Nr. 38548. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Mittwoch, 19. August 1931
Jagd auf die Reichsbankräuber.
Der Raub in der Innsbrucker Straße.- Ein toller Banditenstreich.
Berlin hat gestern einen der tollsten Banditen| Pult. Hier arbeiten die Buchhaltungsbeamten, und durch streiche seiner Geschichte erlebt. Der Raubüberfall auf den Raum, in dem sie figen, fommt man zum Zimmer des Fi die Reichsbankfiliale in der Innsbrucker Straße stellt sich lialvorstehers, des Bankbeamten Köpping. als ein wohlvorbereitetes und rücksichtslos durchgeführtes Verbrechen dar. Am heller
Wie der Ueberfall geschah.
| Auch die anderen Bantangestellten griffen zur Waffe, trafen die Räuber aber nicht. Auf der Straße schwangen sich die Räuber auf Fahrräder und rasten davon. Passanten und zwei Autos nahmen sofort die Verfolgung auf, sie konnten jedoch nichts ausrichten. Auch auf der Straße am Park hielten sich die Flüchtlinge die Verfolger durch mehrere Schüsse vom Leibe und konnten auf diese Weise Wolff aus der Martin- Luther- Straße 51 in die Schulter getroffen.
lichten Tage sind die Räuber in die Bankfiliale einge deren Gesichter durch Masken verdeckt waren, den Bankraum. Jeder entkommen. Hierbei wurde die zwölfjährige Schülerin Grete
drungen. Sie haben schonungslos von der Schießwaffe Gebrauch gemacht, ein 52jähriger Mann ist schwer verletzt worden, im Getümmel wurde ein zwölfjähriges Mädchen verwundet. Stundenlang stand das Schöneberger Stadtparkviertel unter dem Eindruck des Ereig: nisses. Die Reichsbank hat auf die Ergreifung der Verbrecher eine Belohnung von 3000 Mark aus= gesetzt, die Polizei arbeitet mit größtem Eifer.
Der Tatort.
Die Reichsbanknebenstelle in der Innsbruder Str. 35 befindet sich in dem Eckhaus zur Voßbergstraße. Der Rassenraum ist infolgedessen gewinkelt. Links liegt, durch Glaswände abgeteilt, die Kasse. Dahinter ist ein zweiter, gleichfalls durch Glas abgetrennter Raum für die Geldzähler. Es schließt sich ein dritter Raum an, in dem die Kleiderschränke für die Angestellten stehen. Rechts vom Eingang in die Filiale find etwa 20 Schreibtische aufgestellt. Von dem Raum für die Kunden trennt sie ein
Kurz nach 12 Uhr betraten plötzlich zwei junge Burschen, sich sofort der Kasse zu, und beide eröffneten Schnellfeuer auf die von ihnen hatte zwei Revolver in den Händen. Der eine wandte Angestellten. Die Einschläge erweisen, daß der eine von ihnen, der nach der Kasse hinschoß, nicht weniger als 9 Schuß abga b. In der furchtbaren Aufregung, die entstand, war einer der Buchhalter so geistesgegenwärtig,
die Alarmsirene in Tätigkeit zu setzen,
deren Heulen die gesamte Straße alarmierte. Der Räuber an der Kasse schwang sich nun blitzschnell über die Barriere und raffte an Geldscheinen zusammen, was er fassen konnte. Er stopfte alles in eine Tasche, die zufällig am Schalter lag. Dann sprang er zurück und zog sich unter fortwährenden Schüssen zusammen mit seinem Komplicen zum Ausgang hin. Der Kassierer Kruse wollte die Räuber aufhalten. Mit einem von ihnen geriet er in einen wütenden Ringkampf, bei dem er unterlag: Der Räuber hieb mit dem Revolverkolben auf ihn ein und versetzte ihm einen Fußtritt gegen den Unterleib. Der Obergeldzähler Kreye war seinem Kollegen beigesprungen. Er erhielt einen schweren Schuß in den Bauch.
