ZWEITE BEILAGE
MITTWOCH, 8. FEBRUAR 1933
Günther ffiirkenfeld/ berliner Skizzen Sine&rau, ein Minder und ein
Der Kriegsblinde im verwitterten feldgrauen Mantel und mit dem schwarzen Streichholzkasten vor der Brust wartet geduldig am Rande des Vürgersteiges auf eine ruhige Minute, in der er den Fahrdamm überqueren kann. Doch von links � kommen immer wieder Taxen und Fuhrwerke heran. Die Wolfshündin wird unsicher— der Blinde verspürt es am Erschlaffen des Leder- bügels, den er in der linken Hand hält. Er bückt sich und beruhigt das Tier liebkosend hinter dem Ohr. Indem er sich wieder ausrichtet, fühlt er sich am Arm erfaßt und hört eine Frauenstimme sagen:„Kommense man, es geht grade." Der Blinde riecht ein billiges Parfüm und denkt, daß es ein Mädchen von der Straße sein wird, das ihn da über den Damm führt. Aber ihre Stimme klang karg und müoe Jenseits des Fahrdamms gibt die Frau den Arm des Mannes srei, streichell das silbergraue Fell der Hündin und fragt von unten aus:„Wie heißt sie denn?" Sie hieße Senta, antwortet der Blind « und deginnt, indem die Frau leise diesen Namen wiederholt, von der Klugheit und Treue seines steten Begleiters zu erzählen. Die Frau horcht auf, blickt fragend und suchend in das hagere tote Gesicht und zeigt immer größere Un- ruhe, je länger sie dieser heiseren und schwer- fälligen Stimme lauscht. Sie oerengt die Lider, um sich vorzustellen, wie dieses erloschene Gesicht mit lebendigen Augen und ohne die blau« Brille sein müßte. Zuletzt schüttelt sie den Kops und beugt sich wieder über Sentas silbergraues Fell. Eisiger Februarmorgen graupell auf ihre braun« Tuchmütze und auf den dünnen schwarzen Mantel, unter dem sich hart die Schultern abzeichnen. Regenschirm« mit Menschen darunter, die steif vor sich Hinblicken, umsegeln die stille Gruppe. Von einem bestimmten Gedanken gepeinigt, sieht die Frau reglos über die Hündin hin und fragt dann: „Wieso heißt sie eigentlich grade Senta?" Die schmerzvoll zusammengezogenen Brauen des Blinden wölben und weiten sich und in den Höhlungen der Wangen scheint ein Licht zu spielen, das von innen her durch die Haut wirken muß „Senta? So hieß meine Mutter. Daheim, in Pasewalk ", sagt er gedehnt.„Vor zwölf Jahren habe ich sie begraben. Und zehn Jahre bin ich nun schon hier." Die Frau steht wie erstarrt, mit gespaltenem Mund«, und mir einem Blick, der in Entsetzen geronnen ist. Unwillkürlich weicht sie zurück, Schritt um Schritt. Es scheint, daß sie sich vom Strom der Passanten willenlos fortschwemmen lassen möchte wie ein Treibgut vom quirlenden Gefälle eines Flusses. Doch es ist da etwas, das sie bannt und nicht losläßt: Sentas goldbraune Augen, die aus schräg gestelltem Kopfe still und stetig in die ihren blicken. Und die Frau glaubt, alles in diesem Blick zu erkennen: Bestürzung und Trauer und slehentliche Bitte, stumme Frage und ein« wachsende Verachtung. Und jetzt beginnt auch der Blinde wieder zu sprechen. Er hat also nicht wahrgenommen, daß die Frau von ihm gewichen ist. Er erzählt davon, wie gut er sich in der ersten Zeit mit den Streichhölzern und Schnür- senkeln hätte durchHelsen können und wie schwer und schlimm es jetzt geworden sei. „Ja ja", erwidert die Frau nur tonlos und nickt. Dann meint sie matt:„Aber es ist hier ein solches Gedränge. Und da» garstig« Tegraupel! Wollen wir eine Tasse Kaffee zusammen trinken? Ich bezahlt auch." „Gemacht!" ruft der Blind« freudig und er- muntert Senta, die sich forsch in den Bügel spannt und die mitunter, heiter die Rute werfend. zurückblickt, emporblickt zu der Frau, oie wieder den Arm des Mannes ergriffen hat. „Nein, nein, brauchst keine Angst zu haben! Ich laufe nun nicht mehr fort!" verspricksi die Frau mit einem schwachen Lächeln stumm in die gold- braunen Augen der Hündin hinein.