Nr. 10
2. Oktober 1927
Blick in die Bücherwelt
Erzählungen, Romane, Novellen.
Harry Domela : Der falsche Prinz. Malit- Berlag, Berlin . 307 S. Preis 2,80 M.
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Die Zeitbedeutung von Büchern ist wesentlich abhängig von der Rolle, die sie im politischen Kampf zu spielen geeignet sind. Bon diesem Gesichtspunkt aus ist den Aufzeichnungen Domelas die nicht immer ganz und an allen Stellen den Eindruck des Selbstverfaßten machen die allerweiteste Verbreitung zu wünschen. Als Zeitschicksal ist es das eines einzelnen von vielen, die durch Krieg und Nachkriegserschütterung aus Boden und Bahn gerissen wurden. Als persönliches Dokument hinterläßt es einen peinlichen Rest möchte fagen parfümierter Süßlichkeit, und mag Domela auch seinem hohenzollernschen Vorbild an Intelligenz und natürlicher Aufrichtigkeit überlegen sein- so hat doch auch seine anflägerische Haltung in keiner Weise tlassenfämpferischen Charakter; sie ist nichts anderes als romantisch verklärter Aufputz deklassierter Selbstfucht. Die Bedeutung des Buches ist die eines sozialen Dokuments, und zwar nach zwei Richtungen hin: einmal in seiner natürlichen Entlarvung der philantropischen, legislatorischen und polizeilichen Zustände einer Gesellschaft, die immer bereit ist, sich ihrer Kultur zu rühmen; und zweitens in der Entlarvung einer Ideologie, die in ihrer grandiosen Lächerlichkeit von den Gespenstern der feudalen Gruppen bis zu den hohlköpfigsten Kleinbürgern Weimars und Erfurts reichend schon deswegen so überwältigend wirft, weil sie aus dem Boden einer im Grunde naiv- kritischen Bewunderung herauswächst. Daß hierbei Glanzlichter ausgehen von entflammten Strohtöpfen republikanischer" Bertreter in Zivil und Uniform, ist weniger verwunderlich als ernst und mahnend.
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Dieser sozial entlarvende Charakter bei leichtester Lesart gibt dem Buch über das Persönliche hinaus unabhängig von tieferer Wertung die Bedeutung, die es verdient in einer Gesellschaft, deren Dasein Lüge und Schein ist; die den Staatsanwalt spielt, mo fie der Mörder ist.
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Je weiter ein solches Buch verbreitet wird, desto sichtbarer wird aber auch die Tatsache werden, daß ein Unterschied ist zwischen jener Zeit, in der die Köpenickiade des Schusters Vogt die Ideologie gewaltiger Schichten des deutschen Volkes ins Herz traf, und der jenigen, in der diese neue Köpenidiade fichtbar den Riß aufzeigt zwischen einer dünnen Schicht monarchistischen Byzantinertums und der großen Masse selbstbewußt gewordener Bürgerlichkeit. Karl Wolf.
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Der Kreis der hier dorgestellten Landmenschen erstreckt sich vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in unsere Zeit. Aber noch ist dem Zustrom frischen, revolutionären Geistes, der in anderen Ländern schon zur Zeit Per Anders und seiner nächsten Nachkommen mit dem Alten, Morschen aufräumte, der Eingang zu den Bauern und Fischergehöften des hohen Nordens verwehrt. Und so leben Söhne und Väter noch weiter gemeinsam in der dunklen Sphäre mittelalterlichen Aberglaubens und den engen Grenzen, die sie über die Familien noch bestenfalls auf die Kirchengemeinden ausdehnen. Doch obwohl sie einem mystischen Glauben ergeben sind, der für Sünder Geistererscheinungen zum Jagen und Hezen bereithält, müssen sie sehr oft gegen böse Triebe vergebens fämpfen. Die treibendste Kraft in ihnen ist der Ehrgeiz, die Sucht nach stetem Wachstum ihres Besizes und damit verbunden ihrer Geltung innerhalb ihres Kirchspiels. Um dieses Zieles willen wird dort oben viel gefündigt. Aber wenn sich die Ehrgeizigen ihrer fleinen oder großen Sünden bewußt werden, wird ihnen ihr Aberglaube tragisch. Sie sind dann in ihm so befangen, daß sie, geistig unſelbſtändig, sich nicht mehr gegen Erscheinungen, die ihnen ihre Angst vor göttlicher Strafe, schon hier auf Erden, portäuscht, wehren tönnen.
