Morgenausgabe
Nr. 610
A 307
47.Jahrgang
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Mittwoch 31. Dezember 1930
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Kein Schiedsspruch im Ruhrrevier. Ein Jahr der großen Not.
300 000 Bergarbeiter gekündigt.
Effen, 30. Dezember.( Eigenbericht.)
Die Lohnverhandlungen im Ruhrbergbau haben, nachdem die Parteien zu einer Einigung nicht gekommen sind, vor der Schlichterfammer unter dem Vorsiz des Schlichters für Rheinland- Westfalen , Professor Brahn, gestern und heute ihre Fortsetzung gefunden. Auch die Schlichterfammer ist zu einer Entscheidung nicht ge tommen. Ein Schiedsspruch fonnte nicht gefällt werden, da für teinen Vorschlag eine Mehrheit zu finden war. Infolgedessen müssen die
Verhandlungen für den Ruhrbergbau als gescheitert betrachtet
werden.
Die Barteien haben sich jedoch auf Ersuchen des Schlichters bereit. erklärt, einer neuen Einladung des Schlichters Folge zu leisten. Voraussichtlich dürfte der Schlichter die Parteien zum 7. Januar einberufen..
werden, um die geplante Lohntürzung zu erreichen. Wir fordern schen Arbeiterklasse als ein Jahr der schwersten Not weiterhiermit alle Bergarbeiter auf,
feine neuen Arbeitsverträge mit gedrüdten Löhnen
abzuschließen.
Es gilt jetzt, einig und geschlossen zusammenzustehen. Nur den Anordnungen der unterzeichneten Bergarbeiterverbände ist Folge zu leisten. Bochum und Essen, den 30. Dezember 1930. Verband der Bergbauindustriearbeiter Deutschlands . Gewerkverein christ licher Bergarbeiter Deutschlands . Gewerksverein der Fabrit und Handarbeiter( Hirsch- Dunder), Abteilung Bergarbeiter. Polnische Berufsvereinigung, Abteilung Bergarbeiter."
Die Bergarbeiterverbände berufen zum 4. Januar Revier tonferenzen ein, in denen Stellung genommen werden soll zum Scheitern der Schlichtungsverhandlungen und zu der neuen Sachlage, die durch die Kündigung der Bergarbeiter geschaffen ist.
Seit Wochen bemühen sich die ommunisten, die Berg arbeiter ins Schlepptau zu bekommen. Sie bedienen sich dabei, wie Die Unternehmer haben daraufhin beschlossen, sämtliche üblich, der unverschämtesten Lügen. So berichtet das Ruhrecho" Einzelarbeitsverträge der Bergarbeiter zu fündigen, heute, daß die Führer der Bergarbeiter während der Weihnachtsund zwar am 1. zum 15. Januar. Falls es nicht zu einer Einigung feiertage mit Stegerwald zusammengewesen seien und mit ihm einen pder zu einem verbindlichen Schiedsspruch kommen sollte, werden Lohnabbau vereinbart hätten. Der Ausgang der Schlichtungsverdie Unternehmer dann von sich aus die Löhne her ab- handlungen zeigt am besten, daß es sich hier um eine der üblichen tommmiftifchen Lügen handelt.
fehen umh
die Arbeiter entfaffen die zu den herabgefehten Löhnen nicht
arbeiten wollen.
3rgendeinen bestimmenden Einfluß auf die Haltung der Bergarbeiter haben die Kommunisten nicht erreichen können. Wie der Konflikt im Ruhrbergbau sich weiter entwickeln wird, ist Die Bergarbeiterverbände haben heute abend folgenden Auf- noch nicht abzusehen. Durch die Kündigung der 300 000 Ruhrbergruf erlaffen:
,, An die Ruhrbergfeute! Die Schlichtungsverhandlungen über die von den Zechenbesitzern geforderte zwölfprozentige Lohnfürzung sind gescheitert. Der Zechenverband gibt bekannt, daß die Gritbenverwaltungen des Ruhrbergbaues nunmehr die Kündigung aller Arbeitsverträge zum 15. Januar 1931 aussprechen
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arbeiter ist zweifellos die Lage sehr verschärft worden. Während die Bechenbesitzer auf einem Lohnabbau von 12 Broz. bestehen, erklären die Gewerkschaften, daß auch nach der Senkung der Kohlenpreise eine Lohnfenfung nicht notwendig ist. Die Schlichtungsverhandlungen sind gescheitert infolge der starrköpfigen Haltung der Zechenbesitzer.
Unterredung mit Major Franco.
Die Ursachen des ersten Fehlschlages.
