IfiHnti mt berliner Volks Tribüne.
M 34.
Sonnabend, den 24. August 1889.
m. Jahrgang.
�Nachdruck Btrboten.J Das Weiö. Drei Träume in der Wüste. Von Olive Schreiner *). Als ich einst über eine afrikanische Ebene wanderte, schien die Sonne heiß darauf nieder. Da leitete ich mein Pferd an einen Mimosenbaum, und ich nahm den Sattel von ihm ab und ließ es an dem dürren Gesträuch weiden. Und rechts und links dehnte sich unabsehbar die braune Erde vor mir aus. Und ich setzte mich unter dem Baum nieder, weil die Sonne heiß herabbrannte und längs des ganzen Horizonts die Luft zitterte. Und nach einer Weile überkam mich eine schwere Müdigkeit und ich legte mein Haupt gegen meinen Sattel und schlief ein. Und in meinem Schlaf hatte ich einen sonderbaren Traum.-- Ich glaubte an dem Rande einer großen Wüste zu stehen und der Sand wirbelte von allen Seilen aus. Und ich glaubte zwei große menschliche Gestalten gleich den Lastthieren der Wüste zu sehen, die eine lag auf dem Sand mir ausgestrecktem Halse und die andere stand neben ihr. Und ich schaute neugierig auf die, welche auf dem Boden lag, denn sie trug eine große Bürde auf dem Rücken und der Sand lag schwer um sie her, als habe er sich seit Jahrhunderlen angesammelt. Und ich betrachtete sie neugierig. Und es stand Jemand beobachtend neben mir. Und ich sagte zu ihm: „Was ist dies ungeheure Geschöpf, das hier auf dem Sande lieg:?" Und er sagte:„Das ist das Weib; sie die aus ihrem Leibe Menschen gebiert." Und ich sagte:„Warum liegt sie hier regungslos mit dem Sande um sie her angesammelt?" „Und er antwortete:„Höre, ich will dir's erzählen! Zeitalter aus Zeitalter hat sie hier gelegen und der Wind blies über sie her. Der älteste, älteste, älteste Mann, der lebt, hat sie sich nie bewegen gesehen; das älteste, älteste Buch, berichtet, daß sie hier gelegen, wie sie jetzt hier liegt, mit dem Sande um sich her. Doch höre! Aelier denn das älteste Buch, älter denn die älteste verzeichnete Ueber- lieserung des Menschen, aus dem Fels der Sprache, auf dem hart gebackenen Lehm alterthümlicher Sitten und Gebräuche, die jetzt dem Versall entgegeneilen, sindet man die Spuren ihrer Fußtapfen. Du magst sie verfolgen neben denjenigen ihres Begleiters; und du weißt, daß sie, die jetzt dort gefestelt liegt, einst mit ihm fr ei über die Berge wandette." Und ich sagte:„Warum liegt sie jetzt gefesselt dort?" Und er sagte:„Ich nehme an, daß vor Zeilen das Zeitalter der Barbarei sie traf, und als sie sich bückte, um ihr Junges zu säugen, und da ihr Rücken breit war, legte es seine Bürde der Unterjochung darauf und band diese darauf fest mit dem breiten Band unvermcid- licher Nothwendigkeit. Da schaute das Weib zur Erde nieder und auf zum Himmel und wußte, daß es für sie keine Hoffnung gab; und es legte sich aus dem Sande nieder mit der Bürde, die es nicht abschütteln konnte. Seit jener Zeit hat es hier gelegen. Und die Jahre kamen und die Jahre gingen, aber das Band unvermeidlicher Nothwendigkeit ist nicht gelöst worden." Und ich schaute und sah in ihren Augen die schreck- liche Geduld der Jahrhunderte; die