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Morgenausgabe

Nr. 397

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48.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner   Bolksblatt

Mittwoch

26. August 1931

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Macdonald im Rundfunk. Matthias Erzberger  .

Eine Rechtfertigungsrede.

London  , 25. Auguſt. Ministerpräsident Macdonald hielt am Dienstagabend im englischen Rundfunk eine Rede über die politische Lage. Er führte u. a. aus: Ich spreche heute abend unter ungewöhnlichen und meiner Ansicht nach besorgniserregenden Umständen. Ich habe mein Leben dem Aufbau einer politischen Partei hin­gegeben. Ich war bei ihrer Geburt anwesend, ich war ihre Wärterin während der Zeit, als sie heranwuchs und großjährig wurde. Auch jetzt habe ich feine meiner Ueberzeugungen und feines meiner Ideale geändert.

Wie ich sehe, behauptet man jegt, ich hätte keine Vertrauens: beweise der Arbeiterbewegung für meine Handlungsweise. Das ist wahr. Ich nehme auch feine für mich in Anspruch, obwohl ich ficher bin, daß ich sie im Interesse der weitesten Kreise besigen sollte. Wie dem aber auch sei, ich habe Vertrauensbeweise von größerer Bedeutung. Mein Vertrauensbeweis ist das natio nale Pflichtbewußtsein, wie ich es auffasse und dem ich ohne Rücksicht auf irgendwelche Folgen gehorche.

Auf die jetzige englische   Kriſe übergehend, sagte Macdonald, daß das Ausland seine Kredite in England in beträchtlichem Ausmaße zurückgezogen habe. Das Ausland sei gewohnt gewesen, in London   große Summen fur 3 fristig anzulegen, weil es voll fommen vertraut habe, das Geld jederzeit zurückzuerhalten. Bor furzem sei das Vertrauen dieser Geldgeber beeinträchtigt worden, und sie hätten ihr Geld zurückgezogen, und zwar gebe es ver schiedene Gründe für die Befürchtungen hinsichtlich der Festig keit der Lage Englands. Zunächst einmal habe der

Niedergang der Weltwirtschaft alle Länder einschließlich Englands hart betroffen.

Dann fei die deutsche   Krise gekommen. Bekanntlich habe Eng­land viel Geld in Deutschland   gehabt, das vorübergehend eingefroren" gewesen sei. Aber vor allen Dingen sei die öffentliche Meinung im Auslande wegen der Lage des englischen Staatshaushaltes besorgt gewesen. Sie habe einen großen Fehlbetrag tonen sehen und befürchtet, daß England über feine Verhältnisse lebe und auch weiterhin leben werde, und daß England nicht genügend ausführe, um seine notwendigerweise große Einfuhr an Lebensmitteln und Rohmaterialien bezahlen zu können. Sie sei daher in Ermangelung eines Gegenbeweises geneigt gewesen zu glauben, das Englands Schwierigkeiten nicht nur vorübergehen­der Natur feien, mit einem Worte, die Ausländer, die Englands Finanzstärke nicht fennen, hätten Geistergeschichten ge= glaubt und wären nervös geworden. Der Verdacht, daß fremde Mächte abfichtlich England Schaden zuzufügen beabsichtigten, treffe nicht zu. Tatsächlich sei nichts weiter von der Wahrheit entfernt als das. Die Ausländer wüßten ganz genau, daß die Folgen finanzieller Schwierigkeiten in England nicht nur für England selbst, sondern für die ganze Welt gefährlich sein würden. Sie hätten England daher wesentlich unterstsfügt und seien bereit, auch weiterzuhelfen; sie müßten jedoch eine Rückversicherung über die Lage in Eng­land selbst haben. Es sei notwendig, so fuhr Macdonald fort, daß das Vertrauen der Welt in den englischen Kredit wiederhergestellt elt in d

werde.

