BEILAGE
Es gab keinen Schutz vor dem kalten Südwind. der über das kahle Veld und quer durch unsere offenen Autos fegte. Wir hatten die dicken Decken bis an den Hals heraufgezogen und wollene Schals um unsere Ohren geschlungen. „Fühlen Sie sich nicht ganz wie zu Hause?" fragte ein Afrikaner neben mir mit boshaftem Lächeln. „Danke," antwortete ich und bildete mir ein, daß es in Deutschland doch noch wärmer wäre, als an diesem Wintermorgen im südlichen Afrika . Mit Kl) Meilen Geschwindigkeit rasten die Wagen durch das öde Hochoeld bei W i t b a n k. Und doch schien es, als ob wir nicht von der Stelle kämen. Nach Stunden noch immer dieselbe Umgebung. Kein Baum, kein Strauch. Kahles, winterdürres Veld. Hier und da schwarz von einem Steppen- brand. Langgezogene Täler und Berge, die un- merklich aus ihnen hervorwuchsen, bis sie am Hori- zont in das wunderliche Blau des weiten asrika- nischen Himmels tauchten. Middelburg , Belfa st, Machadadorp. Meilen und Meilen immer dasselbe. In der Nacht knatterte die Leinwand unserer Zelte. Wir konnten nicht schlafen vor Kälte. „Wissen Sie, Doktor, stöhnte mein Nachbar jetzt in tiefem Ernst: Deutschland mag ja sehr schön und interessant sein, aber ein halbes Jahr lang solche Kälte?!— Ich habe schon von einer Nacht genug." Am Stande des SCodtreldes Am nächsten Morgen hielten wir früh am Rande des Hochveldes. Wie ein unübersehbarer Strom lag das Tiefland vor uns. Undeutlich wie ferne Dunstwolken blauten die L e b o m b o- Berge vom jenseitigen User herüber. Und mitten in dem breiten Strom schwammen die niedrigen Hügel vom Bushbuck-Ridge. Jenseits des breiten Urwaldgürtels, der sich zu unseren Füßen in sanfter Biegung dem Steilsturz des Hochlandes entgegenwarf, waren keine Einzelheiten mehr zu erkennen. Ei» warmer Wind grüßte aus dem sonnenfrohen Tal herauf und mit jeder Minute, die wir ihm näher kamen, nahm die Wärme zu. Diese Nacht am K a v y n' s Paß war wie ein warmes Bad nach einem langen Marsch durch Schnee und Eis. Viele Meilen führte unser Weg nun an dem gewaltigen Drakensbergmassiv entlang. Wie die mächtige Burg urweltlicher Riesen wuchte- ten die Bergmassen aus der ungestörten Ruhe der Täler. Wohlabgezirkelte Bergbastionen schoben uns ihre Schuttkegel in gleichmäßigen Abständen ent- gegen. Aber unser einsamer Weg zog sich wie eine sorgfältig geebnete Autostraße ungestört durch die Wildnis. Erst die Berge des Bushbuck- R i d g e zwangen ihn für kurze Zeit in die Höhe. Dunkelslockig von dichten Buschmassen, weglos und tot lag nun das fast IVO Kilometer breite Tal um uns. Lockend durch seine geheimnisvolle Weite und dem hellen Sonnenglanz, der darüber lag. Irgend jemand fing von den ersten Prospek- toren zu erzählen an, die nur mit einem alten Hinterlader bewaffnet das unbekannte Land nach Mineralien und Gold durchsuchten. Wir sahen im hohen Elefantengras, den Blick an der fernen Ebene festgesogen, und wanderten mit dem Erzähler durch die unerforschten Gebiete vor uns. Kämpften mit Eingeborenen und Leo- parden und wanderten, wanderten, wanderten. Es gab kein morgen und kein übermorgen. Wir lebten. Wunschlos, glücklich und kämpfend.