Erde war feucht von ihren Thränen und ihre Rüstern bliesen den Sand aus. Und ich sagte:„Hat sie je versucht, sich zu bewegen?" Und er sagte:„Manchmal hat ein Glied gezittert. Aber sie ist geduldig, sie weiß, daß sie, mit der Bürde belastet, nicht aufstehen kann." Und ich sagte:„Und der neben ihr steht, warum verläßt er sie nicht und geht weiter?" Und er sagte:„Er kann nicht. Sieh—" Und ich sah, wie ein breites Band am Boden von Einem zum Andern führte und sie zusammenband. Er sagte:„Während sie dort liegt, muß er da stehen und über die Wüste blicken." Und ich sagte:„Weiß er, warum er sich nicht be- wegen kann?" Und er sagte:„Nein." Und ich hörte ein Geräusch, wie wenn etwas zersprang, und ich schaute und ich sah das Band, welches die Bürde auf ihren Rücken band, auseinandergerissen; und die Bürde rollte zur Erde. Und ich sagte:„Was ist dies?" Und er sagte:„Das Zeitalter der Barbarei ist vorbei. Das Zeitalter der Beherrschung der Nalurkräfle hat es getödtet; stille und unsichtbar ist es an das Weib herangeschlichen und mit dem Schwerte mechanischer Cr- findungen hat es das Band zerschnitten, welches die Bürde aus des Weibes Rücken band. Die unvermeidliche Noch- wendigkeil ist gelöst. Sie könnte jetzt frei sein und auf- stehen." *) Die jugendliche Verfasserin dieser„Träume" ist die Tochter eines südafnkanischen Missionärs. In Afrika geboren, verlebte sie ihre Kindheit und erste Jugend daselbst, ist aber jetzt in England. Sie ist noch sehr jung und nur wenig ist bis jetzt von ihr im Druck erschienen, dieses Wenige aber trägt den Stempel außer- ordentlicher Begabung. Ihre Erzählung:„The Story of an Afri- can Farm" kann als eine der merkwürdigsten literarischen Erschei- nungen unserer Zeit betrachtet werden.
Und ich sah, daß sie immer noch bewegungslos auf dem Sande lag, mit offenen Augen und ausgestrecktem Halse. Und sie schien am fernen Rande der Wüste nach etwas auszuschauen, das nie kam. Und ich wunderte, ob sie wache oder schlafe. Und als ich hinblickte, erbebte ihr ganzer Körper und ein Licht schien in ihren Augen, wie wenn ein Sonnenstrahl in ein dunkles Zimmer fällt. Und ick sagte:„Was ist das?" Er flüsterte:„Still! Der Gedanke ist ihr gekommen: ,könnte ich nicht frei sein und ausstehen?'" Und ich blickte hin. Und sie erhob ihr Haupt vom Sande und ich sah den Eindruck, wo ihr Hals so lange gelegen hatte. Und sie schaute zur Erde nieder und sie schaute auf zum Himmel und sie schaute zu dem, der neben ihr stand; aber er blickte regungslos hinaus über die Wüste. Und ich sah ihren Körper erbeben; und sie preßte ihre Kliiee gegen die Erde, und ihre Adern traten hervor; und ich rief aus:„Sie wird frei sein und ausstehen." Aber nur ihre Seiten hoben sich und sie blieb ruhig liegen, wo sie war. Aber ihr Haupt hielt sie empor; sie legte es nicht wieder nieder. Und der neben mir stand sagte:„Sie ist sehr schwach. Sieh, ihre Glieder sind vom langen Druck gelähmt." Und ich sah das Geschöpf ringen; und die Tropfen standen an ihm hervor. Und ich sagte:„Der an ihrer Seite steht wird ihr gewiß helfen?" Und der zu meiner Seite