Abend- Ausgabe
Nr. 552 B 268 49. Jahrg.
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
MITTWOCH
23. November 1932
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts...... 10 Bf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe
Die Berater
Höhere Staatskunst im Kaiserhof
Die höhere Staatskunst sitzt im Hotel Kaiserhof und brütet über der Denkschrift für Hindenburg . Wen wundert es, daß alle nationalsozialistische Großmäufigkeit flein und häßlich wird, wenn es erst ernst wird? Warum sollte sich im Hotel Kaiserhof nicht die gleiche Unfähigkeit zeigen wie in den Länderregierungen von Thü ringen und Braunschweig , von Anhalt und Oldenburg ? Wenn die Nationalsozialisten heraustreten müssen aus der reinen Agita tion, kommt die Enthüllung und der zu sammenbruch!
Im großen wie im kleinen. Die Nationalsozialisten haben eine Zweidrittelmehrheit in der
ostpreußischen Landwirtschaftskammer, sie haben seinerzeit den nationalsozialistischen Freiherrn von Buttler zum Präsidenten gewählt. Der neue Präsident ist nun aus der NSDAP . ausgetreten, nachdem die Agrarabteilung des Braunen Hauses in Gemeinschaft mit dem Gauleiter Koch seinen Rücktritt als Präsident beschlossen und verkündet hat. Der zurückgetretene und ausgetretene Präsident enthüllt nun unmögliche Zustände, Unkenntnis, politische Intrige und Geschäftemacherei, die sich zu einem öffentlichen Skandal entwickeln müßten und das Eingreifen der Staatsregierung, wenn nicht gar des Staatsanwalts herausforderten". Bor wenigen Monaten eine nationalsozialistische 3weidrittelmehrheit in der ostpreußischen Landwirtschaftskammer, heute ein politischer und moralischer Trüm merhaufen!
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Das war nicht anders zu erwarten! Die agrarpolitische Abteilung des Braunen Hauses wird geführt von den Herren Darre, Reischle und Fachmann. Der erste davon ist als Plagiator von Schriften anderer entlarvt, die beiden anderen sind die wegen falscher Bilanzführung, Kreditmißbrauch usw. im Som
mer
entlassenen 1931 fristlos Direttoren der durch ihre Mißwirtschaft zusammengebrochenen Gärtnerbant des Reichsverbandes des deutschen Gartenbaus. So sehen die Berater des großen Führers aus!
Im Hotel Kaiserhof ist es nicht anders! Da wird der große Führer vom Kreise seiner Berater hin und hergezogen, bald hierhin, bald dorthin gedrängt. Da fizen zusammen Leute, deren Politik Bankrott gemacht hat, mie Cuno und Schacht, und die Belange der ganz feinen Leute nimmt der Erherzog Eduard von Coburg wahr. Wen wundert es, daß der große Führer immer mehr dem berühmten Greis auf dem Dache ähnlich wird!
Ein feiner Start für den Reichskanzler Hitler ! Ganz im Stil der höheren Staatsfunst, mit deren Hilfe er Deutschland herrlichen Zeiten entgegenführen will!
Noch ein Verbot!
Bracht nützt seine Macht
Köln , 23. November. Heute morgen ist auch die Freie Presse" in Aachen verboten worden. Durch Verhandlung mit der Polizeibehörde in Ko blenz , die gestern unserer Koblenzer Parteidruckerei den Druck der noch nicht verbotenen Trierer Bollswacht" und des„ Rahetal- Boten" in Oberstein untersagt hatte, ist es gelungen, den Druck biefer beiden Parteizeitungen wieder frei zu be. tommen,
Hilfe den Hilfsbedürftigen!
Sozialdemokratische Forderungen und kommunistische Quacksalberei
Die sozialdemokratische Reichstagsfrat tion hat, wie unsere Leser wissen, einen Gesezentwurf zur Verbesserung der Lage der Hilfsbedürftigen im Reichstag eingebracht. Die Sozialdemokratie fordert für alle Empfänger von öffentlichen Unterstützungen und Renten eine zusätzliche Winterhilfe. Der sozialdemokratische Gesetzentwurf begnügt sich jedoch nicht damit, diese Forderung aufzustellen, sondern er zeigt im einzelnen, wie die Mittel zu ihrer Durchführung beschafft werden können.