Die Tragit eines solchen Glaubens läßt Olav Duun an manchem Schicksal der gestalteten Menschen in seinem großen und schönen Buch erkennen; das traurigste Opfer aber dieses Aberglaubens ist die Lappin Solvi; sie ist zugleich noch das Symbol für die Leiden eines unterdrückten Volksstammes und spricht mit ihrer reinen, wenngleich auch noch passiven Menschlichkeit genau so gegen die Ueberheblichkeit einer durch ihre. Mehrheit begünstigten Kasse wie für die hohe Gesinnung des Dichters.
Neben Solvi stehen noch viele Frauen. Doch sind unter ihnen im Gegensatz zu den Männergestalten mehr große als fleine. Ihnen hat Olav Duun wundervolle Frauen und Mütter geschaffen. Sie gehen glättend über die steinigen Pfade ihrer Männer und Kinder und machen oft deren Unrecht gut. In diesem Sinn sind Massi und Alafel, zwei der schmerzensreichen Mütter aus dem Geschlecht des Per Anders, besonders fein differenziert in ihrer stillen Duldsamkeit, ihrem dennoch starken Wollen und ihrer einfachen Klugheit zu schöner Wirkung neben die Männer gestellt.
Da im legten Teil des ersten Bandes schon kleine Anzeichen einer Der zweite Band Odin " soll im kommenden Jahr erscheinen. Beitwende, auch für die nordischen Bauern und Fischer, zu erkennen find, wird vielleicht„ Odin " die Stellungnahme der Menschen dort oben zur neuen Zeit gestalten. Bisher wehrten sich gerade die Besten unter ihnen noch gegen fie, weil sie ihren geistigen Gehalt und ihre Notwendigkeit an ihren erst in Aeußerlichkeiten sich nähernden Zeichen nicht erfassen konnten. Esther Wangenheim.
Henri Poulaille : Die Geburtsstunde des Friedens. Roman. Berlag von Paul 3folnay, Wien 1927. 244 S. Preis 3 M. Der Roman des Arbeiterdichters Boulaille ist durch und durch auf schlichte Einfachheit und Wahrhaftigkeit gestellt. Am Beispiel einiger weniger Männer aus dem Volt", die weder Helden" find, Berlin , Breis 2,20 m. Leonhard Frank : Karl und Anna. Propyläenverlag, noch als Helden in den beleuchteten Vordergrund treten, eher schon Das Schicksal der Kriegsgeneration will immer und immer im Nebelgrau des Alltags mit vielen ihrersgleichen schreiten, wird ein Bild der Zustände vom Frankreich der ersten Nachkriegsjahre ist nicht nur verherrlichter oder verabscheuter Massenmord, Krieg ist wieder gestaltet werden. Krieg ist ja nicht nur ein Stück Geschichte, entworfen. Insbesondere, soweit es den besiglosen Proletarier Proletariert trifft, der vergeblich auf dem Arbeitsmarkt ,, den Dank des Vater- tiefstes Erlebnis des einzelnen. landes fucht, und der verzweifelnd erkennen lernt, daß einmal fattes Kleinbürgertum fich wieder zäh in den Vordergrund schiebt und zum anderen begeistertes proletarisches Zukunftswollen in der Not der Zeit abstumpft und ideologisch und materiell unterzutriechen" bereit ist.
