Rr. 162 49. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Heute Schulbeginn!
Unvermeidliche Sparmaßnahmen wirken sich aus
Die Osterferien sind vorüber, und heute früh beginnt der Unterricht in den Berliner Schulen. Das Berliner Straßenbild wird in den Morgenstunden durch die Sechsjährigen, die, forgjam geleitet, mit oder ohne Tüte, die Wallfahrt in den „ Ernst des Lebens" antreten, ein besonderes Gepräge erhalten.
Leider haben die Not der Zeit und die unvermeidlichen Einsparungen im Etat des Staates und im Etat der einzelnen Familien sich auch stark auf das Schulwesen ausgewirkt. Besonders deutlich wird dies bei den höheren Schulen Berlins . Die Schülerzahl ist stark zurüdgegangen, und neben anderen Schulen sind auch noch die Bismard- Realschule und das König städtische Gymnasium geschlossen worden. Das Gerücht, daß auch die Realschule in Briz einginge, ist irrig. Sie wird nicht mit der Neuköllner Dürer - Oberrealschule zusammengelegt, sondern nur dem gleichen Direktor zur Leitung zugewiesen werden.
Man hatte nach dem Geburtenjahrgang mit einem Rückgang um rund 25 Klassen der Serta gegenüber dem Vorjahre gerechnet. In Wirklichkeit aber wird der Ausfall an Segten nicht
Fahrten nach den Schlachtfeldern.
In den Reihen der ehemaligen Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen ist seit langem das Bedürfnis vorhanden, die Stätten des furchtbaren Völkerringens im Westen und die dort sich weit dehnenden Gräberfelder und Kreuzwälder aufzusuchen. Diesem Be dürfnis Rechnung tragend, veranstaltet der Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Krie gerhinterbliebenen im Laufe des kommenden Sommerhalb jahres verschiedene Gedächtnisfahrten zu den Schlachtfeldern und Kriegergräbern in Flandern und Frankreich . Die von der Abteilung für Kriegergräbergedächtnisjahrten des Reichsbundes organisierten Fahrten sollen insbesondere unseren Kriegerhinterbliebenen unserer Gefallenen eine möglichst billige Gelegenheit bieten, cinmal an der Grabstätte ihrer Lieben still zu verweilen, unsere im fremden Lande ruhenden Gefallenen zu besuchen und zu chren und die Ehrenverpflichtung gegenüber den Gefallenen und ihren Hinterbliebenen im Volke lebendig zu erhalten. An diesen Fahrten können neben den Mitgliedern des Reichsbundes und deren Angehörigen zu den gleichen Vergünstigungen auch Freunde des Reichsbundes und Angehörige von Kriegsgefallenen, die nicht dem Reichsbund ange= hören, teilnehmen. Im Verlaufe jeder Pilgerfahrt findet auf einem der großen deutschen Kriegerfriedhöfe eine gemeinsame Gedächtnisfeier und Kranzniederlegung statt. In der Regel bietet sich dann auch für den einzelnen Fahrtteilnehmer ohne große Schwierigkeit Gelegenheit, den, Friedhof und die Grabftätte aufzusuchen, um deretwillen die Reise von dem einzelnen Teilnehmer unternommen wor den ist. Nähere Austin ft erteilt die Abteilung für Kriegergräbergedächtnisfahrten des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen in Aachen , Kapuzinergraben 13 oder die Geschäftsstelle des Gaues Berlin , Berlin C. 2, Rolandufer 6, 1 Tr.( täglich von 9-5 Uhr, Sonnabends geschlossen).
Zeichen der Zeit zu werten.
Donnerstag, 7. April 1932
Freitag in den Luftgarten!
Reichsbanner marschiert am Schluß der Züge.
