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Morgenausgabe

Nr. 121

A 61

gabe JobComu

48.Jahrgang

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Der Borwarts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend" Illustrierte Beilage Bolt und Zeit". Ferner Frauenftimme", Technit", Blick in die Bücherwelt", Jugend- Borwärts" u. Stadtbellage

Vorwärts

Beeliner Bolksblatt

Freitag

13. März 1931

Groß- Berlin 10 Pf.

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Die einspalt. Nonpareillezeile 80 f. Rellamezeile 5,- RM. Kleine An­zeigen" das fettgebrudte Wort 25 Pf. Gulässig zwei fettgebrudte Worte), jedes weitere Bort 12 Pf. Rabatt It. Tarif. Stellengesuche das erste Wort 15 Bf., jedes weitere Wort 10 Pf. Borte über 15 Buchstaben zählen flir amei Borte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Bf. Familien­anzeigen Zeile 40 Pf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3, wochen­täglich von 8 bis 17 Uhr. Der Berlag behält sich das Recht ber Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor!

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Indiendebatte im Unterhaus.

Ueberraschung des Tages: Baldwin stimmt zu.

London  , 12. März( Eigenbericht). Im Unterhaus begann am Donnerstagnachmittag die mit großer Spannung erwartete Indien   debatte. Als erster Redner erhob sich der konservative Führer Baldwin, der zugleich alle Erwartungen enttäuschte. Der von jeinem rechten Flügel zu Beginn der Woche gegen die Indienpolitit der Arbeiterregierung aufgeputschte Baldwin fiel in seiner Rede wieder einmal um, diesmal aber auf die Seite der Regierung. Er erklärte, die konservative Politif sei unverändert. Die Konser pativen stünden in der indischen Frage hinter der Regierung, von der sie wünschten, daß sie das begonnene Werf vollenden möge. Dabei würden sie der Regierung mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Der positive Teil der großen Indien   debatte des Unter­

hauses war die Rede des Ministers und Unterstaatssekretärs für Indien   Wedgwood Benn. Aus ihr geht hervor, daß die Ar­beiten der englischen Konferenz in Indien   fortgesetzt werden und daß im Herbst in London   die endgültige Schlußßigung stattfindet, an der auch Gandhi   teilnehmen wird. Diese neue Londoner  Ronferenz soll die Basis der fünftigen indischen Ver­faffung festlegen, um damit das von der Arbeiterregierung be­gonnene Werf zu vollenden, das der Zukunft des indischen Bolles den Weg bereitet und gleichzeitig den Grund legt für die Berständi­gung zwischen Indien   und England.

In diesem Plan wird sich die Arbeiterregierung ponteiner Opposition beirren lassen und zu diesem Bert hat sie die 3ustimmung der Liberalen und sogar die Mitarbeit der gemäßigten Konservativen. Das ließ auch die Rede des tonservativen Führers Baldwin flar erkennen, und dies war zugleich die große leberraschung der gesamten Debatte. Immer wieder fand der fonservative Führer den großen Beifall der Arbeiterpartei und der Liberalen, während ein großer Teil seiner eigenen fonservativen Freunde unbewegt dafaß und von einem Erstaunen in das andere fiel. Baldwins Rede war ein mutiges Betenntnis und eine große Anerkennung für das von der Arbeiterregierung geleistete Bert der Versöhnung mit Indien  .

i Innenpolitisch waren die Ausführungen des konservativen Führers Kampfansage und Herausforderung an jeine Gegner in der eigenen Partei. ,, Solange wie ich die kon jervative Partei führe", rief Baldwin zu Churchill   gewandt,

Hermann Müllers Erfranfung.

Eine Falschmeldung. Heute Operation.

