UciMatt zur JScrtiner Vok��Criöüne.SRr. 46.Sonnabend, den 15. November 1890.IV. Jahrgang»Vor Sonnenaufgang.O jene Tage sind so fern.Da einst Genuß des Menschen Los.Die Zeit ist hell vom Morgenstern,Doch sonnenlos.In dieser Nacht im SternenscheinSchläft rings das Volk auf feuchter Streu,Stets von der Träume bunten Reih'nGenarrt auf's neu.Kein Zagen tritt an sie heran,Was ihnen träumt, scheint ihnen wahr:Bergessen dieser Schatten Bann,Fern die Gefahr.Doch die vom Fels im SternenstrahlGen Lsten wenden ihr Gesicht,Sie fühlen dieses Dunkels Qual,Sie träumen nicht.Die großen Augen, hoffnungskühn,Erfleh'n die Stunde, da es tagt—Die großen Augen bangend glüh'nDurch tiefe Nacht.Und ihre Schwerter, blank und klar,Funkeln im Sternenlicht—Sie kennen dieser Nacht Gefahr,Sie träumen nicht!Erwacht vom Traume bin auch ichUnd schäme mich der langen Ruh:Ob manches schöne Bild entwich—Noch leuchtest du:Du Hoffnung einer lichtren Welt,Du Sternbild, das im Osten flammtUnd jedes Menschen Herz erhellt,Das gottentstammt!Otto Erich.//IScemn aus Arohg's„AlbertinesAus dem Norwegischen überseht von E. Wetter.)�)Es war acht Tage später. Die Uhr schlug einenheiseren Schlag hinter der blaugemalten Wand.Der Frühjahrsmantel war fertig. Aber es war einkurzes Sommerjacket daraus geworden. Ganz, ganzkleine schwarze Carreaux auf dem hellgrauen Grunde—eine kleine Brusttasche auf der linken Seite und einkleiner dunkelgrüner Seidenlappen darauf, gleich einemTaschentuch.Er war bereits seit mehreren Tagen fertig und siewar mit ihm jeden Tag auf Karl-Johann zur Musikspazieren gegangen und hatte ihm begegnet, der seinebuntgestreiften Hosen an hatte und sehr elegant war,und er hatte sie tief gegrüßt, selbst eines Tages, als ermit dem hübschen Fräulein Möller zusammenging, aberda hatte er sie nicht so tief wie sonst gegrüßt.Albertine hatte drei Briefe von ihm bekommen—an Fräulein Albertine Kristiansen, Nordstadtgasse Nr. 7— und sie konnte sie auswendig; das erste Mal hatteer geschrieben„liebes Fräulein Albertine" und sie ge-beten ihn des Abends unten an der Festung zu treffen,und da hatte er sie wieder geküßt— zwei Mal— einMal auf der Festung und ein Mal unten im Börsen-garten, als er sie nach Hause begleitete, und am Tagedarauf hatte er geschrieben„liebe Albertine, willst Dumich treffen?" und da hatte er sie wohl fünf Mal geküßt— und hübsch und vernünftig mit ihr gesprochenund sie gebeten vorsichtig zu sein— recht vorsichtig.Er ermahnte sie beständig. Es schien ihr, daß erder liebenswürdigste Herr in der ganzen Stadt seinmüßte, wie er der hübscheste und feinste war. Aber einUmstand war da, über den sie sich wunderte und wasihr nicht richtig vorkam. Wenn er sonst so furchtbarfein war und so einen Geschmack hatte, warum hatte ergeflickte Stiefeln an mit schiefen Absätzen? Sie hatte esgesehen, wenn er die Beine über Kreuz schlug, wenn siedrunten am Festungswall auf der Bank saßen. Sie hatteimmer geglaubt, daß es das ordinärste von Allem wäre,keine hübschen Schuhe anzuhaben— denn das war gleichals wenn man glaubte, es wäre für die Leute schwierigerzu sehen, und sie hatte sehr viel darüber nachgedacht,denn sie dachte fortwährend an den 17. Mai und anjedes Wort, das er gesagt hatte.