Nr. 8
7. August 1927
Blick in die Bücherwelt
Literaturgeschichte.
Otto Wittner: Deutsche Literaturgeschichte pom westfälischen Frieden bis zum Ausbruch des WeltPrieges. Berlag Raden u. Co., Dresden- A. Zwei Bände in einem. 411 und 371 Seiten.
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Otto Wittner fiel im Kriege schon 1914. Seine nach dem Kriege Don Ernst Lissauer in einem ersten Band bis zum Bormärz 1848 und einem zweiten- bis zum Jahre 1912- herausgegebene Literaturgeschichte erscheint jetzt in einem Gesamtband. Bittner hat fie in den Jahren 1909 bis 1912 in der Furche", der Beilage der Fränkischen Tagespost", abjazweise erscheinen lassen und dann durch) Zufäße ergänzt. Lissauer hat sich jeglicher Aenderungen, Zufäße oder Berichtigungen enthalten. Das scheint uns ein Fehler zu sein; denn zum mindesten hätte es dem Original ja keinerlei Abbruch getan, in der Nachkriegsausgabe wenigstens äußerlich notwendig gewordene Richtigstellungen vorzunehmen, wie etwa die Feststellung, Büchners Dantons Tod" wäre nie über die Bühne gegangen. Und ebenso hätte rein äußerlich durch Abfazerneuerung bei Uebergang zu einem neuen Autor, durch Hervorhebung der Namen, durch ein Namensverzeichnis diese Buchausgabe bedeutend an Uebersichtlichkeit gemorinen. Denn ihre Berzüge als erste größere Literaturgeschichte, die mit Bewußtsein vom Sozialgeschichtlichen ausgeht und sich auch an die breiten Massen interessierter Arbeiter wendet, springen in die Augen: Hingabe mehr an das Wert" als an die Einzelpersönlichkeit; geschichtlich tiefer greifende Verbindungslinien; ernsteste Einfühlung in den Stoff, gereiftes Urteil und eine Sprache, die beschwingt und der Gache gerecht, auch dem Arbeiterleser verständlich bleibt. Kann sich Wittner mit den älteren Teilen seiner Arbeit überwiegend auf Borgänger stüßen, obwohl er zum Beispiel in der Darstellung der Romantit teilweise eigene Wege geht so bleibt seine besondere felbständige Leistung die Darstellung der Moderne", der Zeit von Nietzsche , Arno Holz , Krezzer u. a. bis zu Paquet, Scholz, Thomas Mann und Schönherr.
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Die Mängel dieser Literaturgeschichte beruhen zum Teil darauf, Daß sie 1914 abgeschlossen noch nicht zu einem Maßstab tommen fonnten, wie ihn anzulegen die seit 13 Jahren mächtig anschwellende Arbeiterdichtung und die Erfahrung des Krieges selbst ermöglichten. So bleibt sie noch in einer etwas veralteten und fünstlichen Einteilung steden, erfaßt auch nicht voll den Klassencharakter dieser Dich tung und ihre geschichtlich letzten Wurzeln, faßt das Problem nicht international. Aber sie stellt doch richtig fest, daß der wahre Erbe der großen Aufklärungszeit die Arbeiterschaft ist. Wir haben weiter die Auffassung, daß Dichter wie etwa Willibald Alexis , Scheffel und später besonders Gestalten wie Bahn oder Schönherr und manche wesentlich geringere reichlich überschäzt werden. Weit überschäzt wird Wagner. Der Abstand war wohl noch zu gering. Auch fönnen Urteile wie etwa die über Konrad Ferdinand Meyers nicht mehr über Schreitbare Leistung in der historischen Novelle oder die Tendenz Tofigkeit des Schaffens der Marie von Ebner- Eschenbach und manches andere nicht mehr gehalten werden. Bisweilen wäre auch unter den beigebrachten Inrischen Zitaten Stärferes auszuwählen, zum Beispiel bei Freiligrath. Kurzum, mancherlei in dieser furzen Anzeige nicht zu Untersuchendes fönnte bei einer Neuauflage leicht berücksichtigt werden. Alles in allem bleibt aber diese Wittnersche Literatur geschichte ohne freilich schon die aus historisch- materialistischer Perspettive geschriebene Biteraturgeschichte zu sein die bisher beste und empfehlenswerteste für Arbeiterbibliotheken und literarisch interessierte Sozialisten. Karl Schröder.