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Die ungünstigen Nachrichten über die Erkrankung Hermann Müllers machte sich ein gewissenloser Bursche zunuze, um die glüc licherweise falsche Todesnachricht zu verbreiten. Um 5 Uhr nach mittags durcheilte diese Alarmnachricht den Reichstag und erweckte bei allen Parteien und Pressevertretern aufrichtige Trauer, bei unferen Genossen natürlich tiefen Schmerz. Der verantwortungs lose Bursche hatte sich am Telephon als Moabiter Kranken­ haus  " gemeldet, die Todesnachricht gegeben und im Namen des Aerztefollegiums herzliches Beileid" ausgesprochen. Durch Rückfrage bei der Familie Hermann Müllers und in der Klinik wurde die Unrichtigkeit dieser Nachricht sofort festgestellt. Hermann Müller  liegt in der Klinik des Professors Dr. Zonded, der zugleich Leiter des Moabiter Krankenhauses ist. Das wußte der Anonymus nicht. Die behandelnden Aerzte traten abends 7 1hr zusammen und famen zu dem Entschluß, am heutigen Vormittag eine Operation durchzuführen. Es besteht Aussicht auf Lokalisierung des Abzeffes, der sich gebildet hat. Am Abend war Hermann Müller   zwar etwas matt, aber bei Bewußtsein, und sein allgemeiner Zustand mar immerhin so, daß die Aerzte den Entschluß zur Operation faßten.

Der Krach in der Frick- Koalition. Die Schmerzen der Volkspartei.

Die thüringischen Koalitionsparteien leben wieder im schönsten Krach. Die Presse der Nationalsozialisten hat die Deutsche Volks partei   aufs massivste angegriffen. Die Deutsche Volkspartei   fordert Widerruf, aber die Nationalsozialisten denken nicht daran.

,, solange werden wir gemeinsam mit den beiden anderen eng lischen Parteien an der indischen Frage zusammenarbeiten. Wenn es andere Auffassungen in der tonservativen Bartei gibt und diese Ansichten die Mehrheit davontragen sollten, dann soll sich diese tonservative Mehrheit einen anderen Führer wählen. Wenn sie aber in der Minderheit bleibt, dann müssen diese Vertreter der Konservativen still sein und nicht das Wert gefährden, das entscheidend ist für den Wohlstand und für die Zukunft Englands.

Stumm und betroffen blieb es in den tonservativen Reihen und der stürmische Beifall des gesamten übrigen Hauses begleitete diese Borte Baldwins. Selbst Churchill   konnte sich des großen Eindrucks, den die Rede hervorrief, nicht erwehren. Er sprach zwar scharf

und bitter gegen das Friedensabkommen, aber es war diesmal nur eine Schamade gegenüber den bisherigen Fanfaren, die Churchill  

in den öffentlichen Bersammlungen geblasen hat.

Der Kampf in den tonfervativen Reihen wird meitergehen. Der Fechtboden wird vom Unterhause in die konservative Bresse und Parteipersammlungen gelegt werden. Es scheint jedoch, daß Bald win der Entscheidung nicht mehr ausweichen kann und so betrachtet, darf feine Unterhausrede als eine Flucht in die Deffentlich feit betrachtet werden.

Nehru gegen Gandhi  .

Blutige Kämpfe in Bombay.

Bombay, 12. März.( Eigenbericht.) Anläßlich der Einweihung des der allindischen Bewegung zurüd­gegebenen Bombayer Vereinshauses tam es zu bei­tigen Rämpfen zwischen Anhängern Gandhis   und der dem Friedensschluß abholden und von Nehru   geführten Opposition. Die Radikalen hatten das Gebäude besetzt und eine rote Fahne gehißt. Erst nach dreistündigen Berhandlungen waren sie zum Abzug zu bewegen. Später tamen sie jedoch wieder. Es entstanden Rämpfe, bei denen 20 Personen verwundet wurden. Polizei mußte die Streitenden trennen.

Dainit ist der Meinungsstreit im allindischen Lager zum ersten mal auf der Straße ausgefochten worden. Hinter Gandhi   steht jedoch die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, die ihm überall einen triumphalen Empfang bereitet.

sich unter dem Stiefel befindet, und daß sie zwar den Stiefel füffen, aber nicht daran denken darf, sich ihm zu entziehen. Man spekuliert mit der Angst der Deutschen Volkspartei   vor Neu­wahlen und damit spekuliert man sicherlich nicht falsch.