Die kommunistische Parteileitung hat anscheinend die Tatsache verschlafen, daß der Winter vor der Tür steht, daß es also höchste Zeit wird, die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zu treffen, um die Durchführung einer Winterhilfe zu sichern. Jetzt endlich, nachdem die Sozialdemokratie schon längst das Erforderliche getan hat, besinnt sie sich darauf, daß für die
Unterstützungsempfänger eine Parole ge= schustert werden müsse. Jetzt endlich schreibt Herr Wilhelm Koenen in der kommunistischen Presse einen Artikel darüber und außerdem soll ein Aufruf verbreitet werden, in dem gleichfalls die Forderung nach zusätzlichen Unterstützungen für die hilfsbedürftige Bevölkerung erhoben wird. Aber genau so schludrig und verant wortungslos wie ihre sonstige politische Arbeit ist auch die Hilfsaktion, die die Kommunistische Partei für die Unterſtügungsempfänger ins Werk sezen will. Während die Sozialdemokratie fordert, daß jeder Haushalt mit drei Köpfen 2 Kilogramm Brot wöchentlich erhalten und daß diese Menge bei größeren Haushalten erhöht werden soll, begnügt sich die Kommu nistische Partei mit einem Brot, ohne daß dessen Gewichtsmenge vorgeschrieben wird. Die Brotmenge soll auch nicht erhöht werden, wenn der Haushalt mehr als drei Köpfe umfaßt. Die Sozialdemokratie verlangt weiter die Lieferung
Hitlers Verlegenheitsausrede
Parlamentarische Lösung unmöglich und unerwünscht
Die Antwort Adolf Hitlers an Staatssekretär Meißner soll, wie nunmehr feststeht, gegen 3 Uhr im Büro des Reichspräsidenten übergeben werden. Sie wird darauf hinweisen, daß die Bildung einer parlamentarischen Regierung nach Auffassung des Führers der NSDAP . unmöglich ist, und daß es auch überhaupt nicht erwünscht ist, den parteipolitischen parlamentarischen Boden wieder zu betreten, nachdem man ihn glücklicherweise einmal verlassen hat.
Die Antwort bedeutet also dem Sinne nach eine Ablehnung des Auftrages Hindenburgs an Adolf Hitler zur Bildung einer parlamentarischen Mehrheitsregierung. Adolf Hifler wird sich aber in seinem Schreiben für eine präsidiale Lösung der Krise in weitestem Umfange zur Verfügung stellen.
Jedenfalls wird durch diese Antwort nach nationalsozialistischer Auffassung die Tür zu weiteren Berhandlungen nicht zu- geschlagen. Man glaubt, daß die Verhandlungen, die jetzt auf parlamentarischer Grundlage fich als unmöglich erwiesen hätten, auf der Grundlage der Bildung eines Präsidialfabinetts durchaus möglich sind und auch bald in Gang fommen dürften.
Es steht also jetzt fest, daß die Paladine ihrem Hitler nur erlauben, auch jetzt den Auftrag des Reichspräsidenten nicht dirett abzulehnen, aber doch festzustellen", daß Hindenburgs Auftrag in der erteilten Form nicht durchführbar jei.
Die Entscheidung ist also Hindenburg zugeschoben worden. Der könnte aber trog der braunen Winkelzüge durch das Antwortschreiben Hitlers sich veranlaßt sehen, festzustellen". daß Hitler die Durchführung des Auftrages für un= möglich erklärt, damit also den Auftrag ab= lehne.
Indessen sind das alles Annahmen, Vorausfegungen und Schlußfolgerungen, die jeweils Anlaß zu ernsten und noch mehr zu humoristischen Betrachtungen geben. Fest steht gegenwärtig mur das eine: der Chef der Bombenlegerbanden, der Osaf einer zu allem fähigen" brounen Landsknechtsarmee, der sich als Halbgott feiern läßt, diefer Regierungsrat von Alagges
und Küchenthals Gnaden, jizt im teuersten Hotel Berlins mit seinem Gefolge und schachert um Bedingungen, die ihm gestellt sind, feilscht um die Möglichkeiten, zur ,, Amtlichkeit" zu kommen, die ihm die Macht" bedeutet.
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,, Unterirdische Kräfte"
Das rheinische Zentrumsblatt, die Kölnische Volkszeitung", schreibt in ihrem Berliner Leitartikel zur Lage u. a.: Die Entwicklung habe sich auf einen gefährlichen Puntt zugespitzt, und das alles trotz der starken Kräfte, die
Meistersinger
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Im Kaiserhof, da hockt ein Kreis, der sich nicht mehr zu helfen weiß. Der Antwortbrief! Man krakelt seit Stunden dran, man fühlt sich doof, dieweilen vor dem Kaiserhof ,, Heil Hitler !" es spektakelt.