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Doftojerosti am Roulette: Die Erlebnisse einer Spielerzeit in Briefen und Tagebüchern. R. Piper u. Co., München . 267 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Preis
7 Mart.
zu einer verbindenden Handlung gesucht. Alles Erleben lebendiger mie toier Dinge bleibt episodenhaft, zusammengefaßt durch das eine: das Meer.
Soll man über Roßmann, den fünfundzwanzigjährigen Dichter, ein Urteil abgeben? Er hat schon früher ein lebendiges Rembrandt Buch geschrieben, in dem aber seine starte Gestaltungstraft noch stellenweise um ihren Stil ringt. Jezt hat der Dichter sich selbst gefunden. Trude E. Schulz.
Julius Berfil: Die Fahrt ins Rosenrote.( Roman.) Verlag Westermann , Braunschweig .
Der Roman spielt unter hohen Herrschaften, teils unter Offizieren und Adligen in einer deutschen Kleinstadt, teils unter den Milliar dären der Fünften Avenue in New York . Graf Morion, der durch die Absonderlichkeit seines Lebensstils, die romantische Linie seines Grandfeigneurtums, nicht zuletzt durch die Skurrilität seiner an sich geistreichen Einfälle von sich reden macht", weiß natürlich nicht zu wirtschaften, er hat nur Schulden, daneben noch eine sehr fluge Frau, die ihm schließlich rät, sich von ihr scheiden zu lassen und in Amerita eine Dollarfönigin zu heiraten. Morion willigt ein und fährt in das Land der tausend Möglichkeiten. Er findet auch Ginlaß bei den Trustmagnaten, aber man nimmt ihn dort nur als inter effante Salonstaffage, die nicht weiter ernstlich zu behandeln ist. Intrigen verhindern ihn, seine Absichten zu verwirklichen. Er er fennt, daß er nichts weiter ist, als ein Marr, der Hirngespinsten nachläuft. Enttäuscht fehrt er zu seiner Frau zurüd und beginnt dasselbe Leben wie früher. Bate bei dieser Figur hat der Graf Bückler- Muskau gestanden, der die gleichen Schicksale erlebte und außerdem witzige Reisebücher schrieb. Aber was soll man heute mit einem solchen Typ beginnen, der wie eine Erinnerung an die Romantik aussieht? Die Liebe des Verfassers gehört diefem bunt Schillernden Adligen, nicht den anderen, die arbeiten. Doch was vor ungefähr hundert Jahren die Menschen begeisterte, ist heute belanglos oder zu einer Kuriosität geworden. Man fann über diesen Grafen mit der verstiegenen Phantasie nur lächeln, der die blaue Blume sucht, sich in allem als begabter Dilettant erweist, graziös und leicht Ronversation macht, dem aber jeder substanzielle Wert fehlt. Felir Scherret.
Franz Rebiczek: Menschheit. Roman. Berlag: Karl Konegen, Wien - Leipzig . 273 Seiten. Preis: geheftet 4 m.
nun er
Ein Zufunftsroman; aber fein lockendes Utopia wird uns gezeigt. Menschen und Dinge tragen Gesichter, die uns nur zu vertraut find. Krieg und Inflation haben sie uns gezeigt fcheinen sie wieder, gigantisch vergrößert, gleich schreckhaften Gemittermoften an blutrotem Himmel. Rebiczek zeigt das Ende des Weges, der betreten wurde, als die Arbeiterschaft sich die Betriebe, die Macht wieder nehmen ließ. Und er sieht jo fein anderes Ende des Wahnsinns, als die völlige Bernichtung der Menschheit durch die Entfesselung des Feuers der Erde. Aber nicht diese lezte, utopische Lösung ist das Wertvollste des Buches. Wertvoll ist vor allem die Schilderung der Zeit vor diefem letzten Kriege, dieser Zeit, die der unseren nur zu ähnlich ist. Da wird der Roman zu einem Lehrbuch, aber zu einem Lehrbuch, das uns packt und fiebernd festhält, das uns noch einmal zeigt, was alles hinter diesen bunten Kulissen steckt, die jetzt so beflissen wieder vor uns aufgebaut werden: Wir sehen die Borbereitung eines Börsenmanövers und die Entfeffelung des Krieges, erleben die Fabritation des Patriotismus und der Kriegspsychose und zauberhaft werden wieder Dinge und Menschen lebendig, die schon in einem Wuft von Aften und Zeis tungspapier mumifiziert worden sind. Und so ist dieses Buch ein menetekel, das leuchtend die erschrecken möge, die da vergessen, daß leßlich alle Verträge nur ein Blatt Papier sind, und daß sich die Gewalten des Goldes und des Feuers nicht in die umfriedete Feier lichkeit eines Konferenzfaales einfangen lassen.