So ist der Roman einmal unpathetische, aber um so eindringlichere Mahnung zu proletarischem Klassenbewußtsein, zum anderen Zeitdokument französischer Gegenwart. Ohne überragende Dichtung zu sein, und ohne den deutschen Arbeitern, die wohl noch schwereres erlebten, Ueberraschungen zu bieten, wird er doch internationales Wollen bereichern. Er gehört in jede Arbeiterbibliothek. Eine Einleitung zu dem Buch schrieb Heinrich Mann . Karl Schröder .
Jad London : Die eiserne Ferse. leberjeht von Erwin Magnus , mit einer Einleitung von Anatole France . Univerfitas, Deutsche Verlagsaftiengesellschaft. 294 Seiten. Preis 4,80 m.
Der Leser dieses Buches darf eines nicht vergessen: Jack London , der Dichter und Seher, entstammt selbst dem Proletariat. mehr noch, er hat einen großen Teil seines kurzen Lebens als Broletarier gelebt, und dieses Buch ist darum nicht als das Hirnprodukt eines Schreibtischmenschen, sondern als die in Form einer Dichtung gefleidete Erkenntnis eines flassenbewußten, margistisch geschulten Arbeiters zu merten. Es ist der Versuch, Theorie und Ethos des Marrismus wie in einem gewaltigen Frestogemälde dar zustellen und nicht nur ein fernes, goldenes Utopia, sondern auch den steilen und langen Weg in dies gelobte Land der Menschheit aufzuzeigen. In der Natur der Sache mag es darum liegen, menn Jad London, der Schöpfer lebendigster erlebter Bücher, hier Personen und Fabel nicht stets mit derselben Leichtigkeit, mit stets gleichbleibendem Tempo meiſterte dafür bringt das Buch, das bereits im Jahre 1907 in der englischen Ausgabe vorlag, eine Reihe von damals noch unerhörter Prophezeiungen, die sich zum Teil heute bereits bewahrheitet haben.
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Der Rahmen des Romans ist einfach: Avis, Tochter eines Universitätsprofessors, ein Mädchen mit dem Drang nach Erkenntnis des sozial Guten und Bösen, wird von Ernst Everhard, einem jungen Arbeiterführer, Schritt für Schritt aus den Illusionen der bürgerlichen Ueberlieferung zur Erkenntnis des wahren Wesens und des Aufbaus ihrer Gesellschaft geführt was eine Ummandlung dieses sozial empfindenden Mädchens in eine bis zum legten getreuen Revolutionärin bedeutet. Ihr Werdegang gibt Gelegenheit, den Querschnitt durch alle Probleme der bürgerlichen Welt zu legen, Kirche, Mittelstandspolitit, Preßtorruption, Polizei werden in ihrem Sein aufgezeigt und aller überkommenen Maskeraden entkleidet. Revolution und Gegenrevolution, das Problem des Barlamentarismus und die Vertrauenstrise der Justiz" alles ist in diesem Buche geschildert. Um so notwendiger, daß es in möglichst viele Boltsbibliotheken fommt und von der Arbeiterschaft gelesen wird. Rose Ewald.
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Olav Duun : Die Juwitinger. I. Bd. Per Anders und sein Geschlecht." Rütten u. Loening, Frankfurt a. M. 575 Seiten. Preis 7,50 M. Olav Duun , ein zeitgenössischer norwegischer Dichter, gestaltet in seinem zweibändigen Roman Die Jumifinger", von dem aber bisher nur der erste Band in deutscher Uebersetzung vorliegt, mit überzeugendem Können den nordischen Bauer und Fischer.
