Morgenausgabe
Nr. 121
A 61
gabe JobComu
48.Jahrgang
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Vorwärts
Beeliner Bolksblatt
Freitag
13. März 1931
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Indiendebatte im Unterhaus.
Ueberraschung des Tages: Baldwin stimmt zu.
London , 12. März( Eigenbericht). Im Unterhaus begann am Donnerstagnachmittag die mit großer Spannung erwartete Indien debatte. Als erster Redner erhob sich der konservative Führer Baldwin, der zugleich alle Erwartungen enttäuschte. Der von jeinem rechten Flügel zu Beginn der Woche gegen die Indienpolitit der Arbeiterregierung aufgeputschte Baldwin fiel in seiner Rede wieder einmal um, diesmal aber auf die Seite der Regierung. Er erklärte, die konservative Politif sei unverändert. Die Konser pativen stünden in der indischen Frage hinter der Regierung, von der sie wünschten, daß sie das begonnene Werf vollenden möge. Dabei würden sie der Regierung mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Der positive Teil der großen Indien debatte des Unter
hauses war die Rede des Ministers und Unterstaatssekretärs für Indien Wedgwood Benn. Aus ihr geht hervor, daß die Arbeiten der englischen Konferenz in Indien fortgesetzt werden und daß im Herbst in London die endgültige Schlußßigung stattfindet, an der auch Gandhi teilnehmen wird. Diese neue Londoner Ronferenz soll die Basis der fünftigen indischen Verfaffung festlegen, um damit das von der Arbeiterregierung begonnene Werf zu vollenden, das der Zukunft des indischen Bolles den Weg bereitet und gleichzeitig den Grund legt für die Berständigung zwischen Indien und England.
In diesem Plan wird sich die Arbeiterregierung ponteiner Opposition beirren lassen und zu diesem Bert hat sie die 3ustimmung der Liberalen und sogar die Mitarbeit der gemäßigten Konservativen. Das ließ auch die Rede des tonservativen Führers Baldwin flar erkennen, und dies war zugleich die große leberraschung der gesamten Debatte. Immer wieder fand der fonservative Führer den großen Beifall der Arbeiterpartei und der Liberalen, während ein großer Teil seiner eigenen fonservativen Freunde unbewegt dafaß und von einem Erstaunen in das andere fiel. Baldwins Rede war ein mutiges Betenntnis und eine große Anerkennung für das von der Arbeiterregierung geleistete Bert der Versöhnung mit Indien .
i Innenpolitisch waren die Ausführungen des konservativen Führers Kampfansage und Herausforderung an jeine Gegner in der eigenen Partei. ,, Solange wie ich die kon jervative Partei führe", rief Baldwin zu Churchill gewandt,
Hermann Müllers Erfranfung.
Eine Falschmeldung. Heute Operation.
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Die ungünstigen Nachrichten über die Erkrankung Hermann Müllers machte sich ein gewissenloser Bursche zunuze, um die glüc licherweise falsche Todesnachricht zu verbreiten. Um 5 Uhr nach mittags durcheilte diese Alarmnachricht den Reichstag und erweckte bei allen Parteien und Pressevertretern aufrichtige Trauer, bei unferen Genossen natürlich tiefen Schmerz. Der verantwortungs lose Bursche hatte sich am Telephon als Moabiter Kranken haus " gemeldet, die Todesnachricht gegeben und im Namen des Aerztefollegiums herzliches Beileid" ausgesprochen. Durch Rückfrage bei der Familie Hermann Müllers und in der Klinik wurde die Unrichtigkeit dieser Nachricht sofort festgestellt. Hermann Müller liegt in der Klinik des Professors Dr. Zonded, der zugleich Leiter des Moabiter Krankenhauses ist. Das wußte der Anonymus nicht. Die behandelnden Aerzte traten abends 7 1hr zusammen und famen zu dem Entschluß, am heutigen Vormittag eine Operation durchzuführen. Es besteht Aussicht auf Lokalisierung des Abzeffes, der sich gebildet hat. Am Abend war Hermann Müller zwar etwas matt, aber bei Bewußtsein, und sein allgemeiner Zustand mar immerhin so, daß die Aerzte den Entschluß zur Operation faßten.
Der Krach in der Frick- Koalition. Die Schmerzen der Volkspartei.
Die thüringischen Koalitionsparteien leben wieder im schönsten Krach. Die Presse der Nationalsozialisten hat die Deutsche Volks partei aufs massivste angegriffen. Die Deutsche Volkspartei fordert Widerruf, aber die Nationalsozialisten denken nicht daran.
,, solange werden wir gemeinsam mit den beiden anderen eng lischen Parteien an der indischen Frage zusammenarbeiten. Wenn es andere Auffassungen in der tonservativen Bartei gibt und diese Ansichten die Mehrheit davontragen sollten, dann soll sich diese tonservative Mehrheit einen anderen Führer wählen. Wenn sie aber in der Minderheit bleibt, dann müssen diese Vertreter der Konservativen still sein und nicht das Wert gefährden, das entscheidend ist für den Wohlstand und für die Zukunft Englands.