antwortete:„Er kann nicht helfen; sie muß sich selbst helfen. Laß sie kämpfen, bis sie stark ist." Und ich rief aus:„Wenigstens wird er ihr nicht hinderlich sein! Doch sieh, er entfernt sich von ihr und zieht das Band zwischen ihnen straffer an und er schleppt sie nieder." Und er antwortete:„Er hat keine Einficht. Wenn sie sich regt, zieht sie das Band an und lhut ihm weh und er entfernt sich weiter von ihr. Der Tag wird kommen, da er zur Einsicht gelangen und aus ihre Ab- sichten eingehen wird. Laß sie einmal auf ihre Kniee emporranken. An jenem Tage wird er ihr zur Seite stehen und theilnahmsvoll in ihre Augen schauen." Und sie streckte ihren Hals aus und die Tropfen fielen von ihr herunter. Und das Geschöpf erhob sich einen Zoll über die Erde und sank zurück. Und ich rief aus:„O, sie ist zu schwach! sie kann nicht gehen! Die langen Jahre der Knechsschaft und Ar- beirslast haben ihr alle Kraft genommen. Wird sie sich nie bewegen können?" Und er antwortete mir:„Sieh das Licht in ihren Augen." Und langsam wankte das Geschöpf auf seine Kniee. *** Und ich erwachte: und ostwärts und westwärts dehnte sich die öde Erde aus, mit den dürren Sträuchern darüber her. Die Ameisen liefen auf und nieder in dem rothen Sand und die Hltze brannte heiß herab. Ich schaute durch die dünnen Zweige des Baumes hinaus zum blauen Himmel über mir. Ich reckte meine Glieder und sann über den Traum nach, den ich geträumt. Und ich schlief wieder ein mir meinem Haupt auf dem Sattel. Und in der brennenden Hitze hatte ich einen andern Traum. Ich sah clne Wüste und ich sah ein Weib daraus hervorkommen. Und sie kam an das Ufer eines dunklen Flusses; und das Ufer war steil und hoch.*) Und auf demselben begegnete ihr ein alter Mann, der einen langen, weißen Bart hatte; und er führte einen Stock, darauf ge- schrieben stand: Vernunft. Und er srug sie, was sie wolle; und sie sagte:„Ich bin ein Weib; und ich suche das Land der Freiheil." Und er sagte:„Es liegt vor dir." Und sie sagte:„Ich sehe nichts vor mir als einen dunklen Strom und em hohes und steiles Ufer und hie und da Einschnitte mit schwerem Sand darin." Und er sagte:„Und drüben, jenseits des Stromes?" Sie sagte:„Ich sehe nichts, aber manchmal, wenn ich meine Augen mit meiner Hand beschatte, dünkt mich, ich sehe an dem jenseitgen Ufer Bäume und Berge und die Sonne darüber scheinen." Er sagte:„Das ist das Land der Freiheit." Sie sagte:„Wie kann ich dorthin gelangen?" Er sagte:„Es giebt einen Weg und nur einen. Längs den Usern der Arbeit und durch die Waffer des Leidens. Es giebt keinen andern." Sie sagte:„Giebt es leine Brücke?" Er antwortete:„Keine." Sie sagte:„Ist das Waffer tief?" Er sagte:„Tief." Sie sagte:„Ist der Boden glatt?" Er sagte:„Er ist es. Dein Fuß mag irgend einen Augenblick ausgleiten und du magst verloren sein." Sie sagte:„Sind je welche übergesetzt?" Er sagte:„Einige haben es zu thun versucht."
*) Die Ufer eines afrikanischen Flusses sind manchmal hundert Fuß hoch und bestehen aus tiefem Triebsand, durch welchen im Laufe der Zell der Fluß sein Riesenbett hindurchgebrochen hat.
