Nr. 117.

Beilage zum Berliner Volksblatt.

Das Elend in den Straßen Londons  .

Die Kleine Schrift, welche die Londoner Congregational Union unter obigem Titel vor einiger Zeit veröffentlichte, hat in England solches Aufsehen erregt, daß dort die lange unbe­achtet gelassene Nothlage der untersten Klassen plöglich in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gerückt ist.

Ueber die Wohnungen in den ärmsten Vierteln Londons  werden geradezu entsegliche Thatsachen mitgetheilt. Man kann fich laum eine Vorstellung von den Höhlen machen, in denen Tausende und Behntausende zusammengepfercht sind wie die Sklaven auf einem Sklavenschiff. Um zu ihnen zu gelangen, muß man erst enge Höfe durchschreiten, in die alle Abfälle aus­geschüttet werden, welche die Luft mit pestilenzialischen Gerüchen erfüllen. Oft dringt die Sonne nie in diese Höfe ein, fein frischer Luftzug durchweht sie, und von einer Reinigung ist auch selten die Rede. Vom Hof aus gelangt man zu den 3immern vermittelst Treppen, die unter jedem Tritt zusammen zubrechen drohen und oft so verfallen find, daß man seiner Glieder und seines Lebens nicht sicher ist. Man tastet sich an den schmutzigen und schmierigen Wänden empor, die von Un­geziefer wimmeln. Dann, wenn Ihr nicht längst durch den unerträglichen Geſtant zurückgetrieben seid, tönnt Ihr in die Höhlen eintreten, wo Tausende von Menschen zusammen hauſen. Vielleicht habt Ihr die armen Geschöpfe bedauert, die unter den Eisenbabnbogen, in Fuhrwerken und Fässern oder unter irgend welchem Obdach im Freien schlafen. Ihr werdet bald finden, daß sie noch beneidenswerth sind gegenüber den Armen, welche hier ihre Zuflucht suchen." Acht Fuß im Quadrat, das ist etwa die durchschnittliche Größe vieler dieser Wohnungen. Dede und Wände sind schwarz vor Schmus, der fich durch jahrelange Nachlässigkeit angesammelt hat. Er dringt durch die Rigen der oberen Dielen hindurch, er läuft die Wände hinab, er ist überall. Was hier ein Fenster ge­nannt wird, ist zur Hälfte mit Lumpen verstopft oder mit Bretern verschloffen, um Wind und Regen abzuhalten, die andere Hälfte ist so verschwärzt und verschmußt, daß man laum hindurchsehen kann. Steigt man gar in die Dachkammern hinauf, wo man wenigstens Zutritt von frischer Luf erwarten fönnte, so blidt man auf lauter Dächer und Giebel von niedri geren Häusern, auf denen die verwesenden Leichname von todten Kazen und Vögeln und allerlei Unrath herumliegen. Die Gebäude befinden sich im elendesten und hinfälligsten Zustand. Was die Zimmergeräthschaften anbetrifft, so find vielleicht ein zerbrochener Stuhl, eine verfallene Bettstelle und die Ueberreste eines Tisches vorhanden, noch häufiger aber dienen rohe Bretter, die man über Ziegelsteine gelegt hat, zum Size; eine alte, umgekehrte Riste wird als Tisch benußt, meistens aber erblickte man nichts als Schmuß und Lumpen.

Mittwoch, den 20. August 1884.

darunter eine Tochter von 29, eine andere von 21 und ein Sohn von 27 Jahren. Eine andere Räumlichkeit birgt Vater, Mutter und 6 Kinder, von denen zwei scharlachfrank sind. Wieder in einem anderen Gelaß finden wir neun Geschwister bis zum Alter von 29 Jahren zusammen leben, essen und schlafen. Mütter senden Abends ihre Kinder auf die Straße, um ihr Zimmer ungestört zu unfittlichen Zwecken benüßen zu fönnen, bis endlich lange nach Mitternacht   die armen Kleinen wieder hereingeschlichen kommen, wenn sie nicht anderswo be reits ein elendes Obdach gefunden haben. Wo es Betten giebt, find es nur Haufen von schmuzigen Lumpen, von Hobelspänen oder Stroh, meist schlafen die Ausgestoßenen" Londons   auf der nackten Diele.