— Wie wir die alten Prospektoren um ihr hartes Leben beneideten! Hinter uns warteten die Auws und in 14 Tagen mußten wir wieder in der Stadt bei der Arbeit sein. Also: Tempo. 9m Aeferraf Rabalias, der Eingang zum Reservat und die Gewehrkontrclle lag hinter uns. Wir fuhren durch dichten und hohen Busch auf S a t a r a zu.— Wir fuhren durch Märchenland. Große Herden blauer Wildebeeste und Zebras weideten unbe- kümmert auf beiden Seiten des Weges. Kaum hoben sie neugierig die Köpfe. Waren sie nahe am Wege, so bogen sie in schlankem Galopp ab. Unwillig warfen sie im Lauf die Köpfe zurück. Impalaböcke mit elegant geschwungenen Hörnern stolzierten elegant um ihre graziösen Familien, kämpften spielerisch»m ihre Frauen und schnellten in plötzlichen Sprüngen davon. Jmpalas! Zu Tausenden sind wir ihnen be- gegnet in diesen Tagen. Aber wir haben uns nie an ihnen satt gesehen. Die schmalen Glieder, die Feinheit der Zeichnung, das tiefe Rotbraun ihrer Rllckendecke, die zierliche Form ihres Kopfes, die Weichheit ihrer großen Ohren. Ich wüßte nicht, was man mehr an ihnen bewundern sollte. Dann sahen wir Säbelantilopen in der Ferne weiden. Mächtige Gemsböcke mit gefähr- lichem, säbelförmig gebogenem, starkem Gehörn. Herden erregter Paviane stoben kreischend und mit possierlichen Sprüngen den nächsten Bäumen zu. Ungemein gravitätisch und in vollem Bewußt- sein chrer Wichtigkeit beobachten uns häßliche Du schsch weine. Hinter Satara auf dem Weg nach Tschok»
w a n e sahen wir die ersten K u d u s. Wahrhaft königliche Tiere mit majestätisch aufgewirbeltem Geweih. Im gewaltigen Sprung setzten sie über unseren Weg. Wasserböcke. Roananti- l o p e n, E l a n d, T s e s s e b e. Es ist beinahe unmöglich, alles aufzuzählen, was wir bereits in den ersten Stunden zu sehen bekamen. Begegnung mit JCönen Wir glühten vor Erregung und der Kopf schmerzte. Aber Löwen. — Wir wollten Löwen sehen.— Zeichen vom vorfahrenden Auto: Vor- ficht! Langsam nachkommen! Löwen!— Und dann sauste mit in der Luft wirbelnder Schwanz- quaste ein Buschschwein davon. Langsam senkte sich die Dämmerung herab. Aber noch war alles deutlich zu erkennen. Wir hatten unsere Freunde im zweiten Wagen etwas hinter uns gelassen. Eile tat not. Wir mußten vor Dunkelheit im Kamp sein. Alles blickte der schnellen Fahrt wegen nach vorn. Plötzlich quietschten die Bremsen. Der Wagen hielt. Seillich vor uns, frei auf einer niedrigen und buschfreien Erhöhung stand unbeweglich eine Löwin und fixierte unseren nur zehn Schritte entfernten Wagen. Auch wir starrten wortlos aufwärts. Der Motor surrte leise. Erregte Worte wurden flüsternd ausgestoßen:„Herrliches Tier! Brutal! Welche Kraft!" Die Löwin blickte horchend in die Richtung, in der der zweite Wagen kommen mußte. Dann trabte sie gleichmütig in das Dickicht. Es wurde schnell dunkel. Unsere Lichter geisterten über den Weg. Rechts und links drohte schwarzer Busch. Der Pfad schien ins Endlose zu führen. Wir mußten längst im Kamp sein. Ob wir uns verfahren hatten?— Plötzlich ein großes phosphoreszierendes Auge vor uns.— Verlangsamte Fahrt. Eine Gestalt ließ sich aus dem dunklen Hintergrund nicht erkennen. Also langsam auf das Auge los. Eine kleine Nachtschwalbe flatterte erschreckt davon. „Damned."
