Morgenausgabe
Tir. 212
A 107
49. Jahrgang
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Sonnabend
7. Mai 1932
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Revolverattentat auf Doumer.
Der franzöfifche Präsident in Lebensgefahr. Der Täter ein ruffischer Faschist.
Paris , 6. Mai( Eigenbericht.)
Auf den Präsidenten der Republik Doumer wurde am Freitagnachmittag kurz nach 3 Uhr ein Attentat verübt. Doumer wurde schwer verletzt in ein Krankenhaus geschafft.
Der Präsident hatte sich in Begleitung eines Ordon. nanzoffiziers nach dem Palais der Rothschild- Stiftung in der Rue Berryer begeben, wo die französischen Schrift. steller, die ehemalige Kriegsteilnehmer sind, einen Berfauf ihrer Bücher mit eigenhändigen Widmungen ver anstalteten. Als der Präsident den zweiten Ausstellungsjaal betrat, wo ihn das Empfangskomitee und verschie dene Minister begrüßen wollten, feuerte ein Mann, der vorher die Ausstellung besichtigt und einige Bücher gefauft hatte, plötzlich fünf Schüsse auf den Präsidenten ab. Doumer wurde von drei Kugeln getroffen; eine drang in die Kopfhaut, die zweite in den Nacken und die dritte in die Achselhöhle des rechten Armes. Die vierte Kugel traf den Vorsitzenden der Schriftsteller vereinigung Claude Farrére, der sich gerade vor dem Präsidenten verbeugte, und verlegte ihn leicht. Die fünfte Rugel streifte den Direktor der Pariser Polizei, Guichard. Der Präsident der Republik sant bewußtlos zu Boden, während sich der Polizeidirektor und andere Persönlichkeiten auf den Attentäter stürzten, ihn entwaffneten und der Polizei übergaben. Beim Verlassen des Palais konnten die Beamten den Attentäter nur mit großzer Mühe vor der Menschenmenge schützen, die ihn Ihnchen wollte.
Der Präsident der Republik, der insbesondere aus der Armwunde stark blutete, wurde in seinem Kraft wagen nach einem nahegelegenen Krankenhaus gebracht, wo ein bekannter Chirurg sofort eine Blutübertragung wo ein bekannter Chirurg sofort eine Blutübertragung und die notwendigen Operationen vornahm. Alle drei Kugeln konnten entfernt werden. Bald nach der Opera. tion hat der Präsident das Bewußtsein wiedererlangt.
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Wenn je ein Attentat sinnlos und verabsch eu ungswürdig war, so in diesem Fall. Das greife franzöfische Staatsoberhaupt hat seit seiner Wahl am 13. Mai 1931 sein hohes Amt mit einer geradezu vorbildlichen Zurüdhaltung, Bescheidenheit und leberparteilichkeit ausgeübt. Das haben auch alle seine damaligen Gegner inzwischen anerkennen müssen. Doumers Wahl bedeutete einen Ueberraschungssieg der Rechtsparteien gegen die Linke, die Briand auf den Schild erhoben hatte. Allerdings war sein Erfolg nur möglich mit Hilfe einer größeren Zahl von linksgerichteten Senatoren, die aus persönlicher Sympathie Doumer den Vorzug gaben gegenüber dem offiziellen Kandidaten der Linken, Briand . Denn Doumer war damals Präsident des Senats und Mitglied der sogenannten ,, demokratischen Linten", also der radikalen Fraktion des Senats. Ueberhaupt hatte er sich in der Nachfriegszeit im Verhältnis zu dem ersten Teil seiner langen politischen Laufbahn merklich nach links entwickelt und verschiedenen Regierungen der Linken angehört.