Die Sprache dieses Buches ist so eindringlich und packend, daß fie selbst den utopischen Schluß trägt und die Entfesselung des Chaos möglich und wahrscheinlich erscheinen läßt, die Kraft des visionären Dichters hält bis zur legten Seite durch das Buch ist ein Meisterwert aus einem Guß, ohne Brüche und Löfstellen. R. Ewald.
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3weifellos wäre es besser, wenn diese nicht sehr geschickte zu Tammenstellung von Briefen, Tagebuchnotizen, Bruchstücken aus den Werten, die sich auf die Spielleidenschaft Dostojewsfis beziehen, unveröffentlicht geblieben wäre. Die Publitation bildet einen Schönheitsfehler in der groß angelegten, auf 16 Bände geplanten Ausgabe Don Dostojewskis Nachlaß, die der Pipersche Berlag in unmittelbarer Zusammenarbeit mit dem Mostauer Dostojewsfi- Museum begonnen hat. Der 3wed des Buches ist nicht einzusehen. Das Material ist zum größten Teil bekannt, und um den Band vollzumachen, mußten Die Herausgeber ganze Druckbogen aus dem Roman„ Der Spieler" und biographische Erörterungen, die wegen der sonstigen Zielfezung notgedrungen mangelhaft sind, hinzunehmen. Wenn das Unternehmen außerdem vom Vorwurf der Taftlosigkeit nicht freizusprechen ist, so bezieht sich dieser Vorwurf nicht auf irgendeine leidige Bietätformel, mit der wir Dostojewsti gegenüber schwer auskommen: denn an seiner Entwicklung nur das zu sehen, was eine empfindsam perständnislose Pietät zu sehen erlaubt, heißt das Hauptproblentziehen, in die er ihn freiwillig gesteckt hat. Schließlich glaubt er feiner Schöpferkraft ausschalten: den Kampf mit der eigenen Gefährdung. Indem man jedoch Dostojewskis„ pathologische" Spielleidenschaft als gesondertes Phänomen hervorhebt, verzerrt man alle wesentlichen Zusammenhänge. Nur der lebendige Busammen hang aller pathologischen" und nichtpathologischen" Tendenzen feiner Persönlichkeit fann für eine einfühlende Betrachtung von Be lang sein. Die Spielleidenschaft an sich ist uninteressant und als Anleitung zum Berständnis der Psychologie Dostojewstis einfach unrichtig. Sie ist nicht einmal charakteristisch für eine besondere Beriode im Leben des Dichters, das sie in verschiedenen Perioden, aljo aus wechselnden Zusammenhängen heraus, aufbricht und, wie selbstverständlich, gleichzeitig mit einer allgemeinen Steigerung aller feiner inneren Schwierigkeiten( Depressionszustände, Epilepsie, Ziel. losigkeit usw.). Otto Rau 5.
Erzählende Literatur.