Peterchen, der Page der Papageien-Bar, ist der Liebling aller Gäste. Sie lächeln wohlwollend über den kleinen Burschen mit dem sauber ge- scheitelten Haar und den schalkhaften Augen— und alle hetzen sie ihn nach Bequemen. Niemand verspürt in der kreiselnden Ausgelassenheit, wie feucht die kindliche Hand ist, die das Trinkgeld empfängt und wie blaß und hohl das Gesicht. In den wenigen Minuten der Ruhe flüchtet Peterchen zu dem Zigarettenmädchen Lolli in die Garderobe und drückt sich schlafsüchtig in eine Ecke. Aber die Lider öffnen sich bald wieder von Ueber- müdung. Lolli bereitet Kaffee in ihrem elek- irischen Kocher. Der Junge liebt das sanfte dunkle Mädchen mit der ganzen Hingabe und Bewunde- rung des Kindes, das früh mutterlos wurde und das von niemand sonst gegen die Herzlosigkeiten des Lebens in Schutz genommen wird. Und er sehnt den Augenblick herbei, in dem er sich seiner- seits als ihr ritterlicher Beschützer zeigen darf. Seine Knabenphantasie beschwört die schrecklichsten Gefahren, aus denen man Lolli klug und kühn be- freien kann. Und wenn man auch reichlich viel Prügel dabei bezieht, ja oft sogar angeschossen wird, so finden doch alle diese erträumten Händel ihr gutes Ende. Kurz vor Schluß der Bar kommt Willi, der Freund des Zigarettenmädchens. Er malt in einem ungeheizten Atelier Bild um Bild und träumt sich mit Lolli aus der Not der Gegenwart in eine großartige gemeinsame Zukunft. Er ist der einzige, auf den Peterchen nicht eifersüchtig ist, der einzige, der von ihm aus mit seiner Lolli glücklich werden darf". Ja, Peterchen ist der kleine Gönner der Liebenden. Immer hat er für Willi einige Zigaretten und Gebäck stiebitz. Und Lolli läßt er niemals ohne eine Rose fortgehen, die er von einem der Tische gemaust hat. Bleibt Willi aus, so ge- leitet Peterchen das Mädchen heim— mag der jeweilige Verehrer aus der Bar, der das Zigarettenmädchen„unbedingt noch sprechen muß", auch noch soviel mit den Augen zwinkern und den Pagen mit einem anständigen Trinkgeld abzufinden bemüht sein. Bestellt der unabweisliche Verehrer einen Wagen, so hockt Peterchen auch schon, schmupvs! auf dem Rücksitz. Und Lolli erklärt mit gut gesnieltem Unwillen:„Ach ja, das ist mein kleiner Bruder. Den müssen wir schon mitnehmen." Dann grinst Peterchen in die Finsternis, dieweil der Herr die Handschuhe zwischen die Knie hängt und erbost zum Fenster hinausblickt. Später zottelt Peterchen heim durch die rauhe Winternacht— die Fäuste in die Taschen des viel zu kurzen Mantels aebohrt und qreisenhaft vor sich hinnickend. Um sieben rasselt schon wieder der Wecker Dann muß für das kleine Brüderchen die Milch besorgt werden und für Vater der Kaffee. Und um acht ist es höchste Zeit, zur Schule zu
Wieder surrte der Motor und wieder muhten wir verlangsamen. Ein Jmpalabock starrte regungslos in die Richtung, in der wir fuhren. Das Kreischen der Bremsen lieh ihn herumfahren. Er blickte direkt in unsere Lampen. Verstört gab er den Weg frei. Sobald er aus unserem Lichtkegel heraus war, erfaßte er die Situation und mit einem Satz verschwand er im dunklen Busch. Wir wurden immer unsicherer. Waren wir aus dem rechten Weg? Der Pfad senkte sich. Wir fuhren durch eine Schlucht und hielten vor einem breiten Strom. Das jenseitige Ufer war nicht zu sehen. Baumstämme lagen, lose mit Draht zu- sammengehalten, im Wasser. Wir mußten es ver- suchen. Der Wagen versank bis über die Achsen. Langsam und rüttelnd ging es vorwärts. Dunkel tauchte das jenseitige Ufer auf. Wieder eine tiefe Schlucht. Dann sahen wir Lichter und hörten Stimmen. Wir waren am Reserve-Kamp. Auf primi- tiver Fähre wurden wir über den Sabi-Fluß ge- zogen. An den offenen Feuern vor unseren stroh- gedeckten Hütten sahen wir beisammen und hörten fern das Brüllen der Löwen . In der Nacht— die Tür der Hütte stand offen— klang es nah und drohend. Ua— uff— uff— uff. Die Luft schien zu dröhnen und die Erde zu zittern. * Früh am Morgen— wir hatten das Kamp kaum hinter uns— tauchte ein Gepard aus dem Dunst vor uns auf, kam im weichen Lauf bis an unseren Wagen und bog erschreckt und mit katzen- hafter Bewegung ins Dickicht zurück. Ein Morgen- spuk. Ein andermal streiften wir die Wasser- Plätze des Sabi-Flusses ergebnislos ab. Enttäuscht bogen wir nach Tschokwane ab, um über Satara den Elefantenfluß zu erreichen.— Die Sonne stand schon hoch.