Dumpf hocken Straßer, Goebbels , Frick. Der Kopf wird schwer, die Tinte dick. Man prüft, man späht, man schnobert: ,, Wo bleibt nur Hitler?- Späht mal aus!". Der Osaf sitzt im Opernhaus,
wo er die Macht er ,, opert".
Doch scheint der Junker fehl am Ort. Die Meistersinger?- Geh nur fort! Was jetzt geschieht, ich wette, in der Beratung bangem Drang, gibt keinen Stoff zum Meistersang. Nein, nur zur Operette!
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Jonathan.
am Werke seien, um Hitler den Weg zur Regierung zu ebnen. Die Nationalsozialisten arbeiteten denen in die Hände, die von vornherein teine Aenderung in den Regierungsmethoden wünschten und deshalb alles daran gesetzt hätten, die Bemühungen auf Schaffung einer polfsperbundenen Regierung zu durchkreuzen. So menig die Taftit der Nationalsozialisten zu verstehen sei,
von 20 3entner Kohle, die Kommunisten beschränken sich auf nur 10 Zentner! Die Sozialdemokraten fordern schließlich je ½ Kilogramm Fleisch wöchentlich, bei den Kommunisten fehlt diese Forderung völlig. Dafür wollen sie aber den Unterstützungsempfängern großmütig 5 Zentner Kartoffeln liefern, wobei sie wohl ebenso wie die ostelbischen Junker von der Meinung ausgehen, daß den Arbeitslosen die Kartoffeln zuträglicher find als das Fleisch.
Wir nehmen an, daß die Kommunisten nur deshalb so bescheiden in ihren Forderungen für die Hilfsbedürftigen sind, weil sie in aller Eile die sozialdemokratische Konkurrenz schlagen wollten und sich deshalb über die wirklichen Bedürfnisse der Unterstüßungsempfänger nicht mehr unterrichten konnten. Oder sollten sie so realpolitisch geworden sein, daß sie die sozialdemo= kratischen Forderungen nicht mehr wie früher um 100 Proz. überbieten, sondern mit der Hälfte darunter bleiben?
müsse man doch feststellen, daß man ihnen die Aufgabe, sich vertrauensvoll an der Regierung zu beteiligen, nicht leicht gemacht habe. Das dunkle Kapitel der unterirdischen Kräfte, die mit Erfolg an der Sabotage einer Regierung der nationalen Konzentration arbeiteten, müsse noch geschrieben werden.
Die Reichstagsfraktion der Bayerischen Bolkspartei beschäftigte sich am Dienstag nach der Wiederwahl ihres bisherigen Vorfizenden Dr. Leicht mit der innenpolitischen Lage. Zwar wurden Beschlüsse nicht gefaßt, aber während der Debatte wurde immer wieder der Auffassung Ausdruck gegeben, daß man sich an einem parlamentarischen Kabinett Hitler , wenn es ernsthaft in Frage käme, nur unter starten Sicherungen beteiligen könne.
Daß ein solches Kabinett neben der Stügung durch eine parlamentarische Mehrheit auch noch besondere Vollmachten auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung erhielte, hält die Bayerische Volkspartei nicht für zulässig. Die nationalsozialistische Auffassung, daß gegebenenfalls ein reines Präsidialkabinett mit hitler als Kanzler in Frage käme, wird auch in maßgebenden Kreisen der Bayerischen Volkspartei für absurd erklärt.
Der Mordanstifter verhaftet Eigener Bericht des ,, Vormärts" Beuthen , 23. November. Wie wir erfahren, soll am Dienstag im SA. - Heim in Neiße der flüchtige Potempa- Mörder Colombet verhaftet und inzwischen in das Beuthener Gerichtsgefängnis eingeliefert worden sei. Colombek wurde in der Sondergerichtsverhandlung von den zum Tode verurteilten Nationalsozialisten als Anstifter der am 10. Auguft erfolgten Ermordung des Arbeiters Piedzucz in Potempa bezeichnet. Er gehört zu dem Mörderkreis, dem seinerzeit Adolf Hitler telegraphisch erklärte, daß ihre Freiheit seine Ehre sei. Man sieht in Oberschlesien dem zu erwartenden neuen Potempa- Prozeß mit außerordentlicher Spannung entgegen.
Der dänische Wehrminister Rasmussen, ein alter Sozialdemokrat, tritt megen Erreichung des 70. Lebensjahres zurüd und 5. P. Hansen, bisher Präsident des Folkethings, an feine Stelle.