„Sie" und„Ihnen"hatte sie noch ein paar Mal verwechselt— aber sie hattees bemerkt— übrigens nicht zu ihm, natürlicherweise—sondern zu Olsa, als sie beim Geburtstagskaffee drinnengewesen war. Nein, wenn sie mit ihm zusammen war,konnte ihr das nicht Passiren; es war gleich, als wennsie auch feiner wurde, nur davon, daß sie mit ihm zu-sammen war und sie lernte immer etwas Neues.Eines Abends waren sie im Viktoriatheater gewesenund da hatte er zu ihr gesagt, daß sie nicht mit demMesser essen müßte, sondern mit der Gabel— ja natürlich! und sie konnte auch nicht verstehen, daß sie früherso was hatte thun können— denn nun begriff sie, daßes sehr einfach war nnd es kam ihr sehr häßlich vor,wenn sie Mittags die Alte das Messer nehmen sah unddamit bis zum Schaft in den Mund hineinfahren, und♦) Als Buch erschienen bei Grimm in Budapest.Oline that es auch— sie war eines Tages in derNordstadtgasse— das war übrigens sonderbar, da siedoch ihrer Zeit so viel mit seinen Herren zusammen gewesen war. Ja, sie wollte gern eine Menge solcher Dingelernen, und jedes Mal lernte sie etwas Neues, und ersagte, sie wäre sehr gelehrig und könnte in einiger Zeitebenso gut werden wie irgend eine feine Dame der Stadt— denn es gäbe sehr viele, die nicht so fein wären, wiesie aussehen.Aber heute wollte sie ihm sagen, daß sie es rechtsonderbar fände, daß er mit geflickten Sohlen und schiefenAbsätzen ginge, denn das wäre nun gerade auch nichtfein, und wenn er sonst in Allem so fein war— dasletzte Mal war sie schon im Begriff gewesen, ihn zufragen, ob es vielleicht modern wäre, aber sie hatte esnicht gewagt: aber nun kannte sie ihn ja besser.Die Uhr schlug hinter der Wand.Eins, zwei, drei, vier, fünf— Na!— noch zweiund eine halbe Stunde.Sie dachte übrigens jetzt in letzter Zeit viel wenigeran seine Stiefeln als im Anfang— es war gleichsam,als wenn das nun nichts mehr machte;— es war, alswenn es weit weniger ordinär war, nur weil er es thatHeute Abend wollte sie ihm auch sagen, daß sie ihn belogen hatte und daß sie wirklich die Schwester der OlineKristiansen war— denn sie wollte ihn nicht belügenjedenfalls nicht so sehr— sie wollte ihn gar nicht belügen; nach und nach wollte sie ihm Alles erzählenAlles— vielleicht kam es noch einmal dahin, daß sieihn genau genug kannte, um ihn über das mit Olinebefragen zu können und wie es sich mit alle dem daverhielt—' denn er war so klug und kannte alles in derWelt und sie genirte sich weniger vor ihm, als selbst vorJossa.— Mit Jossa wollte sie niemals mehr zusammensein, wenn es ihr auch unangenehm war, denn sie hattedie Jossa gern. Jossa war nur leichtsinnig— die Arme— aber sie hatte ihr geradezu gesagt, warum sie mitihr nicht mehr zusammen sein konnte, und Jossa hattebegriffen, daß das richtig war, und nur gebeten, zu ihrnach Hause kommen zu dürfen, wenn Albertine nicht mitihr auf der Straße gehen wollte.Uebrigens dachte sie jetzt auch nicht mehr so viel analles das mit Oline, wie sie es früher gethan hatte.Sie dachte nur an das, was er gesagt hatte und wie eraussah und was er sie gelehrt hatte, und übte sich darin.während sie saß und nähte.Er wollte, daß sie schneidern lernen sollte, hatte ergesagt, und wollte sehen, ob er nicht e?ue Gelegenheitfür sie dazu ermitteln könnte— oder etwas Anderes,wobei sie viel Geld verdienen könnte, so daß sie unabHüngig würde. Er war so merkwürdig gut, denn jemehr sie verstand, desto besser konnte sie allen GefahrenWiderstand leisten und desto leichter war es für sie, sichgut zu verheirathen. Sie hatte niemals geglaubt, daßes feine Heeren gab, die so freundlich und anständigwaren.Nein, nun mußte sie recht mit aller Kraft nähen,daß sie mit diesem Lumpenkleide fertig würde und nichtzu spät käme.