Von dem Umfang und der Bedeutung der Gurkenindustrie in Lübbenau gibt das nebenstehende Photo ein anschauliches Bild. Die größten Fässer, in denen die neuen Gurken gesäuert werden, fassen bis 25 H e k- toliter oder 25-00 Liter. Sie sind so groß, daß in einem solchen Faß ein moderner Diogenes bequem sich eine Wochenendwohnung einrichten könnte.
WENN
7]
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DERKURS FALLI
ROMAN
VON
Faby Scherret
,, Tag, Herr Doktor, wie gehts? Brauchen Sie etwas?" Der Verwachsene fummelt mit den manikürten Fingern in der Westentasche herum und zieht ein kleines, weißes Päckchen hervor.
Harry ergreift es und gibt dem Kleinen ein Zweimartstück. Dank schön! Ist es auch rein?"
" 1
Prima Ware, fann ich Ihnen versichern!" Harry ist sehr vergnügt. Er fühlt sich jetzt ohne Beschwerden, er strahlt geradezu, als er das Büro betritt.
Na, schöne Frau, ausgeschlafen nach den Anstrengungen der Nacht? Morgenstunde hat Blei im Hintern!" ,, Bei mir nicht. Gott sei Dank!" Das fleine, rundliche Fräulein Hinzelmann fofettiert einen Moment mit ihren fallipygischen Reizen und verschwindet im Schreibmaschinenzimmer.
Gleich darauf wird die Tür wieder aufgerissen. ,, Hallo, Paul!"
Fräulein Hinzelmann winkt dem Laufburschen, der in einer Ecke des ungemütlichen Warteraumes der Firma ,, Ed. Silvester u. Söhne" sitzt und sich mit den mitgebrachten Stullen beschäftigt. Der lang aufgeschossene Junge erhebt sich mürrisch.
,, Na,' n bißchen firer!"
Fräulein Hinzelmann blickt verstohlen den langen Korridor hinunter, auf dem zu ihrer Beruhigung fein Lebewesen zu erspähen ist und wispert: Holen Sie bitte ein Achtel gefochten Schinken für mich und für Frau Caspari einen Emmentaler Käse."
Sie händigt dem lauenden Jüngling das abgezählte Geld ein.
,, Eigentlich hab ich jetzt Frühstückspause", murrt Baul und stopft sich den Rest der Stulle in den Mund.
,, Lassen Sie sich aber nachher nicht vom Mederer" er mischen", warnt Fräulein Hinzelmann besorgt. Der Meckerer" ist Herr Bürochef Ziege. Er residiert in der Buchhaltung, dem größten Raum der Firma, der am Ende des
langen Ganges liegt und dessen Fensterfront zur Straße führt. Bürochef Ziege wacht mit Argusaugen über der Hausordnung, die es verbietet, während der Dienstzeit den Laufburschen zu privaten Gängen zu benutzen.
Fräulein Hinzelmann geht in das Schreibmaschinenzimmer zurück. Sie hat im Augenblick nichts zu tun, denn die Korrespondenz wird gewöhnlich erst nach der Frühstückspause diktiert, und vom gestrigen Tage ist kein Rest übrig geblieben, was ihre gute Laune bestärkt und den Wunsch nach einer fleinen Privatunterhaltung aufkommen läßt. ,, Haben Sie noch viel?"
Frau Marie Caspari, an die diese Frage gerichtet ist, hebt faum den Kopf von ihrem Briefordner. Sie nicht. Die schmale Frau Anfang der Dreißig hat den Posten einer Kontoristin Von dem Gehalt, das sie dafür bezieht, lebt sie mit ihrem Mann, einem seit Jahren stellungslosen Opernsänger und ihrem fünfjährigen Jungen. Sie wird allgemein bewundert, weil sie es fertig bekommt, immer noch nett und gepflegt auszusehen. Was es sie an Nerven kostet, den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen, den Mann vor drohender Verbitterung zu bewahren und ihr Kind zu er ziehen, ahnt niemand in diesem Büro.
