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Beiblatt zur Berliner Volks- Tribune".

Irland  .

Von Ferd. Freiligrath. An rost  'ger Kette liegt das Boot; Das Segel träumt, das Ruder fungert. Das macht, der Fischerbub ist todt; Das macht, der Fischer ist verhungert! Denn Jrlands Fisch ist Herrenfisch; Der Strandherr praßt vom reichen Fange, Leer   aber bleibt des Fängers Tisch So starb der Fischer, so sein Range.

Die Heerde blöckt, die Heerde brüllt; Welch ein Gedräng von Küh'n und Schafen! Der Hirt, in Lumpen schlecht verhüllt, Treibt sie an's Meer zum nächsten Hafen. Denn Jrlands Vieh ist Herren vich: Das gerne Pady's*) Knochen stärkte Und seiner Kinder brechend Knie

Der Grundherr schickt's auf fremde Märkte.

Drum ist sein Vichstall ihm ein Born

Der Ueppigkeit und des Genusses,

Und jeglich Kuh- und Bullenhorn

Wird ihm ein Horn des Ueberflusses.

Er läßt zu London   und Paris  

Den Spieltisch unter'm Gold sich biegen: Sein Volk, das er zu Hause ließ, Fällt unterdeß wie Winterfliegen.

Halloh, Halloh! Grün- Erins Jagd!

Pady, lang' zu! das nenn' ich Ziemer! Umsonst! auch das wird fortgebracht, Meerüber mit dem ersten Steamer! Denn Jrlands Wild ist Herren wild:

Es füllt des Grundherrn Bauch und Taschen,

Der bleiche Knecht, des Elends Bild,

Hilf Gott  ! ist selbst zu matt zum Paschen!

So sorgt der Herr, daß Hirsch und Ochs, Das heißt: daß ihn sein Bauer mäste; Statt auszutrocknen seine Bogs Ihr fennt sie ja: Irlands   Moräfte! Er läßt den Boden nuglos ruhn, Drauf Halm an Halm sich wiegen könnte; Er läßt ihn schnöd dem Wasserhuhn, Dem Kibiz und der wilden Ente!

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Sumpf

Ja doch, bei Gottes Fluche: Und Wildniß vier Millionen Aecker! Ihr aber seid blasirt und stumpf, Faul und verfault- euch weckt kein Wecker! O, irisch Land ist Herrenland:

Drum stehn die Mütter an den Wegen,

Den todten Säugling im Gewand,

Und flehn euch, ihn in's Grab zu legen.

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So schallt die Klage Tag und Nacht,

So grollt es Connaught durch und Lenster.*) Der West hat mir den Schrei gebracht Er trug ihn schrill bis vor mein Fenster.

Matt, wie ein angeschossner Weih,

Herschwebt er über Höh'n und Sunde  Der Schrei der Noth, der Hungerschrei, Der Sterbeschrei aus Erins Munde!

Die Baronin von Belleville.

Aus den Erlebnissen eines Sozialdemokraten.

Sonnabend, den 24. November 1888.

aufschließen, Einrichtung, Preis und Lage gefielen mir.

II. Jahrgang.

Nun begann sie stärkere Minen springen zu lassen. Die Wirthin eine stattliche, ältere Dame mit sehr sicherem Sie erzählte von ihrer innigen Freundschaft mit dem und selbstbewußtem, wenn auch nicht sehr gebildetem Auf- Hauptmann, von ihrem geistigen Bedürfniß nach Anschluß treten beobachtete mich sehr scharf, musterte meinen Anzug an einen edlen Mann, der sie versteht, von dem Unglück vom Kopf bis zum Fuß, man sah, sie schätzte mich förm- das sie trage, eine sie über ihren Stand erhebende Bildung lich ab, stellte verschiedene Fragen über meine Beschäftigung, zu haben, die sie ihren guten Eltern entfremde. Dieser ob ich viel zu Hause sei u. s. w. Meine Erklärung, daß Umstand werfe einen Schatten auf ihr Leben und mache ich fast den ganzen Tag zu Hause wäre, auch meistens sie so recht tief betrübt. Sie kenne keinen Frohsinn, keine Abends zu Hause bleibe, nahm sie mit sichtlicher Befriedi- Heiterkeit und werde die nur finden, wenn sie ein Herz gung auf. Nach einigem Schwanken und Zögern und und einen Geist finde, die zu ihr passen. Der Hauptmann nachdem sie noch in eine Nebenstube getreten war und hier habe sich bemüht, durch kostbare Geschenke sie aufzu= flüsternd mit jemandem einige Worte gewechselt, nahm sie heitern, aber ach, vergeblich. Er habe als Dank nur ein das Handgeld von mir an und einige Tage darauf zog ich einziges frohes Lachen von ihr verlangt, sie hätte es aber nicht leisten können. Das habe ihn sehr tief betrübt. in das gemiethete Logis ein.

