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Abend-Ausgabe

Nr. 536 B 260 49. Jahrg.

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BERLINER

VOLKSBLATT

SONNABEND

12. November 1932

Jn Groß Berlin   10 Pf. Auswärts....... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise siehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Art. 48 Abs. 2

Die Lehre eines schwarzen Freitags

Am gestrigen Freitag hatte Herr von Papen Otto Braun   zu einer Be­sprechung geladen, die angeblich der Aus­führung des Leipziger   Urteils dienen sollte. Am selben Tage wurden aus den preußischen Zentralbehörden sämtliche Beamte hinaus­geworfen, die in dem Verdacht stehen, der Regierung Braun in aufrichtiger Ergeben­heit und nicht bloß des Gehalts willen ge= dient zu haben.

Das Vorgehen der Baronsregierung stüßt sich auf Art. 48 Abs. 2 der Reichsverfassung, der den Reichspräsidenten ermächtigt, zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die nötigen Maßnahmen zu treffen.

An demselben gestrigen Freitag wurde in Altona   gegen 40 Putschisten verhandelt, die in der Nacht zum 1. August mit Bomben um fich geworfen und geschossen hatten. In den vorbereitenden Besprechungen war, wie verschiedene Zeugen bekundeten, den SS.­Leuten versichert worden, daß der Reichs­mehrminister von Schleicher für diesen Plan gewonnen sei und das Vorhaben be­stimmt flappen würde.

Daß Herr von Schleicher den idiotischen Naziputsch wirklich gewünscht habe, wird niemand annehmen. Ebenso gewiß ist aber, daß es in vergangener Zeit niemals möglich gewesen wäre, einen Putsch etwa durch die Behauptung zu entfesseln, der Reichswehr­minister Groener wünsche ihn. Ein solches Vertrauen hat eben Herr Groener bei der SA. und der SS. nicht genossen. Herr von Schleicher aber hat um den 31. Juli herum den aufbauwilligen Kräften als ihr Mann gegolten und noch lange, nachdem das Gepolter gegen die Barone begonnen hatte, hat die nationalsozialistische Presse diesem Baron in auffälliger Weise hofiert.

Die Berufung der Putschisten auf Schleicher  erfolgte zweifellos mißbräuchlich. Aber es ist und bleibt ein ausgesprochenes Pech für die autoritäre Staatsführung, daß derartige Bekundungen vor Gericht gerade an dem­felben Tage erfolgten, an dem sie Dutzende von pflichtgetreuen, republikanisch gesinnten Beamten hinauswarf- zwecks Wieder­herstellung von Ordnung und Sicherheit.

Nach Art. 48 Abs. 2 hat der Reichs­präsident zur Wiederherstellung von Ord­nung und Sicherheit die nötigen Maßnahmen zu treffen. Wer sagt dem Reichspräsidenten  , daß die allernötigste Maßnahme dieser Art die Entfernung der Regierung von Papen aus ihrem Amte ist?

Das Sonntagswetter

Etwas kühler und trocken

Ein Kaltluftkörper, der aus Litauen  nach Westen vorstößt und nach den vorliegenden Anzeichen auch Mitteleuropa   überfluten dürfte, wird aller Boraussicht nach unserem Gebiet einen erheblichen Temperaturrüdgang bringen. Bereits am morgigen Sonntag foll die Abkühlung in Erscheinung treten. Der Amtliche Wetterdienst gibt folgende Prognose: Kälter, feils wolfig, teils heiter, frische nordwestliche bis nordöstliche Winde, feine Niederschläge.

Die Kaltluftfront reichte heute früh von Süd­ffandinavien bis Litauen  . Ganz Oft preußen war heute bereits in den Bereich des Kaltluft­einbruchs gelangt. In den deutschen   Bergen, wo in den letzten Tagen verhältnismäßig milde Tem­peraturen vorherrschend waren, ist seit heute überall Frost zu verzeichnen, der sich in den nächsten 24 Stunden verschärfen wird. Für Berlin  , das heute mittag noch annähernd 7 Grad Wärme hatte, sind Nachtfröfte zu er marten.

Krisentagung der Landgemeinden

Papen   ,, verhindert"- Scharfe Kritik an der Verwaltungsreform

Am Sonnabendvormittag veranstaltete der Verband der preußischen 2andgemeinden einen Delegierten­tag im Plenarsizungssaal des Reichstags. Der Andrang zu der Tagung war derart stark, daß bei überfüllten Tribünen eine Parallelversammlung

in der

Wandelhalle abgehalten werden mußte. Der Vorstand der Sozialdemo kratischen Partei und die sozialdemokra tische Reichstagsfraktion hatten zu der Tagung Vertreter entsandt.