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Nicht einmal diese kläglichen Wohnungen können Viele erschwingen, die sich des Tages über abarbeiten, vielleicht die ganze Stadt haufirend auf- und abwandern und Abends in einer der zahlreichen Herbergen( common lodging houses) 3u­flucht suchen. Diese Herbergen find oft Sammelpläge von Dieben und Bummlern der niedrigsten Sorte, die Wirthe find bisweilen Hehler. In der Küche trifft man hier stets Männer und Weiber, die ihre Nahrung bereiten, ihre Kleidung waschen oder rauchend und spielend umherstehen. Im Schlafsaal sind an jeder Wand lange Reihen von Betten, oft 60 bis 80. In vielen Fällen werden Männer und Weiber in demselben Zim­mer, ohne Rücksicht auf die gewöhnlichste Scham, zusammen­gebettet. Hunderte aber können nicht einmal die zwei Pence

für ein solches Nachtlager aufbringen, ste schlafen auf den Fluren und Treppen, wo man oft früh Morgens sechs oder acht beisammen findet.

Wer kann sich die Größe des Leidens vorstellen, das in diesen ärmsten Vierteln Londons   zu Hause ist? Ein armes Weib, das die Schwindsucht schon zum Skelett abgezehrt hat, lebt in einem Bimmer mit einem Trunkenbold und fünf Kindern. Beim Besuch ste gerade ein paar grüne Erbsen, die Kinder waren auf der Straße, um etwas Holz zusammen­zulesen, das sie brauchten, um vier Kartoffeln zu fochen- das ganze Mittagsmahl der Familie. In einem Bett schlafen an einem anderen Drt fieben Kinder, das achte und älteste, ein Mädchen, liegt auf dem Flur. Die Kinder werden vom ersten Jahre an vernachlässigt, weder Vater noch Mutter haben Beit, nach ihnen zu sehen, ihr Körper und ihre Kleider wimmeln von Ungeziefer, fie werden grausam behandelt, viele haben nie eine grüne Wiese gesehen, weil sie nie über die nächsten Straßen ihrer Umgegend hinausgekommen sind; oft erhalten sie den ganzen Tag über nicht einen Bissen Brot. Hier sucht ein Kind von drei Jahren alte Brotrinden auf, um fte zu verschlingen. Wir treten durch den Thorweg ein und finden ein fleines Mädchen von zwölf Jahren. Wo ist Deine Mutter? Im Irrenhause." Wie lange ist sie dort?" ,, 15 Monate." Wer hat auf Dich Acht?" ,, Wer hat auf Dich Acht?" Das Mädchen, das an einem alten Tisch Streichholzschachteln anfertigt, er­widert: Ich sehe nach meinen fleinen Brüdern und Schwestern so gut ich fann." Wo ist Dein Vater? Ist er in Arbeit?

Er ist drei Wochen außer Arbeit gewesen, aber er hat jetzt wieder zwei Tage zu thun. Hier ist eine Mutter, die Alles, Hier ist eine Mutter, die Alles, was sie von Kleidern entbehren kann, um mit ihren vier Kin dern nicht ganz nackend herumzugehen, versezt hat. Einen Schilling hat sie erhalten, um den sie sich nun etwas Sohlen und einen Laib Brot kaufen kann.

Jeder Raum in diesen verfallenen und dunstigen Mieths­häusern birgt eine Familie, oft deren zwei. Bu Anfang dieses Jahres wurden in drei Schulen, die nicht einmal im Oftende Londons   liegen, Nachforschungen nach den Wohnungs­verhältniffen der Familien der Schüler gehalten. In der einen Schule bewohnten 58 Prozent aller vertretenen( 313) Familien nur ein Zimmer; in der zweiten Schule 82 Prozent Don 487 Familen, in der dritten gar 85 Prozent von 339 Familien. In einem Kellerraum fand ein Gesundheits- In­pettor Vater, Mutter, drei Kinder und vier Schweine friedlich beisammen! In einem anderen Raum fand ein Missionär den Mann an den Blattern darnieder liegen, die Frau erholte fich eben von ihrem achten Wochenbett, und die Rinder rannten halbnackt und über und über schmugig herum. Hier bemerken wir eine uno e lime, her minden er bemerintah Das mag übertrieben flingen, wird aber viertes Kind, das bereits seit dreizehn Tagen todt daliegt. Der Vater, seinerzeit Kutscher, hat vor Kurzem selber seinem Leben ein Ende gemacht. Dort lebt eine Wittwe mit 6 Kindern,