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So wird trotz der neuen Zuspizung des Kraches der thüringi­fchen Koalitionsfreunde auch diese Krise wieder damit enden, daß die Deutsche Volkspartei   sich löblich unterwirft.

Frid- Gehalt darf nicht gefürzt werden!

Im Haushaltsausschuß des Landtags wurde der Antrag der Na. tionalsozialisten, die Gehälter der Minister von 16 000 auf fozialisten bei Enthaltung aller übrigen Parteien 12 000 Marf herabzusehen, mit den Stimmen der National

angenommen.

Der Regierungsvertreter stellte aber feft, daß diese Gehalts fürzung fich nicht auf die drei derzeitigen Minifter auswirken merde, sondern nur auf fünftige Minister.

Der Antrag, die Aufwandsentschädigung der Minister, die im Jahr 2000 Mart beträgt, zu streichen, wurde mit den Stim men sämtlicher Regierungsparteien, also auch der Hakenkreuzler, abgelehnt.

Streif in Frankreichs   Bergbau?

Beginn am 30. März.

Paris  , 12. März. Die Delegiertenversammlung des französischen   Gruben­arbeiterverbandes, die, wie gemeldet, heute in Paris   zu fammengetreten war, hat einstimmig eine Entschließung angenommen, in der angesichts der Tatsache, daß die Verhandlungen der Regierung mit den Grubengesellschaften über die Rückgängigmachung der vor furzem durchgeführten Cohnherabsehung zu keinem Ergebnis geführt haben, der am 13. Februar gefaßte Streitbeschluß bestätigt wird. Der Generalstreit soll am 30. März durchgeführt werden, falls bis dahin nicht noch eine Einigung mit den Gruben­gesellschaften erzielt werden solle.

Der Präsident des Thüringischen Landtages soll nun vermitteln, aber ehe er noch zu einer Vermittlungsaktion gelangt ist, schaffen die Nationalsozialisten neue Tatsachen. Der Fraktionsführer der Nationalsozialisten, Abg. Sautel, erklärt in der Weimarer   Hakenkreuzzeitung unter neuen außerordentlich scharfen Angriffen gegen die Deutsche Volkspartei  , daß die National- prozeß zu einer fiebenjährigen 3uchthausstrafe ver fozialisten nicht daran dächten. irgend etwas zurüdzunehmen. Die Tattit der thüringischen Nationalsozialisten besteht darin, der Bolts partei bei jeder Gelegenheit zum Bewußtsein zu bringen, daß fie

Bombenleger auf Urlaub. Der im Altonaer   Bombenleger urteilte Landvolkangehörige Claus Heim   ist auf Fürsprache feines Heimatgeistlichen für kurze Zeit aus der Strafanstalt in Altona   beurlaubt, um an der Einsegnung seiner Tochter teil­nehmen zu tönnen.

Fortschritte.

Drei Versprechungen Etegerwalds.

Der Reichstag hat gestern mit der Beratung des Haus halts des Reichsarbeitsministeriums begonnen. Dieser Haushalt ist für die Arbeiterschaft von der größten Bedeutung, seine Gestaltung beeinflußt ihre Lage während der Krise sehr wesentlich.

Hier sind die Tatsachen und Zahlen, die deutlich die Not und die Gefahren zeigen, die die Wirtschaftsfrise mit fich bringt.

Fünf Millionen Arbeiter sind erwerbslos. Eine sehr große Anzahl von Arbeitern ist auf Kurzarbeit beschränkt. Der volfswirtschaftliche Verlust infolge der Erwerbslosigkeit beträgt insgesamt 9 Milliarden Arbeitsstunden. Der Ausfall an Kauf­traft wird auf 6 Milliarden Mart geschätzt.