Es war Stube mit Kabinet. Die Zimmer waren Ich hörte zu, ohne zu antworten. Sie sprach lange hoch und luftig, die Straße still, das Haus ein sehr und recht geläufig. Das Thema schien sie gut eingeübt ruhiges und elegantes, die Möbel waren anständig und zu haben. Als sie nun aber die Gegenstände zu bezeichnen bequem. Ich breitete mit wahrem Behagen am Tage nach begann, die ihr der Herr Hauptmann noch habe schenken meinem Einzuge meine Papiere auf der Platte eines un- wollen, als er versetzt wurde, und die wohl vielleicht gemein bequemen Schreibtisches aus und vertiefte mich in geeignet wären, sie heiter blickend zu machen, da fragte die Arbeit. ich, ob es ihr recht wäre, wenn wir jezt etwas zusammen Den eigentlichen Inhaber der Wohnung sah ich lesen wollten. Ich nahm dann die Uebersetzung eines morgens früh an meinem Fenster vorbei gehn. Ein kleines griechischen Dramas. Der Geist des erschlagenen Königs­altes Männchen in sehr abgeschabter Kleidung mit ver- sohnes erschien, Hekuba   erfuhr das herbe Geschick, das wittertem, demüthigen Geficht und einem gewissen salbungs- ihrer Tochter wartete, sie flehte den harten Odysseus um vollen Blick im Auge, als er mich im Vorbeigehen grüßte. Rettung des Lebens des geliebten Kindes an, sie sah es Er trug eine große Tasche am Riemen über die Schulter erbarmungslos weggeführt. Der Herold verkündete den hängend, wie die Kolporteure sie zu tragen pflegen. Heldentod der edlen Jungfrau.

Ich habe ihn später immer ganz früh am Morgen fort- Mich hatte die großartige Schönheit dieses zwei­gehen und so um acht Uhr Abends zurückkehren hören. tausendjährigen Wortes gepackt, mit flammender Begeisterung Später habe ich mich durch Einsehen des Adreßbuches las ich. Bei der Rede des Taltibius verdunkelte sich mein belehrt, daß der Inhaber der Wohnung Pf. heiße und Auge, ich mußte das Buch einen Augenblick senken. Ich penfionirter Küster sei. blickte nach meiner Zuhörerin und fand den Stuhl

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Die Frau fannte ich schon. Was der Mann gebückt, leer. Sie hatte sich leise entfernt. fadenscheinig und abgelebt war, das war sie aufrecht, rund, Wie sie mir am nächsten Tage lachend sagte, könne voll und voller Energie. Wie ich von ihr selbst erfuhr, sie nicht begreifen, wie ein so verständiger Mann solche war sie Handelsfrau, die auf Auktionen theils in Kom- langweilige Sachen lesen könne. Die Gelehrten haben mission für andere, theils auch auf eigene Spekulation alle Schrullen. Der Herr Hauptmann hätte sich besser Waaren aller Art besonders Möbel einkaufte. Ich hörte auf ihren ihren Geschmack verstanden. Besonders seine sie in früher Morgenstunde und am späteren Nachmittag Geschenke u. s. w. Ob ich nicht einmal einige Freunde oft in einer Nebenstube mit ihren Kunden handeln. So um neun Uhr ging fie regelmäßig fort und kehrte erst um 4 Uhr zurück. All diese Verhältnisse lernte ich, ohne mich darum zu bemühen in einigen Tagen kennen.

Wenn Mann und Frau fort waren, hörte ich in den ersten Tagen in der Nebenstube leichte Tritte, wurde aber weiter durch kein Geräusch gestört.

einladen wolle, man würde mir dazu die große nebenan liegende Wohnstube gerne einräumen. Es tämen so_an= genehme junge Leute zu mir, es müsse sehr interessant sein, mit diesen einen Abend zu verleben. Die Mutter würde Alles auf das Feinste besorgen.