Die Verbannung nach Sibirien  . Von Fürst Krapotkin. Uebersetzt von Ad. Hepner. ada( Frankf. 3tg.") ( Fortsetzung.)

Ein Theil von ihnen ist davongelaufen und hat sich Dem 20 000 Mann starken Menschenstrome angeschlossen, welcher beständig durch das Waldland Sibiriens   sich hin­wälzt, von Ost nach West, nach dem Ura zu. Andere und diese bilden die Mehrzahl haben mit ihren Ge­beinen schon die Flüchtlings- Pfade" der Wälder und Marschen, sowie die Wege, die zu und von den Gruben führen, gezeichnet. Und den Rest bildet eine flottirende Bevölkerung Der größeren Städte, die sich einer läftigen lleberwachung durch Annahme falscher Namen zu entziehen sucht. Die faum 130 den sich in einer so elenden Lage, daß sie, nach Uebereinstim­mung aller Berichte, eine wahre Last für das Land find. Selbst in den fruchtbarsten Provinzen Sibiriens   in Tourel und in Süd- Tobolsk- hat nur der vierte Theil der Verbannten eigene Häuser und unter ibnen ist nur selten einer Landbauer geworden. In der Ostprovinz ist das Verhältniß noch viel ungünstiger. Diejenigen, die nicht Landbauern sind, wandern ohne dauernde Beschäftigung von Ort zu Ort, von Gold­Hand in den Mund, in der denkbar schlimmsten Lage, und mit all' den Lastern, die einem solchen Elend unfehlbar folgen.

Die

Die Demoralisation dieser wandernden Strafbevölkerung in Sibirien   fann nicht befremden. Sowohl die Gefängnisse, wie die Etappen" find Schuld daran. Die Leute sind meist schon demoralisirt, ehe sie noch Sibirien   erreichen. jabrlange 3wangsfaulheit während der Einschließung, die Entwickelung der Spiel- Leidenschaft, die systematische Unter­drückung des Willens der Gefangenen, und die Entwickelung passiver Eigenschaften, die ganz im Widerspruch stehen mit der moralischen Kraft, die zur Kolonifirung eines jungen

Landes nöthig ist ist,

als dies muß man erwägen, um ein­

Professor Hurley sagte vor einigen Tagen in einer Ver­sammlung im Mansionhaus, bei welcher der Lordmayor den Vorsig führte: Das Leben der Armen im Osten Londons   sei

von den verschiedensten Seiten bestätigt. In unserer Schrift werden Löhne aufgezählt, für welche die Bezeichnung Sunger löhne" noch zu mild ist. Die Löhne der Arbeiter, welche

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Er ist ein ,, Ruffe"- dies ist ein Spottwort bei den Sibirialen - und außerdem ein Bestrafter.

Der sibirische Bauer empfängt den Fremden also mit dem Gedanken: Auf meine Kosten bist du hergekommen und auf meine Kosten willst du hier leben." Meistentheils ist er nicht verheirathet, und fann er nicht heirathen; das Verhältniß der erilirten Frauen zu den Männern ist wie 1 zu 6, und der Sibiriak gibt dem Sträfling seine Tochter nicht, obschon der Staat in diesem Falle 50 Rubel bewilligt, die freilich meistentheils auf ihrer langen Reise durch die Hände der ver­schiedensten Beamten an diesen fleben bleiben. Die offiziellen Glücklichmacher träumten von ländlichen Erilgemeinden, als

fie den Bauern befahlen, für die Grilirten Häuser zu bauen,

und die Poselentsy" 5 oder 6 zusammen anzusiedeln. Das praktische Resultat war unveränderlich dasselbe. Die 5 im größten Elend beisammen lebenden ,, Boselentsy" rissen gewöhn lich nach nuglofem Kampfe gegen den Hunger aus, und gingen unter falschem Namen in die Städte oder nach den Gruben, um Arbeit zu suchen. Ganze Dörfer mit leeren Häusern an der sibirischen Landstraße erinnern den Reisenden an die Fruchtlosigkeit der mit Hülfe der Birkenruthe eingeführten offiziellen Utopien.

