Papen ist Reichskanzler! Sechs reaktionäre Minister ernannt.— Auch das Zentrum kündigt schärfste Opposition an.
Der Reichspräsident empfing gestern abend gegen �-'9 Uhr Herrn von Papen zum Vortrag über seine bisherigen Bemühungen in der Kabinetts- bildung und ernannte daraufhin Herrn von Papen zum Reichskanzler. Freiherrn von Gahl zum Reichsinncn- minister. Dr. Warmbold zum Reichswirtschasts- minister. (General von Schleicher zum Reichswehr - minister. Freiherr» von Braun zum(srnährungs- minister und Ostkommissar. Rcichsbahndirektor Elb von Rübenach zum Post- und Vcrkehrsminister. Außerdem wurde Oberregierungsrat Planck von der Reichskanzlei zum Staats» sckretär der Reichskanzlei ernannt. Mit dem Eintreffen der betreffenden Herren in Berlin ist für morgen die Ernennung von G o e r- d c l c r zum Arbcitsminister. E ü r t n e r zum Justiz- minister und Freiherrn von Neurath zum Außenminister zu erwarten. Nur die Besetzung des R e i ch s f i n a n z m i n i st c r i u m s ist noch zweifelhaft. Freiherr von Vraun ein Kappist. Freiherr von Braun wurde 1878 als Sohn eines ostpreußi- sehen Rittergutsbesitzer - geboren und war bis zum Kriege Land- rat in Wirsitz in der Provinz Posen . Im Kriege wurde er in das Innenministerium berufen. Nach dem Zusammenbruch war er Regierungspräsident in Gumbinnen . Von der preu- ßischen Regierung wurde er zur Disposition gestellt, da er den Erlaß des damaligen Oberpräsidenten August Wirtnig, in dem sich dieser hinter die Regierung Kapp stellte, in seinem Bezirk ver- ofsentlichte. Seit 1927 ist er Generaldirektor der Raisscisengesell- schaft und in dieser Eigenschaft Mitglied des Reichswirtschast-rats. Freiherr(Zltz von Z�übenach. Der neue Reichsverkehrsminister Freiherr Eitz von Rübenach steht seit 1924 an der Spitze der Reichsbahndirektion Karlsruhe. Er wurde 187S in Wahn im Rheinland geboren. Bon 1911 bis 1914 war er nach längerer Tätigkeit im preuhischen Eisenbahndienst tachnijcher Sachverständiger beim Generalkonsulat in New Jork -Sein Bruder ist nationalsozialistischer Landtagsabgeord- n e t e r in Preußen. Die dritte Abwehrschlacht. Gegen das„Präsidialkabinett" HindenburgS . Als sich die Sozialdemokratische Partei entschloß, für chindenburg einzutreten, um die Wahl Hitlers zu ver- hindern, tat sie das aus nüchterner Erwägung und ohne pathetischen Ueberschwang. Sie war sich darüber klar, daß sie Hindenburg damit keinen persönlichen Dienst erwies, und sie erwartete keinen Dank. Auch mit der Lupe wird man im .�Vorwärts" keine Spur jener Verherrlichungen finden, von denen die Presse des Zentrums wie der Staatspartei damals voll war und die in den Reden des Reichskanzlers Brüning am lautesten erklangen. Kein Wunder also, daß Enttäuschung und Erbitterung über die Vorgänge der letzten Tage in a n d e r en Lagern stärker sind als in dem unseren. Doch müssen auch wir bei aller ruhiger Objektivität, deren wir uns fähig wissen, aus- sprechen, daß es feit dem 30. Mai einen menschlichen Fall Hindenburg gibt. Wenn der Reichspräsident der Mei- nung war, daß eine Aenderung des politischen Kurses nötig sei und er danach handelte, so trifft ihn deshalb— das haben wir schon ausgesprochen— nicht der geringste Vor- wurf. Aber die Art, wie das alte, dem Reichspräsidenten persönlich ergebene Kabinett zu Fall gebracht und ein neues Kabinett vorbereitet wurde, hat das Bild, das man sich in weitesten Volkskreisen vom Menschen Hindenburg machte, völlig verändert. Der Reichspräsident besindet sich heute offenbar unter dem Einfluß von Männern, denen es wenig darauf an- kommt, auch sein persönliches Zlnsehen zu