laufen. Wenn die Schulglocke zum dritten Male klirrt, ist der atemlos rennende Junge zumeist erst an der Ecke Greifswalder Straße. In der Rechen- stunde spätestens übermannt ihn die bleierne Müdigkeit. Rektor Siebert hat den Jungen schon zweimal wegen seiner steten Schläfrigkeit väterlich zur Rede gestellt. Und einen Brief hat der Rektor an Vater geschrieben. Peterchen hat den Brief ab- gefangen und vernichtet. Es hätte nur Prügel ge- fetzt— nichts sonst. Die Nachbarsfrau wollte ein- mal für den mutterlosen Jungen ein gutes Wort einlegen und hielt dem Vater vor, daß Nachtdienst für Schulkinder doch verboten sei.„So? Aber zu verrecken ist nicht verboten? Was?" Das war Vaters Antwort.— Peterchen ist von Müdigkeit oft so krank und matt, daß er sich sehnlich den Tod wünscht. Nur der Gedanken an Lolli, auf die er acht geben muß, ist es, was ihn immer von neuem antreibt und aufrüttelt. Dann kam jene Nacht— der Neumond hing wie ein krummes Messer über allen Köpfen und der Nordsturm wütete gegen die starren Häuser- fronten. Zornig prellte er die Mäntel und Pelze in der Garderobe der„Papageien-Bar", als Herr Czeczeny die Tür von draußen aufriß und dem Pagen wie einem Börsenfreunde die Hand drückte. Dann stülpte er dem Peterchen seinen Zylinder über und schlug mit den Handschuhen den Takt des Tanzes darauf, den man drinnen spielte. Ja, er war schon wieder reichlich in Stimmung, der allgewaltige Herr Czeczeny, Diktator über Gummi und Kokosfette— man sah es an seinem see- kranken Schritt, mit dem er jetzt, von der Kapelle durch einen Tusch begrüßt, die Bar durchquerte, Czeczeny dankte mit einem braunen Schein. Dem Zigarettenmädchen Lolli war er bereit, noch sehr viel mehr zu schenken.„Da nimm Brief- tasche ganzes, schwarzes Luderchen du!" rief er asthmatisch und zerrte an dem Zigarettenkasten, der ihn zu stören schien, wie ein ungezogener Junge. Dies begab sich gegen halb drei in einem leeren Zimmer am hinteren Korridor. Lolli wehrte sich kaum noch. Sie liebte ihren Willi. Schon recht. Aber Willi hungerte und fror und jetzt war er auch noch krank. Und hier lag Geld, viel Geld— genug, um Willi für einige Monate zu retten und um auch noch für Peterchen einen Wintermantel zu kaufen. Ja, Peterchen! Wenn er doch nur da wäre! Dann wäre ja alles mit einem Male entschieden! Aber jetzt läßt auch er mich im Stich, der kleinen Prahlhanz! Peterchen hockt in der Garderobe, fährt empor aus einem kurzen Nickerchen und horcht auf. Nirgends ist Lollis weiche Stimme zu hören: „Zigarren, Zigaretten, Schokoladen, Konfitüren." Geschmeidig windet er sich durch die tanzenden Paare. Im Hinteren Korridor steht Luise, die
SONNABEND, 11. FEBRUAR 1933
Da bewegte sich etwas weit vor uns auf dem Weg. Wir fuhren vorsichtig näher. Löwen. Ein zerrissenes Wildebeest lag mitten aus dem Weg. Wir kamen langsam näher. Rechts und links von uns Schakale, 2, 3, 10, nein 30, 40. Wir waren mitten in einem Ring von diesen kleinen, pfiffigen Füchsen, die gierig auf den Rest der Mahlzeit warteten. Die Löwen hörten unsere Motore und erhoben sich widerwillig. Sie starrten uns böse an. Ent- schlössen sich, zu gehen: kamen wieder: zögerten und trollten sich schließlich doch. Der eine links, zwei rechts vom Weg. Wie auf ein Kommando stürzten sich jetzt die Schakale auf das Aas, um ebenso schnell wieder auseinanderzustieben. Für einen Augenblick hatte der Hunger die Angst vor dem fremden Autotier überwunden. Nun lauerten sie wieder hinter niederem Gebüsch. Kamen einzeln hervor. Zerrten hastig an den Flanken des Gnus, sicherten, zerrten wieder, suchten Deckung, zerrten wieder, bis sie ihre blutige Beute im Maul davontragen konnten. „Wir müssen Aufnahmen von den Löwen machen," begeisterte sich meine Frau und bereitete erregt die Kamera vor. An den flüchten- den Schakalen und dem völlig zerrissenen Aas vor- bei, hielten wir auf den ersten Löwen zu, der uns mit gesenktem Kopf finster anstarrte Borsichtig wurde die Kamera aus dem Fenster geschoben. Der Finger suchte den Auslöser. „Rechts hinter uns liegen die beiden anderen Löwen, " stellte einer sachlich fest. Erschrocken fuhr meine Frau zurück, stieß mit der Hand gegen die Fensterrahmung und ihre Kamera rollte auf den Weg. Ohne sich zu besinnen, sprang unser afrikanischer Freund aus dem Wagen, packte die Kamera und war wieder bei uns. Die Löwen hatten sich im Sprung zurückgeworfen und flohen. ★ Tagelang noch ging's durch dichten Dornbusch, freie Steppe, phantastische Haine giftgrüner Fieberbäume, Wälder, herbstbunter M o p a n i s und winterdürrer S y r i n g e n. Mehr als hundert trockene Flußläufe wurden durchquert, deren sandige und felsige Betten von niedrigem Palm- dickicht umsäumt waren. Immer wechselte die Landschaft und immer sahen wir Wild, Löwen , Giraffen, Antilopen, bis wir hinter Letaba das Reservat wieder verließen.