Stumm und betroffen blieb es in den tonservativen Reihen und der stürmische Beifall des gesamten übrigen Hauses begleitete diese Borte Baldwins. Selbst Churchill konnte sich des großen Eindrucks, den die Rede hervorrief, nicht erwehren. Er sprach zwar scharf
und bitter gegen das Friedensabkommen, aber es war diesmal nur eine Schamade gegenüber den bisherigen Fanfaren, die Churchill
in den öffentlichen Bersammlungen geblasen hat.
Der Kampf in den tonfervativen Reihen wird meitergehen. Der Fechtboden wird vom Unterhause in die konservative Bresse und Parteipersammlungen gelegt werden. Es scheint jedoch, daß Bald win der Entscheidung nicht mehr ausweichen kann und so betrachtet, darf feine Unterhausrede als eine Flucht in die Deffentlich feit betrachtet werden.
Blutige Kämpfe in Bombay.
Bombay, 12. März.( Eigenbericht.) Anläßlich der Einweihung des der allindischen Bewegung zurüdgegebenen Bombayer Vereinshauses tam es zu beitigen Rämpfen zwischen Anhängern Gandhis und der dem Friedensschluß abholden und von Nehru geführten Opposition. Die Radikalen hatten das Gebäude besetzt und eine rote Fahne gehißt. Erst nach dreistündigen Berhandlungen waren sie zum Abzug zu bewegen. Später tamen sie jedoch wieder. Es entstanden Rämpfe, bei denen 20 Personen verwundet wurden. Polizei mußte die Streitenden trennen.
Dainit ist der Meinungsstreit im allindischen Lager zum ersten mal auf der Straße ausgefochten worden. Hinter Gandhi steht jedoch die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, die ihm überall einen triumphalen Empfang bereitet.
sich unter dem Stiefel befindet, und daß sie zwar den Stiefel füffen, aber nicht daran denken darf, sich ihm zu entziehen. Man spekuliert mit der Angst der Deutschen Volkspartei vor Neuwahlen und damit spekuliert man sicherlich nicht falsch.
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So wird trotz der neuen Zuspizung des Kraches der thüringifchen Koalitionsfreunde auch diese Krise wieder damit enden, daß die Deutsche Volkspartei sich löblich unterwirft.
Frid- Gehalt darf nicht gefürzt werden!
Im Haushaltsausschuß des Landtags wurde der Antrag der Na. tionalsozialisten, die Gehälter der Minister von 16 000 auf fozialisten bei Enthaltung aller übrigen Parteien 12 000 Marf herabzusehen, mit den Stimmen der National
angenommen.
Der Regierungsvertreter stellte aber feft, daß diese Gehalts fürzung fich nicht auf die drei derzeitigen Minifter auswirken merde, sondern nur auf fünftige Minister.
Der Antrag, die Aufwandsentschädigung der Minister, die im Jahr 2000 Mart beträgt, zu streichen, wurde mit den Stim men sämtlicher Regierungsparteien, also auch der Hakenkreuzler, abgelehnt.
Beginn am 30. März.
Paris , 12. März. Die Delegiertenversammlung des französischen Grubenarbeiterverbandes, die, wie gemeldet, heute in Paris zu fammengetreten war, hat einstimmig eine Entschließung angenommen, in der angesichts der Tatsache, daß die Verhandlungen der Regierung mit den Grubengesellschaften über die Rückgängigmachung der vor furzem durchgeführten Cohnherabsehung zu keinem Ergebnis geführt haben, der am 13. Februar gefaßte Streitbeschluß bestätigt wird. Der Generalstreit soll am 30. März durchgeführt werden, falls bis dahin nicht noch eine Einigung mit den Grubengesellschaften erzielt werden solle.
Der Präsident des Thüringischen Landtages soll nun vermitteln, aber ehe er noch zu einer Vermittlungsaktion gelangt ist, schaffen die Nationalsozialisten neue Tatsachen. Der Fraktionsführer der Nationalsozialisten, Abg. Sautel, erklärt in der Weimarer Hakenkreuzzeitung unter neuen außerordentlich scharfen Angriffen gegen die Deutsche Volkspartei , daß die National- prozeß zu einer fiebenjährigen 3uchthausstrafe ver fozialisten nicht daran dächten. irgend etwas zurüdzunehmen. Die Tattit der thüringischen Nationalsozialisten besteht darin, der Bolts partei bei jeder Gelegenheit zum Bewußtsein zu bringen, daß fie
Bombenleger auf Urlaub. Der im Altonaer Bombenleger urteilte Landvolkangehörige Claus Heim ist auf Fürsprache feines Heimatgeistlichen für kurze Zeit aus der Strafanstalt in Altona beurlaubt, um an der Einsegnung seiner Tochter teilnehmen zu tönnen.
Fortschritte.