schädigen, wenn sie dabei nur zu ihren eigenen Zielen gelangen. Die Regierung von Papen, die gestern ernannt worden ist, kann nicht vor den Reichstag treten, ohne ein Mißtrauensvotum zu erhalten. Der Beschluß des Zen- t r u m s ist eindeutig. Mindestens 322 von den S77 Mit- gliedern des Reichstags stehen gegen das Kabinett— Linke plus Zentrum und Bayerische Volkspartei —, wahrscheinlich aber ist die ablehnende Mehrheit noch viel größer. Ob dre 151 Nationalsozialisten und Deutschnationalen für Herrn von Papen sicher sind, steht keineswegs fest. Der neue Reichskanzler befände sich sofort, wenn er vor den Reichstag träte, in einer völlig hoffnungslosen Situation. Darum soll er ja auch die Absicht haben, den Reichstag aufzu- lösen, ohne sich ihm erst vorgestellt zu haben. Danach will er zur Konferenz noch Lausanne fahren! Man wird ja dort wohl höflich genug sein, ihn' nicht zu fragen, mit welchem Recht er im Namen des deutschen Volkes ver- handeln will! Die Neuwahlen, die unvermeidlich geworden sind, können von der neuen Regierung nur zu dem Zweck ausgeschrieben
werden, die Links-Zentrum-Mehrheit des Reichstags in eine Minderheit zu verwandeln und eine Rechtsmehrheit zu schaffen, die in der Hauptsache aus Nationalsozialisten, in der Nebensache aus Deutschnationalen und einigen kleinen Splitterparteien besteht. Daß dieses Ziel erreichbar ist, muß bezweifelt werden-- und an uns ist es, alles zu tun, damit es nicht erreicht wird. Die Sozialdemokratie hat im Entscheidungsjahr 1932 schon zwei große Abwehrschlachten geschlagen, deren Defensiv- ziele erreicht wurden. Hitler wurde nicht Reichspräsident, und die Rechte bekam im Preußischen Landtag nicht die Mehrheit. Aber um Hitler zu schlagen, mußte die Sozialdemokratie Hindenburg wählen und in Preußen ging es mit wenigen Stimmen Unterschied hart auf hart. So ist jetzt die dritte Abwehrschlacht unvermeidlich geworden, sie wird an Entscheidungsschwere und an Heftigkeit ihre Vorgänger noch übertreffen. Im Reich sind die Aussichten besser als in Preußen, weil Süddeutschland mitwählt. Das Ziel, die Entstehung einer Rechtsmehrheit zu verhindern, i st erreichbar, und es wird erreicht werden! Zähneknirschend sollen die Feinde am Tage der Entscheidung erkennen, daß sie die Kraft der sozialistischen Arbeiterbewegung unterschätzt hatten! Der Kampf hat schon begonnen, wir stehen schon mitten in ihm. Jeder muß wissen, was seine Pflicht ist!
Bundesgenosse Hindenburg . Feierliches Angebot Hitlers . Hindenburg ist heute der Voll ft recker des Willens derFeindeDeutschlandsgeworde n", schrieb der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete A. F o rft e r am 19. Februar 1932 im Danziger„Vorposten". Heute aber entrüstet sich sein Kollege R o s e n b e r g im „Völkischen Beobachter" über die„«ystempresse", die sich erlaubt, mit dem Reichspräsidenten über die Zweckmäßigkeit des letzten Regierungswechsels nicht ganz einer Meinung zu sein. An dieser Tatsache, meint der neue Offiziosus, werde der Reichspräsident hoffentlich„den Charakter der System- Parteien" erkennen. Und bedeutungsvoll fährt er fort: wir knüpfen eine zweite Hoffnung daran: daß der Reichs- Präsident nunmehr entschlossen mit der erwachenden deutschen Ration geht und mit Adolf Hitler jenes Bündnis schließt, das notwendig ist. zur Rettung des deutschen Volkes. Wir fügen dem die dritte Hoffnung hinzu, daß Herr v. Hindenburg , der noch vor zwei Monaten in offiziellen e lugblättern der NSDAP ,„der Kandidat aller uden, Schieber und Kriegsgewinnler" hieß. die E h r e zu würdigen weiß, die ihm durch dieses Bündnis- angebot erwiesen wird.