Falls das Pfund plötzlich und tatastrophal fallen würde, und zwar nicht infolge eines bestimmten Planes, wie er von gewiffen Kreifen befürwortet würde, fondern planlos auf Grund unkontrollierbarer wirtschaftlicher Umstände dann würden die Preise schneller steigen als Löhne und Einkommen ihnen an­gepakt werden könnten, selbst wenn eine solche Anpassung möglich fei.

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... Hierdurch würden nicht die Leute mit den größten, sondern die Leute mit dem kleinsten Geldbeutel am meisten betroffen werden. Eine Fortdauer der gegenwärtigen Geschehnisse würde schnell eine Krise herbeiführen. Im arbeiterparteilichen Kabinett habe Ueber­einstimmung darüber geherrscht, daß ziemlich drastische Ein= sparungen gemacht werden müßten. Offenbar habe der Vor­schlag auf Kürzung der Arbeitslosenunterstüßungen seine bisherigen Mitarbeiter am meisten bedrückt. Der jezige Vorschlag als ein Teil der dringend erforderlichen Sparmaßnahmen gehe dahin, daß die Unterſtüßungen um 10 Broz. gefürzt werden sollen, daß aber die Kinderzulagen in ihrer bisherigen Form beibehalten werden sollen.

Während der legten zwei Jahre sei der Lebenshaltungs­standard um 11% Pro3. gesunken, so daß, falls die Arbeitslosenunterstützung hiervon abhängig gemacht worden wäre, fie jetzt auch automatisch um 11% Proz. herabgesetzt worden sein würde. Die jetzigen Kürzungsvorschläge ließen daher die Unter­stügungsempfänger noch in einer günstigeren Lage als im Jahre 1929.

Die neue Regierung sei gebildet worden, um einen Plan zum Ausgleich des Haushalts zu entwerfen. Es sei teine Roali tionsregierung: denn an einer solchen würde er nicht teil­

nehmen.

Zum Schluß richtete Macdonald einen Appell an das ganze englische   Bolt: Reich oder arm, beschäftigt oder unbeschäftigt, den Dingen ins Auge zu sehen, wie es das früher schon getan habe, entschlossen, der Schwierigkeiten, die das Land bedrohten, Herr

zu werden.

Macdonalds Ministerliste.

London  , 25. August.( Eigenbericht.) Macdonald hat am Dienstagabend dem König die Ministerliste der neuen Regierung vorgelegt. Das Rabinett besteht aus zehn Mitgliedern, und zwar: Ministerpräsident Macdonald, Lordpräsident des Rates( Minister ohne Portefeuille) Baldwin, tee ohne Wo

Schakkanzler Snowden, Lordkanzler Lord Sankey,

Sicherheitsminister Sir Herbert Samuel  , Außenminister Lord Reading,

Indienminister Sir Samuel Hoare  , Dominien und Kolonien J. H. Thomas, Innenminister Neville Chamberlain  , Handelsamt Sir Philip Cunliffe Lister  . Die übrigen Ressorts sind außerhalb des Kabi­netts neu besetzt worden. Sir Austin Chamberlain hat die Verwaltung des Marineministeriums, Lord Amulree   die des Luftministeriums übernommen. Die Besetzung des Kriegs und des Landwirtschaftsministe. riums wird später bekanntgegeben werden.

Die Herabsetzung der Zahl der kabinetts mitglieder von 21 auf 10 erfolgte zur Erhöhung der Arbeits- und Beschlußfähigkeit des Kabinetts. Politische Fragen allgemeiner Natur will das Kabinett möglichst aus seinem Arbeitsbereich ausschalten. Seine Aufgabe fieht es ausschließlich in der schnellen Balancie­rung des Etats. Ist dieses Ziel erreicht, dann triff die Regierung

zurüd.

Die Labour- Party wird am Mittwoch ihre Stellung zu dem neuen Kabinett festlegen. Das soll in getrennten und gemeinsamen Beratungen der Parteileitung und der Parlamentsfraktion ge­schehen. Der Kampf geht um die Erhaltung der Par­teieinheit. Macdonald wird den Borjih niederlegen. An feine hat bereits am Dienstag eine scharfe Entschließung gegen Stelle wird Henderson treten. Die Unabhängige Arbeiterpartei die Politit Macdonalds angenommen.

