Morgen- Ausgabe
Nr. 509 A249 49. Jahrg.
Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
FREITAG
28. Oktober 1932
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Behn
Roter Maffenaufmarsch im Westen 3ebn Jabre Muffolini
Glänzende Kundgebung der Berliner Sozialdemokratie in den Tennishallen
Die Sozialdemokratie hat die Berliner Arbeiter aufgefordert, nach dem feudalen Berliner Westen zu ziehen und dort ihren Kampfeswillen für Freiheit und Demokratie zu bekunden. Die Berliner Arbeiterschaft hat diesen Ruf aufgenommen und ist ihm in überwältigenden Massen gefolgt. Die große Wahlkundgebung in den Tennishallen war ein glänzender Erfolg!
Schon von 19 Uhr ab zogen auf den Zugangswegen den Tennishallen am зи Preußenpark die Gruppen der Frauen und Männer, der Reichsbannerkameraden und Jugendgenossen, dicht gedrängt einander folgend, heran. Die Untergrundbahnhöfe standen von bald nach 18 Uhr ab im Zeichen der Freiheitrufe. Mit Freude bemerkt man schon lange vor Beginn der Rundgebung die starke Beteiligung Jugendlicher. Die Erkenntnis greift um sich, daß die radikale Phrase ein Irrwahn ist und zu nichts Positivem führt!
Um 20 Uhr war die weite Halle bis hinten zur legten Stuhlreihe dicht besetzt. Stehend begrüßen die Tausende den Einmarsch der Fahnen. Unsere Sportler finden besonderen Beifall.
Genosse Franz Künstler begrüßte die Versammlung mit dem dreifachen Rufe Freiheit! Dann sagt er:
,, Die Ereignisse des 20. Juli wurden nicht zuletzt von dem Reichskanzler von Papen herbeigeführt, weil unser Massenaufmarsch am 14. Juli durch Wilmersdorf den Reaktionären Angst und Schrecken eingeflößt hatte. Jeßt, nach dem Urteil des Staatsgerichtshofes in Leipzig vom 25. Oftober wird Herr von Papen erkannt haben, daß die von uns durchgeführte Taktik am und nach dem 20. Juli sein eigentliches Vorhaben ganz gewaltig gestört hat! Der derzeitige Kanzler wird längst wieder zu seinen Privatinteressen zurückgefehrt sein, wenn wir Sozialdemokraten Freiheit und Sozialismus erfämpfen! ( Stürmischer Beifall.)
Mit besonders herzlichen Worten wandte sich Künstler an die 150 Delegierten aus dem Deutschen Beamtenbund, die an der sozialdemokratischen Maffenfundgebung teilnahmen. Er sagte:
Wenn die Reichsregierung von Papen es nicht für nötig hielt, die deutschen Beamten zu begrüßen( Pfui- Rufe), dann haben wir Sozialdemokraten, wir Arbeiter, das um so stärkere Bedürfnis, der deutschen Beamtenschaft unsere brüderlichen Grüße zu übermitteln.( Minutenlange Zustimmung.)
Mit stürmischer Begeisterung empfangen, nahm nun das Wort
Genosse Albert Grzesinski : Um einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen, wählen wir am 6. November zum fünften Male. Aber wir werden wählen! Wir Sozialdemokraten lassen uns nicht mürbe machen, auch wenn noch so oft gewählt wird. Der letzte Reichstag wurde aufgelöst, niemand weiß recht, warum. Das Votum des deutschen Volkes vom 31. Juli sagte klar und deutlich, daß Herr von Papen und seine Barone von der politischen Bühne zu ver schwinden hätten. Der Artikel 48 schaltet die Demokratie aus, wir wollen Wiederher stellung der Demokratie!( Lebhafter Beifall.)
Grzesinski behandelte sodann die reaktionäre Politit des Reichskanzlers und Staatskommissars von Papen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens und sprach dann unter gespanntester Aufmerksamkeit der Zuhörer über die Ereignisse am 20. Juli und den Spruch des Staatsgerichtshofes vom 25. Oktober. Er sagte:
Es ist sehr viel erörtert worden, ob wir am 20. Juli richtig gehandelt haben, als wir der Gewalt nicht die Gewalt entgegensehten. Heute werden die etwas Borlauten, denen das Herz mit dem Verstande durchgehen wollte, ihre Ansicht revidiert haben!
Gegenüber den 150 Beamtendelegierten muß ich aber betonen, daß als Betrüblichstes bestehen bleibt der starke Stoß gegen die Autorität und die Grundsätze des deutschen Beamtentums.( Sehr richtig!) Wenn mit den höchsten Beamten so umgegangen wird, wie es geschah, welche verderblichen Folgen muß das zeitigen! Wir haben keine Berfehlungen begangen, aber es ist außerordentlich bedenklich, daß nach unserer gewaltsamen Entfernung uns vorher unterstellte Beamte von ihren neuen Vorgesetzten über etwaige Berfehlungen Don uns ausgehorcht wurden.( Pfuirufe.) Da muß sich der gesunde Geist der Beamtenschaft empören.( Sehr richtig.) Ihre makellos dastehenden Chefs sind durch Reichswehrsoldaten wie Ver brecher abgeführt worden. Ich bin darüber hinweg. Diese Behandlung reicht an mich nicht heran.( Stürmischer Beifall.) Aber in der Beamtenschaft hat es einen Knads gegeben, der freilich nicht dem Interesse der autoritären Eretutoren dient!
