föeilage Sonnabend, 19. September 1931
SinM-NiV SjirUnniiyüle jla littOarA
Die beschichte der Woche:
Ein in Amerika verarmter Deutscher versuchte, als blinder Passagier auf dem„Zeppelin" nach Deutschland zurückzugelangen. Ganz unvermittelt, ganz unwiderstehlich hatte er ihn überfallen, der sehnsüchtige Wunsch, der Mutter drüben die bittere Wahrheit zu schreiben. Bisher hatte er nur hier und da eine Karte geschickt mit der kurzen Lüg«:„Es geht mir gut." Nun aber war jener Tag ge- � kommen, der wieder das Fieber in der Stirne dröhnen und den chunger in den Eingeweiden krallen ließ, der die widerwillige Hand zwang, an eine Tür zu klopfen und den wortkarg gewordenen Mund, um ein paar hundert Reis zu betteln. Und da war hinter der Tür ein altes Weiblein erschienen, zitternden Kopfes und schwimmenden Auges, und hatte ihn lange angesehen, gleichsam prüfend, doch ohne Strenge freilich, er hatte es wohl gesehen, keine Aehnlichkeit hatte diese Alte mit seiner Mutter, wirklich nicht die geringste Aehnlichkeit, im Aussehen nicht und nicht im Tun: und doch war in ihm, tief in ihm drin«in Gefühl gewesen, das hatte seine Augen Lügen gestrast und diese brasilianische Großmutter eins werden lassen mit der viel größeren und jüngeren Frau daheim, die seine Mutter war— so daß es ihm plötzlich nicht möglich war, den Milreis, den sie ihm gab, für Essen und Trinken zu verwenden, so daß er hinging und nicht eine Karte für kurze Lügen, sondern einen Brief für eine lange Wahrheit kaufte, so daß er«irren Baumstumpf zum Tisch machte und ollen Ehrgeiz und alles Schonenwollen vergoß und dies mit zitte- rigen Zügen schrieb: „Liebe Mutter I Ich hoffe, daß dies der letzte Brief ist, den ich Dir aus Amerika schreiben mutz und daß wir uns bald wiedersehen. Freilich nicht so, wie wir es uns gedacht haben: ich werde ärmer wiederkommen als ich gegangen bin. Denn es geht mir sehr schlecht, liebe Mutter, und es ist mir hi«r noch nie gut gegangen. Ich bin krank und hungrig, und das Land ist immer noch ein fremdes Land. Schon dreimal habe ich oersucht, mich als blinder Passagier auf Schiffe zu schleichen, aber sie haben mich immer erwischt. Nun habe ich aber gelesen, daß in den nächsten Wochen ein deutsches Lufischiss hierher nach Brasilien kommt, und in diesem Lustschiff will ich mich nun verstecken, um bald bei Dir sein zu können. Ich möchte gern, daß Du zu Hause an mich denkst, wenn es soweit ist, und mir Glück wünschst. Sei nicht bös«, es mutz sein, ich halte es nicht mehr aus. Ich grüße Dich herzlich....* So hatte er geschrieben, und das Fieber hatte indessen den � Schweiß in seine Finger und aus seine Stirn getrieben, und die fallenden Tropfen hätten fast, die Schrift der Adresse verwischt: dann hatte«r den Brief zur Post gebracht. * Er kam gerade an dem Tage in Pernambuco an, an dem auch das Luftschiff ankam. Er sah es, wie es im hohen Blau des Himmels hing, ein silberner Fisch— und erschrak, erschrak so, daß er es nicht vermochte, sich am südlich frenetischen Jubel der Tausende zu be- teiligen, die um ihn waren. Es war der Schrecken vor der Größe und der Majestät, vor der Schönheit und übermenschlichen Sicherheit dieses Schiffes: und der Schrecken zugleich vor der Winzigkeit und Armseligkeit, der Häftlichkeit und zitternden Ohnmacht des eigenen Ich. Mein Gott, um all die Frachter, auf denen«r sich einzu- schleichen versucht hatte, war Ruß und Qualm und wirres Gestänge und Rattern von Kränen gewesen, Armut und Daseinskampf hatte sie umgeben, er hatte wohl glauben können, daß auch für ihn, den Verwahrlosten, ein Platz sein würde in dieser winkligen, unüber- sichtlichen, unschönen Welt des Dampfes und des öligen Wassers. Hier aber war eine gleißende, streng geschlossene