Für die Kundgebung der Eisernen Front am Freitag um 18 Uhr im Lustgarten, an der sich alle Republikaner Berlins beteiligen, werden für das Reichsbanner folgende Anweisungen gegeben:
Die Kundgebung beginnt um 18 Uhr. Der Abmarsch von den Sammelplätzen ist so zu treffen, daß der Einmarsch in den Luftgarten Sammelplätzen ist so zu treffen, daß der Einmarsch in den Lustgarten
weniger als 53 gegenüber 1931 betragen. Die Wirtschaftskrise trägt die Schuld, und es ist in diesem Zusammenhange beachtlich, daß die einzelnen lassen eine schwächere Besetzung aufweisen werden. Das ist für den einzelnen Schüler gewiß nicht von Nachteil, aber als um 18 Uhr beendet ist. Die Ortsvereine: Mitte, Wedding , Prenzlauer Berg , Friedrichshain, Kreuzberg und Auch bei den anderen Klassen hat sich eine bedauernswerte 3u| eukölln entienden mindestens je 30 arbeitsfreie Kameraden sammenlegung als notwendig erwiesen. Wohl treten in Berlin nach dem Luftgarten. Diese müssen um 16 2hr an der Rednerin der Auswirkung der Sparverordnungen mehr als hundert Lehrer tribüne antreten. Sturmfahnen: 32 Jungba- kameraden an den höheren Schulen in den Ruhestand. Trotzdem aber werden stellt der Ortsverein Friedrichshain . Antreten 17 Uhr, LuftRednertribüne. Alle Kameraden noch weitere hundert festangestellte Lehrer überzählig. Bon ihnen garten treten etwa 50 Oberschullehrer endgültig in die einschl. Spielleute, Sanitäter, sowie die Ortsvereinsführer treten auf Volksschulen über, etwa 30 Turnlehrer werden an Berufs- den von der Eisernen Front im„ Borwärts" angegebenen Sammelplätzen ortsvereinsweise an. Kameraden, die ihren Ortsvereinsschulen verwandt werden. jammelplatz nicht rechtzeitig erreichen können, treten auf dem für ihre Betriebe vorgesehenen Sammelplatz bei dem dortigen Ortsverein ein. Das Reichsbanner sammelt sich am Ende der auf den Sammelpläßen sich bildenden Züge.
Diese Feststellungen sind bedauerlich, besonders wünschenswert aber wäre es, wenn die Volksschulen durch die Auswirkung der Notverordnungen möglichst wenig betroffen werden. Der Nachwuchs des Proletariats ist zum größten Teil auf sie angewiesen, und für ihn ist das Beste gerade gut genug.
Das Kreuz ins erste Feld!
Wie am 10. April gewählt wird.
Der zweite Gang der Reichspräsidentenwahl findet am kommenden Sonntag, dem 10. April, in der Zeit von 9 bis 18 Uhr( 9 Uhr vormittags bis 6 Uhr nachmittags) in den dafür bestimmten Abstimmungsräumen statt. Die Abstimmungsräume werden von den Berliner Bezirksämtern durch Säulen anschlag bekanntgegeben. Nur die amtlich zugelassenen grünen Stimmzettel dürfen bei der Wahl verroendet werden.
Reichspräsidentenwahl Sweiter Wahlgang.
Adolf Hitler
8
Um den Faschismus zu schlagen, hat jeder die Pflicht, am 10. April zu wählen.
Rüdmarsch erfolgt nicht. Die Auflösung erfolgt im Lustgarten ortsvereinsweise, nachdem die Spielleute zu ihrem Ortsverein wieder zurückgekehrt sind. Alle technischen Meldungen sind an den Kam. Brych, der sich an der Rednertribüne befindet ,. zu richten.
Eckhausdachstuhl in Flammen.
Bewohnerin bekommt vor Aufregung Schlaganfall.
Der Dachstuhl des Eckhauses Eitel ff r. 35 und Rupprechtvöllig zerstört. Eine Mansardenwohnung wurde gleichfalls ein Raub straße in Lichtenberg wurde gestern abend durch Großfeuer der Flammen. Eine Bewohnerin des Vorderhauses erlitt vor Aufregung einen Schlaganfall. Die Frau wurde durch einen Rettungswagen der Feuerwehr ins Lichtenberger Krankenhaus gebracht, wo sie bald nach ihrer Aufnahme sf a r b.
Das Feuer, das offenbar mehrere Stunden unbemerkt geschweit haben muß, wurde gegen 18 Uhr entdeckt. Durch das regnerische Wetter wurde der Rauch nach unten gedrückt, so daß in furzer Zeit die ganze Umgebung der Brandstelle in undurchdringliche Rauchmolten gehüllt war. Da der Brand schon beim Anrücken der ersten Löschzüge gefährlichen Umfang angenommen hatte, mußten auf Alarm Großfeuer" insgesamt fünf Löschzüge an die Brandstätte beordert werden. Weber mechanische Leitern und total verqualmien Treppenausgängen drangen die Löschtrupps, die mit Aus Rauchschutzgeräten ausgerüstet waren, nach oben vor. sechs Schlauchleitungen stärkster Kaliber wurden ungeheure Wassermengen in das Flammenmeer geschleudert. Trotz aller Anstrengungen der Feuerwehr konnte von dem umfangreichen Eckhausdachstuhl nur wenig gerettet werden. Nach einstündiger Löschtätigfeit war der Brand eingefreit sind damit gleichzeitig auch die Gefahr für die angrenzenden Grundstücke beseitigt. Die Entstehungsursache dürfte sich faum feststellen lassen, da das Feuer mit folcher Gewalt gewütet hat, daß sämtliche Spuren restlos vernichtet scheinen.