Jch Barbar lachte nur etwas verschmitt. Sie ging schmollend weg und ich sah sie einige Tage nicht. So So mochten drei bis vier Tage verflossen sein, als war die erste Hälfte des Monats vergangen. Der ver­eines Morgens ich saß bei meiner Arbeit leise an hängnißvolle Fünfzehnte war erschienen. Ich sah zur der Verbindungsthüre nach der Wohnung des Wirthes Kündigung meinerseits keinen Grund, besonders da die gepocht wurde. Auf meinen Zuruf trat eine junge Dame schöne Dame mich ganz vergessen zu haben schien. Sie ins Zimmer, die schon des Anschauens werth war. aber war entschlossen, nachdem die regelmäßige Belagerung

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Mittelgroß, schlank und voll, schön gerundet bei nichts ergeben, zum gewaltsamen Angriff überzugehen. leichter Zierlichkeit, ein frisches blühendes Gesicht vom Am Fünfzehnten um die Mittagsstunde trat sie bei Schimmer vollendeter Schönheit umflossen, geschmackvoll in mir ein, die schönen Glieder umwallt von starrer, lang einen einfachen, aber modernen Anzug gekleidet stand sie nachschleppender Seide. Nachdem sie die Schleppe kunst­mit niedergeschlagenen Augen vor mir. Sie habe ihre gerecht ausgebreitet, stand sie da, die Augen mit der Hand Mutter gebeten, die habe es aber immer vergessen, so bedeckend und rief mit fliegendem Athem: Herr- retten Ich wußte es aus Erfahrung, ein gesunder und müsse sie selbst mich fragen, ob es mich stören würde, Sie mich! Ach, das Unglück! Ich habe im Auftrage kräftiger Mann am Ausgange der Vierziger Jahre ist wenn sie täglich nur etwa eine Stunde lang Klavier spiele. eines vornehmen Frauenpereins eine Geldsammlung vor­wohl noch sehr geeignet, selbst bei jüngeren Weibern echte Sie habe es der Uebung wegen nöthig, da sie als Klavier- genommen. Jetzt soll ich das Geld abliefern, ich muß und innige Liebe zu erwecken, wenn ihm die Umstände virtuosin   nächstens auftreten wolle. Sie würde wirklich sofort zur Sigung gehen und mir fehlen 25 Thaler. günstig sind. Ich wußte aber auch, daß Männer in nicht länger als eine Stunde üben, da sie um Stunden Ich weiß nicht, wo sie geblieben sind, ich muß sie verloren haben. Netten Sie mich vor der Schande, ich will Ihnen diesem Alter sehr vorsichtig und mißtrauisch sein müssen, zu geben dann ausgehen müsse. Ich gab natürlich meine Einwilligung, indem ich sagte, danken( ein füßes Lächeln) wie Sie es nur wünschen wenn ihnen die Neigung von Weibern entgegengebracht wird, ohne daß sie selbst etwas gethan haben, sich dieselbe gute Musit störe mich nicht leicht, und bald hörte ich einen können! Chopin  'schen Walzer ertönen. Wenn der Vortrag auch Ich hatte die Feder weggelegt, mich nach der Dame zu erwerben. Dabei besaß ich nie die Eitelkeit, die sich einbildet, nicht gerade fein empfunden zu bezeichnen war, so war umgedreht und genoß den wirklich künstlerisch schönen Weiber im Sturme erobern zu können. Ich hatte es viel großes Geschick nicht zu verkennen. Das Spiel verstummte, Anblick, wie sie da stand, die Arme nach mir vorgestreckt, mehr oft erfahren, daß meine Person etwas Herbes be- ich hörte das Klavier schließen und bald darauf den leichten den Kopf feitwärts gewendet, so daß er das klassische für mich Profil und das herrlich wallende Haar sehen ließ. Sie fitzen müsse, das die Weiber mehr abstieß als' anzog, und Schritt, der jeßt was soll ich es leugnen daß es immer längeren Umganges und einiger Mühe viel mehr Interesse hatte, als früher, über den Korridor hatte sicher mindestens eine Stunde lang vorher, als ich meinerseits bedurft hätte, wenn ich dem Herzen eines eilen. Ich konnte nicht unterlassen aufzustehen und ans sie im Nebenzimmer umher trippeln hörte, diese Stellung Weibes näher treten wollte. Wenn dies schon in meinen Fenster zu treten, als sie vorbei ging. Sie