„Ihre Hand bibbert ja so? Sie srieren wohl mächtig?" fragt der Blinde bedauernd.„Ja, ich friere immer gleich so," antwortet die Frau. In der morgendlich leeren Destille kuscht Senta sich schräg vor den beiden hin und folgt wachsam jeder Bewegung der Frau, wie sie zum Kellner gewandt Kaffee bestellt, wie sie jetzt, vergeblich nach Worten suchend, an ihrer Strickjacke nestelt und zupft. Manchmal scheint es so, als ob sie sich kraftlos an die Brust des blinden Mannes gleiten lassen möchte, dann wieder starrt sie wie Hilfe- suchend auf die Glastür. Sie ist ganz blaß gewor- den— der Puder klebt wie roter mehliger Staub auf der beinernen Haut. Endlich meint sie aus- seufzend:„Also zwölf Jahre sind Sie schon allein? Und nur die Hündin ist da?"—„Hm, jaja," brummt der Mann und setzt die Kaffeetasse ab— „Und... es war sonst gar niemand da. der sich um Sie hätte kümmern können?" „Nee. Niemond.— Nasa, früher war ja mal jemand da, der es gut hätte tun können." Die Stimme des Blinden warb von Bitterkeit immer enger:„Aber Schwamm drüber. Will davon nichts mehr wissen. Auf die Menschen ist kein Ver- laß. Und auf die Weiber schon gar nicht. Soviel kann ich Ihnen nur sagen. Nichls für ungut. Si« scheinen ja das Herz auf dem rechten Fleck zu haben.— Aber sonst? Nur so eine Mutter, die bleibt einem treu. Was, Senta?''
Die Frau reißt an ihren Fingern, nagt das aufgeschminkte Rot von den Lippen und blickt wieder so auf die Glastür, als ob sie auf und davonlaufen wollte Aber-da sitzt der Hund, ein aufmerksamer, starker, unerbittlicher Wächter. Sie senkt den Kopf und fragt stockend:„Verheiratet waren Sie also nicht? Oder...?" '„Nee, aber versprochen sozusagen," preßt der Blind « durch die Lippen und trinkt mit hastigen Schlucken. Sein Gesicht wird von fiebriger Röte gefleckt.„Ilse hieß die Kanaille. Ilse Bauer. jawoll. Das war während des Krieges. Zuerst schrieb sie mir noch und schickte Liebesgaben. Zu- letzt zu Weihnachten sechzehn. Fußlappen waren in dem Paket und Zigarren und eine Flasche Kognak. Das weiß ich noch ganz genau. Dann hörte ich nichts mehr Und dann ging ich ver- schütt. Granatsplitter in den Schädel. Erst am nächsten Tage fanden sie mich. Zehn Monate und mehr Hab ich in Lazaretten herumgelegen. Man hatte mich aufgegeben. Dann kam ich aber doch durch, nur die Augen waren nicht zu retten gewesen. Und damit hatten sie wohl nicht ge- rechnet, daß ich noch mal ins Leben zurückkehren würde— am wenigsten wohl die Ilse. Denn wie ich endlich heimkam nach Pasewalk , da war sie getürmt. Mit Rothes Franz. Den soll sie vann ja auch gereiratet haben." Die Frau wird gewürgt von ersticktem Schluch- zen. Jeden Augenblick droht sie in sich zusammen- zubrechen. Der Hund bohrt seine spitze Wolfs- schnauze immer hartnäckiger in das Antlitz der Wimmernden und schlägt mit der Rute unruhvoll oie ausgetretenen Dielen. „Tjaja," lacht der Blinde so schneidend auf. als wüte er mit einem Messer gegen sich.„Meine gute Mutter versuchte ja alles, mich zu trösten. Aber da war nichts zu trösten. Sie hat wohl wirklich nicht mehr geglaubt, daß du noch wieder- kommen könntest, sagte Mutter immer. Und ou mußt das auch mol von ihr aus betrachten, meinte Mutter. Sie war doch jung und recht hübsch, die Ilse. Und der Franz hat ihr wohl Tag und Nacht keine Ruhe mehr gelassen." Die Frau nickt so mechanisch wie eine Glieder- puppe, preßt oie Hände aus dem Herzen überein- ander und starrt, aus einem gänzlich entstellten Gesicht, so auf den Mann wie ein reumütiger Der- brechen, der endlich sein Geständnis ablegt, auf seinen Richter. Mit gewallsamer Beherrschung