In der ersten Erregung über die Niederlage ihres Kandidaten Briand hatten sich die Sozialisten und viele Radikale erhoben und protestierend ausgerufen: Nieder mit dem Krieg!" Denn man empfand den Mißerfolg Briands zunächst als eine Niederlage des Friedensgedankens. Doumer selbst mußte, daß sein Sieg in weiten Teilen Frankreichs und der Welt eine solche Deutung erfahren könnte und beeilte sich, noch am selben Abend in einer öffentlichen Erklärung, die ebenso geschickt wie würdig war, einer solchen für seine und Frankreichs Ansehen unvorteilhaften Deutung entgegenzutreten. Er sagte: Niemand hängt am Frieden mehr als ich, denn niemand weiß besser als ich, was der Krieg bedeutet." Diese taktvolle Anspielung auf den Berlust von vier seiner fünf Söhne, die im Weltkriege gefallen waren, perfehlte ihren günstigen Eindruck nicht auf die empörten Massen, die zunächst in ihm den erfolgreichen Kandidaten der
nationalistischen Rechten erblicken mußten. Es läßt sich nicht behaupten, daß er seitdem irgend etwas geäußert oder getan hätte, was mit seiner Rolle als überparteilich e m Staatsoberhaupt nicht im Einklang stünde.
erschießen will, weil Frankreich durch seine ,, probolschewistische" Haltung das russische Bolt verrate!
Es liegt uns fern, die Berantwortlichkeit dieses Mannes und der Kreise, denen er entstammt, irgendwie zu verringern, aber es muß schon gesagt werden, daß seine bisherigen Angaben so fonfus und so phantastisch sind, daß man es anscheinend mit einem Halbverrückten zu tun hat. Wenn seine Tat überhaupt eine Wirkung auslösen fonnte, so doch nur die, daß die öffentliche Meinung in Frankreich und der übrigen Welt, soweit sie bisher mit weißgardistischen Kreisen sympathifierte, sich von der Gefährlichkeit dieser Elemente nunmehr überzeugen wird. Einen besseren Dienst konnte dieser russischkaukasische Arzt der Sowjetunion gar nicht leisten, die er zu hassen vorgibt.
Wenn der greise Präsident der Republik, der erst vor sechs Wochen völlig unbemerkt seinen 75. Geburtstag begangen hat, die außerordentlich schweren Verlegungen übersteht, die er erlitten hat, so wäre das nur einem Zusammenwirten von überaus glücklichen Umständen zu verbanken, und es würde geradezu an ein Wunder sowohl der ärztlichen Kunst wie der eigenen körperlichen Widerstandsfähigkeit grenzen. Der Reichspräsident und der Reichskanzler, die sofort nach Bekanntwerden des Attentats ihr Mitgefühl und ihre Genesungswünsche nach Paris übermittelt haben, sind bei dieser Gelegenheit die Dolmetscher der Empfindungen des gesamten deutschen Boltes gewesen, insbesondere jener Teile Deutschlands , die ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden Nationen herbeiwünschen.
Der Attentäter- russischer Faschist. Man glaubt, es mit einem Geiftestranten zu tun zu haben.
Das dieses Attentat zwei Tage vor den Stich wahlen verübt wurde, hat natürlich überall die Frage auf tauchen lassen, ob und welche Rückwirkungen auf die Bolksstimmung und auf das Wahlergebnis möglich find. Wäre nur der leiseste Verdacht aufgetaucht, daß der Täter aus irgendwelchen revolutionären Motiven heraus ge handelt hätte, dann wäre es für die Regierung Tardieu ein gefundenes Fressen gewesen, und sie hätte nicht versäumt, alle Register der Demagogie in Tätigkeit zu sehen, um die Wähler in letzter Stunde gegen die Linksparteien aufzuputschen. Indessen braucht man faum zu befürchten, daß der Revolveranschlag des russischen Arztes auf den Präsidenten der Republik gegen die Linksparteien mit Erfolg ausgespielt wer den kann. Denn die Person des Täters und seine eigenen präsident Doumer ist ein 37jähriger Russe Der Urheber des Attentats auf Staats. Angaben lassen keinen Zweifel