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Der Arbeiterpartei gehören folgende neue Kabi­nettsmitglieder an: Macdonald, Snowden, Lord Sankey und J. H. Thomas. Baldwin, Hoare  , Neville Chamberlain   und Cunliffe- Lifter vertreten die Konservative n, Lord Reading und Samuel die Liberalen. Außerdem sollen noch folgende Männer der er­weiterten Regierung angehören:

Luftfahrtminister: Lord Amutree( Arbeiterpartei); Erster Lord der Admiralität: Sir Austen Chamberlain  ( Konservativ); Minister für Schottland  : Sir Archibald Sinclair  ; Erziehungsminister Sir Donald Maclean  ( Liberal); Arbeitsminister: Sir Henry Betterton; Minister für öffentliche Arbeiten: Marquis von Londonderry  ; Kanzler der Grafschaft von Lancaster: Marquis von Lothian.

Die neue Notverordnung.

Länder erhalten Berordnungs- Ermächtigung.

Die Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Haushalte von Ländern und Gemeinden, die, wie wir bereits mit teilten, in der Kabinettssigung vom letzten Sonnabend beschlossen wurde, ist am Montag vom Reichspräsidenten   unter zeichnet und am Dienstag erlassen worden. Die amtliche Mitteilung hierüber hat folgenden Wortlaut:

,, Auf Grund des Artikels 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird verordnet:

1. Die Landesregierungen find ermächtigt, alle Maß­nahmen, die zum Ausgleich der Haushalte von Ländern und Ge­meinden( Gemeindeverbänden) erforderlich find, im Berord­nungswege vorzuschreiben. Sie können dabei von dem bestehenden Landesrecht abweichen.

2. Die Landesregierungen fönnen insbesondere bestimmen, daß und in welcher Weise die Personalausgaben und andere Ausgaben der Länder und Gemeinden( Gemeindeverbände) herabgesetzt werden. Verpflichtungen aus Verträgen bleiben unberührt, foweit es sich nicht um Personalausgaben handelt.

Zehn Jahre nach seiner Ermordung.

Von Wilhelm Keil  .

Wie ein gehegtes Wild wurde er am 26. August 1921 im Walde oberhalb des badischen Schwarzwaldstädtchens Griesbach von den Mitgliedern der Organisation Consul  , Til­lesen und Schulz, den gelehrigen Schülern des Kapitän Ehr­hardt, niedergeknallt. Mit dem Unterschied nur, daß von den Mordgesellen, als er schon zur Strecke gebracht war, weiter auf ihn gefeuert, sein Kopf fast zur Unkenntlichkeit verstüm melt und auch sein Freund und Begleiter Diez übel zuge* richtet wurde. Ahnungslos, auf einem gemeinsamen Spazier gang begriffen, wurden die beiden von den Banditen übers fallen.

Ein Schrei des Entsezzens und der Empörung brach in den weitesten Kreisen der Anhänger des neuen Staates aus. Erzberger war der erste Repräsentant der jungen deutschen  Republik  , der sein Bekenntnis zur Staatserneuerung mit dem Tode bezahlen mußte. Knapp ein Jahr später folgte ihm Rathenau  , später Ebert, Stresemann, Her mann Müller, die zwar nicht von einer Kugel, wohl aber vom schleichenden Gift der Niedertracht getroffen wurden.

Die flammenden Worte der Anklagen, die der Parteis freund des Ermordeten, der damalige Reichskanzler Dr. Wirth, am Grabe Erzbergers in Biberach   gegen die Schuldigen und Mitschuldigen richtete, haben in seinen eige­nen Kreisen und bei den bürgerlichen Anhängern des neuen Staates allgemein den den Widerhall nicht gefunden, auf den sie berechnet waren. Sonst würden sich in der Folgezeit die Anschläge gegen die Republik   nicht gehäuft haben und zehn Jahre nach jener Bluttat würde nicht ein großer Haufen politisch verworrener die Hand ausstrecken können, um die Staatsmacht an sich zu reißen und eine brutale Ge waltherrschaft zu errichten.

