

Aus der Unternehmersprache des englischen   Frühfapitalis mus stammt die Bezeichnung, Hände" für die Millionen von Menschen, die durch ihre Arbeit die Maschinen in Betrieb und die Wirtschaft in Gang halten müssen. Bom Standpunkt des kapitalistischen   Unternehmens aus handelt es sich um not deren Eristenz aber auch keine andere Sorge am Plaze sei, wendige Hilfskräfte, die man zwar nicht entbehren kann, un als daß sie in jedem gewünschten Augenblick in gewünschter 3ahl und zu gewünschten faufmännischen Bedingungen zur Verfügung stehen.

In unseren kultivierteren Breiten und Zeiten wird die Erinnerung an so ursprünglich- rechnerische Einschätzung der ,, hands" nicht gern gesehen. Man ist gewöhnt, von den ,, braven Arbeitern" oder gar Mitarbeitern" in tönenden Worten zu sprechen und verwundert zu sein, daß diese Braven zuweilen so ungebärdig sind, auf ihr Menschenrecht zu pochen, Mitbestimmung über ihre Arbeit nach Zeit und Bewertung in Anspruch zu nehmen. Indessen werfen und schaffen sie Tag für Tag und Schicht um Schicht. Ihr Leben liegt klar zu Lage und ist doch für so viele noch immer ein undurchdringliches Geheimnis. Bis wieder einmal eine Katastrophe diesen Schleier lüftet und für ein kleines Weil­chen die Aufmerksamkeit auf das Los der unbekannten Men­schen lenkt, die als hände" in dem Rädergetriebe des kapita­liftisch verfeinerten Wirtschaftssystems zu fronden gezwungen find.

Man hat am Sonnabend die Opfer zu Grabe getragen, die pon der Grubenfatastrophe bei Aachen   dahin­gerafft wurden. 265 Männer, die Hunderte von Metern unter Der Erde   in Rohlenstaub und Wasser bei oft unerträglicher Hize Kohlen schürften, um ihres täglichen Brotes willen, sind auf einen Schlag aus dem Leben dusgelöscht. Ent setzt stockte der Atem, wie er stoďte, als vor wenigen Monaten das gleiche Schicksal hundertundfünfzig Bergproletarier in Neurode niederstreckte. Wie damals, so nahm auch jetzt jedes Herz an dem Furchtbaren Anteil, so weit es noch nicht ganz unempfindlich gegen Menschenleid geworden ist. Bei der Trauerfundgebung von Alsdorf  , durch elektrische Wellen über ganz Deutschland   gesandt, wurden prachtvolle Worte des Ge­dentens gesprochen. Und wenn der Führer des Verbandes der Bergbauindustriearbeiter, Genosse Husemann, dabei mit be= sonderem Nachorud peinlichste Untersuchung der Ursachen solcher Maffenkatastrophe fordert, so wird ihm jeder zu­stimmen, der den noch Lebenden ein gleiches Schicksal er­sparen will. Die Technik des Betriebes ist heute auch im Bergbau ungeheuer verfeinert. Auch die Unfallverhütungs­vorschriften sind zweifellos gegen frühere Zeiten außerordent­lich verbessert. Aber immer noch reißt der Massentod Hunderte aus dem schaffensfrohen Leben, immer noch steigt die Jahreszahl der im Bergbau getöteten Arbeiter allein in Deutschland   weit in das zweite Tausend.

Gleichsam zur Begleitung der Trauerfeier im Aachener  Bezirk tommt aus dem benachbarten Saarrepier die Kunde, daß dort am Sonnabendnachmittag wieder eine Schlagwettererplosion die Belegschaft einer Kohlengrube in Gefahr gebracht hat. Wieder wird um das Leben von 90 Grubenarbeitern gebangt.

Das Dasein des Bergknappen ist ständig von Todes­gefahren umwittert. Zwangsläufig muß er in jeder Stunde des Tages damit rechnen, daß er das Licht nicht mehr wiedera fieht. Aber ebenso zwangsläufig werden die Söhne der Berg­arbeiterfamilien immer wieder in die Grube gehen müssen. Es sei denn, daß die Besizer plötzlich den Betrieb stillegen, weil er ihnen nicht mehr rentabel erscheint. Sonst sind die Bergproletarier mehr als andere an die Scholle gebunden, die ihnen nicht gehört, auf der fie aber um des Brotes willen schaffen müssen. Als Hände" in einem großen Räderwert liefern sie die Kohle, damit Millionen von anderen Händen die Möglichkeit der Beschäftigung finden.

,, Auf die Dividenden dürfte das Unglüd jedoch teinen Einfluß haben, da diese... bis zum Jahre 1942 in der Höhe von 14 Proz. gesichert sind."

Das Wort sie sollen lassen stahn... Diese falte Fest­stellung in der Deutschen Bergwertszeitung" beleuchtet bliz­artig die Lage, wie sie wirklich ist. Keine Totenklage und fein Glockengeläut kann daran etwas ändern. Dividende be ziehen die Aktionäre, anonyme Besizer der Anteilscheine, die