Das Verschwinden eines Knaben
beschäftigt die Charlottenburger Polizei. Der fünf Jahre alle Werner Thobecken aus der Caminer Straße 2 hatte sich mit seinen Geschwistern aus der elterlichen Wohnung entfernt, um am Holzdamm in Charlottenburg zu spielen. Dort wurde er vermißt. Bauplatz. gespielt hätten. Die Eltern suchen jetzt mit der Polizei nach dem Kind.
Spielplanänderung im Staatlichen Schauspielhaus. Wegen mehrfacher Erkrankungen im Personal geht heute, Donnerstag, im Staatlichen Schauspielhaus statt der angekündigten Borstellung ,, Geschichte Gottfriedens von Berlichingen": ,, Florian Geyer " und im Staatlichen Schillertheater statt der angekin Unser Kreuz gill dem Kreis im ersten Feld, Die Kinder erzählten, daß sie mit dem kleinen Werner auf einem digten Vorstellung„ Clavigo":„ Die Mitschuldigen" und„ 33 Minuten in Grüneberg" mit Lucie Mannheim in Szene.
34]
Jusalic
von
ROMAN S.Rosenfeld
bruch
Aus dem Russischen übertragen von Werner Bergengruen . In Nikolsk - Ussurijst gab es eine Zeitung, die sich ,, Ussurij Land" nannte. An diese Zeitung hatte ich einige Gedichte geschickt, die dort unter meinen Initialen gedruckt wurden. Als ich zum erstenmal Stadturlaub befam, ging ich zur Redaktion und machte mich mit dem Redakteur bekannt. Offenbar hat er Beziehungen zu Offizierskreisen gehabt und dort herumerzählt, er habe Gedichte eines Schüßen der sech zehnten Kompanie zum Abdruck gebracht denn wie hätte diese Geschichte sonst zur Kenntnis des Regimentstommandeurs kommen können?
Augenscheinlich hatte Tschaika deswegen eins auf den Hut gekriegt. Er ließ mich zu sich kommen und sagte: ,, Bitte, veröffentlichen Sie feine Gedichte mehr. Ich habe Unannehmlichkeiten deswegen gehabt."
Mir blieb nichts übrig, als mich zu entschuldigen und für die Zukunft Besserung zu geloben. Ich konnte nur absolut nicht begreifen, worin ich mich vergangen haben sollte. Die Gedichte waren rein lyrischer Art, wie das ja meinem Alter entsprach. Allenfalls mochte eine Schuld darin zu er blicken sein, daß sie vielleicht nicht sehr viel taugten.
Indessen war die Sache damit noch nicht abgetan. Ich murde zum Regimentsiommandeur befohlen, dem Obersten Manzyferom. Ein alter, strenger Offizier mit breitinochigem Gesicht, eingefallenen Baden und schwarzem Bart, erinnerte er an Boris Godunow , wie Schaljapin ihn verförpert. Ebenso wie mein Bataillonsfomamndeur legte er großen Wert auf einer streng militärische Haltung.
,, Höher den Kopf! Noch höher! Noch höher! So ist es gut! Du hast eine gute Haltung. Ich bin damit zufrieden. Aber was ist sonst mit dir los? Du läßt Verse drucken? Wer hat dir das erlaubt? Na? Hast du um Erlaubnis gefragt?" Nein, Euer Hochwohlgeboren!"
,, Aber wie kannst du dich dann unterstehen, Verse zu machen? Na? Wer hat dir das erlaubt?"
,, Ich schreibe seit meiner Kindheit, Euer Hochwohlgeboren."
,, Kindheit oder nicht Kindheit, bei mir im Regiment will ich jedenfalls so eine Wirtschaft nicht haben! Verstanden?" Zu Befehl, Euer Hochwohlgeboren." ,, Wegtreten!"
Es war nicht meine Schuld, wenn das Ussurij- Land" sich von da an ohne meine Ergüsse behelfen mußte.
Dafür bekam ich dichterische Aufträge von Tschaika. Er war eine Inrische und gefühlvolle Natur und pflegte zärtliche Briefe nach Wladiwostok an die Dame seines Herzens zu schreiben. Er bat mich, ihm ein paar Gedichte zu machen und gab mir sogar genau die Themen an.