Grzesinski nannte dann die Entscheidung des. Staatsgerichtshofs das höchste, was von einem Gericht jemals staatsrechtlich bewältigt wurde. Man sagt, es sei ein Mittelweg gesucht und gefunden.
Ich möchte die Entscheidung einen vollen Erfolg des rechtmäßigen Kabinetts Braun nennen. ( Stürmischer Beifall.)
Als Grzesinski dann die Schuld hitlers am Zustandekommen und an den Taten des Kabinetts von Papen geißelte, gab es im hinteren Teil des Saales einige Unruhe. Grzesinski ließ sich nicht beirren, nationalsozialistisch e Störenfriede wurden entfernt. In längeren Ausführungen beleuchtete der Redner dann die Mißerfolge der Regierung von Papen auf den Gebieten der Innen- und Außen-, der Handels und Wirtschaftspolitik . Er schloß unter stärkster Begeisterung mit einem flammenden Bekenntnis zum Sozialismus.
Nach Albert Grzesinski nahm der frühere Kommunist Josef Dünner das Wort. Er sagte: Die Reaktion geht zum Kampf gegen die elemen
tarsten Lebensrechte über. In dieser Situation weiß die KPD. teine andere Losung, als den Hauptschlag gegen die Sozialdemokratie zu füh ren. Diese Politik der KPD. , die bereits zur Unterstützung des faschistischen Volksentscheids gegen Braun und Severing führte, geht auch heute auf die Zersehung der Arbeiterklasse aus.
Wir müssen die Einheit der Klasse verwirklichen. Deshalb trete ich zur Partei Bebels und Wilhelm Liebknechts.( Stürmischer Beifall.) Als letzter Redner sprach für die Sozialistische Studentenschaft
Er führte aus, daß Kopf- und Handarbeiter zu= sammengehören und daß die Sozialdemokratie heute die einzige Kulturträgerin in Europa ist.
Die Pragis der bisherigen grundsätzlich neuen Staatsführung bedeutet nichts anderes als einen Klassenfampf von oben. Das läßt sich auch durch noch so viele Rundfunkreden nicht aus der Welt schaffen.
Wir wenden uns auch gegen die Staatstheorie, die unlängst von dem Berliner Professor Karl Schmitt vor dem Leipziger Staatsgerichtshof vertreten wurde. Dieser Kronanwalt der Regierung von Papen hat in seinen Schriften dargetan, daß das Wesen des Politischen durch den Gegensatz Freund Feind gekennzeichnet jei und nur dort eine politische Entscheidung vorliegt, wo der Gegner bis zur förperlichen Vernichtung bekämpft wird. Wir wenden uns gegen diese Staatslehre. Wir stellen ihr den Gedanken einer sinnvollen Politik gegenüber. Unter stärkstem Beifall schloß Groß mit einem Bekenntnis zum ge= meinsamen Kampfe.
Hinreißend sprach Genosse Klawitte Verse von Dehmel. Unsere Arbeiterjugend sang ein neues Freiheitslied. Noch einmal richtete Franz Künstler flammende Worte an die Tausende, am 6. November bis zum letzten die Pflicht zu tun.
Der Reichspräsident wird am Sonnabend in Gegenwart des Herrn von Papen den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun zu einer Unterredung über die Durchführung des Leipziger Urteils empfangen.
Die Rechtspresse ist bestrebt, die Papen- Barone auf den Weg des Staatsstreichs zu drängen. Sie ruft nach Taten und fordert die Barone auf, nicht über 3wirnsfäden zu stolpern. In diesem Sinne kündigt die schwerindustrielle Deutsche Allgemeine Zeitung" bereits ,, neue Maßregeln in der Richtung auf weiteren Ausbau der Machtposition des Reichs in Preußen" an, und im Lager der Freunde der Barone redet man davon, daß die Reichsregierung bereits in ihrer Freitagsigung entsprechende Beschlüsse fassen werde, die zunächst die Zusammenlegung mehrerer preußischer Ministerien zum Ziele haben
Absichten der Barone
Reichsminister für Preußen
In später Nachtstunde erfahren wir, daß das Reichskabinett sich heute mit folgendem Vorschlag bejassen wird, der in einer sogenannten Chef
besprechung zwischen Papen, Gayl, Bracht und Meißner gestern ausgearbeitet wurde und eine Lösung des Konflikts Reich- Preußen auf der Grundlage des Leipziger Urteils darstellen soll.