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Was zwingt das Liebespaar Karl und Anna zueinander, was des Krieges in grauenvollster Einsamkeit in russischen Steppen, Ent stärkt ihren Bund und härtet ihn gegen Angriff? Das Erlebnis wurzelung des Seins in fremder Gefangenschaft, schleppende Dede finnloser Arbeit. Ungeformte Weite und Ebene, gleichmäßig ver Gestaltung und Formung ist alle Sehnsucht gerichtet. Gestaltung und rinnende Zeit bedrohen den Mann mit Auflösung des Selbst. Auf Formung, sie sind im Leben der Frau, ihr rundet sich die unermeß liche Fläche zur umspannbaren Rugel, ihr schenkt die fließende Beit den Augenblid, ihr Tätigsein, Handeln schafft Sinn und MittelDies alles dicht unter der Bewußt punft für fragwürdiges Leben. jeinsschwelle empfinden zu dürfen, danken Karl und Anna dem Krieg, der sie gelockert und zermühlt gelöst hat von alter Bindung und befreit zu neuer, zu tiefst lebenspendender Gemein famteit. Hilde Rosenfeld. Romane der Welt. Verlag Knauer, Berlin . Wöchentlich ein Band. Etwa 300 Seiten. Preis je Band 2,85 m.
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Thomas Mann und George Scheffauer sind die Herausgeber der Serie Es handelt sich also um Namen, die für Qualität der ausgewählten Romane bürgen fönnen. Und doch ist diese Serie durchaus problematisch, die einzelnen Romane unterscheiden sich zu starf in ihrem fünstlerischen Wert voneinander, und es sieht so aus, als ob die Herausgeber manchmal allein nach dem Verfassernamen gewählt haben. Die Serie will gute Unterhaltungsromane bringen, doch diese Romane sind nicht im rein Gesellschaftlichen veranfert, im Gegenteil, sie schildern entlegene Provinzen der Welt und des Geistes, ohne ins pind ologische Detail zu gehen, ohne den Ablauf der Erzählung mit wissenschaftlichen und ähnlichen Abhandlungen zu unterbrechen. Sie bringen eine Welt, die jenseits der rationalen Alltäglichkeit liegt, es ist eine bunte, grellfarbige Welt, die Welt der Tropen, die Welt des Nordens, die Welt der Vergangenheit der Tropen, die Welt des Nordens, die Welt der Vergangenheit oder die Welt merkwürdiger Gefühlsmenschen, die plötzlich irgend eine verbrecherische Eigentümlichkeit offenbaren. Die Romane schildern, find Produkte einer reinen Erzählerkunst, die den Deutschen , nach der Meinung Thomas Manns , bis heute noch fremd ist, und über die allein die lateinischen und angelsächsischen Völker verfügen. Es kommt vor allem auf die Fülle des Geschehens, auf Spannung und Unterhaltung an. Bom Divan aus soll man die große Welt durchstreifen, d. h. die Welt des Abenteuers.
Aber leider sieht diese Welt hin und wieder recht trivial aus. Man fragt sich, warum Maurice Leblanc in dieser Sammlung? Warum sein Arsène Lupin? Mag Leblanc das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, den Typ dieses abenteuerlichen Gentlemanin Anspruch nehmen, den Typ dieses abenteuerlichen Gentleman verbrechers aus Passion geschaffen zu haben, so ist dieser Typ, dieser Harry Piel des Romans so oft im Film und in Magazinnovellen abgewandelt worden, daß das Urbild faum noch interessiert, besonders, da auch die Situationen heute nicht mehr originell wirken. Problematisch ist ebenfalls der Amerikaner 3ane Grey, nach Jack Londons Tode der beliebteste Novellist für Magazine Seine Grenzlegion" und" Der Texasreiter" spielen in der mit Sagen erfüllten Zeit Buffalo Bills, also in der Zeit der Posttutschen, Goldgräber und Indianerkämpfe. Doch so geschlossen und komprimiert Zane Gren in der Novelle, in der„, short story ", ist, so breit und ermüdend sind die Romane. Die Menschen haben fein eigenes Geficht, alles bleibt im Typischen, und nur die Schilderung der momumentalen Landschaft Kolorados und Arizonas ist von plastischer Eindringlichkeit. Shaws Cashell Bryans Beruf" ist bekannt, und
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Beilage des Vorwärts
„ Der Jahrmarkt der Eitelkeit" das Spaniers Boroja tommt über den durchschnittlichen Gesellschaftsroman nicht hinaus.