Der Vorsitzende des Verbandes, Bürgermeister Lange Weißwasser  , teilte bei der Begrüßungs­ansprache mit, daß Reichskanzler von Papen trog fester Zusage auf sein Erscheinen verzichtet hätte.

Dr. Ludwig Hoffmann  ,

der bekannte Stadtbaurat und älteste Ehren­bürger Berlins  , ist gestern im Alter von 81 Jahren gestorben. Hoffmann   hat das neue Stadthaus, das Märkische Museum  , das Virchow- Krankenhaus, den Märchenbrunnen und das Altersheim in Buch geschaffen; sein größtes Werk war der Bau des Reichsgerichts in Leipzig  .

( Unruhe und zurufe: Wir hätten ihn gut emp­fangen!) Weiter erklärte der Vorsitzende, daß sich der Gesamtvorstand noch heute hinter den Gerefe­Plan stelle, obwohl Gereke auf die fast allgemein scharfe Ablehnung seines Arbeitsbeschaffungspro­gramms in der Presse sehr starke Einschränkungen in seinem Programm vorgenommen hat. Die bisherigen Maßnahmen zur Verwaltungs­reform lehnte der Redner als eine zu meit= gehende Zentralisierung ab. Die Land­gemeinden seien der Ansicht, daß das Ziel einer pofitiven Verwaltungsreform nicht die Aufhebung der Selbstverwaltung, sondern die Wiederher­stellung in ihrer ursprünglichen Reinheit sein müsse.

Auch der folgende Redner, Landrat v. Arnim, der für den Brandenburgischen Verband sprach, lehnte die letzten Reformmaßnahmen der Preußen­kommissare ab. Der Redner erging sich sodann in unverblümten Angriffen auf die Reich s= bank, deren ablehnende Haltung in der Frage der Finanzierung des Arbeitsbeschaffungspro= gramms der Landgemeinden einfach unverständ­lich sei.

Darauf nahm der neue Reichsminister ohne Geschäftsbereich Dr. Popiz, der als Kommissar mit der Führung des preußischen Finanz­ministeriums betraut ist, das Wort, um zunächst das Nichterscheinen Dr. Brachts zu ent­schuldigen.( Unruhe und Zurufe.) Dr. Popi er­flärte: Ich bin überzeugt, daß die großen Auf­gaben von Reich und Ländern nicht gelöst werden

können, wenn dies nicht in engster Verbindung mit den Interessen sämtlicher Kommunen geschieht. Die Sanierung staatlicher Finanzen darf nicht im Gegensatz zu den Gemeindeinter­essen stehen, vielmehr müssen diese beiden großen öffentlichen Instanzen auf das engste zusammen­arbeiten. In der vorigen Woche hat die Reichs­regierung beschlossen, die

Zuschüsse für die kommunale Wohlfahrts­fürsorge

in den Wintermonaten wesentlich zu vermehren. Gleichzeitig ist der Beschluß gefaßt worden, den Strom der in der Krisenunterstützung befindlichen Erwerbslosen zu der Wohlfahrtspflege abzustoppen. Diese wichtige Maßnahme beseitigt eine Unberechenbarkeit, die bisher als ständiger Unsicherheitsfaktor den kommunalen Finanzetat in Unordnung brachte. Diese Maß­nahmen sind natürlich nicht ausreichend und können nichts anderes als einen Anfang darstellen. Eine wichtige Voraussetzung für die Gesamt­fanierung der fommunalen Finanzen mußte eine Finanzordnung für die Gemeinden sein. Diese Finanzordnung bringt den Gemeinden kein Geld. Sie ist aber eine psychologische Not­wendigkeit, denn die Gemeinden haben nicht nur an geldlichem Kredit verloren, sondern auch sehr

start an Vertrauen in der Bevölkerung und stehen dauernden Angriffen der Gesamtwirtschaft gegenüber. Die Finanzordnung will hier einen Schlußstrich ziehen.

Zu dem

Arbeitsbeschaffungsprogramm des Land­

gemeindetages

erklärte Popiz im Hinblick auf die Angriffe seines Vorredners gegen die Reichsbankleitung, daß jeder, der Bedenken gegen diesen Plan äußere, doch unter keinen Umständen als böswillig hin­gestellt werden könnte. Ein solcher umfassender Plan sei natürlich mit ganz großer Ver= antwortung verbunden. Er kann nur so gestaltet sein, daß er im Einklang mit unbedingter Sicherung der deutschen   Währung steht.( Sehr richtig.) Auch muß der Zusammen­hang mit der Gesamtlage der Finanzen in etats= mäßiger und kassenmäßiger Beziehung inne­gehalten werden.

