Nr. 2.
Dienstag, den 3. Januar 1888.
5. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen
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der Arbeiter.
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Das Berliner Volksblatt" sucht seine Aufgabe durch fachliche Behandlung der politischen als auch der Tagesfragen zu erfüllen. Die gleichen Grundsäge leiten uns bei Befprechung unserer städtischen Angelegenheiten.
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reform setze auch eine staatliche Regelung des Arbeitsvertrages voraus, denn der Arbeiter dürfe der neu zu schaffenden Wohlfahrtseinrichtungen nicht durch die Willfür des Unternehmers verlustig gehen. Dies verlangten nicht nur die Sozialisten in ihrem Arbeiterschuh gesetz, sondern auch später, wenn auch in anderer Form, och prinzipiell in gleicher Absicht, der bekannte Professor Brentano aus Breslau . Allein man ging darauf nicht ein und that, als ob man den Unternehmern so etwas gar nicht zutrauen könne, als ob sie lauter ,, Lämmchen weiß wie Schnee" seien. Und doch hätte man an dem Fanatismus, mit dem seinerzeit die Großindustriellen gegen je de Arbeitervertretung beim Unfallversicherungsgeseh, namentlich gegen die sogenannten können, wie sie von solchen Dingen denken. Die ArbeiterArbeiter ausschüsse , loszogen, ganz genau ersehen vertretung" im Reichsversicherungsamt ist eine recht fümmerliche Institution mit einem ganz sonderbaren Wahlmodus, und doch ist sie den Herren Unternehmern zu viel.
Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Bes ftellungen an.
Die Herren Unternehmer pflegen sich so sehr mit ihrem Patriotismus zu rühmen. Faßt man diesen Begriff ernsthaft auf und nicht nur als alberne Franzosen frefferei, so bedeutet er die volle and eifrige Erfüllung der Pflichten, die man gegen das Vaterland hat. Dazu sollte für die Herren Unternehmer doch ohne Zweifel auch die Beobachtung der Geseze gehören, die eine ihnen ergebene Die Redaktion und Expedition Majorität des Parlaments gefchaffen hat. So unvollkommen, unpraktisch und bureaukratisch die Unfallversicherung an sich ist, so müßten die Herren Unternehmer doch anerkennen, daß die Arbeitervertreter im Reichsversicherungsamt, indem sie ihre Amtspflicht ausüben, im Gesammtinteresse thätig sind.
des Berliner Volksblatt".
deutschland . Ein Rorsettenfabrikant in Rannstatt in Württemberg hatte lange Zeit feine Freude daran, daß fein Heizer, ein intelligenter und befähigter Mann, sich um öffentliche Aemter bewarb. Solange diese Bewerbungen ohne Erfolg blieben, war Alles gut. Als aber der Heizer in den Gemeinderath gewählt wurde, stellte ihm sein Arbeitgeber die Alternative, die Wahl abzulehnen oder entlassen zu werden. Der Heizer lehnte die Wahl nicht ab und wurde entlassen.
Man sieht, wie in diesem Verhältniß alle ideale Auffaffung vom staatlichen und gesellschaftlichen Leben zerstört wird. Früher bestanden für den Nichtbesitzenden gesetzliche Schranken, die ihn von gewissen öffentlichen Aemtern ausschlossen; man glaubte, der moderne Staat habe diese Schranken zum größten Theil hinweggeräumt. Sie wurden aber neu errichtet durch die ökonomische Abhängigkeit, welche um so verderblicher ist, als sie den Schein einer erheuchelten persönlichen Freiheit immer noch zuläßt und dadurch bekanntlich unsere Philister in ihren Auffassungen so gröblich täuscht.
Als die Regierung mit ihrer Sozialreform vorging, sagte man ihr gleich, fie müsse den Muth haben, einen Angriff auf die Vorrechte der herrschenden Klassen zu wagen, wenn sie etwas Ersprießliches schaffen wolle, sonst werde sie es nur zu Stückwerk bringen. Wie recht man damit hatte, geht aus der Behandlung, die das Unfallversicherungsgesetz und seine Handhabung von den Unternehmern erfährt, mit hinreichender Deutlichkeit hervor. Die Regierung ließ sich durch das große Geschrei, das die Unternehmer bei jedem Versuch sozialer Reformen erheben, einschüchtern und hielt nicht einmal die geringen Konzessionen, die sie den Arbeitern Die Unternehmer machen nicht nur die korrekte Ausführung der Unfallversicherung schwierig oder gar unmöglich, sondern fügen auch noch einen brutalen Hohn hinzu.
Die Bourgeoisie und die Sozial- Dies zu verkennen, dazu gehört eine ungemein fleinliche gemacht hatte, voll und ganz aufrecht.
reform.