' n doller Haufen!" Fräulein Hinzelmann durchblättert flüchtig die aufgestapelten Briefeingänge und die Durchschläge der Antworten. Hier ist sogar noch ein Schreiben von Ende März. Das liegt über einen Monat herum! Darauf hat wieder mal der Krüger gesessen. Ich sags ja immer: wenn man mal was sucht, dann nur beim Krüger!"
Mit ehrlicher Entrüstung läßt sich Fräulein Hinzelmann über die Unarten des Buchhalters Krüger aus, der im geschäft lichen Uebereifer keine Korrespondenz eher herausgibt, bis der ihm aufgetragene Fall vollständig erledigt ist.
Seufzend rennt Frau Caspari vom Tisch zum Registrierschrant, türmt Mappen übereinander, heftet und ordnet und mirft ab und zu einen kritischen Blick über den noch vorhandenen Stoß.
Die Tür öffnet sich.
,, Das hat aber lange gedauert", empfängt Fräulein Hinzelmann den Stift Paul.
,, Wo ich doch hab warten müssen!" Er holt aus der Jackettasche Schinken und Käse hervor. ,, Beinahe wär' ich aufgeplakt. Grade als ich wiederkomm', geht der ,, Meckerer" auf den Lotus." Paul sieht die Damen erwartungsvoll an.
Fräulein Hinzelmann versteht den zarten Wink. Die ausgestandene Gefahr muß belohnt werden.
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Genaue Beschreibung der Täter!
tetes Unternehmen gewesen sein. Während in früheren Ueberfällen Der Raubüberfall muß nach der Ausführung ein wohlvorberei= die Täter entweder mit den Schußwaffen nur gedroht oder Schredschüsse abgegeben haben, wenn Widerstand geleistet murde, haben in diesem Falle die Räuber sofort geschossen, als sie den Bankraum betraten. Vermutlich hatten sie sich vorher über die Verteilung der Rollen schon geeinigt, so daß jeder genau das tat, was ihm zugeteilt worden war. Nachdem sich die begreifliche Aufregung der Zeugen gelegt hatte, konnten sie dem Kriminalkommissar Mühlfriedel und den Beamten des Raubdezernats eine Beschreibung der Räuber geben. Es handelt sich um zwei jüngere Leute. Der eine war etwa 1,75 bis 1,78 Meter groß und von breitschulteriger Figur. Er hatte ein längliches Gesicht, dunkles jaar und trug einen blauen Anzug und einen braunen Schlapphut. Sein Alter wird auf 25 bis 28 Jahre geschätzt. Es ist dadurch möglich, daß er seinen Hut im Kampfe mit dem Kassierer Kruse verlor. Der Hut besteht aus aufgerauhtem Filz und trägt am Schweißleder die Bezeichnung ,, Die Mode", daneben ist ein kleines Schildchen mit dem Bleistiftvermerk 5,50 Mart. Die Kopfgröße beträgt 56 Zentimeter. Der zweite Räuber mar bedeutend fleiner als sein Komplice, nur etwa 1,65 Meter groß und schmächtig, er schien auch wesentlich jünger zu sein. Er hat dunkles Haar und trug ebenfalls dunklen, vielleicht blauen Anzug und dunklen Schlapphut. An ihren Hüten hatten beide Täter aus Strümpfen hergerichtete Masken befestigt, die am unteren Rande mit Fahrradschrauben beschwert waren. Der große Täter hat auch Hosenflammern im Kampfe mit dem Kassierer verloren und seine Pistole. Eine der Klammern, die ziemlich neu sind, trägt die Aufschrift ,, Bliz" Die Pistole ist eine 7,65- millimeterPistole Marte ,, Stenda- Werte" Suhl in Thüringen.