Diezenigen, welche Beschäftigung auf den Farmen fibiri scher Bauern finden, find nicht glücklicher. Das ganze System der Arbeiteranstellung in Sibirien   beruht auf dem gro­Bem Betrag, den man als Handgeld" im Voraus giebt, um den Arbeiter beständig in der Schuld zu haben und ihn zu einer Art Sklaven zu machen. Und die sibirischen Bauern nugen diese Gewohnheit in großem Maßstabe aus. Diejenigen Erilirten, welche in den Goldwäschereien ihr Leben wagen, und dann nach der 4-5 monatlichen entbehrungsvollen harten Arbeit zurückkehren, werden ihre Ersparnisse los, sobald fie das erste Dorf und das erste öffentliche Haus erreicht haben. Besonders find für diese Eigenthümlichkeit die Dörfer an der Lena, dem Venissei, dem Kan u. s. w., wo die Gold­grubenarbeiter im Herbst anlangen, berüchtigt. Zwei dieser allerschlimmsten Weiler an der Lena haben wegen der Geschick­lichkeit, mit der die Einwohner den Grubenarbeitern das legte Kupfergeld abnehmen, die Namen Paris   und London   bekommen. Hat nun der Grubenarbeiter im öffentlichen Hause sein letztes Hemd gelassen, so wird er vom Grubenagenten sofort wieder für den nächsten Sommer engagirt, der ihm gegen Aushändi­gung des Passes wieder etwas Borschuß giebt für die Heim

zusehen, daß die Insassen dieser Gefängniße nicht die geeigneten Leute sein können, um den Kampf ums Dasein in der sub­arktischen russischen Kolonie zu bestehen. Und nicht nur die moralische Kraft dieser Leute ist gebrochen, sondern ebenso die physische; viele sind unheilbar frank, alle schwach. Wer reise. So kommt er denn mit leeren Händen nach Hause und

20 Jahre harte Arbeit verrichten mußte,

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und ein Flucht­

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der

Do versuch fann die haft sehr leicht so weit ausdehnen ist gewöhnlich dann für jede Arbeit unbrauchbar. Im besten Falle werden diese Leute eine Laft für die Gemeinde. Und die Lebensverhältnisse des Poselentsy" sind sehr schwierig. Man schickt ihn auf ein ganz entferntes Dorf, wo er mehrere Acker Land erhält, das am wenigsten fruchtbare in der Gemeinde und er muß Farmer werden. In Wirklichkeit versteht er gar nichts von der praktischen Landwirthschaft in Sibirien  , und selbst wenn er chedem Landwirth gewesen, so hat er nach der mehrjährigen haft den Geschmad daran schon verloren. Und

den Winter über fitt er vielleicht wieder.

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Kurz, das Schlußergebnis alier Untersuchungen ist, daß die wenigen Erilirten, die ein Haus halten, in schrecklichem Elend leben, und daß die Paupers entweder Sklaven der es find dies die Farmer oder der Grubenberger sind, oder Worte eines amtlichen Berichts ,, vor Hunger und Kälte sterben." Die ,, Taiga  ," das Waldland, welches tausende von Quadratmeilen in Sibirien   bedeckt, ist von Flüchtlingen be völlert, welche langsam vorrüden, wie ein fortlaufender Men­schenstrom, von der Hoffnung bewegt, schließlich ihr Heimaths

die Dorfgemeinde empfängt ihn mit Feindschaft und Hohn: dorf oder den andern Abhang des Ural   zu erreichen. Sobald