Form, nirgends bot sich eine dunkel lockende Ecke, nirgends ein Stück Zerlumptheit, . darin«r hätte untertauchen können: schön und unerbittlich war diese ' schimmernde Welt im Aether , und sie hatte in ihrem stählernen Rund kein Loch, durch das der arme Sohn einer armen Mutter hätte schlüpfen können, um des Ganzen teilhaftig zu werden. Alle Hoff' nung auf ein Gelingen des Plans, die groß geworden war in der Einsamkeit der Landstraßen, sank zusammen vor der Gewalt dieser Erscheinung, ihre singende Stimme verlosch im großen Brausen der Propeller: und es war nur der ziellose und sinnlose Mut des Ber - zweifelten, der ihn auf den Flugplatz trieb und ihn zwang, den Lächerlichen Versuch zu wagen. Es ist nicht leicht, Gelegenheiten auszukundschaften, wenn man Fieber hat und Hunger. Wenn die Arme zittern, mit denen man sich an Mauern hinaufzieht, und wenn vie Augen flimmern, mit denen man nach Beobachtern spät. Er drängt sich in die Nähe der Bcsatzungsmamrschaft, er hofft, aus ihren Gesprächen Hinweise zu erhalten. * Er hat« sogar geschafft: hat da� erste wenigstens geschafft. Er sitzt im Schiff, irgendwo im Schisf. Sein Versteck ist nicht günstig: «s gibt hier keine günstigen Berstecke. Die Verstecke in den Fracht- kähn«n waren viel, viel sicherer, und sie haben ihn dennoch erwischt. Sie sind ja so gewitzigt, sie untersuchen ja so genau, bevor sie ab- fahren. Sie werden hier nicht lässiger sein, werden eher noch gründ- licher suchen. Die Nacht, die er hier verbringt, hungrig, frierend— die wird umsonst verbracht sein. Dies aber weih«r: wenn sie ihn morgen«rtappt haben werden und hinausgeworfen— er wird nicht mehr fiebernd und hungernd über die Straßen wandern. Es wird aus sein mit dem Wandern. Es wird Schluß sein, unwiderniflich Schluß. Es gibt Brücken genug in dies«r Stadt, und es gibt Steine, die kann man sich um den Hals binden. Di« Mutter-- na ja. Besser gar keinen Sohn als einen verkommenen. Schluß, Schsuh! In dem Fenster über ihm hat der Tag sein graues Segel gehißt. Ihn fröstelt. Dies ist der Tag, der ihn ans Ziel tragen wird: ans endgültige Ziel. Es werden Schritte laut, Stimmen, Schritte und Stimmen unten und oben, draußen und drinnen. Sie durchsuchen den Platz, sie durchsuchen das Schiff. Sie sind eben noch fern ge- wesen, nun kommen sie näher. Er schließt die Augen.... Sie sind heran. Sind um Schrittesbreite vor ihm. Er tut die Augen nicht auf. Eine Hand greift nach ihm— er entzieht sich nicht. Einer sagt:„Hier ist er!" Also hoben sie ihn gesehen, als er sich einschlich. Also ist Schluß, bndgültig Schluß. Er steht vor drei, vier Männern. Sie lachen. Er möchte sie in
ff Von Herhart Hermann Mostar die lachenden Fratzen schlagen. Können sie nicht wenigstens ernst bleiben vor der Not, vor dem Tod? „Herr M., nicht wahr?" Seinen Namen wissen sie? Woher haben sie seine Papiere? Er fühlt nach ihnen: sie sind da. Wer hat ihn verraten? „Sie hätten sich einen bequemeren Eingang suchen können, Herr M.l— Bitte, kommen Sie mit. Ihre Kleider liegen in Ihrer Ka- bine." Kleider?... Kabine?... Ein Irrtum, irgendein Irrtum. Soll er ihn bestehen lassen? Unsinn: hat keinen Zweck. Sie nehmen ihn doch nicht mit..... Aber er sagt nichts, kann nichts sagen. Läßt sich führen, geschlossenen Auges. Läßt sich auf einen Stuhl setzen. „Ich bringe Ihnen sofort zu essen, Herr M.!" Eine Tür schließt sich. Nach einer Weile erst blickt er auf. Bor ihm, auf einem Tisch- chen, liegt eine Platzkarte, lautend auf seinen Namen. Daneden zwei Briefe. Der eine— der ein« trägt seine, seine eigene Hand- schrist! Er liest sich laut vor: „Liebe Mutter! Ich hoffe, daß dies der letzte Brief ist, den ich Dir aus Amerika schreiben muß, und daß wir uns bald wieder- sehen...."