Mit dieser Erklärung wollte Popiz eindeutig von den inflationistischen Finan zierungsplänen abrücken, die das Gerefe­Programm enthält.

Nach Popitz   begann Dr. Gerele mit einer Abhandlung über das Arbeitsbeschaffungs­programm.

Dr. Luthers Protest

Gegen Kontingentspolitik und Währungsgefährdung

Der Protestbrief des Reichsbankpräsi­denten Dr. Hans Luther  , Reichs­kanzler a. D., an die Reichsregierung gegen ihre Kontingents politik wird jetzt durch die Korrespondenz des ,, Tat"-Kreises veröffentlicht.

Luther   begründet sein Vorgehen mit der Pflicht des Reichsbankdirektoriums, für die Sicher= heit der deutschen   Währung zu sorgen.

Der Devisenbestand, so führt Luther   aus, konnte in einer gewissen Stabilität mit leichter Besserung erhalten werden, wenn der durchschnittliche Aus= fuhr überschuß der letzten Monate auch weiter bestehen blieb. Diese, auf die Dauer noch nicht genügende, sondern besserungsbedürftige

Stabilität bezeichnet Luther   als ernst gefährdet durch die schwebenden oder in Angriff genom­menen Kontingentierungsmaßnahmen.

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Wörtlich heißt es da: Wir können in feiner Weise annehmen, daß künstliche Einfuhr drosselungen derart, wie sie jeẞt in Er örterung stehen, für die Devisenbilanz Nuzen bringen. Wir sind umgekehrt überzeugt, daß die unmittelbare Ersparnis an Devisen, die durch die geplanten Einfuhrbeschränkungen eintreten würde, um ein Vielfaches durch die Verluste übersteigert wird, die unsere Ausfuhr im Zusammenhang mit dieser künstlichen Einfuhrdrosselung erleiden würde.

Ein etwaiger Devisenfrieg" fönnte sich mit großer Geschwindigkeit verbreiten und dann würden Devisenüberschüsse uns überhaupt nicht mehr zufließen. Müßte daraufhin der deutsche Schuldendienst eingestellt werden, so würde das im Ausland nicht als Folge höherer Gemalt ver­standen, sondern als von Deutschland   gewollt angesehen werden, und die Folgen wären un­absehbar. Ohne die produktionspoliti fchen Zusammenhänge und die Rückwirkungen auf das aufbauende Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung näher zu erörtern, meist das Reichsbankdirektorium darauf hin, daß nur wenige Länder der Erde zur Zeit handelspolitisch noch aktiv sind und das Deutsch­ land   unter diesen Ländern eine hervor ragende Stelle einnimmt.

die agrarische Deutsche   Tageszei­tung" die Tatsache dieses Briefes enthüllt. Wenige Stunden später bestätigte die Telegraphen Union die Absendung dieses Schreibens und fügte ausdrücklich hin­zu, daß es auf die Gefahren hinweist, die der deutschen   Währung drohten, falls die Kontingentierungspolitik nicht abgestoppt werde.

Aber innerhalb einer Stunde nach dieser Bestätigung verbreitete dieselbe Telegraphen­Union ein offiziöses Dementi ,, von zuständiger Stelle", in dem es heißt:

,, Das eine aber könne festgestellt werden, daß eine Gefährdung der Währung nicht behauptet worden sei und auch nicht vorliege."

Es war von vornherein klar, daß an diesem Dementi etwas nicht stimmen konnte, da ein Eingreifen des Reichsbank­präsidenten nur unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Währung denkbar und zu­lässig war.

Die jetzt erfolgte Veröffentlichung des Luther- Briefes beweist wieder ein­mal, was von den Dementis der ,, grundsätzlich neuen Staatsa führung" zu halten ist.

Braun im Reichsrat

Protest gegen den Abbau

Der heutigen Sitzung des Verfassungsausschusses des Reichsrats wird der preußische Minister­präsident Otto Braun   wahrscheinlich per­sönlich beiwohnen. Er wird u. a. auch Ge­legenheit zu einer Rechtsverwahrung gegen den neuen preußischen Beamten­abbau nehmen.

Haftbefehl gegen Bombenleger. Wegen des in der Nacht auf den 9. d. M. versuchten Spreng­stoffanschlags auf das Kieler Gerichtsgefängnis ist, wie die Justizpressestelle mitteilt, gegen den am Tatort festgenommenen Täter, den Autoschlosser Am 14. Oktober nachmittags wurde durch Siemsen, Haftbefehl erlassen worden.

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