1. Jahrgang.

Streichholzschachteln anfertigen, find binnen vier Jahren per Groß von 70 Pf. auf 20 Bf. gesunken; es hält schwer, über 5 M. die Woche zu verdienen. Die Ueberröcke der Polizisten wurden früher für 5 M. genäht, jezt für 2,50 M. Das Nähen schließt das Einseßen von Knopflöchern, das Bügeln u. ä. ein. Ueberhaupt gehören die Näherinnen zu den am schlechtesten be­zahlten Klassen. Frauen erhalten für das Nähen von einem Paar Hosen 20 Pf., den Zwirn müssen sie dazu geben. Es fostet Mühe, jeden Tag eine Mark zu verdienen, und der Tag bedeutet für die armen Nähterinnen fiebzehn Stunden! Von fünf Uhr Morgens bis zehn Uhr Nachts wird ohne Unter­brechung, ohne Mittagspause gearbeitet. ,, Sie ist ihre Brodschnitte und trinkt ein wenig Thee, während sie ihre Arbeit verrichtet und sich mit Nadel und Zwirn nicht nur ihren Lebensunterhalt, sondern zugleich ihr Leichentuch bereitet." Das Nähen von Männerhemden wird mit 90 f. per Dugend bezahlt.a

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Ein Freund der Armen" schrieb am 16. November v. J. in den Daily News": Als Elias Howe   die Nähmaschine erfand, meinte Jedermann, daß das Lied vom Hemde" bald nicht mehr gehört werden würde. Die Näherinnen tönnten in sechs Stunden das vollbringen, wozu fie früher sechzehr Stunden brauchten. Haben sie jetzt mehr freie Zeit? Noch arbeiten Zehntausend in London   für ein Lager von Stroh, einige Stücke Brodes und ein paar Lumpen. Die Stunden find noch ebenso lang, die Finger noch ebenso müde und ab­gearbeitet, die Augenlider noch ebenso schwer und geröthet wie damals, als jenes erschütternde Lied alle Herzen mit Mitleid erfüllte. Und doch, Eines hat sich geändert. Als Thomas Hood   sein Lied schrieb, hatten die Näherinnen Nadel und Zwirn selber zu kaufen; jest müssen viele von ihnen Nadel, Zwirn und Nähmaschine selber beschaffen Ihre Löhne können auch gar nicht höher sein, weil rings umher auch in den Gewerben, welche früher besser bezahlt wurden, die Löhne auf dieselbe Stufe herabfinken und schon herabgesunken find. Wohin Ihr in den Arbeitervierteln Londons   geht und diese Viertel breiten sich weiter aus als Mancher glaubt Ihr werdet finden, daß die Löhne überall sich einem Schilling per Tag nähern; und in vielen Beschäftigungen, wo nominell der Lohn höher steht wie etwa bei den Tagelöhnern in den Docks, ist dafür die Beschäftigung eine viel unsichere."

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Der Berichterstatter der Congregational Union wundert fich geradezu, daß so viele Arme noch ehrlich bleiben, weil sie auf dem Wege der Sünde viel mehr verdienen können. Ein Rind von sieben Jahren fann leicht wöchentlich 10% M. zu sammenstehlen. Um ebensoviel durch Arbeit zu erringen, müßte es 56 Groß Streichholzschachteln verfertigen, d. h. täglich 1296 Stück. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß dies un­möglich ist; selbst ein Erwachsener vermag nicht mehr als die Hälfte zu leisten.

Die Schrift der Congregational Union ist für England ein Ereigniß gewesen, weil sie alle Zweifel an dem Vorhan densein eines furchtbaren Nothstandes in den untersten Schichten mit einem Schlage zu nichte gemacht hat. Wir hoffen, daß mit der richtigeren Erfenntniß der thatsächlichen Zustände auch eine tiefere Erfassung der Ursachen des modernen Elends fich in England verbreitet, damit die Zeit nicht wieder unnüß mit oberflächlichen Reformen vergeudet wird.

dar ndisle

Lokales.