Danach sollen folgende Herren zu Reichsministern ohne Portefeuille ernannt und gleichzeitig mit der Wahrnehmung der Geschäfte preußischer Ministerien beauftragt werden: Dr. Bracht für das Innenminifterium, ein Herr von Hülsen, der kürzlich als Oberdas Kultusminifterium, präsident in Kaffel in Aussicht genommen war, für
und der frühere Staatssekretär Popik für das Finanzminifterium.
Die übrigen preußischen Ministerien sollen zum Teil zusammengefaßt, zum Teil abgeschafft werden.
Das Bestehen der Regierung Braun foll zwar ausdrüdlich anerkannt, aber ihr jede Bollmacht praktisch genommen werden. Bezüglich der Beantwortung der Anfragen im Parlamenten soll der neue Reichsminister ohne Portefeuille Bracht von Fall zu Fall dazu Stellung nehmen, in welcher Form dies geschehen soll.
Die Reichsregierung hofft, die Zustimmung des Reichspräsidenten zu diesem Borschlag zu finden.
Eine Lehre und eine Mahnung
Das faschistische Italien feiert seit Tagen das heute zum zehnten Male wiederkehrende Datum der Kapitulation des Kö= nigs Victor Emanuel vor den Faschisten, die sich von Neapel aus in Bewegung gefegt hatten und Rom zu besetzen drohten. Denn etwas anderes war der vielgerühmte ,, Marsch auf Rom " nicht, als der Verzicht des Monarchen auf die Verteidigung der von ihm beschworenen Verfassung. Der Schwächling Facta, der ihn als Ministerpräsident damals beriet, war der typische Vertreter jenes liberalen Bürgertums, das zunächst ganz froh war, die Arbeiterschaft durch eine Diktatur mattsegen zu können. Man dachte, daß Mussolini nur eine furze Episode sein würde und daß man ihn, wenn er erst seine Schuldigkeit als Hausknecht der Kapitalisten getan haben würde, wieder leicht los werden könnte. Das war offenbar auch die Absicht des Königs selber, der sich auf die Armee verließ und vielleicht sogar ehrlich hoffte, später zu verfassungsmäßigen Zuständen zurückzukehren.
Aber diese Hoffnung hat sich als trügerisch erwiesen. Sie unterschäßte die Rücksichtslosigkeit Mussolinis und seiner Anhänger. Alles, was Italien an wagemütigen Abenteurern und Schiebern zählte, setzte sich unter dem Schuße der Schwarzhemden an der Futterkrippe fest, entschlossen, sich lebenslänglich zu mästen.
Die Arbeiterschaft hatte zunächst durch radikale Unbesonnenheiten, später durch dreifache Spaltung den Weg Mussolinis zur Macht geebnet. Moskau sorgte auch nach dem Sieg des Faschismus, daß die Spaltung aufrechterhalten blieb. Heute noch führen die italienischen Kommunisten selbst in der Emigration den wildesten Kampf gegen ihre sozialdemokratischen Leidensgenossen, während außen und handelspolitisch die Sowjetregierung, unbefümmert um die grausamen Kommunistenverfolgungen in Italien , die regsten Beziehungen zur Regierung des ,, Duce" unterhält!
Die innerpolitische Bilanz der zehnjährigen Herrschaft der Schwarzhemden kennzeichnet sich durch die Zerstörung aller Freiheiten moderner und zivilisierter Staatswesen, das Monopol der Regierungspartei und der Regierungspresse, die Umwandlung der Rechtspflege in ein Machtinstrument der herrschenden Minderheit- furzum ein Bolschewismus mitumgekehrten Vorzeichen.
-
Die außenpolitische Bilanz verzeichnet eine gewaltige Vermehrung der Rüstungen, die das Land finanziell erdrücken, eine dauernde Unruhestiftung in Europa durch die säbelrasselnden Reden Mussolinis und die aufpeitschenden Artikel seiner Presse, hauptsächlich gegen Frankreich und Jugo slawien , und dabei immer wieder durch vorsichtige Rückzüge, sobald die Angegriffenen sich energisch zur Wehr sezen. Gegenwärtig leistet sich Italien eine billige Propaganda für die Revision der Friedensverträge außer natürlich den Vertrag von St. Germain, der das deutsche Südtirol der Faschistenherrschaft hilflos ausgeliefert hat. Das faschistische Italien betätigt sich als Lockspiel Deutschland gegenüber, um morgen wieder sich mit der ,, lateinischen Schwester" Frankreich zu versöhnen, wenn ihm auf folonialem Gebiet die kleinsten Zu geständnisse gemacht werden. Sein Eintreten für die Abrüstung ist vor allem ein Zeichen dafür, daß ihm infolge seiner eigenen wahnwißigen Rüstungsausgaben die Luft im Wettlauf mit Frankreich auszugehen droht. Wirtschaftspolitisch ist Italien von