Die Lohnsenkungsmelle hat die Arbeiterschaft fast bis auf das Lohnniveau der polnischen Arbeiter herabgedrückt. An der Spize aller europäischen   Länder steht Dänemark  , es hat die höchsten Löhne. Es folgen Schmeden, Großbritannien  , Frankfeich, die Niederlande. Deutschland   aber folgt erst furz vor Polen  !

Die Lohnsentungswelle genügt dem deutschen   Unter­nehmertum nicht. Die Metallindustriellen in Bayern   sind mit einem sechsprozentigen Lohnabbau nicht zufrieden, sie haben deshalb 40 000 Metallarbeiter. ausgesperrt.

Die Krise bedroht die Arbeiter mit völligem Absinken des Reallohnes, mit wachsender Erwerbslosigkeit. Die Unter­nehmer wollen die Reservearmee der Erwerbslosen   benutzen, um vom Schlichtungswesen freizukommen und die Löhne un gehemmt weiter zu drücken.

Welchen Kurs wird der Reichsarbeitsminister in dieser Situation einschlagen?

Herr Stegerwald hat die Beratung des Sozialetats im Reichstag mit einer längeren Rede eingeleitet, die in drei wesentlichen Punkten eine grundsägliche Stellungnahme ent­hielt. Sie betreffen die Haltung der Reichsregierung zum staatlichen Schlichtungswesen, zur Lohnentwicklung und zur Unterbringung von Arbeitslosen durch Arbeitszeitverkürzung.

Das Schlichtungswesen hat gegenwärtig seine schärfsten Gegner im Lager der Unternehmer, die von einer Lohngestaltung, die unbeeinflußt von der Staatsgewalt, aber unter dem Drud von fünf Millionen Erwerbslosen steht, eine Förderung ihrer Absichten auf weitest gehenden Lohnabbau erwarten.

Diesen Anschauungen trat Stegerwald entgegen mit dem Hinweis, es sei unlogisch, völlig freie Lohngestaltung zu ver­langen und gleichzeitig die Aufrechterhaltung von unwirtschaft­lichen Preisbildungen in Kartellen, sowie hohe Zölle gegen­über dem Ausland zu fordern.

Bei der Lohnentwidlung der lezten Zeit hat man oft den Eindrud gehabt, als ob die Reichsregierung entgegen ihren früheren Erflärungen nicht nur die Nominallöhne den fintenden Breisen anpassen wolle, sondern auch das Ziel der Senkung der Reallöhne verfolge.

Jetzt hat Stegerwald erklärt, Sinn der Regierungspolitik sei es nicht, eine Kürzung der Reallöhne herbeizuführen. Ihr 3med und Bestreben sei vielmehr eine Senfung der Ge stehungskosten. Auf längere Sicht gesehen, werde er sich, so meit das auf dem Wege der Schlichtung überhaupt möglich ist, nachbrüdlichst einer Senfung der Reallöhne miberjegen.

Auch zu der immer noch umstrittenen Arbeitszeit­vertürzung, die von der Arbeiterklasse als ein wirksames Mittel zur Linderung der Erwerbslosennot angesehen wird. nahm der Minister Stellung. Er betonte, daß, falls den frei­milligen Bemühungen um eine wesentliche Verminderung des Arbeitslosenheeres ein durchgreifender Erfolg nicht beschieden ist, die Regierung geseggeberische Vorschriften über eine Arbeitsstredung durch Arbeitszeitverkürzung er­laffen muß.

Wir wollen durchaus anerkennen, daß diese Hinweise des Reichsarbeitsministers für seine fünftige Politif einen ge­wiffen Fortschritt darstellen. Es sind zwar bisher nur Worte und Versprechungen, die bei weitem nicht den Forderungen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften aller Richtungen zur Ueberwindung der Krise entsprechen. Aber der Unter­schied zwischen den jezigen Erklärungen der Reichsregierung und den früheren ist unverkennbar. Er wird besonders deut­lich durch die Hervorhebung, daß es sich in dem jezigen Stadium der Krise darum handeln müsse, unter allen Umständen das Heer der Arbeitslosen zu ver­mindern und die Arbeitslosen auch durch das Mittel der