Hermann Roßmann : Klas der Fisch. Rembrandt- Berlag, Berlin- Zehlendorf. 163 Seiten. Preis 4,80 m. Roßmanns dichterische Kraft ist beglückend echt und elementar. Nichts wird bei ihm tonstruiert, nichts wirft nur durch die ästhetische Form, in der es dargeboten ist. Dadurch unterscheidet sich Roßmann weitgehend von dem Durchschnitt unserer Schriftstellernden Jugend, der er seinen Jahren nach zuzählt. Er hat noch das große, unerflügelte Erlebnis. Da er von fremdem Geistesballast unbeschwert ist, wirft es auf ihn erstmalig und einmalig. Er bemächtigt sich seiner mit dem Recht und der Kraft seiner dafeinsberauschten Jugend. Das Wert, das er daraus gestaltet, scheint nicht ein Produkt des Geistes zu sein, sondern es ist wie durchtränkt von einem starten physischen Leben. Durch dieses traftvolle innere Gleichgewicht wirft es wie ein Idealbild organischen Wachstums. Es scheint parador, daß in Klas der Fisch dieses Idealbild aufgebaut ist auf dem Meeres erlebnis eines ertruntenen Fischers. Wie das Meer erlebt ift, in der Eisregion wie unter füdlichem Himmel, bei Tag wie bei Nacht, sturmdurchpeitscht wie in weiter, glatter, stiller Unendlichkeit, und wie dieses Erlebnis in schlichter Selbstverständlichkeit geformt wurde, das alles zeigt, daß Roßmann ein Dichter ist. Diese Besessenheit Don Stoff peitscht den Leser durch das Buch. Dabei ist es durchaus tein Roman. Auf den 163 Seiten wird nicht einmal der Borwand
Ein origineller Kriminalroman, über dem sachte der Geift Pirandellos schwebt. Ein Sensationsjournalist, der zufallsweise an den Tatort eines Verbrechens tommt, spielt einmal nicht den Amateurdetektiv, sondern den Mörber. Er lenkt allen Verdacht auf sich, wird auch wirklich für den Täter gehalten und fann nun feine Unschuld nicht mehr beweisen, den Kopf nicht mehr aus der Schlinge selbst daran, der Mörder zu sein( fein zweites Leben beginnt, würde Pirandello jagen) und wird erst im legten Augenblic, als er schon das Schaffott besteigt, gerettet. Er hat ein Spiel mit der Wirklich feit getrieben, ein Spiel mit dem eignen Leben, und hätte diefes Spiel beinahe verloren, weil Spiel und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderzuhalten waren. Die ein bißchen gewaltsam aufgeklebte und hahnebüchene Moral" des Detektioromans lautet, man solle des Ruhms halber nicht sein Leben einsetzen. Das Buch ist gut geschrieben und wird seinen 3wed erfüllen, den Leser in Spannung und denkhafte Erregung zu verjeßen. Friz Rosenfeld.
Rechtspflege.
Gefehentwürfe zur Reform des Unehelichenrechts. Heft 2 der Flugschriften des Archivs deutscher Berufsvormünder, Frant. furt a. M., 1926.
Der Regierungsentwurf für ein Gesetz über die unehelichen Kinder und die Annahme an Kindesstatt" hat eine Reihe von Gegen vorschlägen gezeitigt. Das oben genannte Heft bringt drei ver= schiedene andere Entwürfe, den einen in zwei Fassungen( Stord und Georgi), die alle von der Auffassung geleitet werden, daß der Regierungsentwurf entweder nicht genügend eine Berbefferung und Sicherung der Stellung der Unehelichen herbeiführt, oder aber, daß er sogar gegenüber dem geltenden Recht eine Verschlechterung bedeutet.
Im Mittelpunkt steht wohl bei den Vorschlägen die Regelung der Frage der exceptio plurium, des Einwandes eines Mehrverkehrs der unehelichen Mutter, wie ihn das geltende Recht tennt. Die Entwürfe gehen darin auseinander. Während die Fassung von Stord, Bolligkeit, Eiferhardt die Einrede des Mehrverkehrs völlig beseitigen will, nur bei Unmöglich feit der 3eugung gelten läßt, will die Faffung Georgi fie auch bei unwahrscheinlich: teit der Beugung bestehen lassen. Die Fassung Rothschild endlich will eine Gesamthaftung der möglichen Väter ähnlich dem Regierungsentwurf belassen, wenn nicht die Vaterschaft anerkannt oder durch rechtskräftige Entscheidung festgestellt ist. Das wirft natürlich auf die Art der Unterhaltsansprüche sowie der persönlichen Be ziehungen zwischen Bater und Kind ein. Insbesondere gefährlich
Beilage des Vorwärts
wäre eine Verschlechterung der gegenwärtig aus den Sozialgesehen, Kranten, Invalidengeset usw., dem unehelichen Kinde zustehenden Rechte.