lächelte mir vor dem Spiegel eingeübt. Da ich sizen blieb, sie betrachtete und schwieg, verlor jüngeren Jahren, in den Jahren der Lebensblüthe so ge- einen Gruß zu und ging leichten zierlichen Schrittes dahin, wesen war, so mußte mich in dem späteren Alter jedes beschwert mit der Musikmappe, die übrigens öfters ganz fie die Sicherheit des Auftretens. Einen Augenblick schwankte sie unentschlossen, wie sie auffallende Entgegenkommen von Weibern mißtrauisch andere Sachen enthalten soll, als gerade Noten. machen, das Beobachten und Abwägen herausfordern. Ich Von diesem Tage ab machte sich die junge Dame weiter verfahren solle. Dann flammte fie in sehr un­kann von mir wohl sagen, so oft ich mich auch habe täglich am Vormittage irgend ein Geschäft in meinem schönem Zorn auf, ihre wahre Natur brach durch. Der täuschen und betrügen lassen, ein Weib, das mir Liebe log, Zimmer. Ich bemerkte, wie sie sich bemühte, mir zu ge- schöne Mund sprudelte eine Fluth häßlicher Worte hervor hat mich nie betrogen. So war ich gut vorbereitet, das fallen, mir unsichtbare Schlingen um die Füße zu legen. und sie erklärte mir, daß ich nicht werth sei, von ihr weiter beachtet zu werden. fleine Abenteuer, das ich in den nachfolgenden Zeilen Eines Tages traf fie mich bei einer Aquarellmalerei, Eine halbe Stunde später hatte ich meine Kündigung. schildern will, zu bestehen, ohne aus demselben als Ge- und erbat sie sich die Erlaubniß, mir eine Weile zusehen Ich zog aus und hatte das kleine Abenteuer fast ver­foppter hervorzugehen. zu dürfen. Sie nahm so dicht neben meinem Stuhle Es war im Jahre 1877 oder 78 als ich in die plaß, daß ich bei jeder Bewegung ihren Körper streifen geſſen, als ich die schöne Auguste im Hocheleganten Reit­Nothwendigkeit gesetzt war, mir in Berlin   wo möglich für mußte. Als sie bemerkte, daß ich falt blieb, erhob fie fostüme, gefolgt von einem Diener, der eine sehr vor­gefeßt nehme Uniform trug, auf dem Potsdamer Bahnhof traf. längere Benutzung eine möblirte Junggesellen- Wohnung zu sich plößlich und meinte, das sei doch eigentlich eine lang- Als sie mich sah, lächelte sie und schwippte mit der Reit­suchen. Es ist dieses besonders für einen älteren Herrn, weilige Arbeit. Wenn ich es erlaube, wolle sie mich Abends der an eine gemüthliche Familienwohnung gewöhnt ist, besuchen, ich könne ihr wohl etwas vorlesen. Sie höre gerte. Der Diener feßte einen kleinen Koffer in ein Koupee erster Klasse und fort ging es nach Potsdam  . Die Dame eine nicht gerade leichte und angenehme Aufgabe. In meine Stimme gerne. Der Inhaber der Wohnung vor hatte Karriere gemacht. Verfolgung derselben durchschritt ich die Tempelhofer Straße mir habe ihr auch zuweilen aus sehr guten Büchern vor- Einige Jahre darauf wurde eine Baronin Ella von und hatte daselbst schon mehrere möblirte Zimmer besehen gelesen, während sie eine Handarbeit gemacht habe. ohne zu finden, was ich wünschte. Da zog noch ein an Ich hatte mich freilich darüber nicht erklärt, doch Belleville aus Berlin   ausgewiesen, weil sie lästig einem Parterrfenster angebrachter Zettel meine Aufmerksam brachte sie mir Abends meinen Thee selbst, den bis dahin gefallen". Ihre Karriere war zu Ende. Sie protestirte keit auf sich, ich trat ins Haus und ließ mir das Zimmer die Mutter mir gebracht hatte, und setzte sich mit einer vergeblich, sie sei gar keine Baronin von Belleville, sie sei Handarbeit an den Tisch, mir gegenüber, indem sie sagte: die unverehelichte Pf. Half ihr nichts, sie war läftig und *) Pady: volksthümliche Bezeichnung für den Irländer. Steamer( ſprich: Stiemer)= Dampfer. Connaught und Lenster: So saß ich auch immer als der Herr Hauptmann hier mußte fort. Sie soll jetzt in Amerika   Memoiren schreiben. zwei der vier irländischen Provinzen.

ben

-

wohnte.