fragt sie:„Und Sie haben nicht gehofft, die Ilse hier in Berlin einmal zu treffen?" Der Körper des Blinden fährt empor, seine Züge verzerren sich.„Nein, und dreimal nein!" brüllt er unoermittelt, schlägt dazu mit den Fäu- sten auf oen Tisch, springt auf— der Stuhl kracht hinter ihm zu Boden— schleudert die Arme und schreit, aus einem erschreckend weißen Gesicht, durch die leere Destille:„Aber verflucht Hab ich sie, Tag für Tag verflucht Hab ich sie! Dieses Saustück! Zufchanden soll sie geh'n, in Dreck und Elend ver- kommen soll sie! Dieses Saustück!" Die Hündin ist gleichzeitig mit ihrem Herrn aufgesprungen und kläfft, drohend vorgespannt, mit zornigem Gebell die Frau an, die, ganz in sich gebückt, die Hände gegen die Ohren preßt und wimmert und stammelt. . Der Wirt eilt herzu, stellt den Stuhl auf und drückt den atemlos keuchenden Mann aus den Sitz nieder. Der Blinde röchelt, lallt Unperständliches, läßt dabei den Kopf kraftlos baumeln und be- ginnt dann zu weinen, krampfig und lautlos. Die Frau tastet durch sein dünnes Haar und über die dicken Narben. Mit der anderen Hand streicht sie am Arm des Mannes auf und nieder. Ihre Tränen versiegen, die Augen gewinnen lang- sam wieder Glanz und die Züge lösen sich völlig in Mütterlichkeit. Und so auch spricht sie— wie eine Mutter, die ihrem Kinde etwas zum Ein- schläfern erzählt:„Sicherlich ist die Frau sehr gestraft worden, die Ihnen so Schlimmes antat. Solch ein Verbrechen an einem Menschen, der immer nur lieb und treu war, bleibt nicht unge- rächt. Ganz gewiß nicht. Denken Sie nur mal: vielleicht ist ihr Mann gestorben, vielleicht ist er auch arbeitslos geworden oder«in Trinker Mög- lich auch, daß er sie mitsamt ihren Kindern hat sitzen lassen. Nicht wahr? Wie soll sie die nun großfüttern und zu anständigen Menschen machen? Zuerst wird sie vielleicht noch diese und jen« Arbeit gefunden haben. Aber Sie wissen ja selbst, wie es heute damit ist. Da hat sie zuletzt vielleicht sogar auf die Straße gehen müssen, nicht? Eine Mutter ist ja zu vielem fähig, wenn sie ihre Kleinen hungern und ver- kommen sieht. Nun stellen Sie sich das mal richtig vor: daß die Ilse sich oerkaufen muß um des täglichen Brotes willen. Und jung ist sie auch nicht mehr und etwas auch noch krank. Da wäre sie doch wohl hart genug gestraft, damit könnten
Die Slimme der Welt Gang durch die Xauibibliolhek /Ton ffiichard Junge
In dem mächtigen Gebäude Unter den Linden , das die Preußische Staaksbibliothet beherbergt, be- findet sich in einem Sestenslügel, nicht mehr als ein paar bescheidene, fast unansehnlich« Räume umfassend, eine in der Welt einzig dastehende Ein- richtung: die Lautabteilung, die früher der Preußi- schen Staatsbibliothek angeschlossen war und seit geraumer Zeit als selbständiges Institut existiert. Die Unterbringung der Lautabteilung innerhalb der Staatsbibliothek entspringt nicht irgendeinem Zufall, sondern der Tatsache, daß man es hier ebenfalls mit einer Bibliothek, wenn auch be- sonderer Art, zu tun hat. Die Lautabtellung stellt gewissermaßen eine sprechende Bibliothek dar, die heute bereits einen Bestand von über 9000 Kupfermatrizen in ihrem Archiv nachweisen kann. Allerdings kann man diese Bibliochek nicht in der Weis« benutzen, wie es nebenan im Lese- saal der Staatsbibliothek geschieht, indem man sich den gewünschten Band geben läßt und nun in ge- mächlicher Ruhe studiert. In der sprechenden Bibliothek liest man nicht, sondern man