Staatsparteilicher Protest bei Hindenburg . Die staatsparteilichen Reichstagsabgeordneten Dr. Weber und Dr. Meyer haben an den Reichspräsidenten ein Schreiben gerichtet, in dem sie darauf hinweisen, daß ihnen bei ihrem Empfang beim Reichspräsidenten am Dienstag die Absicht, ein„überparteiliches Kabinett" zu berufen, bekanntgegeben worden sei. In dem Schreiben heißt es dann weiter: „Fast unmittelbar nach unserem Empfang ist amtlich mitgeteilt worden, daß Herr von Papen den Austrag zur Bildung einer „Regierung der nationalen Konzentrati on" er- halten hat. Nach den weiteren Nachrichten scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, daß die Mitarbeiter des Herrn von Papen, ebenso wie er selbst, einein engeren politischen Kreis angehören, der von denjenigen Parteien, die bisher das Kabinett Brüning gestutzt haben, scharf abgegrenzt ist. Wir haben hieraus den Eindruck gewonnen, daß offenbar in letzter Stunde die Absicht, ein überparteiliches Kabinett zu berufen, aufgegeben worden ist. Daher betrachten wir es, ohne der sachlichen Stellungnahme unserer Fraktion zu dem neuen Kabinett vorzugreifen, als unsere Pflicht, Ihnen, Herr Reichspräsi- dent, die dringende Bitte zu unterbreiten, zu verhindern, daß eim solches Kabinett von amtlicher Seite als„Regierung der nationalen Konzentration" bezeichnet wird. Unmöglich kann es Ihrem Sinn entsprechen, nach den Ersahrungen des Welt- krieges eine Unterscheidung des deutschen Volkes in nationale und n i ch t n a t i o n a l e Kreise zu dulden; unmöglich kann von Ihnen als„Regierung der nationalen Kon- zcntration" eine Regierung anerkannt werden, in der der über- wiegende Teil der 191s Millionen Deutschen , die sich vor wenigen Wochen unter Zurückstellung alles Parteimäßigen zu Ihrer Wiederwahl zum Reichspräsidenten entschlossen haben, keinen Vertrauensmann hat. Zu Ihnen, Herr Reichspräsident, der Sie stets zur Einigkeit aller Deutschen gemahnt haben, hegen wir das Vertrauen, daß Sie es nicht gestatten werden, daß von amtlicher Seite durch die vorerwähnte Bezeichnung des neuen Kabinetts einem Teile des deutschen Volkes die nationale Gesinnung unmittelbar abgesprochen und damit eine Erbitterung erzeugt wird, aus der in der jetzigen Zeit schwerer Krisis die stärksten Gefahren für Reich und Volt drohen müssen." Die belgische Kammer sprach am Mittwoch mit 191 gegen 7? Stimmen� bei 3 Enthaltungen der neuen Regierung Renkin das Vertrauen aus. Ein Gnadengesuch on hoooer hat der Präsident- der Republik Portugal telegraphisch für seine Land-leute Stloestre Fernandez und Alexander Nunez abgesandt, die in USA . zum Tode oerurteilt worden sind. Die rumänische Regierung Sorga ist zurückgetreten, und zwar wegen der schweren Finanznot des Staates. Titulesku ist von seinem Londoner Gesandlenposlen zur Regierungsbildung heimge- rusen worden. Viele Beamte haben seit Monaten kein Ge- halt bekommen.
Kampfbeschluß des Zentrums. Schärfste Verurteilung der Krisentreiber.— Ablehnung des Kabinetts Papen .