Sie sagte:„Giebt es einen Pfad, welcher zur beste»» Furth führt?" Er sagte:„Er ist erst noch zu schaffen." Sie beschattete ihre Augen mit der Hand und sie sagte: „Ich werde gehen." Und er sagte:„Du mußt dich der Kleider entledigen, die du in der Wüste trugst; wer so gekleidet in den Strom geht, wird hinuntergezogen." Und sie warf freudig von sich den Mantel alther- gebrachter Ueberlieferungen, denn er war durchlöchert von langem Tragen. Und sie nahm den Gürtel von ihrem Leib, den sie so lange geschätzt hatte, und die Motten flogen wie eine Wolke daraus hervor. Und er sagte:„Nehme die Schuhe der Abhängigkeit von deinen Füßen." Und sie stand nackt da bis auf ein weißes Gewand, das ihr fest anlag. Und er sagte:„Das magst du behalten. So tragen sie die Kleider im Lande der Freiheit." Und ich sah auf seiner Brust stand geschrieben: Wahr- heit. Und er sagte:„Nimm diesen Stock der Vernunft, halte ihn fest. An dem Tage, da er deinen Händen ent- schlüpft, bist du verloren. Setze ihn vor dir nieder; taste deinen Weg; wo er keinen Boden sindet, die Stelle betrete nicht." Und sie sagte:„Ich bin bereit; laß mich gehen." Und er sagte:„Nein— aber weile; was ist das— an deiner Brust?" Sie war stumm. Und gegen ihre Brust lag ein winziges Ding, das daran trank, und die gelben Locken über seiner Slirne waren dagegen gepreßt; seine Kniee waren zu ihr heraufgezogen; und es hielt ihre Brust fest mit seinen Händen. Und die Vernunft sagte:„Was ist dies und was lhut es hier?" Und sie sagte:„Sieh seine kleinen Flügel—" Und die Vernunft sagte:„Setze ihn nieder." Und sie sagte:„Er schläft und er trinkt! Ich werde ihn in das Land der Freiheit tragen. Er ist so lange ein Kind gewesen, so lange habe ich ihn getragen. Im Lande der Freiheit wird er ein Mann werden. Wir werden dort neben einander wandern und seine großen weißen Flügel werden mich überschatten. Er hat mir in der Wüste nur ein Wort gelispelt—„Leidenschaft!" Es träumte mir, er möchte in jenem Lande„Freundschaft" zu sagen lernen." Und die Vernunft sagte:„Setze ihn nieder." Und sie sagte:„Ich werde ihn so tragen— auf einem Arm und mit dem andern werde ich das Waffer bewältigen." Die Vernunft sagte:„Setze ihn aus die Erde. Wenn du im Waffer bist, wirst du zu kämpfen vergessen und du wirst nur an die„Leidenschaft" denken. Setze ihn nieder." Und weiter:„Er wird nicht sterben. Wenn er gewahr wird, daß du ihn allein gelassen hast, wird er seine Flügel ausbreiten und fliegen. Er wird im Lande der Freiheit sein, ehe du dort anlangst. Die erste Hand, die sich das Ufer hinunter derjenigen helfend entgegenstreckt, welche das Land der Freiheit erreichen, soll diejenige der Liebe sein. Er wird dann ein Mann sein, nicht ein Kind. An der Brust der Sklavin kann, er nicht gedeihen; setze ihn nieder, auf daß er wachsen möge." Und sie setzte ihn nieder. Und sie beugte sich über ihn und streichelte seine Flügel. Und ich sah das Haar aus ihrer Slirne war weiß geworden wie Schnee und ihre Jugend hatte dem Alter Platz gemacht. Und sie stand fernab an dem Ufer des Flusses. Und sie sagte:„Warum wandere ich in dies ferne Land, das niemand je betrat? O ich bin allein, ich bin gänzlich allein!" Und die Wahrheit, jener alte Mann, sagte zu ihr: „Stille, was hörst du?" Und sie horchte aufmerksam auf und sie sagte:„Ich höre den Lärm von Füßen, tausend und tausende von lausenden, und sie gehen alle in dieser Richtung." Er sagte:„Es sind die Füße derer, die dir folgen. Weise den Weg! Mache einen Pfad bis an des Wassers Rand! Wo du jetzt stehst, wird der Boden flach getreten werden von zehntausend Füßen." Und er sagte:„Hast du die Heuschrecken gesehen, wie sie über einen Strom setzen? Zuerst kommt eine bis an des Wassers Rand und sie wird weggeschwemmt, und dann kommt eine andere und wieder eine andere, und zuletzt entsteht von ihren aufgethürmten Leibern eine Brücke, und die Uebrigen wandern darüber." Sie sagte:„Und von jenen, die zuerst kommen, werden einige hinweggeschwemmt und man hört von ihnen nichts weiter: ihre Leiber dienen nicht einmal zum Bau der Brücke?" „Sie werden hinweggeschwemmt und man hört von ihnen nichts weiter— was liegt daran?" sagte er. „Und was liegt daran ," sagte sie. „Sie machen einen Pfad bis an des Waffers Rand." „Sie machen einen Pfad bis an des Wassers Rand—." Und sie sagte:„Ueber jene Brücke, welche von unfern Leibern erbaut sein wird, wer wird darüber gehen?"