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Nr. 285 48. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Sonntag, 21. Juni 1931

Nachtschicht Pricfterweg

Lebende

Fische

Banane

Wer zu nächtlicher Stunde über einen Rangierbahnhof spaziert, der braucht sich gar nicht zu schämen, wenn ihm alles höchst unheimlich vorkommt. Da liegt ein dem Augen­schein nach toter Bahnhof mit starren Geleisen, auf denen sich ganze Züge zum Schlafen hingelegt haben. Aber igendwie ist das alles doch lebendig. Da pfeift es aus einer Ecke, dort drüben keucht eine Maschine, dann fangen mit einem Male die Wagen an zu fahren, man weiß nicht, wer sie in Bewegung gesetzt hat, dann poltert's und klirrt's und zwischendurch huschen schemen gleich dunkle Gestalten durch die Nacht. Bis die Gestalten verschwunden sind, aller Lärm verstummt ist und der weite, große Bahnhof wieder wie tot da liegt. Das alles macht den Eindruck vollkommener Regellosigkeit, dort drüben, auf den letzten Geleisen scheint man ein paar Waggons ganz und gar vergessen zu haben, hier porn stehen Züge, um die sich scheinbar kein Mensch kümmert, eine Lokomotive rat tert vorbei, hält an, fährt wieder zurück, bis man jemanden fragt: Sagen Sie mal, finden Sie sich hier zurecht?" Dann lächelt der Rangierer nur, wie man so etwas fragen kann, jeden Stein kenne er auf dem Bahnhof und außerdem gäbe es ein Güterkursbuch, in dem von Aachen   bis Zwolental jeder deutsche   Güterbahnhof verzeichnet steht, zroischen denen Tag und Nacht Tausende deutscher   Güterzüge mit Steinkohlen oder Bierfässern oder Frühgemüse genau so pünktlich und regelmäßig verkehren wie jeder Personenzug auch.

Auf dem Wege zum 60- Tonnen- Wagen. Der Güterverkehr ist das Schmerzenskind der Reichs­bahn. Nicht, daß dies etwas mit der Krise zu tun hätte, nein, das herzlich wenig, aber die Automobile, die Lastwagen. Allein im Rechnungsjahr 1929 hatte die Reichsbahn durch die Konkurrenz des Kraftwagenverkehrs einen Einnahmeausfall von 410 millionen Mark. Das will schon etwas heißen. Und in der Folge davon ist wohl auf teinem Gebiet so viel rationalisiert, technisiert und mo­dernisiert worden wie im Güterverkehr. Wenn Sie vor dem Kriege über einen Rangierbahnhof gegangen sind, dann werden Sie ihn heute kaum wiedererkennen," meint der Rangierer. Man sucht gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, einmal die Wagenumbehandlung zu beschleunigen und zum anderen die Kosten des Riegierens zu senken. Wir hatten früher Verschiebe­bahnhöfe, die zu den allergrößten der Reichsbahn gehörten; heute benutzt sie niemand mehr, einfach, weil sie veraltet sind. Da gibt es heute die Wirbelstrombremse und die Gleisbackenbremse, die fern bedient werden und die es ermöglichen, daß der ganze Rangierbetrieb von einer einzigen Stelle aus übersehen werden fann. Nehmen wir nur den Ablaufberg. Da waren nun früher Maschinen, die die Güterwagen langsam oder schnell hochdrückten, die werden bald alle überflüssig sein, da hat man eine besondere Druckvorichtung, die mit einem Drahtseil die Wagen auf den Ab­laufberg zieht. Ober nehmen wir die Kunze- Knorr- Bremse. Durch deren Einführung auf den Güterwagen sind nicht weniger als 47 Proz. aller Zugbegleiter überflüssig geworden." So fommt eins zum anderen. Heute verbrauchen die Lokomotiven 18 Proz. weni­ger Brennstoff als 1913 und 14 Proz. weniger Schmierstoff. Ver dem Kriege vermochte eine Güterzuglofomotive 228 Tonnen Nutz last zu schleppen, heute zieht sie anstandslos 305 Tonnen. Der fleine 10 oder 15- Tonnen- Güterwagen von einstmals gehört auch der Vergangenheit an, die normale Größe ist heute der 20- Tonner und die Einführung eines ganz leichten 60- Tonnen- Wagens aus Siliciumffahl steht bevor. Dazu das Wichtigste, die außerordent­liche Steigerung der Geschwindigkeit vor allem im Güterverkehr. Ein Zug mit Frachtgut fährt heute seine 30 kilometer in Stundengeschwindigkeit durch die Nacht oder durch