hört. Kleine Ursachen-- Als der Schöpfer und Lecker der Lautabteilung, Professor Wilhelm D o e g e n, als junger Stu- dent in Oxford die Unzulänglichkeit der Lautschrift bei seinen Sprachstudien immer wieder empfand und darüber grübelte, wie diese tote Lautschrift zum Leben erweckt werden könne, dachte er gewiß nicht im geringsten daran, in welcher Weise sich diese Ideen weiter entwickeln würden. Er be- schäftigte sich intensiv mit der Sprechapparat«- technik, stellt- selbst eine Membrane her. und un- beirrt durch die Zurückhaltung der Fachkreise und sogar Ablehnung seiner Versuche fuhr er fort, den damals noch verhältnismäßig wenig entwickelten Phonographen und die Schallplatte für die Sprach- Wissenschaft und für den Sprachunterricht auszu- werten 1912 konnte Doegen seinen ersten größeren Erfolg in der Oessentlichkeit buchen: der D o e g e n» Lautapparat wird auf der Weckausstellung in Brüssel gezeigt. Doegen selbst häck dort Vor- träge und gibt Sprachunterricht unter Zuhilse- nahm« seines Apparates.-
Sie sich nun wohl zufriedengeben und brauchten ihr nicht länger zu fluchen, was?" Der Blinde nickt und nickt und kratzt verlegen auf der Tischplacke herum. Dann bohrt er sein Gesicht in die Richtung, daher jene sanfte und so gewisse Stimme kam und fragt, woher die Frau denn dies alles wisse und ob sie etwa die Ilse kenne.„Aber nicht doch!", bestreitet die Frau und zeigt zum ersten Male den Anflug eines schelmischen Lächelns. Nein, sie hätte sich nur ausgemack, auf welch« Weise etwa die Ilse vom Schicksal oder vom Herrgott, wie man nun wolle, gezüchtigt worden sei. Denn daran, daß sie ge- züchtigt worden sei, wäre doch wohl nicht mehr zu zweifeln, wie?" „Nein, das haben Sie mir so glaubhast gemacht. daran kann wohl kein Zweifel mehr sein", gibt der Blinde zu, und fährt nach einer Weile fort: „Nein, nein. Mag sie nun auch ihre Ruh« haben, die Ilse. Ich will sie nicht länger mit meinem Fluch verfolgen. Sie wird schwer genug gebüßt haben. Der Franz war kein Guter. Schön und verführerisch, aber ein Rohling. Die Hölle wird sie bei ihm gehabt haben.— Ja, wenn ich's so richtig überlege, dann glaub ich beinah, daß ich gar nicht so lostoben würde, wie ich's immer oorhaUe, wenn ich die Ilse jetzt mal treffen täte. Nee, ich würde mich wohl sogar ein bißchen fteuen. Schließlich haben wir uns doch damals all di« Jahre so gern gehabt und haben schon dieselbe Schulbank zusammen gedrückt und manchen dum- men Streich mitsammen ausgefressen. Und viel- leicht hatte meine gut« Mucker doch Recht, wenn sie ihr immer so das Wort redet«. Mein Gott ja, sie war eben jung und bildschön, die Ilse. Da wollte sie eben auch was haben von ihrer Jugend, nicht? Und der Franz wußte, wie man die Mädchen nehmen muß.— Na, und wenn sie nun auch genau gewußt hätte, daß ich mit dem Leben davonkomme, na, was für einen Kerl hätte sie denn dann gekriegt? Blind, mit kaputten Nerven und zu keiner Arbeit mehr fähig. Sehn Sie mal, das Hab ich mir bis heute noch gar nicht so richtig klargemacht. Das war doch eigentlich'ne Gemein- Heck von mir. daß ich solch einem Mädel wie der Ilse noch die Ehe mit solch einem Dreck, wie ich bin, zugemutet Hab«, nicht?— Na, nu ist's gut... nu ist's ja zu allem zu spät." Die Frau wehrt den Tränen nicht mehr. Im steckgen, glitzernden Strom rinnen sie über ihr Gesicht. Sie erfaßt des Mannes Hände, lehnt ihr« Stirn in seine Schüller und flüstert im Ton einer längst verschollenen Zeck:„Karli! Du!... Zu gar nichts ist«s zu spät!" Und Senta streift knurrend und scheeläugig um das Paar herum, das sich so still umschlungen hält. Si« ist eiser- süchtig.