Es wird nicht verfehlen, in ganz Deutschland und über deffen Grenzen hinaus berechtigtes Aufsehen zu erregen, daß den Arbeitervertretern im Reichsver sicherungsamt seitens ihrer Arbeitgeber der Urlaub zur Theilnahme an den Sizungen des Reichsversicherungsamts Derringert und einigen davon sogar gekündigt worden ist. Diesem brutalen Streich fügte man auch den Hohn hinzu, daß man den entlassenen Arbeiteru empfahl, fich von dem Herrn Bödiker, dem Vorsitzenden des Reichsversicherungsamtes, Beschäftigung geben zu lassen. Dies erinnert daran, daß man früher auch in Wahlkreisen, wo sozialistische oder auch andere oppositionelle Abgeordnete gewählt wurden, die Arbeiter mit der höhnischen Mahnung entließ, fich ihrem wählten Abgeordneten beschäftigen zu lassen.
nun
von
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Für die Regierung ist dieser Vorfall sehr lehrreich. Sie wird nun endlich den Beweis geliefert erhalten haben, daß diejenigen Recht hatten, welche sagten, eine Sozial
Feuilleton.
( e Rechte vorbehalten.)
( Nachdruck verboten.)
Die Stiefmutter.
Stizze von P. Heinrich. ( Schluß.)
Das Jahr neigt sich seinem Ende zu. Ein Jahr mit
seinen Hoffnungen und Täuschungen verschwindet im Strome
der Zeit!
Rarl fist im Romptoir vor seinen Geschäftsbüchern, eifrigst bemüht, die Konti abzuschließen. Die Ziffernkolonnen Schwirren ihm vor den Augen, er unterbricht sich öfters und starrt vor sich hin, und Seufzer entringen sich seiner Brust. Der alte Buchhalter des Hauses, der schon bei dem Vater Karls in der gleichen Eigenschaft Verwendung gefunden, blickte theilnahmsvoll auf seinen Chef. Er nickte öfters mit dem Kopfe, und wer ihn so nachdenkend stehen gesehen, der wußte sofort, daß der alte treue Diener seines Herrn etwas auf dem Gewissen habe. Er hatte lange mit sich gekämpft, aber endlich mußte es doch heraus.
"
Wir haben heuer viel verbraucht, wir haben mehr ausgegeben, als wir sollten," bemerkt er mit sichtbarem Widerstreben, ja, die Frauen, die Frauen." Karl schien nicht darauf zu achten, er begann von neuem, sich in die Konti zu vertiefen. Und wieder trat eine Pause ein, die der alte Buchhalter zur Fortsetzung seiner Bemerkungen benüßte. Das geht nicht so fort, Herr P Sie müssen fich start zeigen, Sie gehen sonst dem Ruin entgegen, das Geschäft verträgt solche Depensen nicht; die Zeiten sind schlecht, da heißt es sparen und immer wieder sparen, die Toiletten fosten zu viel... und diese vielen Fiafer, eine Raufmannsfrau muß bei diesen 3eiten zu Fuß gehen, nicht täglich ausfahren und immer wieder ausfahren, was sollen uns die Leute nachsagen. Ich bitte Sie, unser Kredit
Denkweise. Allein die Herren Unternehmer sind dem Unfallversicherungsgesetz an sich gram, obschon es in den meisten Fällen die Arbeiter belastet; sie würden am liebsten bei Unfällen und Verlegungen gar nichts zahlen und die Verunglückten oder deren Angehörige ihrem Elend überlassen. Dann paßt es ihnen schon nicht, daß einfache Arbeiter eine solch angesehene Stellung im Reichsversicherungsamt einnehmen sollen, während ein vernünftiger und nicht ganz von dem Interessendusel befangener Mann doch einen Stolz darein sehen könnte, angesehene und beliebte Arbeiter in seinem Geschäft zu haben, die den anderen ein gutes Beispiel geben. Dann aber kommt die Hauptsache, dann berechnet der Unternehmer den Ausfall an Mehrwerth, den eventuell die öftere Entfernung eines tüchtigen Arbeiters veranlassen kann, und da ist ihm jeder Pfennig Mehrwerth lieber, als ein ganzer Sad voll Patriotismus. Sowie einmal der Mehrwerth in's Spiel tommt, ist's mit den höheren Gefühlen des Unternehmers vom gewöhnlichen Schlage überhaupt aus; er sieht das Leben nur noch von der Seite des Erwerbes Wir kennen einen interessanten Fall aus Süd
an.
der Kredit ist alles beim Kaufmann, wohin soll das kommen?"
Karl P. wurde aufmerksam. ,, Was murren Sie da vor sich hin, Sie alter Brummbär."
Brummbär hin, Brummbär her, es muß heraus. Machen Sie mir welche Vorwürfe immer, ich werde Sie ruhig anhören, aber was mir auf dem Herzen liegt, das muß heraus. Ich diene im Hause jetzt dreißig Jahre und ich glaube mir das Recht auf Ihr volles Vertrauen erworben zu haben, ich liebe Sie wie einen Bruder, ich achte und
Schäße Sie, ich bewundere oft Ihren andauernden Fleiß, ich sehe, wie sparsam Sie leben, insofern es sich um Ihre eigene Person handelt, und es schmerzt mich also umsomehr, wenn ich sehe, wie auf anderer Seite mit dem schwer verdienten Gelde gewirthschaftet wird.