Neben diesen Berjagern eine Reihe ausgezeichneter Werke. Ein paar seien furz skizziert. Der Amerikaner George Challis ist mit seinem besten Roman„ Ein Teufelsferl" vertreten, eine Erzählung aus dem siebzehnten Jahrhundert, aus der Zeit der Flibustier, der Silberflotte von Vigo und des Kapitän Morgan. Challis arbeitet mit den Requisiten des typischen Seeräuberromans. Ueberfälle häufen sich, in jedem Kapitel wird mindestens ein Schiff gefapert, dazu Inquisitionsgerichte, Meutereien, Plünderungen usw. Das alles mird spannend geschildert und ist plastisch gezeichnet, würde jedoch faum den Roman aus der Reihe ähnlicher Erzählungen heraus. heben, wenn in der Charakteristik des Teufelsterls selbst nicht ein außerordentlich interessantes Porträt entstanden wäre. Dieser Herr ist eine Art Douglas Fairbanks mit Stoßdegen und Mantel, amoralisch und sentimental, faul und in entscheidenden Augenblicken von imponierender Energie, Lump und Kavalier, der schließlich sein Damaskus erlebt und sich in das bürgerlich geordnete Leben einrangiert. Stellt Challis alles auf Spannung und Handlung ein, so fehlen diese Momente völlig in Melvilles wunderschönem Buch Taipi ". Melville , der Vater der Südseegeschichte, an dem sich Stevenson und London schulten, entwirft in zarten Farben, in furzen Impressionen, ein Bild von dem Leben der malanischen Eingeborenen auf dieser polynesischen Insel. Hier findet man noch eine Romantik, die heute aus Literatur und Leben verschwunden ist. Und am Schluß sei noch aus der Fülle der Romane Walpoles " Bildnis eines Rothaarigen" erwähnt, die psychologische Schilderung eines Sadisten. Gerade dieser Roman ist dafür charakteristisch, wie Psychologie in Handlung aufgelöst wird und niemals um ihrer selbst willen vorhanden ist, wie fich eine beinahe wissenschaftliche Behandlung des Themas mit spannendem Ablauf des Geschehens vereinigen läßt.
Das Fazit: Trok vieler Unausgeglichenheiten eine durchaus begrüßenswerte Sammlung. Sie zeigt, daß die Phantasie noch nicht aus der Welt verschwunden ist. Vielleicht gelingt es aber den Herausgebern, auch deutsche Autoren einmal zu entdecken, denn auch die Deutschen sind ein Weltvolt. Felix Scherret.
Politik.
fchaft. Berlag G. Riepenheuer, Potsdam . 369 S., Preis 10 M. Arnold Zweig : Caliban oder Politi? und Leiden. so unerhörtem Maße ausgepeitscht wie die Zeit des Weltkrieges und Selten hat eine Zeit die menschlichen Gruppenleidenschaften in der ihm folgenden Jahre. Psychologie und Soziologie, noch junge Wisserschaften, gingen daran, das ungeheure Erfahrungsmaterial zu zwedvoller Erkenntnis auszuwerten und den tieferen Ursachen dieser Affeftausbrüche nachzuforschen, die die inneren Gegensätze zwischen den Gruppen der menschlichen Gesellschaft in immer ge steigertem Maße in die Erscheinung treten ließen.