— Uebrigens war das nicht das Schwie-rigste, sondern sie mußte sich immer große Mühe gebennicht zu früh zu kommen, denn das war, wie sie wußtenicht fein; es war immer der He*, der der Erste amFleck sein mußte.Ja— er war ein guter Freund und sie wünschte,daß es ihm recht gut in der Welt gehen möchte. AberFräulein Möller konnte sie gar nicht leiden— ja siewar ja fein und reich genug— nicht deshalb— abersie glaubte nicht, daß dieselbe gut genug für ihn w?r.Und so furchtbar hübsch war sie doch gerade auch nicht— nur weil die Schwester so häßlich war, nannte mansie das hübsche Fräulein Möller, und dann kam es ihrvor, daß sie auch keinen guten Geschmack hatte— ja, sokam es ihr vor, sie mußte schon entschuldigen, aber siekonnte es durchaus nicht in ihren Kopf bekommen, daßder große Hut hinten im Nacken hübsch war— sie sahziemlich dammlich damit aus, und sie war auch nichtgut genug für ihn— er, der der feinste und hübschesteHerr in der Stadt war.Und so gut dazu— dachte er doch so viel daran.daß sie eine gute Partie machen müßte! O wäre siedoch eine feine und reiche Dame von besserer Herkunstals Fräulein Möller gewesen— vielleicht hätte er sichdann in sie verliebt und mit ihr verheirathet— dannwürde sie in der Brautnacht Wohl nicht davonlaufen—nein, vor ihm hatte sie keine Furcht.Die Uhr schlug einen Schlag. Nun war es Halbsechs.„Gott— wie langsam die Zeit vergeht, wenn manwartet!"Sie war doch wieder etwas zu zeitig fortgegangen,wie sie an der Uhr der Erlöserkirche sah— sie konntezur Brücke herabgehen und ein wenig die Dampfschiffebesehen. Endlich kamen dje Zeiger auf der Zolluhrgegen 7— wenn sie nun langsam ging, so kam sie fiinfMinuten zu spät und das war gerade richtig. Wenn ernur schon gekommen wäre. Sie schritt über den GrafWedel-Platz und ging am Arsenal vorbei unter den altenBäumen, welche dort standen mit ihren schrägenStämmen, mit frischem grünen Laub. Heute wollte sieDu zu ihm sagen— wenigstens versuchen, ob sie eskönnte. Sie hatte Herzklopfen.— Sie sah seine bunt-gestreiften Hofen und den Zylinderhut zwischen denBaumstämmen.Sie setzten sich auf die Bank.Rothe Ankerbojen wogten langsam auf und niederin den kleinen Wellen hinter einem Dampfschiffe, dasnach dem Ormsunde fuhr.— Ein Spazierboot mitschlaffem Segel wurde mit schwerem, platfchenden Ruderan's Gestade getrieben.Er sah nach seiner Uhr.—„Du Albertine— heutekann ich nicht lange hier bleiben, aber ich habe etwaSsehr ernsthaftes mit Dir zu sprechen. Ach— da kommtjemand."Es näherten sich in der Allee feste, kleine Schritte.Sie saßen still. Illbertine sah auf in demselben Augen-blick, daß er vorbeiging— sie erschrak— das war derPolizei- Inspektor. Er grüßte Helgesen. Er ging ihralso nach— vielleicht durfte sie hier nicht sitzen, abernein— sie that schnell, als wenn nichts wäre; Helgesc«konnte vielleicht glauben, daß sie etwas mit der Polizeizu thun gehabt hatte.