hof umgesetzt werden und die Folge wären für den Handel wertvolle Stunden Zeitverlust. Deshalb widelt sich der Haupt­verkehr in Lebensmitteln auf den großen Außengüterbahn­höfen ab; interessant, wie dies alles dezentralisiert ist: Fische gehen zum Spreeufer, ebenso das Holland  - Gemüse, Erdbeeren und Kirschen aus dem Süden, die feinen Moment Zeitverlust vertragen, zum Anhalter Bahn­ hof  , Dänen- Butter läuft auf dem Stettiner Bahnhof ein und Eier kommen nach dem Schlesi­ schen Bahnhof  .

Blick auf den Güterbahnhof am Priesterweg

Damit soll die Rolle der Zentralmarkthalle nicht über Ge­bühr verkleinert werden, auch bort laufen Spezialzüge mit be­fonders furzer Fahrzeit ein, wir nennen nur den Werderschen Kirschenzug, der abends um 6 Uhr Werder   verläßt und drei Stunden später, um 9 Uhr, in die Zentralmarkthalle einläuft. Kaum find die Obst- und Gemüsezüge eingelaufen, dann rufen schon die Marttfrauen: Na, junger Herr, schöner Spargel, schöne Schoten?"

Den Werderschen Kirschenzug wird man nun allerdings ver= geblich im Güterkursbuch suchen. Wie bei vielen anderen handelt es fich bei ihm um einen reinen Saijonzug, die nicht weiter auf

geführt sind. Aber dessenungeachtet steht in dem 412 Großquart­seiten starken Buch genug anderes Wissenswerte zu lesen. Vieles wird durch entsprechende Vergleiche am Klarsten: Von Berlin   nach Senftenberg  , ins ostelbische Braunkohlenrevier, jahren täglich acht Personenzüge, die durch Umsteigen in Lübbenau   für die verhältnis­mäßig furze Strecke immerhin vier Stunden brauchen. Wie die Position 532 des Güterkursbuches dagegen ausweist, tummeln sich auf der Strede von Senftenberg   nach Berlin   nicht weniger als 39 90 sad

10 Jahre Zuchthaus für Thielecke.

der Stunde und ein Zug mit Eilgut mit 65 Kilometer Motiv der Tötung: Zorn, geboren aus dem Rachegefühl.

den Tag.

Wettfahrt zwischen Fisch und Butter.

Einen kleinen Ueberblick darüber, wie schnell heute Güter durch Deutschland   oder halb Europa   reisen, gewinnen wir am besten, wenn wir uns die Lebensmittelversorgung Berlins   ansehen. So tommen zum Beispiel zwei Drittel aller in Berlin   zum Verkauf ge­langenden Seefische aus Wesermünde  , genauer gesagt, dort werden fie verladen, ein Drittel aus Cughaven und ein unbedeutender Rest aus Hamburg- Altona  . In diesen Orten werden die. Schellfische, Kabljaus, Rotbarse und Seelachse in Kisten mit Eispackungen ver­staut und jeden Nachmittag zwischen 3 und 4 Uhr zur Bahn ge­bracht. Anfangs der Woche rollen täglich 4 bis 6 Waggons( das find die weißen, vorgekühlten Fischspezialwagen) nach Berlin  , Don­nnerstags und Freitags je 8 bis 12 Waggons. Nachts um 2 Uhr trifft der Eilgüterzug von der Nordseeküfte schon auf dem Lehrter Bahnhof   ein. Dann fahren die Lastwagen oder die Gespanne der Fischgroßhändler vor und in einer fnappen Stunde geht es zur Zentralmarkthalle am Alexanderplatz  , wo früh um 4 Uhr ja be­reits die Seefischauktion beginnt.