Was soll das? Was ist das? Was ist das da für«in Brief, der daneben liegt? Sind oas nicht— schrieb den nicht seine Mutter? Mitten drin beginnt er zu lesen: „... darum bitte ich Sie herzlich, nehmen Sie meinen Sohn mit nach Deutschland ! Er wird versuchen, den Fahrpreis abzuarbei- ten, auch ich werde das meinige tun. Ich wäre Ihnen so sehr dankbar..." Draußen beginnt ein« Kapelle zu spielen, werben Reden ge- halten, werden Kommandos gegeben.... Er blickt zum Fenster hin- aus, nicht nach unten, das tut. in seiner Wirrnis den Augen weh: nach oben, da ist grauer Himmel, nur ein einziges blaues Loch ist da im Osten, jetzt hebt sich das Schiff, gleitet auf dies Loch zu.... Gibt es eine Hand, die so mächtig wäre, um ihm eine solche Tür ins Blaue aufzutun, um ein Loch zu reißen in die graue Un- erbittlichkeit dieses majestätisch grausamen Lebens? Gibt es solch eine mächtige Hand? Er blickt auf den Brief vor ihm... Es gibt eine. ie Diese Geschichte ist nicht erfunden. Sie geschah bei der Heim- kehr des Luftschiffs„Graf Zeppelin" aus Pernambuco , im Sommer 1931.
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Dieses unhcimstchc Nichts... Begegnung mit einem Hoffnungslosen/ Von Trich Preuße
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Schauplatz der Begegnung: der Helmholtzplatz in Berlin N. Zeit: abends, kurz vor der Dämmerung. — Ich komme von einer plan- und ziellosen Wanderung durch die Straßen, um nach Hause zu gehen. Es ist herbstlich kükl, die Bäume beginnen ihre Blätter abzuwerfen— eine verhaltene Melancholie liegt über allem und umdüstert die Gedanken, die grau und trübe sind wie der Himmel, über den der Wind Wolkensetzen jagt. Der Platz ist einsam. Nein, auf einer Bank sitzt jemand. Ich hätte ihn nicht bemerkt— aber er singt. Das Lied von der Abendsonne singt er:«Nie kann ohne Wonne.. Ich bleibe stehen: weshalb singt der Mann? Mag er sich gern hären? Er hat einen warm timbrierten Tenorbariton. Nein, der Mann fiügt sicherlich nicht, um gehört zu werden. Er sitzt, den Kopf in die Hände gestützt, da und starrt— immerfort singend— vor sich nieder. Aus seinem Lied klingt Hoffnungslosig- keit, es ist, als wenn einer im Begriff ist, sich aufzuhängen und schnell vorher noch eins singt. Das ist grausig— und nicht sentimental. Es ist einfach niederschmetternd, wie der Mann singt. Ich höre nicht Schmalz und falsches Gefühl heraus, wie sonst bei diesem Abendlied — nein: vielleicht hoben so die Juden gesungen, als sie an den Wassern von Babel hockten—, ohne Hoffnung, der Verzweiflung und der Aussichtslosigkeit anheimgegeben: solch erschütterndes Lied hat vielleicht Hiob gesungen, als ein Schicksalsfchlag nach dem anderen auf ihn niederprasselt«, als das Schicksal wie eine Lawine gegen ihn losgelassen war. Der sonderbare Sänger blickt auf. Er sieht mich und unterbricht seinen Gesang. Ich gehe an ihn heran und setze mich zu ihm auf die Bank. Er guckt mich scheu von der Seite an, als wolle«r sagen: Was willst du denn von mir? Mein Nachbar ist noch jung, er ist ungefähr 25 Jahre alt, sein Geficht ist blaß und schmal, die Augen sind hohl zwischen schiefe Backenknochen gepflanzt. Sein Anzug ist aus grobem Gewebe und voller Falten, die Revers des Sakkos sind zerknickt und umgebogen. Ich beginne, ohne mich um das Ab- weisende in der Haltung des Mannes zu kümmern, ein Gespräch. Natürlich, wie das so üblich ist.., über das Wetter. Er benutzt, wie mir scheint, mit Freuden die Gelegenheit, sprechen zu können. Ich hatte das gar nicht erwartet.