Als Vorbilder der verschiedenen Gegenentwürfe dient die neuere ausländische Gesetzgebung: Desterreichs, Schwedens , Finnlands . Durchaus zu unterstützen ist die allgemein vertretene Forderung der Ausdehnung der Unterſtügungspflicht bis zum 18. Lebensjahre. Eine bestrittene Frage ist, ob die Herstellung engerer persönlicher Beziehungen zwischen Vater und Kind und die Ausdehnung nicht nur der Pflichten, sondern auch der Rechte des Vaters günstig ist. Man fürchtet, daß das Kind seelisch hin- und hergezerrt wird wie meist die Kinder aus geschiedenen Ehen. Den einzelnen Entwürfen find furze Begründungen beigegeben. In diesen wird auch die Bedeutung der Stellung und Tätigkeit des Jugendamtes betont. Bur Klärung der Fragen und Vorbereitung der endgültigen gesetzlichen Fassung sind die Entwürfe in der Gesamtheit wertvoll. Henni Lehmann .
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Dr. Curt Geyer und Dr. Julius Moses : Gesetz zur Befämpfung der Geschlechtsfrankheiten nebst Er= läuterungen und kommentar. Berlag J. H. W. Diez Nachf. 63 S. Preis 1,60 m.
Im ersten Teil der Schrift wird ein Ueberblick über die Bedeutung der Geschlechtskrankheiten für das Volfsganze gegeben. So dürfte die Zahl der behandlungsbedürftigen Kranken in Deutschland eine Million betragen. Wesentlich begünstigt wird die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten durch die Wohnungsnot der breiten Massen, die Unkenntnis über ihre verderblichen Folgen und das ihnen noch anhaftende Odium als einer entehrenden Krankheit. Bollfommen versagt hat bei der Bekämpfung die durch die Polizeibureaufratie ausgeübte Kontrolle der Prostituierten. Andererseits wurden dadurch viele Männer in den Glauben versetzt, daß eine kontrollierte Prostituierte auch wirklich nicht ansteckungsfähig sei. Eine Befämpfung der Geschlechtskrankheiten hat unter drei Gesichtspunkten zu erfolgen: 1. weitestgehende Aufklärung aller Bevölkerungsschichten, 2. direkte ärztliche Behandlung, 3. Abschaffung der Reglementierung, die die erfrankten Frauen nur abhält, fich freiwillig in ärztliche Behandlung zu begeben.
Ein Vorläufer des neuen Gesetzes, das am 1. Oktober d. I. in Kraft tritt, war die Verordnung der Volksbeauftragten vom 11. Dezember 1918. Das Gesetz geht wesentlich von der bisher geübten Pragis ab und stellt Männer und Frauen hinsichtlich des Behandlungszwanges gleich. Auf Grund des§ 3 wird die Polizei von der Bekämpfung der Geschlechtsfrankheiten ausgeschaltet und diese den Gesundheitsbehörden übertragen.§ 7 hebt in Deutschland die Kurierfreiheit auf und wird deshalb von seiten des Proletariats mit vollem Recht angegriffen. Denn auf Grund dieses Paragraphen dürfen alle Frauenkrankheiten, wie Menstruationsbeschwerden, Senfung, Ausfluß usw. nur von den in Deutschland approbierten Aerzten behandelt werden. Der§ 13 gestattet das Inverkehrbringen von Schußmitteln. Die§§ 16 und 17 heben die Reglementierung und Kajernierung der Prostituierten auf und sollen endlich das Berschwinden der Sittenpolizei bringen. Ich betone follen", denn das Wesentlichste an diesem Gesetz werden die von den einzelnen Ländern zu erlassenden Ausführungsbestimmungen sein, und es wird Aufgabe unserer in Stact und Kommune tätigen Genossen sein müssen, in das Gesetz den Geist hineinzutragen, der der Stellung der Frau im neuen Staate entspricht. Dr. Norbert Marg.
Philosophie.
Alfred Klaar : Spinoza . Verlag Uustein, Berlin. ( Samm lung Wege zum Wiffen".) 154 Seiten. Preis brosch. 85 Pf., geb. 1,35 m.