Wir müssen hier etwas einschalten. So beliebt die Redensart vom Bauch von Berlin  " in bezug auf die Zentralmarkthalle ist, fann man doch den Umfaz in der Zentralmarkthalle nicht als Maß­stab für die Lebensmittelversorgung Berlins   nehmen. Denn die 100 bis 120 Waggons, die augenblicklich über die Verladerampen der Zentralhalle in zweimaligem Wechsel gehen, insgesamt also 200 bis 240 Waggons, die würden knapp für die Versorgung der Schönhauser Vorstadt genügen. Das Bild ändert sich auch nicht wesentlich, wenn erst die richtige Obst- und Gemüsesaison einsetzt, das ist, wenn die Pflaumen und Birnen lommen, obwohl dann der Berkehrsandrang auf dem recht beengten Zentrathallenbahnhof beängstigend groß ist. Die Sache mit dem Bahnhof Zentralmarit­halle hat nämlich ihre Schwierigkeit. Es ist wohl sehr bequem, die Güter gleich am Handelsplatz zu haben, wenn es auch besondere Gebühren foftet, aber das wäre nicht das Schlimmste, wesentlicher ist nämlich der Zeitverlust. Denn mun ist so ein Waggon Frühkar­toffeln am Montag in Jtalien verladen worden und in knapp drei bis vier Tagen, eilgutmäßig befördert mit schnellster Zollabfertigung in Kufffein, bis nach Berlin   gejagt. Am Donnerstagfrüh ist er hier und kann sofort am Anhalter Bahnhof   vom Großhandel in Empfang genommen werden. Sollte er nun nach Berlin- Alexanderplatz gehen, dann müßte der Waggon erst in Tempelhof  - Berschiebebahn­

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Nach mehrstündiger Beratung betritt das Gericht den| Badezimmer als auch angesichts des Charakters des Angeklagten. Verhandlungssaal. Der Angeklagte Thielede fikt wie immer ruhig und äußerlich unbeteiligt da. Auf den Zeugenbänken seine nächsten Freunde und Bekannten, der Zuhörerraum gedrängt voll. Landgerichtsdirektor Behringer verkündete das Urteil: Der Angeklagte Calistro Thielecke wird wegen Totschlags und Ur kundenfälschung zu zehn Jahren eine Woche 3uchthaus und zu den Kosten des Verfahrens ver­urteilt. Die zur Tat benutte Waffe ist einzuziehen. Die Untersuchungshaft wird dem Angeklagten in vollem Umfange angerechnet.

In der Urteilsbegründung

führte Landgerichtsdirektor Behringer u. a. aus: Das Gericht ist der Ansicht, daß das Motiv der Tötung 3orn war, geboren aus einem Gefühl der Rache, das sich immer mehr verdichtete, den Quälgeist, das Hindernis unter allen Umständen zu beseitigen. Die Entwicklung des Angeklagten, sein Verhalten nach der Tat und die Gerichtsverhandlung haben gezeigt, daß der Angeklagte Sohnesgefühle zur Mutter nicht mehr hatte. Sie war für ihn eine Fremde, nur ein Verhängnis, ein Unglüd, von dem er sich befreien mußte, er fühlte sich ständig bedroht von ihr, und das alles führte schließlich zur Erruption am Tatabend. Wessen Schuld es ist, daß es zu einem solchen Verhängnis gekommen, das zu untersuchen ist müßig. Der Angeklagte schiebt die ganze Schuld auf die Mutter; die Verhandlung hat ergeben, daß ein großer Teil Schuld auch dem Angeklagten zuzumessen ist. War der Angeklagte durchaus einseitig eingestellt, so gilt das gleiche vom Charakter der Mutter; sie verstand nicht, den Angeklagten richtig zu behandeln. Auf der anderen Seite verschlechterte sich das Berhältnis zwischen Mutter und Angeklagten nach dessen Heirat. Die Mutter empfand die Schuld für die Geburt des Sohnes, sie ersehnte für ihn eine höhere Stellung und erhoffte auf diese Weise dadurch auch selbst eine höhere Stellung im Leben zu erlangen. Der Angeklagte hatte versagt, er fühlte sich durch die Vorwürfe dauernd bedrängt, er glaubte, daß die Mutter ihm nachstelle, ihn beseitigen wolle, er ver­lor jede findliche Liebe zur Mutter, betrachtete sie bloß als Autorität, die ihn erdrücken wolle. Der Darstellung der Tat, wie fie vom Angeflagten gegeben worden ist, hat das Gericht teinen Glauben geschenkt, sowohl angesichts der gesamten Situation im