„Wer war das?" fragte sie.„Der Polizei-Jnspektor Winther"—„Ach so!"„Ich muß mit Dir von etwas sehr Ernstem reden"— er sah nach seiner Uhr—„und ich habe wenig Zeit.Ich will dir etwas sagen, Albertine, ich habe langedaran gedacht, aber ich bin nicht dazu gekommen, es zusagen, aber nun sollst Du hören, denn nun geht esnicht mehr länger. Es geht nicht mehr, daß ich Dichtreffe;— es ist nicht gut— ich wollte sagen— ichglaube, daß wir abbrechen müssen— denn später wärees noch schwieriger— während es jetzt noch allenfallsarrangirt werden kann. Die Sache ist nämlich— ichmerke, daß ich nicht mehr so ganz meiner selbst Herrbin, wie ich glaubte, daß es Dir gegenüber der Fallwäre— und mir kommt so vor, ich merke, daß auchDu Dich mir gegenüber nicht mehr kalt verhältst— unddann, siehst du— reden auch die Leute darüber— jadie Leute haben angefangen zu reden und ich bekommeallerlei zu hören— und Du hast auch keinen Nutzenvon dem, was von Dir gesagt wird.— Glaubst Du danicht selbst, daß es richtig ist, was ich sage?"Sie sah auf eine ganz rothe Ankerboje herab mitvielen schweren Tauen und Ketten darin— mitten aufdem Wasser.„Glaubst Du es nicht", fragte er und zog sie ansieh—„daß es am besten ist—?"„Ja— vielleicht", antwortete sie leise.„Aber wir— wollen auch ferner gute Freundesein— nicht wahr— ich wußte wohl, daß Du einvernünftiges Mädchen bist, die ein.e solche Sache ver-nünftig nehmen würde.— Nein, nein— es ist amBesten, daß wir ein Ende machen, so lauge das Spielnoch gut steht— und ich will nicht so einer sein, derhingeht und Dich verführt— ein ehrenhafter Mann hörtnämlich bei Zeiten auf, und Du begreifst wohl, daßwenn wir so weiter fortfahren würden, so könnte esdann ebenso gut damit enden, daß wir ganz verliebt i«einander würden, und das würde ja nämlich ein Unglücksein, siehst Du, sowohl für Dich, als für mich, und daSwürde ja auch sehr schlecht von mir sein, der doch geradeauf Dich aufpassen sollte, denn das wollte ich doch undnichts Anderes. Meinst Du nicht— bist Du nicht mitmir darin einig, Tina?"Ja,— sie verstand sich ja nicht so gut auf s»etwas, aber sie glaubte, daß es richtig wäre, weil er eSsagte. Er war sehr gut und furchtbar anständig undwollte ihr Bestes und das würde sie immer fagen, wenn;emand Böses von ihm erzählte.Eine nach der andern kamen die Thränen langsamhervor— eine nach der andern tropften sie auf ihregroße unbeschuhte Hand hernieder.Sie wandte den Kopf halb fort.„Nein, weinst Du etwa, Albertine?" Er lachte undklopfte ihr auf die Wange.„Sei nun vernünftig"—ein Schritt ertönte, er zog den Arm von ihrerTaille weg.Aber dann entfernten sie sich wieder und er zog siewieder dicht zu sich heran.„So sage ich denn zum letzten Male zu Dir„Du".heute Abend, Albertine, aber denke an Alles, was ichDir gesagt habe, und wenn Du jemals irgend eine Hilfeoder einen Rath brauchen solltest, dann mußt Du alsozu mir kommen. Willst Du mir das versprechen—Albertine—?"Ja sie versprach es— sie fühlte wieder eineThräne auf ihrer Hand und trocknete sie mit demAermel ab.„Nein aber Du weinst ja, Albertine— Du, die sovernünftig ist?"„O ja, es ist die reine Kinderei von mir", antwor-tete sie und nahm ihr Taschentuch vor.Er schlug die Beine übereinander.