Toilettenfrau, Sie führt den. Zeigefinger vor den Mund und deutet mit dem Graukops— die Lippen darin sind auf häßliche Weise verkniffen— gegen das leere Zimmer. Der Junge erbleicht, reißk die Tür auf. schnellt an Czeczeny hoch und schlägt ihm mit der Wucht des im Sprunge sich werfenden Körpers die Hand ins Gesicht. Einmal, zweimal, noch einmal. Czeczeny lacht. Die Hängebacken, das Doppelkinn, die Bauchtrommel, alles das hüpft nur so von Gelächter. Gemächlich packt er den roten Kragen des kleinen Pagen, der da drohend wie ein Weltenrichter zu ihm aufblickt, brummelt gemütlich„Ganz dummes Kind, du!" und trägt, das Zigarettenmädchen mit einem sanften Stoß zurückweisend, den reglos hängenden Jungen in das Direktionszimmer zu Herrn Oelke. Mit würdiger Gelasienhett spricht Czeczeny nur wenige Worte, Herr Oelke beschränkt sich in Gegen- wart des hochnotierten Stammgastes gleichfalls auf das Notwendigste und Peterchen oerharrt in schweigender Verachtung. Er weiß: jetzt ist alle- vorbei! Herr Oelke jagt mich fort und Vater darf ich ohne Stellung nicht vor die Augen kommen. Und freudevoll denkt der Junge: nun werde ich endlich Ruhe haben!— Das Zigarettenmädchen Lolli, die sich in das Direktionszimmer gedrängt hat, ist die einzige, die sich zu einem überzähligen Wort hinreißen läßt. Herr Oelke bedeutet ihr, daß niemand sie daran hindere, mit ihrem Liebling ihrer Wege zu gehen. Und Peterchens Blick fleht sie an: sei still, Lolli! Denk du an Willi! Untröstlich schaut sie den Jungen nach, der da, die Fäuste in die Tachen des viel zu kurzen Mantels gebohrt und barhaupt— die Pagenkappe blieb ja im Schrank des Herrn Oelke— in die brausende Winternacht hinübergeht. Finster ist es und entfesselter heult der Sturm. Er stößt in den Rücken des Jungen wie in ein schlaffes Segel. Fort! Nur weit fort! denkt Peterchen unaufhörlich. Ach, wenn ich doch schon irgendwo hinfiele und nie wieder ausstehen müßte, nie mehr vom Wecker aus dem Schlaf geschreckt würde! Nun rennt Peterchen mit dem Nordsturm um die Wette... ist schneller als er... und rennt atemlos weiter und weiter, als hörte er die Schul- glocke zum dritten Male klirren und ist doch erst an der Ecke Greifswalder Straße.— Dann hält er inne, keucht:„Muttchen, Muttchen!" streckt die Arme ins Leere und läßt die Füße nur noch über- einanderfallen. Schritt um Schritt. Irgendwo muß sie doch stehen, die Mutter, und aus ihn warten. Und:„Mein Schnuckelchen!" wird sie dann sagen. So sprach sie immer des Abends, wenn sie an seine Schlafkiste trat und das Bett zurechtklopfte und leicht die Hand durch sein Haar gleiten ließ: „Schnuckelchen, mein Schnuckelchen— nu schlaf du man, hörst du?" Zwei Tage später fanden Waldarbeiter die arm- selige Leiche eines Jungen am Ufer des Grüne- waldsees. Die Froststarre hatte die letzte Gebärde seiner Züge bewahrt: das dankbare Lächeln».it dem Kinder müde und im Vewußffein treuer Hut entschlummern.
Qünlher ffiirkenfeld: berliner Skissen ä)er&age