Arnold Zweig , weiteren Kreisen bisher nur als Dichter und Essayist bekannt, hat es nun unternommen, in seinem Freud gewidmeten Buche ,, Caliban oder Politik und Leidenschaft" die Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Gruppenleidenschaften an dem beson Lebendigkeit, die allerdings mitunter eine scharfe Formulierung des deren Beispiel des Antisemitismus aufzuzeigen. Mit großer psychologischen und soziologischen Tatbestandes vermissen läßt, wer den die Auswirkungen des Zentralitäts- und des Differenzaffettes, Gruppe und der triebhaften Abstoßung, mit welcher Menschen. der leberbetonung der Wichtigkeit und Bollkommenheit der eigenen gruppen auf das Verschiedensein anderer Menschengruppen entwertend reagieren, von allen Seiten beleuchtet. Die innere Struftur des Antisemitismus und der Antisemiten auf der einen, die Wir auf der anderen Seite werden in ihren mannigfaltigen Erscheinungstungen dieser Umwelt auf Charakter und Organisation der Juden formen dargestellt.
Der besondere Wert des Buches scheint aber darin zu liegen, daß Arnold Zweig im Bewußtsein seiner Berantwortung gegenüber der europäischen Kulturwelt wie auch gegenüber dem jüdischen Volke mit seinem Buch nicht nur eine Analyse geben will, sondern daß er sich geistige und fachliche politische Folgen wünscht. Und wenn es cuch richtig sein mag, daß man Affekte nicht durch Literatur auflösen fönne, fo liegt doch die Bedeutung der Schrift darin, weiteren Kreisen den Anstoß zum Nachdenken, dem Tod aller Gruppenaffette, zu geben und damit zur Reinigung der geistigen Atmosphäre unserer Zeit beizutragen. Dr. Rudolf Levy .
Erziehung.
Siegfried Bernfeld : Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. Psychoanalytischer Berlag. Wien .
Dieses ausgezeichnete Buch entläßt den Leser nicht ganz so hoffnungsarm, wie man nach dem Titel befürchten müßte, der, ebenso wie der Stil, von Lessing herfommit. Im ersten Teil legt Bernfeld dar, mie die Bädagogit feit etwa 100 Jahren den Anspruch erhebt, eine Wissenschaft zu sein und wie dem entgegengehalten wird, daß ihr dazu ein wesentliches Merkmal fehle: fie ist im Bereich der ihr forrespondierenden Praxis erfolglos und unfruchtbar geblieben, es fehlt ihr die Uebereinstimmung mit der Erfahrung, die Wissenschaft von Geschwäß unterscheidet.
Diejenigen, die es ernst mit der Erziehung gemeint haben, wiffen schon seit längerem, daß sie sich erst in der Beschränkung als Meister würde zeigen fönnen. Praktisch führte das zur sogenannten neuen" Erziehung, die den Anspruch aufgab, den Zögling in seinen fleinsten Regungen zu lenten, um ihn dafür in wenigen, entscheidenden Bunften, wie Einstellung zur Gemeinschaft, zur Arbeit, zur Kultur, wirklich zu beeinflussen. Bernfeld definiert Erziehung als die Summe der Reaktionen einer Gesellschaft auf die Entwicklungstat. sache. Eine Definition, die weit genug ist, all die unendlich vielen erziehenden Einflüsse einzuschließen, denen das heranwachsende Kind noch außer den von Schule und Elternhaus geübten ausgelegt ist. Die Reaktionen der heutigen Gesellschaft find offensichtlich schlecht, denn fie erzeugen fortdauernd mittelmäßige, unsoziale, fulturlose Menschen.
Bernfeld führt aus, daß einem Versuch, das zu ändern, sich zwei Hindernisse entgegenstellen. Erstens ein soziales: die Erziehungseinrichtungen einer Zeit sind bestimmt durch wirtschaftliche Not mendigkeiten; man fann an jenen nur dann etwas Wesentliches beffern, wenn man die ökonomischen Grundlagen ändern fann. 3weitens, ein psychologisches: Das Seelenleben des Kindes ist beftimmt durch den Oedipus- Komplex, durch den Wunsch, den Vater zu beseitigen, um die Mutter zu besitzen, und durch die Verdrängung und Verhüllung dieses Wunsches. So wird das Buch mit seinem zweiten Rapitel zu einer Einführung in die Freudsche Psychoanalyse.
STOLWERCK
Kakao Schokolade Pralinen