,, Sehen Sie, da haben wir also zum Beispiel vor meiner letzten Abreise von Wladivostok miteinander in den Anlagen gesessen, bei Mondschein. Wenn Sie das vielleicht ein bißchen ausmalen könnten... Sehen Sie, so in der Art einer Rück erinnerung. Sie wissen schon, wie ich es meine."
Und nun schrieb ich Verse für die Dame in Wladiwostot und paßte sie sorgsam dem Gefühlsporrat des Auftrag gebers an:
Ach, weißt du noch, wie mir zuerst uns fanden und Lunas Silberschein dein holdes Haupt umrann? Duftwolfen stäubten jüß von den Guirlanden Im Garten war's. O, denkst du noch daran? Noch spür ich Lippen sich auf Lippen pressen. Des Gartens Duft... Ach, daß ich ferne bin! Mir ist so bang, du könntest mich vergessen. Die Tage schleichen mir mie öde Jahre hin. Die Zeit vergeht, ich fehre zu dir wieder, zu deinen Füßen lieg ich dann wie einst. Ich schmiege felig mich an deine Rosenglieder und spüre, wie auch du vor Glück und Rührung meinst.
tisch und praktisch geprüft: Bor wem hast du Front zu machen?"
,, Bor meinem Kompaniechef, Bataillons- und Regimentstommandeur und vor jedem General, Herr Feldwebel."
,, Auf wieviel Schritt vor dem Offizier bleibst du stehen?" ,, Auf vier Schritt Entfernung, Herr Feldwebel." ,, Schön, also angenommen, ich bin der Regimentsfommandeur und du kommst mir entgegen."
Wir gingen aufeinander zu. Vier Schritte vor ihm blieb ich stehen und machte in der vorgeschriebenen Art Front. ,, Ausgezeichnet, Raffel, sehr gut!"
Und nun mußte ich gerade bei einem meiner ersten Ausgänge dem Regimentskommandeur begegnen. Ich fiel beinah um vor Schrecken. Die Straße war voll von Passanten. Ich fürchtete, ich würde die Prozedur des Frontmachens nicht eraft zustande bringen, um so mehr, als Manzyferow in diesem Punkt außerordentlich streng und anspruchsvoll war. Ich gab mir ein möglichst forsches Ansehen, machte geräuschvoll Halt und stand bereits auf eine Entfernung von sieben Schritten wie eine Mauer da. Ich wandte dem Komman= deur den Kopf zu, stand muckmäuschenstill und verschlang ihn mit den Augen. Manzyferom blieb stehen.
,, Welche Kompanie?"
,, Sechzehnte, Euer Hochwohlgeboren!" ,, Guten Tag!"
,, Gesundheit wünsche ich, Euer Hochwohlgeboren!" ,, Nimm den Kopf höher! Noch höher! Noch etwas höher! Ein fibirischer Schüße muß dreinschauen wie ein Adler! So ist es recht! Rechts um! Ohne Tritt marsch!"
Nikolsk- Ussurijst war ein schmuziges, staubiges, fümmer fiches Städtchen und unterschied sich bloß dadurch von anderen russischen Provinzstädten, daß man auf der Straße unter den Zivilisten nur selten einen Russen sah. Meist waren es Japaner, Chinesen und Koreaner. Alle Wäscher waren Chinesen. Alle Friseure und Zuderbäcker Japaner. Alle Fleischer Koreaner. In den engen Gassen des Chinesenmartts lagen vor den Wohnbuden auf Tischen und Verkaufsständen allerlei Waren ausgebreitet; an deren Stellen warteten im Freien die Stühle der japanischen Friseure auf die Kunden, die sich auf der Straße rasieren ließen. Man fonnte häufig beobachten, wie der Friseur sich die schwarzen Haare des Kunden um das linke Handgelenk wickelte und ihm dann den seifenüberschäumten Kopf rund um den Zopf herum ( Fortsetzung folgt.)
Einmal begegnete ich auf der Straße dem Regiments tommandeur. Ich war sehr erschrocken, nicht so sehr meinet wegen, als vielmehr mit Rücksicht auf meine unmittelbaren Borgesetzten, die mir lange Zeit vor den übrigen Refruten zum ersten Mal Stadturlaub gegeben hatten. Das hatte ich mir damit verdient, daß ich beim leben der Ehrenbezeugun gen alle Fragen richtig und genau beantwortet, einwandfrei Front gemacht und salutiert hatte. Vor dem ersten Ausgang in die Stadt hatte mich der Feldwebel noch einmal, theore i glatt abrafierte.