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Es ist überhaupt nicht so, wie behauptet wurde, daß der Ange­flagte absolut wahrheitsliebend ist, er hat öfters die Unwahrheit gesagt. Und wie sollte die Mutter, die am nächsten Morgen zur Beerdigung nach Chemnitz   wollte, plöglich auf die Idee kommen, auf den Sohn mit dem Messer zu stechen. Wenn Zorn das Motiv war, so tommt Notwehr nicht in Frage, auch nicht ver­meintliche Notwehr. Der Angeklagte fann ja auch selbst nicht sagen, wie die Mutter den Dolch ergriffen, wie fie auf ihn zugestochen habe. Wäre das aber der Fall gewesen, er hätte das bestimmt in der Erinnerung behalten. Die Frage der zurechnungs­fähigkeit für den ersten Teil der Tat ist von beiden Sachper­ständigen übereinstimmend verneinend entschieden worden. Von einer gegenwärtigen Geisteskrankheit kann auch keine Rede sein. Der Vorsatz zu töten, liegt auf der Hand. Denn, wenn jemand weiß, daß er mit dem Dolch ins Herz sticht, so hat er den Vorsatz zu töten. Das Gericht ist der Ansicht, daß er die Mutter in vollem Bewußtsein getötet habe. Beim Strafmaß war strafmildernd die schwere Psychopathie und das objektive wie fubjektive Berhalten der Mutter zu berücksichtigen. Das Gericht war der Ansicht, daß die vom Gesetz zulässige Mindeststrafe jedenfalls als nicht zu niedrig anzusehen sei. Das Gericht mußte deshalb auf zehn Jahre Zuchthaus erkennen. Wenn das Gesetz diese Strafe bestimmt, so wäre es eine Rechtsbeugung, wenn das Gericht aus Gründen der Strafzumessung, weil es die Strafe angesichts der besonderen Um­stände dieses Falles als zu hoch ansehen würde, unter das gesetz­liche Strafmaß heruntergehen wollte.

Rechtsanwalt Mendel gibt unmittelbar nach Beendigung der Urteilsbegründung folgende Erklärung ab: Aus der Urteils­begründung glaube ich herausgehört zu haben, daß das Gericht die hohe Strafe nur aus dem Grunde verhängt hat, weil das Ge= setz ein anderes Strafmaß nicht zuläßt. Ich bitte das Gericht sich zurückzuziehen und darüber beraten zu wollen, ob es nicht von sich aus ein Gnadengesuch auf Strafermäßigung anregen wolle.

Das Gericht zieht sich zur Beratung zurüd. Nach wenigen Minuten erscheint der Vorsitzende im Gerichtssaal und teilt dem Berteidiger mit, daß das Gericht den Augenblick für die Anregung eines Gnadengefuchs nicht für geeignet halte.

Der Angeklagte hatte die Urteilsbegründung teils ruhig, teils innerlich bewegt angehört. Nach der Urteilsverkündigung unter­hielt er fich angeregt mit seinem Verteidiger und wechselte auch einige Worte zu seinem Freund Gorion hinüber.

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