"
Was sehen Sie, was bewegt Sie so?"
" Ich sag's Ihnen nochmals, das kann nicht so fortgehen, das muß anders werden, ich sehe Ihren Ruin vor mir, und das werde ich, Ihr langjähriger Buchhalter, das ,, alte Möbel" im Hause, wie Sie mich so oft nannten, nicht so ohne weiteres zugeben; die Frau braucht zuviel, sie giebt mehr aus, als sie darf, Sie sind zu nachgiebig ihr gegenüber, eine junge Frau versteht das nicht, versteht nicht zu sparen, weiß nicht, wie sauer erworben so ein Gulden wird, und dann.. bitt' Sie, Herr P., nehmen Sie mir's nicht übel, ich weiß, ich nehme mir vielleicht da ein Recht heraus, das mir nicht zusteht, aber halten Sie es meiner aufrichtigen Freundschaft, meiner Liebe zu Ihnen zu gute, wenn ich offen und aufrichtig mit Ihnen spreche, ganz rückhaltlos, wie es einem ehrlichen Menschen zusteht; ich muß Sie warnen."
,, Warnen, mich, vor wem?"
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Rund heraus gesagt, vor Ihrer Frau."
Vor meiner Frau? Was wissen Sie von ihr? Ich bitte Sie, sprechen Sie, sprechen Sie!"
Ja, sehen Sie, lieber, guter Herr, was ich Ihnen fage es bricht mir das Herz entzwei, es raunen sich's die Leute schon seit Wochen zu, und da keiner Ihrer
Das rächt sich nun.
Bei den nächsten Wahlen werden sie dennoch wieder viel von ihrem Patriotismus sprechen.
Den sozialpolitischen Geheimräthen und ihren Hinter männern aber empfehlen wir, sich den Fall doch recht genau anzusehen.
Original- Korrefpondenzen.
Wien , 29. Dezember. Bei dem gespannten Verhältniß, das seit längerer Zeit zwischen Oesterreich- Ungarn und Rußland besteht und das zu einem friegerischen Busammens stoß führen zu müssen scheint, ist es nicht uninteressant und von großer Wichtigkeit, die Intriguen zu beobachten, welche beide Regierungen auf der Balkanhalbinsel gegen einander ausspielen, um für den entscheidenden Augenblick die Chanzen des Sieges zu verbessern. In erster Linie handelt es sich freilich bei dem
Freunde den Muth hat, es Ihnen zu sagen, so will ich es thun auf die Gefahr hin, ausgezankt, vielleicht sogar davongejagt zu werden, aber es muß heraus, es muß heraus; bitt' Sie, lieber Herr, fassen Sie Muth, zeigen Sie sich starf, start wie ein Mann. Was ich Ihnen zu sagen habe, ist etwas Schreckliches, aber ich muß mir's vom Herzen reden. Ihre Frau hat ein Geheimniß, ein Geheimniß, das eigentlich keines mehr ist, denn die Leute reden schon davon; Ihnen und uns Allen sagt sie, daß sie täglich in den Prater fahren müsse, meil sie Migräne habe, oder Gott
weiß, welche Krankheit. Sie fährt aber nicht in den Prater, sie fährt hinaus, weit hinaus außerhalb der Linien Wiens , was hat sie da draußen zu suchen?
Die Leute
reden davon, sie soll doch sagen, was sie da draußen zu suchen hat, vor dem eigenen Mann darf man kein Geheimniß haben, und wenn's so ist, wie die Leute sagen, umso schlimmer."
,, Nun, was sagen die Leute?"
# 1
Sie wissen ja, die bösen, bösen 3ungen. Die Leute sagen, die Frau betrügt Sie
,, Betrügt mich? Bitte sprechen Sie nicht weiter." Der Zeiger der Pendeluhr zeigte die zehnte Stunde. ,, Es ist Beit, daß wir das Komptoir schließen."
P
Karl.... legt das Buch zur Seite, drückte seinem alten Buchhalter mit verständnißinnigem Blick die Hand. Eine Viertelstunde später hatten beide schweigend das Komptoir verlassen.
Auf dem Heimwege konnte Karl P.... so recht seinen Gedanken nachhängen. Welch' bittere Erfahrungen hatte er in der kurzen Spanne 3eit von zwei Jahren gemacht; er hatte so zu sagen Weib und Kind zugleich verloren! Was aber das Schlimmste war, er konnte sich selbst nicht von jedem Vorwurf frei sprechen. Warum hatte er sich als älterer Mann mit einem jungen Mädchen verbunden, das ganz andere Ansprüche an das Leben zu machen berechtigt ist, als er zu bieten vermochte. Warum hatte er sich gegen das Gesetz der Natur versündigt: das Gleiche soll sich zum