Brüffel, 30. Dezember.( Eigenbericht.) I Mit sichtlicher Zufriedenheit und Stolz erzählt Franco, wie Der Berichterstatter des„ Vorwärts" hatte Gelegenheit, er einige Wochen vor dem Madrider Aufstand aus dem Militär heute bei Blissingen in der Scheldemündung den belgischen Ozean- gefängnis in Madrid entkam. Alles war sehr sorgfältig vorbereitet dampfer„ Thysville" zu besteigen und den Rest der Reise bis Ant- und sogar mehrfach erprobt worden. Franco hatte bemerkt, daß werpen in Gesellschaft des spanischen Fliegers und Revolutionärs der Gefängniskorridor nachts unbewacht blieb. Es gelang ihm, Franco mitzumachen, der nach dem Fehlschlagen des Aufstandes von der Madrider Lufthalle nach Portugal flog, um sich dann von Lissabon aus nach Belgien einzuschiffen. Franco, dessen aus einer feldgrünen Soldatenhose, einem Zivilrock und Reiserock bestehender 2nzug einen merkwürdig improvisierten Eindruck machte, war bester Laune und voller Hoffnung für den baldigen Sieg der spanischen Revolutionsbewegung. Er gab Gründe für feine Zu versicht und sprach auch offen über die Ursachen des vorläufigen
Fehlschlages.
Vom politischen Gesichtspunkt aus, so äußerte er fidh, mar die Bewegung vorzüglich vorbereitet worden. Ihre Grund. lage war der sogenannte
zwischen den spanischen Revolutionären und den fatalanischen Autonomisten auf der Basis der föderalen Republit. Die Sympathien der ganzen Bevölkerung waren nicht zweifelhaft. Tatsächlich unterstützten nur die hohe Geistlichkeit und die Kirchenfürsten die hohen Offiziere der Armee, insbesondere der Artillerie, ferner die Aristokratie, die Großbourgeoisie und die Finanz das monarchistische System. Das Bolt in Stadt und Land, die freien Berufe, ein großer Teil des niederen Klerus und selbst der Armee sind gegen die Monarchie. Aber die Bewegung schlug fehl infolge der
ungenügenden technischen Vorbereitungen. Der verfrühte Aufstand in Jaca ermöglichte es der Regierung, Gegenmaßnahmen zu treffen, darunter namentlich auch die Verhaftung aller republikanischen und revolutionären Führer in Madrid , gerade an dem Tage porzunehmen, bevor der Aufstand in der Hauptstadt ausbrechen sollte. In Abwesenheit der Führer konnte der geplante Generalstreit, auf den die Aufständischen unbedingt gerechnet hatten, nicht ordnungsgemäß protla miert und restlos durchgeführt werden. Das ist nach Franco der eigentliche Grund der Niederlage.
mit Hilfe von falschen Schlüsseln in die Gefängnistapelle einzubringen und das dort befindliche Eisengitter mit einem ein Arbeit vollendet war, bestrich Franco den Einschnitt mit schwarzem geschmuggelten Werkzeug durchzusägen. Jedesmal, wenn ein Teil Bachs, um ihn unsichtbar zu machen. Als es endlich so weit war, tam Raba, sein Mechaniker, der die Berbindung zwischen ihm und der Außenwelt herstellte und ihm in jeder Weise behilflich war, um 2% Uhr nachts in einem Auto angefahren und blendete den ein aigen Wachtposten auf der Straße mit der Autolaterne derart, daß Franco fich aus einer Höhe von 15 meter mit einem Strid herablaffen konnte, ohne von dem Posten bemerkt zu
werden.
Franco und Rada, der ihn begleitet, gedenken einige Tage in Brüssel zu bleiben und dann vielleicht nach Paris weiterzufahren, wo sie zunächst die Ankunft der noch in Portugal internierten spani schen Fliegeroffiziere vorbereiten wollen.
Wie steht es mit den Kriegsschulden?
Paris 30. Dezember. Der englische Botschafter in Paris hat im Namen feiner Regierung, wie Havas berichtet, im französischen Außenminifterium eine neue Note bezüglich der englischen Forderungen auf Bezahlung der Rückstände für während des Krieges in England aufgelegte franzöfifche Anleihen in Gold überreicht.
Joffre lebte am Dienstagabend noch immer, und zwar bei flarem Bewußtsein. Doch gilt sein Ableben nach wie vor nur als eine Frage von Stunden.
Das Jahr 1930 wird lange in der Erinnerung der deutleben. Noch niemals wurde den Arbeitern so deutlich gezeigt, daß der Fluch des kapitalistischen Systems für die arbeitenden Bolksmassen in der Unsicherheit ihrer Existenz, in der immer wiederkehrenden Arbeitslosigkeit besteht.