Bom Namen Spinozas, des einsamen jüdischen Philosophen, der von seiner jüdischen Heimatsgemeinde in Amsterdam verstoßen und verflucht, dem Ringen nach freier Selbst- und Weltertenntnis sein ganzes Leben weihte und als einfacher optischer Handwerker, noch ehe er einen Verleger für sein Hauptwert,„ Die Ethit", gefunden, in frühen Jahren( 1677) starb, geht ein stilles, feierliches Leuchten aus. Ein Jahrhundert lang nach seinem Tode abwechselnd vergessen und geschmäht, wird die Erinnerung an seinen Geist in unserer flaffischen Literatur, vor allem auch bei Goethe, wieder wunderbar lebendig. Durch die wunderlich gewundenen Säße der Darstellung der geometrischen Methode", in der er seine großartige Konzeption des näheren zu begründen sucht, spürt man die innere Glut und Größe dieses Denters, der pantheistisch Natur und Gott in eins verschmilzt. Er ist der Herold einer Weltanschauung, die, wenn auch von ganz anderen Voraussetzungen ausgehend als der [ pätere Materialismus, den inneren Weltzusammenhang ohne Hineintragung irgendwelcher Zweckgedanken, die es nur im mensch lichen Denken gäbe, begreifen will und die moralische Freiheit, die die Menschen ihrem Handeln zuschreiben, für bloßen Schein erklärt. dh will," heißt es in seiner„ Ethik"," menschliches Handeln in seinen Urfachen verstehen, statt es von oben her nach irgendeinem vorgefaßten moralischen Maßstab abzuurteilen." Er sucht die bet. schiebenen Affekte aus Grundtrieben und Elementen der menschlichen Natur in ftufenweisem Fortgang systematisch herzuleiten, und ver tündet gleichzeitig als Kern seiner Lehre, daß der von Leidenschaften blind hin und her geworfene Mensch die innere Freiheit, die er doch ersehnt, nur durch das Denken, durch Versenkung in die Erkenntnis der allumfassenden Gott- Natur erringen fönne. Der radikale Rationalismus, welchen er vertritt, verbindet sich bei ihm mit einer stillen und doch seltsam starten Stimmung des Gefühls. Persönlichkeit und Wert fügt sich zu einem Bilde erhabener Geschlossenheit zusammen. Unvergeßlich prägt seine Gestalt sich der Phantafie ein, wie die des Sofrates, der, vom Athener Bolt zum Tode verurteilt, noch in den legten Stunden heiteren Sinnes mit den Freunden philosophiert.
Das Schriftchen Klaars, des Literaturhistorikers und Theater. trititers, zeichnet hingebend und begeistert in schlicht verständlicher, aber darum nicht weniger eindringlichen Weise die Umrißlinien de großen Menschen und seiner Lehre nach. Es tann den philosophisa intereffierten Lefern wertvolle Anregungen bieten. Conrad Schmidt .
Kunst.
2. Kuhn: Hermann Haller . Verlag: Orell Füßli, Zürich . Der alte und angesehene Berlag von Orell Füßli in Zürich gibt Monographien zur Schweizer Kunst" heraus, deren erster Band dem genialen Maler des Sturm und Drang , Johann Heinrich Füßli , gewidmet ist. Kürzlich gab es von seinen Bildnissen, Figuren und Statuetten eine Ausstellung bei Caffirer. Aber man fennt diesen großen Bildhauer von jeder bedeutenden Ausstellung her und weiß, mie sehr feine feinfühlige Art, die Oberfläche zu behandeln, die menschliche Gestalt als bewegtes, fchlantes Experiment der Natur in den Rau zu stellen, für unsere Kunst und Lebensanschauung bezeichnend ist. Die weiblichen Gestalten Hallers find wie Prototypen unserer heutigen Körperauffaffung zu werten.
An die Riviera des Nordens über Swinemünde- Zoppot- Pillau
nach und von OSTPREUSSEN und DANZIG mit den Motorschnellschiffen ,, Hansestadt Danzig" und ,, Preußen" FAHRPLÄNE und NÄHERE AUSKUNFT durch den Norddeutschen Lloyd , Abteilung Seebäderdienst, Bremen , die Stettiner Dampfschiffs- Gesellschaft J. F. Braeunlich, G. m. b. H., Stettin , die Vertretungen sowie Reisebüros u. Eisenbahnfahrkartenausgaben