§ Eine gewiß anzuerkennende Einrichtung ist seit einiger Zeit vom Bureau des Droschtenvereins, Fischerbrücke 14, mit Erfolg zur Einführung gebracht. Es werden an beschäf tigungslosen Rutschern aller Art, Stallleuten 2c. fostenfreie Stellungen zugewiesen, und auf diese Art den Vereinsmit

der Kukuk ruft, der den Gefangenen anzeigt, daß die Wälder frei von der Schneedecke sind, und den Menschen schüzen fönnen, ohne daß derselbe riskirt, über Nacht ein bewegungs­loser Eisblock zu werden, und daß sie den Wanderer bald mit Pilzen und Beeren versorgen, dann entwischen Tausende aus den Goldminen und Salzgruben, von den Dörfern wo fie hungerten, und aus den Städten, wo sie sich versteckt hielten. Unter der Leitung des Polarsterns, oder der Baummoose, oder alter Flüchtlinge, die sich in den Gefängnissen die werthvolle Kenntniß der Flüchtlingspfade" und Flüchtlingsstationen" angeeignet haben, unternehmen sie die gefahrvolle, lange Rück­reise. Sie gehen um den Baikalsee herum, erklimmen die hohen und wilden Berge an dessen Rändern, oder ste kreuzen ihn auf Flößen, oder( wie das Volkslied sagt) in einer Fisch­tonne. Sie vermeiden die Städte, die Landstraßen und die Ansiedelungen der Buriaten und kampiren unter freiem Himmel in den Wäldern. Jedes Frühjahr kann man in Chitah die Feuer der Chaldons"( Flüchtlinge) um die kleine Hauptstadt Don Transbaitali leuchten sehen an den holzreichen Abhängen der umgebenden Berge.

Sie gehen auch ungenirt in die Dörfer, wo fie bis auf den heutigen Tag, Brod und Milch vor den Fenstern der Bauernhäuser finden, für die armen Flüchtlinge.

So lange die Wanderer nicht stehlen. dürfen sie sicher sein, daß ihnen von den Bauern nichts geschieht. Aber so­bald einer von ihnen dieses stille Uebereinkommen bricht, wird und jedes fibiri­der Sibiriake mitleidslos. Die Jäger

sche Dorf hat seine Trapper streichen durch die Wälder und erlegen ohne Gnade die Flüchtlinge, manchmal mit ab­scheulicher Grausamkeit. Vor 30 Jahren war die Jagd auf namentlich für Flüchtlinge ein Geschäft, und einige das heißt Halbblütige, ist Individuen, die Karyms". die Menschenjagd noch Geschäft geblieben. Die Antilope gibt uns nur ein Fell", sagen diese Jäger, während uns der Chaldon mindestens zwei gibt, sein Hemd und seinen Rod." Einzelne Flüchtlinge finden zwar Beschäftigung auf den Farmen der Bauern, die in großen Entfernungen von den Dörfern zerstreut find, aber es sind ihrer nicht viele, da der Sommer die beste Jahreszeit ist, um gegen Westen zu marschiren, denn die Wälder ernähren und schüßen die Wanderer in der warmen Jahreszeit. 3war sind die Wälder im Sommer voll von fleinen Stechfliegen( moschka), und der Brodyagha ( Flüchtling), den man im Sommer trifft, ist schrecklich anzu­sehen; sein Gesicht ist nur eine geschwollene Wunde, seine Augen find entzündet und hinter den brennenden und ge schwollenen Augenlidern kaum zu sehen, seine geschwollene Nase und sein Mund sind mit Wunden besäet. Menschen und Vieh werden in gleicher Weise von dieser Plage toll, welche sie selbst unter den Rauchwolfen, die sich um die Dörfer lagern, verfolgt. Dennoch sezt der Flüchtling seinen Marsch bis an den Grenzfordon Sibiriens   fort, und sein Herz pocht heftiger, wenn er die bläulichen Hügel am Horizont erblickt. 20-30,000 Leute verbringen so einen Theil ihres Lebens und mindestens 100,000 haben in den legten 50 Jahren auf diese Weise zu entlommen versucht. Aber fragt nur nicht, wie vielen es mis glüdt ist! Niemand kann es auch nur annähernd feststellen