3000 Mark Belohnung!
Die Reichsbank hat für die Ergreifung der Räuber eine Belohnung von 3000 mark und außerdem 10 Proz. der wieder herbeigefchafften Summe ausgefeht. Alle zweddienlichen Mitteilungen werden an das Raubdezernat im Zimmer 80 des Polizeipräsidiums erbeten.
Wie wir erfahren, ist das Befinden des Geldzählers krene, der operiert werden mußte, sehr ernst.
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Der Kassierer Kruse, der mit aller Energie die Verfolgung der Räuber aufnahm, erzählt über die Verlegung des Chauffeurs in der Martin Luther Straße, daß er in ein Privatauto sprang, das sofort die Verfolgung aufnahm. Bei der Kurve an der Martin- Luther- Straße wurde er in die rechte Ecke des Wagens geworfen. Seine Waffe löfte sich. Die Kugel ging durch die Scheibe und verleẞzte ausgerechnet den Chauffeur am rechten Arm. Die Jagd nach den Verbrechern, die, freilich ohne zu treffen, auch jetzt noch weiterschossen, mußte daraufhin aufgegeben werden.
,, Hier haben Sie' ne Overstolz!"
,, Scheen!" Paul läßt die Zigarette in die Brusttasche verschwinden und zieht ab.
Sorgfältig belegt Fräulein Hinzelmann ihre beiden butterbestrichenen Brötchen mit Schinken.
"
,, Ber dich mit Glut..." singt sie dazu ohne Grund und nähert die Melodie einem bekannten Tango an. Blendende Aufführung gestern! Der Tannhäuser also prima Klasse. Ich war ganz weg! Haben Sie Grumacher schon mal gesehen? Der Chef kann stolz auf seinen Schwager sein." Tänze und Jazz entsprechen sonst Fräulein Hinzelmanns Neigungen mehr als Wagnersche Musik.
Frau Caspari nickt und wird rot. Früher mal! Jetzt fomme ich doch nie ins Theater... Er hat viel Glück gehabt, der Grumacher!" Sie lächelt schmerzlich.
,, Na, Sie haben es wenigstens gut. Ihr Mann kann Ihnen alles vorsingen. Der war doch Opernsänger. Bariton, nicht?" fragt Fräulein Hinzelmann mit wenig Bartgefühl. Müde läßt Frau Caspari die Hände in den Schoß sinken. Ja", sagt sie und schließt für eine Sekunde die Augen.
In Fräulein Hinzelmanns dauergewelltem Köpfchen blitzt die Erleuchtung auf, daß Erinnerungen an vergangene Zeiten in diesem Fall nicht angebracht sind. Sie beugt sich zu der Kollegin: ,, Na, na, fleine Frau, Kopf hoch! Wird schon wieder
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Krampfhaft sucht sie nach einem anderen Gesprächsthema. ,, Wie finden Sie eigentlich Frau Silvester? Die richtige Frau Silvester natürlich, und nicht die hier..." Sie weist auf die Tür zum Nebenzimmer. Ich fand, sie machte sich gestern abend' n bißchen unscheinbar, trotz des fabelhaften Belzcapes. Aber eins muß man ihr lassen: Dame!" Sie fchnalzt bewundernd mit der Zunge.
,, Waren Sie denn mit ihr zusammen?" fragt Frau Caspari erstaunt.
,, Ich habe sie im Theater gesehen, Silvesters waren doch selbstverständlich zum ,, Tannhäuser", ich bitte Sie!"
Wie behert, immer wieder die verdammte Oper, denkt sie und schnattert weiter: und der Chef sah schlecht aus! Meine Herren! Er ist überhaupt in letzter Zeit so gelb. Das tommt vom vielen...!" Sie verschluckt das Wort.
Der Rest des Schinkenbrötchens wandert den Weg alles Irdischen.
In der Tür, die zum Kerridor führt, erscheint Harry. ( Fortsetzung folgt.)