Das Ausbleiben des Widerhalls bei den bürgerlichen Parteien, die damals zu den Trägern der Republik   zählten, hatte seinen Grund in erster Linie in der flauen Stellung dieser Schichten zum neuen Staat. dieser Schichten zum neuen Staat. Es war aber auch be­dingt durch die eigenartige Persönlichkeit, die zum Opfer der jungen deutschen   Republik   geworden war.

Erzberger   hatte in den Kreisen der deutschen   Republi faner und nicht zuletzt im Kreise seiner eigenen, der Zen­ trumspartei  , nicht nur persönliche Freunde. Unbestreitbar war der Eifer, die schöpferische Kraft, die mutige Streitbar feit, womit er sich jedem stellte, der ihm in den Weg trat. Unleugbar auch, daß die Republik   ihm wichtige konstruktive Elemente ihres Gefüges verdankt. Es ist höchst zweifelhaft, ob Deutschland   heute die einheitliche Steuerverwaltung, die Ver­einheitlichung der grundlegenden Steuergeset= Juni 1919 bis April 1920 Reichsfinanzminister gewesen wäre. gebung, diese Klammern der damals nicht ganz unge fährdeten Reichseinheit besäße, wenn Erzberger   nicht vom Von der radikalen Besitzbelastung, die er auf Be treiben der Sozialdemokratie herbeiführte, die aber Helfferich ein Jahr später wieder zerstörte, ganz zu schweigen. Seine. eigene Partei würde diesen grundlegenden Reformen sehr viel fritischer gegenübergestanden haben und in Bayern  würde die Loslösung vom Reich ernstlich erwogen worden sein, wenn es nicht ein 3entrumsmann gewesen wäre, der die Führung dabei hatte. Unleugbar ferner der gut ent­möglichen vom unmöglichen. In den Kriegs wickelte Sinn Erzbergers für die Unterscheidung des jahren zunächst, solange auf den verschiedenen Kriegsschaus pläßen Fortschritte gemacht und Vorteile errungen wurden, ein Anhänger phantastischer Eroberungspläne, sofort aber, als die Gefahr für die deutschen   Waffen heraufzog, ein entschiede ner Berteidiger der Friedensresolution des Reichs­tags vom Juli 1917, die dann von Ludendorff  , Helfferich, von deren Strohpuppe Michaelis und der Vaterlandspartei des Herrn v. Tirpitz   durchkreuzt wurde.

Unleugbar schließlich, daß Erzberger den Volksbeauf­tragten nach dem Bankrott der Monarchie außen- und innenpolitisch gute Dienste geleistet hat. Er über­nahm die dornenvolle Aufgabe, zum Marschall Foch in den Wald von Compiègne   zu reisen und den Waffenstill­standsvertrag zu unterzeichnen, der die Entwaffnung Deutsch­ lands   bedeutete. Das war die Handlung, die ihm in seinen drei legten Lebensjahren von den nationalistischen Piraten als großes Staatsverbrechen anges freidet wurde. Dabei hatte er nur den unvermeid= baren Att vollzogen, zu dem auch hindenburg, selbst wenn alle Verbesserungsvorschläge abgelehnt würden, geraten hatte. Unter Ausschlachtung der Stimmung Verblendeter, fiel es dem großen Hasser Helfferich nicht schwer, seinen entscheidenden Teil zur Erzeugung der Mordatmosphäre bei­zutragen, in der der Sechsundvierzigjährige sein Leben aus­hauchen mußte.

Doch noch ein zweites tam Helfferich in seinem Raches feldzug gegen Ergberger zugute. Das waren die Schwächen, die dem Charakter des unerschrockenen Drauf­gängers anhafteten. War der geschäftige Erzberger schon in der Staatssekretärs- und Vizekanzlerzeit Helfferichs diesem oft