Die Lautbibliothek. Die größte Entwicklung im Aufbau der«igent- lichen Lautbibliothek geht nun im Kriege vor sich. Man muß es geradezu als paradox bezeichnen, daß ein Werk, das berufen scheint, der Völker- Verständigung zu dienen, in einer Zeit ungeheuren Völtermordens sem«n größten Auftrieb erhält. Aber gerade die große Zahl der Kriegsge- f a n g e n e n, die sich während des Krieges in Deutschland befanden, und unter denen fast alle Völker der Erde vertreten waren— Doegen er- zähck, daß allein 87 verschiedene Neger- t r u p p e n darunter gewesen sind—, gaben eine nie wiederkehrende Gelegenheit, Aufnahmen von Sprache. Gesang und Musik aller dieser Völker- stamm« zu machen. Diesem Umstand ist es schließlich zu verdanken, daß sich das Lautarchio im Besitz einer einzigartigen Sammlung von Schallplatten befindet, in der Sprache und Musik von etwa 220 Völkern enthalten ist. Da hört man englische Soldaten ihr„Ir's a long way to Tipperary" singen, eine Negertrommel aus dem Innern Afrikas läßt ihre Signale ertönen, ein jiddisches Sabbatlied klingt auf. Außer den«uro- päischen Sprachen mit vielen Dialekten— eine ganze Anzahl deutsche Dialekte, romanische und besonders viel englische Mundarten— findet man unter anderem im Katalog verzeichnet: acht indische Dialekte, fünf Himalajasprachen, Semitisch, Ha- mitisch, auf dem Bantugebiet die Kibera Trommel- spräche und verschiedene Komorendialekt«, 22 Su- dansprachen und noch sechs unbestimmte Sudan - sprachen außerdem. Auch die Siouxindianer und die Zigeuner sind oercketen. Schon an diesen Beispielen sieht man, wie un- geheuer wichtig die Arbeit ist, die hier in der Lautabtellung geleistet wird. Das Archiv ist eine Fundgrube für den Sprachwissenschaft» l e r, und die Schallplatten sind nicht nur be- deutungsvoll in Hinblick auf den Sprachunterricht, sondern vor allem für die Sprachforschung und vergleichende Sprachwissenschaft. Denn es sind Aufnahmen darunter, die von aussterbenden Stämmen herrühren, deren Sprache in nicht allzu- langer Zeit nur noch auf der Platte zu hören sein wird, oder es sind Sprachen, di« noch wenig erforscht sind, etwa die der Basken, deren Sprache zu den ältesten Europas gehört.
„Sie sehen und hören—" Interessant ist, daß man sich bei der Ausnahme nicht allein auf die Sprache beschränkt, sondern die Menschen, die man sprechen hört, gleich- zeitig im Bild vorgestellt bekommt. Bei der Vorführung sieht man zunächst ein Bild des Sprechers, und dann erscheint auf der Leinwand der Text des Gesprochenen in Urschrift und deut- scher Uebersetzung. Friedrich Ebert spricht Neben diesen vor allem der Sprachwissenschaft und Sprachlehre dienenden Arbeiten erfüllt die Lautabteilung noch eine andere große kulturelle Aufgabe: das ist die Stimmensammlung be- kannter Persönlichkeiten. Die Stimmen führender Menschen auf allen Gebieten der Kunst, Wissen- schast, Politik werden festgehalten und der Nach- weit in der getreuesten Form überliefert. Da sprich' der große indische Dichter R a b i n d r a- nath Tagore der jetzige englische Premier-' minister Macdonald, sein Landsmann, der soeben verstorbene Dichter Galsworthy , der Naturwissenschaftler Ernst Haeckel , der Forscher Sven Hedin , Hindenburg hält seine Ansprache nach der Schlacht bei Tannenberg: da sind die verflossenen Größen des Kaiserreiches, neben Wilhelm dem Ausreißer sprechen B ü- low, Bethmann-Hollweg , Tirpitz: eine versunkene Welt steigt auf, vorbei—. Doch dann hört man die Vertreter eines neuen Deutsch- land, die Repräsentanten des Volkes; man erlebt noch einmal den Augenblick, in dem ein ganzes Volk aufatmete: Scheidemann ruft die Re- publik aus.(Diese Lautausnahme wurde selbst» verständlich erst nachträglich gemacht.) Die Cr- innerung an einen Mann wird wach, der in schwerster Zeit auf verantwortlichem Posten ge- standen hat, wenn man die ruhige Stimme des ersten Präsidenten der deutschen Republik hört. Es ist F r t e d ri ch Eberls berühmt gewordene Rede vor der Weimarer Nationalversammlung , nachdem er zum Reichspräsidenten gewählt wurde. Ein menschlich und historisch bedeutsames Doku- ment, und es klingt gerade heute wieder außer- ordentlich zeitgemäß, wenn man diese Sätze aus seinem Treugelöbnis hört:„Freiheit und Recht sind Zwillingsschwestern, die Freiheit kann sich nur in fester staatlicher Ordnung gestalten. Sie zu schützen und wiederherzustellen, wo sie ange- tastet wird, das ist das erste Gebot derer, die die. Freiheit lieben. Jede Gewaltherrschaft, von wem sie auch komme, werden wir bekämpfen bis zum äußersten."