Drei Versprechungen Etegerwalds.
Der Reichstag hat gestern mit der Beratung des Haus halts des Reichsarbeitsministeriums begonnen. Dieser Haushalt ist für die Arbeiterschaft von der größten Bedeutung, seine Gestaltung beeinflußt ihre Lage während der Krise sehr wesentlich.
Hier sind die Tatsachen und Zahlen, die deutlich die Not und die Gefahren zeigen, die die Wirtschaftsfrise mit fich bringt.
Fünf Millionen Arbeiter sind erwerbslos. Eine sehr große Anzahl von Arbeitern ist auf Kurzarbeit beschränkt. Der volfswirtschaftliche Verlust infolge der Erwerbslosigkeit beträgt insgesamt 9 Milliarden Arbeitsstunden. Der Ausfall an Kauftraft wird auf 6 Milliarden Mart geschätzt.
Die Lohnsenkungsmelle hat die Arbeiterschaft fast bis auf das Lohnniveau der polnischen Arbeiter herabgedrückt. An der Spize aller europäischen Länder steht Dänemark , es hat die höchsten Löhne. Es folgen Schmeden, Großbritannien , Frankfeich, die Niederlande. Deutschland aber folgt erst furz vor Polen !
Die Lohnsentungswelle genügt dem deutschen Unternehmertum nicht. Die Metallindustriellen in Bayern sind mit einem sechsprozentigen Lohnabbau nicht zufrieden, sie haben deshalb 40 000 Metallarbeiter. ausgesperrt.
Die Krise bedroht die Arbeiter mit völligem Absinken des Reallohnes, mit wachsender Erwerbslosigkeit. Die Unternehmer wollen die Reservearmee der Erwerbslosen benutzen, um vom Schlichtungswesen freizukommen und die Löhne un gehemmt weiter zu drücken.
Welchen Kurs wird der Reichsarbeitsminister in dieser Situation einschlagen?
Herr Stegerwald hat die Beratung des Sozialetats im Reichstag mit einer längeren Rede eingeleitet, die in drei wesentlichen Punkten eine grundsägliche Stellungnahme enthielt. Sie betreffen die Haltung der Reichsregierung zum staatlichen Schlichtungswesen, zur Lohnentwicklung und zur Unterbringung von Arbeitslosen durch Arbeitszeitverkürzung.
Das Schlichtungswesen hat gegenwärtig seine schärfsten Gegner im Lager der Unternehmer, die von einer Lohngestaltung, die unbeeinflußt von der Staatsgewalt, aber unter dem Drud von fünf Millionen Erwerbslosen steht, eine Förderung ihrer Absichten auf weitest gehenden Lohnabbau erwarten.
Diesen Anschauungen trat Stegerwald entgegen mit dem Hinweis, es sei unlogisch, völlig freie Lohngestaltung zu verlangen und gleichzeitig die Aufrechterhaltung von unwirtschaftlichen Preisbildungen in Kartellen, sowie hohe Zölle gegenüber dem Ausland zu fordern.
Bei der Lohnentwidlung der lezten Zeit hat man oft den Eindrud gehabt, als ob die Reichsregierung entgegen ihren früheren Erflärungen nicht nur die Nominallöhne den fintenden Breisen anpassen wolle, sondern auch das Ziel der Senkung der Reallöhne verfolge.
Jetzt hat Stegerwald erklärt, Sinn der Regierungspolitik sei es nicht, eine Kürzung der Reallöhne herbeizuführen. Ihr 3med und Bestreben sei vielmehr eine Senfung der Ge stehungskosten. Auf längere Sicht gesehen, werde er sich, so meit das auf dem Wege der Schlichtung überhaupt möglich ist, nachbrüdlichst einer Senfung der Reallöhne miberjegen.
Auch zu der immer noch umstrittenen Arbeitszeitvertürzung, die von der Arbeiterklasse als ein wirksames Mittel zur Linderung der Erwerbslosennot angesehen wird. nahm der Minister Stellung. Er betonte, daß, falls den freimilligen Bemühungen um eine wesentliche Verminderung des Arbeitslosenheeres ein durchgreifender Erfolg nicht beschieden ist, die Regierung geseggeberische Vorschriften über eine Arbeitsstredung durch Arbeitszeitverkürzung erlaffen muß.
Wir wollen durchaus anerkennen, daß diese Hinweise des Reichsarbeitsministers für seine fünftige Politif einen gewiffen Fortschritt darstellen. Es sind zwar bisher nur Worte und Versprechungen, die bei weitem nicht den Forderungen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften aller Richtungen zur Ueberwindung der Krise entsprechen. Aber der Unterschied zwischen den jezigen Erklärungen der Reichsregierung und den früheren ist unverkennbar. Er wird besonders deutlich durch die Hervorhebung, daß es sich in dem jezigen Stadium der Krise darum handeln müsse, unter allen Umständen das Heer der Arbeitslosen zu vermindern und die Arbeitslosen auch durch das Mittel der