Die Zentrumsfraktion des Reichstags, die am Mittwoch den ganzen Tag über Beratungen abgehalten hatte, nahm schließlich folgende Kundgebung an: Die Zentrumssraktion des Reichstags hat heute eingehende Berichte über die neugeschaffene politische Lage entgegengenommen. Die Vorgänge der letzten Tage, die zum Rücktritt des Kabinetts Brüning geführt und im Lande stärkstes Befrem- den hervorgerufen haben, fanden einmütige und schärfste Verurteilung. Unmittelbar vor zielsicher voräeresteten internationalen Ver- Handlungen haben leichtfertige Intrigen Verfassung s« mäßig unverantwortlicher Personen hoffnungsvolle Linien einer in großen Zusammenhängen eingeleiteten nationalen Aufbaupolitik jäh unterbrochen und den wirtschaftlichen und sozialen Existenzkampf aller Gruppen des deutschen Volkes wesentlich erschwert, Die Deutsche Zentrumspartei hat im Laufe der Geschichte immer wieder unter Selbstaufopferung politische Verantwortung über- nommen und getragen. Sie hat es getan im Zeichen einer christlich- nationalen Staatspotitik und einer moralischen Auffassung des öffentlichen Lebens. Indem wir uns erneut zu diesen staatspoli- tischen Grundlogen bekennen. verwerfen wir das monatelang geübte System un- � kontrollierbarer Treibereien und erklären, daß wir für alle hieraus sich ergebenden Erschwerungen unserer inneren Lage und äußeren Möglichkeiten jede Verantwortung ablehnen. Das mit dem Kabinettssturz unterbrochene außen- und innen- politische Gesamtwerk soll nunmehr politischen Experlmea- t e n ausgeseht werden, Well die Parteikräfte der Oppo- sition sich weigern, politische Verantwortung mitzuübernehmen. werden Zwischenlösungen angestrebt. Solche Ver- legenheitslösungen sind keine„R ationale Konzentration". Sie bieten auch keinerlei Vürgschast für die Fortsühruvg einer Außen- und Innenpolitik, wie sie die Zeit- umstände gebieterisch verlangen.
In einem Augenblick schwerster politischer Beunruhigung und politisch ungeeigneter Versuche hätt es die Zentrumsfraktion für ihre Pflicht, eine Gesamtpolitik zu fordern, in der nationale Freihett und Gleichberechtigung, entschlossener Kampf mtt dem Kernproblem, der Arbeitslosigkeit, Sicherung unserer Währung, Erhaltung selb- ständiger, Existenzen in Handwerk, Handel. Gewerbe und Land- Wirtschaft, die Gewährleistung sozialer Grundrechte und Fürsorge- maßnahmen und volkstümliche Siedlungspolttik Wefensbestandteile sind. AuS solcher Ueberzeugung heraus lehnt die Zen- trumSfraktion die Zwischenlösung ab!" Die Absage der Bayerischen Vottspartei Schähel macht bei Popen nicht mit. Die Frattionssitzung der Bayerischen B o l k z Partei im Reichstag endete mit der Verkündung folgender Erklärung: Die Reicheiagsfraktion der Bayerischen Volkspartei nahm in ihrer Sitzung vom 1. Juni einen ausführlichen Bericht des Frak- tionsvorsitzenden über die gesamtpolitische Lage entgegen. Noch ein- gehender Aussprache wurde als einmütige Auffassung der Fraktion festgestellt, daß fiir ein Mitglied der Bayerischen Volks- parte! ein« aktive Beteiligung an einem Uebergangskabinett o. Papen nicht in Frage kommt, Der bisherige Reichspostminister Dr. Schätzet hat danach die Aufforderung, in dos Kabinett v. Papen einzutreten, obge- lehnt. Zentrum wirst papen hinaus! vi« Parteileitung des Zentrums tettt mit:„Ohne de« per- sönlichen— wenn auch nicht sachlich vertretbaren— Motiven nahe- zutreten, aus denen Herr von Papen sich veranlaßt fühlt. den bekannte» Schritt zn tun, stellt die Zentruwspartei fest, daß sein Entschluß in bewußtem Gegensatz zu der Partei- l e i t u n g erfolgt ist. Die daraus sich ergebenden Aolgerungen sind oho« weitere» klar."