daran, daß er aus anti namens Paul Gorgulow. Er ist aus Labinskala im bols chemistischen Motiven gehandelt hat. Er bezeichnet Kaukasus gebürtig und Doktor der Medizin der Prager fich als Haupt einer russisch- faschistischen" Gruppe Universität. Gorgulow ist seit zwei Jahren, in Paris und will geschossen haben, um die französische Regierung da- ansässig. Angeblich. hat er hier von seinen Ersparnissen für zu bestrafen, daß sie zu sehr bolschewistenfreundlich sei! gelebt. Vor kurzem hat er sich mit seiner Frau nach Das ist die geradezu komische Seite dieses abscheulichen Monaco begeben, von wo er am Donnerstag mit der Dramas. Während die kommunistische Presse täglich be- Absicht nach Paris zurückgekehrt ist, den Präsidenten der Republik zu ermorden. Er gibt sich als Chef der russihauptet, daß gerade die französische Regierung zum Inter - schen Faschisten aus und führt als Beweggrund für seine ventionsfrieg gegen die Sowjetunion rüstet, findet sich ein Tat an, daß Frankreich eine ,, bolschewistische Regierung" russischer Emigrant, der einen französischen Staatspräsidenten habe, und daß es, ebenso wie Amerika , der größte Feind feines Vaterlandes geworden sei. Obgleich der Russe in völliger Ruhe auf die Fragen der Polizeibeamten ant. wortete, glaubt man es mit einem Geisteskranken zu tun zu haben. Er wurde nach dem polizeilichen Ver hör der Staatsanwaltschaft übergeben, die ihn nach einer nochmaligen Vernehmung unter der Anklage des Mordverdachts ins Gefängnis einliefern ließ.
Zustand hoffnungslos?
Paris , Mitternacht( Eigenbericht). Nach den letzten Mitteilungen aus dem Krankenhaus muß das Befinden Doumers als äußerst ernst und sogar als hoffnungslos angesehen werden. Es ist Brandgefahr eingetreten. Wenn auch nicht offiziell, so doch geben die Aerzte privatim zu, daß das Ableben innerhalb der nächsten Stunden befürchtet werden muß.
Falls das Staatsoberhaupt im Laufe des 7. Mai stirbt, muß nach einer bindenden Bestimmung der französischen Verfassung der Kongres binnen drei Tagen, also spätestens am Diens. tag, in Versaillles zusammentreten, seinen Nachfolger zu wählen.
um
Das würde insofern eine phantastische Lage ergeben, als die Legislaturperiode der bis. herigen Deputiertenkammer formell bis zum 1. Juni weiterläuft und erst nach diesem Datum die neue Kammer in Funktion treten darf. Es würden dann die bisherigen Abgeordneten, das heißt auch solche, die bereits am lesten Sonntag besiegt wurden oder die am kommenden Sonntag unterliegen werden, nochmals an der Wahl des neuen Präsidenten der Republik mitzuwirken haben!
Eine wichtige Feststellung, die die Vorsätzlich. keit der Tat beweist, hat der Schriftsteller José Germain gemacht. Er hat in der Ausstellung drei Bücher gefunden, die der Attentäter vorher dort gekauft und von Farrère mit der Widmung hat versehen lassen:„ Gewidmet Herrn Paul Prade, französischer Journalist." Unter diese Widmung hatte der Attentäter mit eigener sand folgendes geschrieben:„ Paul Gorgulow, Chef der russischen Faschisten, der soeben den Präsidenten der französischen Republik getötet hat."
Der Zustand in den Abendstunden.
Paris , 6. Mai. Um 21,30 Uhr ist über das Befinden des Präsidenten der Republit Doumer folgender Bericht ausgegeben worden: Der Präsident der Republik ist von zwei Kugeln getroffen worden. Die eine Kugel drang an der Basis der Schädeldecke ein und fam an der rechten Backe wieder heraus. Die andere Kugel ist in die rechte Schulter eingedrungen und hat den starken Blutverlust hervorgerufen. Um sechs Uhr abends fonnten die Aerzte nach den beiden Bluttransfusionen die durchschlagene Schlagader an der rechten Achsel abbinden. Heute abend war die Temperatur des