Mehr als 4 Millionen arbeitswillige Menschen sind aus der Wirtschaft verdrängt, die Mehrzahl sucht nunmehr schon seit vielen Monaten nach Arbeit und viele unter ihnen haben jede Hoffnung verloren, jemals wieder in einen Betrieb aufgenommen zu werden. Vor einem Jahre, Ende Dezember 1929, zählte man im Reiche nicht ganze 3 Millionen Arbeitsuchende, noch ein Jahr vorher, Dezember 1928, waren es 2,5 Millionen. Mit jedem Jahr steigt die Flut der grausamen Not. Braucht man eine andere Erklärung der Verzweiflung, die sich eines Teiles deutschen Proletariats bemächtigt?
Aber je verständlicher die Verzweiflung eines Mannes ist, der viele Monate tagaus, tagein nach der Anwendungsmöglichfeit seiner Arbeitskraft sucht und sich zur fristlosen Untätigkeit und armseligen Eristenz eines Unterstützungsempfängers ver urteilt sieht, je begründeter die Berzweiflung eines Arbeitslosen ist, um so entscheidender muß die klaffenbewußte Arbeiterschaft diesen Stimmungen entgegentreten: die Verzweiflung ist eine Absage an den Kampf auch dann, wenn sie sich in einem Strom von revolutionären Worten äußert. Die Not ruft aber zum Kampf, und je größer die Arbeitslosigkeit, je tiefer die Not, um so lauter muß ihr Ruf ertönen!
Es genügt nicht, zu erkennen, daß wir inmitten einer kapitalistischen Krise stehen und daß das herrschende System für die Not der Volksmassen verantwortlich ist. Darüber hinaus muß man versuchen, die einzelnen Quellen der auf der Volkswirtschaft lastenden ungeheuren Arbeitslosigkeit zu untersuchen.
Die Massenarbeitslosigkeit steigt in Deutschland ununterbrochen seit Ende 1927 an. Zunächst nahm die Arbeitslosenzahl nur langsam und zögernd zu. Im Jahre 1928 war die Beschäftigung noch befriedigend. Das Jahr 1929 begann im Zeichen der Kältekatastrophe, die nicht nur das Baugewerbe lahmlegte, sondern auch andere Wirtschaftszweige in Mitleidenschaft zog. Nach der Ueberwindung der Witterungskrise trat aber die erwartete Belebung nicht ein. Im Sommer 1929 blieben unter den Gewerkschaftsmitgliedern immer noch 8,6 Proz. arbeitslos( gegen 6,2 Proz. im Vorjahre). Auch die Zahl der Arbeitsuchenden bewegte sich zu jener Zeit um etwa 300 000 über dem Stand des Vorjahres. Die Mehrbelastung des Arbeitsmarktes entsprach ungefähr dem Zustrom neuer Arbeitskräfte ins Erwerbsleben: die Produktion hat sich im Bergleich mit den früheren Jahren erweitert, sie brauchfe aber dank der Rationalisierung zufägliche Arbeitskräfte nicht. Der Produktionsinder des Instituts für Konjunkturdurchschnitt 1928100). Die Zahl der Beschäftigten stieg aber forschung lautete Juni 1928: 103,0, Juni 1929: 109,8( Jahresnicht an, der natürliche Zuwachs der Erwerbstätigen floß dem Arbeitslosenheer zu.
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jener Beit klar: es handelte sich um die Steigerung der ProdukDie Quelle der zunehmenden Arbeitslosigkeit war zu tivität der Arbeit, mit der der Absatz nicht Schritt halten fonnte. Die organisierte Arbeiterschaft sah den Ausweg in der Festigung des Binnen= marftes, Steigerung der Kaufkraft der Boltsmassen. Die Kapitäne der Wirtschaft wußten aber Bescheid, war zu machen war: sie entfeffelten eine große Offensive gegen die Löhne, die soziale Gesetzgebung, die Arbeitslofenversicherung und die Wirtschaft der öffentlichen Hand. Im Herbst 1929, als die allgemeine Wirtschaftslage abgesehen von der Belastung des Arbeitsmarktes noch durchaus befriedigend war, ertönte seitens der Arbeitgeber das Signal zum allgemeinen Angriff, der zwei Hauptziele verfolgte: 1. Aushöhlung der Arbeitslosenversicherung und demnächst der Sozialversicherung überhaupt und 2. Drosselung der öffentlichen Wirtschaft. Der Angriff auf die Arbeitslosenversicherung wurde von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften erfolgreich abgewehrt, den Sturm gegen die öffentliche Hand fonnten sie aber nicht zurückwerfen. Der wirtschaftlichen Tätigfeit der Gemeinden wurde durch das Abschneiden der Auslandskredite ein schwerer Schlag versezt und demzufolge wurde die von den öffentlichen Mitteln gespeiste Bauwirtschaft vollständig desorganisiert und lahmgelegt.