„Ja", erwidert er auf mein« dumme Bemerkung,„es ist Herbst.... Der Sommer ist vorbei." Er nickt und beschreibt mit der Hand einen Bogen, gleichsam, als wolle er das nun Folgend« besonders deutlich veranschaulichen:„Da? Grün des Laubes ist dunkel und überreif. Das Licht ist nicht mehr stechend weiß, nicht mehr glühend, es ist gedämpft, es hat Farbe: grau. Der Wind ist nicht übermütig optimistisch wie im Frühling, er ist Melancholiker und Pessimist geworden: er weih: dies alles ist ein Abschied. Und der Himmel ist fahl. Der Himmel ist fahl— sage ich Ihnen!" Er hält an. Ich krame Tabak und Zigarettenpapier hervor und biete ihm zu rauchen an. Er greift zu und dreht mit mageren, aber trotzdem weichen Fingern eine Zigarette. „Es hat Zeiten gegeben— beginnt er wieder—,„da kannte ich keine trübseligen Stimmungen. Ab«r das ist lange her.... Jetzt wirkt alles niederdrückend auf mich: ich bin arbeitslos. Ich stehe des Morgens auf und weiß: Du brauchst nirgends hin, du hast keine Stelle. Die Sonne scheint, und es regnet. Das ist die einzige Abwechslung. Wie alt sind Sie? Ich schätze 26 Jahre. Wir— die Jugend von 24, 2Z, 26 Jahren—, wir können mit allem abschließen. Unsere schönste Jungenszeit fiel in den Krieg, der uns die Bäter genommen hat oder sie uns vollkommen ver- ändert, von den Feldzügen verzehrt, zurückgab. Unsere Entwick- lungsjahrc fielen in die Nachkriegszeit. Wir wurden in überfüllten Schulklassen unterrichtet, von Lehrern, die meistens überaltert uird mit ihren Anschauungen in der Vorkriegszeit steckengeblieben waren. Als wir die Schule verließen, waren die Zeiten noch nicht normal geworden. Im Gegenteil: immer verworrener: wir konnten sie nicht begreifen. Wir haben Lehrzeiten beendet, wir haben Examina abgelegt— und stehen jetzt vor dem Nichts. Jetzt, wo wir ansangen müßten, 266— 300 Mark im Monat zu verdienen, um frei sein zu können, um uns entfalten zu können, werden wir ausgeschaltet. Wir haben gelernt— und alles war vergeblich. Wir möchten jetzt in einem Beruf, ganz gleich welchem, etwas leisten: überall werden uns die Türen zugeschlagen: Kein Platz! Kein Platz! Wir sind abgehalftert, die Zeit schreitet über uns Geschlagene hinweg.... Die meisten von uns hocken bei den Eltern, ihnen und sich selber zur
Last, ohne Bewegungsfreiheit, und was das Schlimmste ist: ohne jemals welche erwarten zu können. Ich sitze mutterseelenallein in dem großen Berlin . Wenn das Wohlfahrtsamt nicht wäre: ich könnte mich gleich aufhängen. Ich bin ohne Anhalt, ohne Freundes- kreis. Da sind zwei, drei Menschen, die, wenn ich zu ihnen komme, mich mit billigem Trost wieder entlassen. Ich will denen kein Vor- wurf machen: ich bin nicht mehr zur Geselligkeit geschossen. Neu- lich, als meine Wirtin mich zu einem Ausflug einlud, wollte ich zu- I erst ablehnen: in mir kommt keine rechte Freude mehr auf. S.elbst wenn ich mit Leuten zusammen bin,> überkommt mich die Hoffnungs- losigkeit. Nachts wache ich manchmal auf, stürze zum Fenster unb reiße die Vorhänge weg. Aber was ist schon- draußen? Wind, Nacht und Sterne.... Kennen Sie diese schlaflosen Nächte, von bitteren Gedanken zergrübelt? Die Aussichtslosigkeit legt sich wie muffige Sackleinwand über mein Denken. Ich renne in meinem Zimmer auf und ab. Ohne Ziel, ohne Zweck. Ich besitze Fähig» leiten und Intelligenz: was nutzt mir das? Lebenswille und-mut gehen vor die Hunde. Ich bin vollkommen mit meinen Nerven zu Ende." Er schwieg. Wir drehten uns Zigaretten. Die Dämmerung sank wie eine schwarze Wolke herab. Er fuhr fort:„Glauben Sie mir: viel schlimmer als die leibliche Not ist die geistige Not! Wir hungern, ja, ober wer zählt die seelischen Auswirkungen der Ar- beitslvsigkeit? Ich renn« einsam in meinem Zimmer auf und ab, wie ein gehetztes Tier, nein, wie«in gefangenes Tier: ich weiß: Du mußt mit ungefähr SO Mark im Monat auskommen, du kannst dir keine Freude gönnen, keine Abwechslung, Ablenkung verschaffen, gar nichts. Was bleibt mir? Vielleicht noch die Freude am ande- ren Geschlecht, die— Gott sei Dank!— meistens nichts kostet. Aber auch dazu fehlt mir die Lust. Ich habe Opposition, Negation des Bestehenden, Radikalismus längst überwunden. Ich halte nichts von Zusammenrottungen, die auch nur Verzweiflungsakte sind. Ganz selten noch überfällt mich eine sinnlose Wut: ich möchte dann alles entzweischlagen. Bald danach aber tritt als Reaktion darauf müde Resignation ein. Zuerst war das schlimmer: ich habe geflucht, gewettert, gewütet. Ich habe buchstäblich mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Nun bin ich still geworden: es ist doch alles zwecklos. Ich bin still, und es ist die Stille vor dem Tode. Ich weiß nur noch nicht, ob es der leibliche oder der geistige Versall sein wird... Meine Not wird bald nicht mehr die Behörden, sondern die Aerzte was angehen. Ich leide oft unter Zwangsvor- stellungen: ich halte es in meinem Zimmer nicht mehr aus. Dies Alleinsein mit dem unheimlichen Nichts. Ich möchte manchmal auf- brüllen, ich sitz« noch öfter da und horche stumpfsinnig in mich hin- ein. Um meinen Schädel ist ein Reifen gespannt, der von Tag zu Tag enger angezogen wird. Manchmal schreie ich wirklich los, es muß gräßlich sein, meine Wirtin kommt dann hineingestürmt und fragt: Fehlt Ihnen was? Mir fehlt natürlich nichts! Ich enteile und unternehme einen planlosen Spaziergang durch die Straßen. Ich laufe, als säßen die Furien hinter mir. Und dann fehlt mir der Mut, nach Hause zu gehen. Ich habe Angst. Sinnlose, wahn- witzige Angst: da zu Hause möge etwas auf mich lauern. Es ist eine richtige Platzangst. Wohnen Sie auch möbliert? Kennen Sie diese meistens trostlosen, mit kitschigen Nippes und gehäkelten Sofa- decken„verzierten" billigen möblierten Zimmer? Meine Wirtin ist sehr anständig, aber ihr Mann ist jetzt auch arbeitslos. Sie werden es kaum glauben: die Not schweißt die Leute nicht aneinander. Im Gegenteil. Die Ehen, die früher durchaus tragfähig waren, zer- fallen jetzt unter der Last der Arbeitslosigkeit. Meine Wirtin ist mit einem Male zänkisch, schrill und streitsüchtig geworden. Ihr Mann schleicht wie ein geprügelter Hund umher, als habe er an allem schuld. Er, der früher gern zu Hause war, streift nun meistens draußen umher. Wie ich. Sind Sie auch arbeitslos? Dann lassen Sie alle Hoffnung fahren! Die uns folgende Generation wird es vielleicht bester haben. Ich bin Sozialist und weiß: es wird eine bessere Zukunft kommen. Aber nicht mehr für uns. Wir sitzen in den Parks, auf den Plätzen und singen wie die Kinder, die sich im Dunkeln fürchten....." Ganz leise sickert die Nacht herunter. Auf uns beide, auf die deutsche Jugend, die 1905 geboren ist... Drüben, vor den gleißen- den Lichtreklamen eines Kinos, gefftern Schemen hin und her. Die Reklamen kündigen den neuesten Militärschwank an. Mein Nachbar schweigt. Er brütet still vor stch hin.