Nr. 7.Ksntttag, den 8. Januar 1888.5. Jahrs.erlmrVMMBrgan für die Interessen der Arbeiter.DaS„Berliner VolkSblatt«ich Sonn- und Fcsttaqcn. Abonnementspreis für Berlin freimonatlich 1,35 Mark, wöchentlich 35 Pf. PostabonnementPf. Sonntags-Aummer mit dem„Sonntags-Blat� 10 Pf.(Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1888 unier Nr. 849.)Jnsertionsaebührbeträgt für die 4 gespaltete Petitzeile oder deren Raum 25 Pf. ArbcitSmarkt 10 Pf. Beigrößeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittagsm der Expedition, Berlin SW., Zimmcrstraße 44, sowie von allen Annoncen-Bureaux, ohneErhöhung des Preises, angenommen.KTcrr-„irrtRedaktion: Kenthstraße Ä.— Grpedition: Zimmerstraße 44.Der heutigen Nummer liegt für unsere AbonnentenNr. 15 de«„K-nntag»-Klatt" bei.Der Kprmrg über den Stock.Das deutsche Volk ist um eine Weihnachtsfreude ae-kommen, und auch der Punsch am Svlvesterabend mußteerwartungsvoll getrunken werden. Rasch hat der Bundes-rath die Novelle zum Sozialistengesetz durch-berathen und angenommen, und mit der Schweigsamkeiteiner Sphinx alles, was„kommen" wird, im Busen ge-borgen.Um so eifriger waren die Reptilienblätter in ihrer auf-opfernden Wirksamkeit für des Deutschen Reiches Wohlfahrt.Ts galt, die Gemüther des deutschen Philisterthums ange-messen zu bearbeiten. In allen Ecken und Enden, imkleinsten Wurstblatt, das vor dem hinterpommerischsten Land-rath in Ehrfurcht und Hoffnung auf amtliche Inserate er-stirbt, wie in den bekannten„Welt"blättern, deren Riesen-formst nur durch die Koloffalgröße ihrer byzantinischen Ge-finnung übertroffen wird, erschienen Waschzettel, um auf dieneueste gesetzgeberische That in der Aera des Aufschwungsvorzubereiten. Die ganze Spietzbürgerpreffe gestaltete sich zueiner spiritistischen Geistersitzung, in welcher das rothe Gespenstumging. Räubergeschichten, Kabellügen, Entstellung, Verdre-Huna, sie bildeten die vier Elemente, innig gesellt, mit welchendie Welt, in der man sich langweilt, die„gute" Gesellschaftnämlich, in die erforderliche Gruselstimmung hineingejagtwurde.Die Arbeitsmethode des reptilischen Zeitungsgeschwistersist simpel bis zur Tölpelhaftigkeit, aber altbewährt. Es istein wohlbekanntes psychologisches Gesetz, das für denEinzelnen, wie für eine Gesammtheit von Individuen gilt,daß ein oft wiederkehrender Reiz die Empfindung allmäligabstumpft, so daß der affizirte Sinn durch die häufigeWiederkehr derselben Erschemung nicht in dem Grade be-weat wird, wie das erste Mal. So wird durch die ewigeSchreiberei über das neue Sozialistengesetz Philister vulgaris«ach und nach so an dasselbe gewöhnt, daß er die Votirungseitens der Hurrah-Majoritä'''etwas selbstverständliches betrachtet. Er denkt nicht" mehrdarüber nach, ob es überhaupt ersprießlich sei, derartigeAusnahmegesetze einzuführen, er fragt sich nur noch, w i eund wann die bundesräthliche Schöpfung Gesetzeskrafterlangen wird. So gewiß die Bewegung das Herr-''chende Prinzip des gesammten kosmischen Lebenss» gewiß will' der deutsche Normalreichs-lister seine„Ruh' hob'n". Darin sind die WählerHammerstein, Kardorff, von Marquardsen und BichlJemß'eton.--[51$ Recht««»ch«halten.»(Nachdruck»erboten.)Der Erve.Roman von Friedrich Gerstäcker.„Und Sie Beide haben keine Mutter!" sagte Baumannfast unwillkürlich, denn er dachte an die rauhen Worte, dieer vorhin im Schlosse gehört, bereute aber augenblicklich dasGesprochene, als er sah, welch' ein wehmüthiger Ausdrucksich über Kathinka's Züge legte. Er setzte auch rasch hinzu:„Ich habe Ihnen nicht weh thun wollen, liebes Fräulein,seien Sie mir nicht böse."„Gewiß nicht, ich weiß es," erwiderte Kathinka leise;„aber da kommt der Baron schon wieder zurück," fuhr sierasch und augenscheinlich erfreut, das Gespräch abbrechen zukönnen, fort.„Wie schnell er gegangen sein muß! Er fühltsich heute doch viel kräftiger! Gott gebe nur, daß es sobleibt!"Benno kehrte zurück. Er sah in der That heute viel«ohler aus, als in den letzten Tagen; sein sonst so bleiches,"'*~ ficht hatte Farbe, und das Auge einen.— gehen wir langsam,—,.... t-.....Hmterpsorte zu; von dort aus schneiden Sie den ganzenlangen und häßlichen Weg durch daS Dorf ab, Baumann,und haben gar nicht mehr so weit in die Stadt. Aberwann kommen Sie wieder heraus?"„Sobald ich irgend kann, Herr Baron, gewiß."„Aber spätestens am Sonntag. Ich möchte Sie so,«» dabei haben, wenn ich meine kleine Maschinearbeiten lasse. Die Kathinka versteht eben gar nichtsdavon und fteut sich nicht halb so viel darüber, als ichmöchte."»Ich freue mich, ja gewiß, wenn ich sehe, daß es Dir»»ende macht, Benno."«Ja. nur mir zu Liebe," sagte Benno mit einem fastsich vollständig einig, mögen sie ostpreußischen Fleck essenund Schifferdecker Lagerbier dazu trinken, oder mögen sieihre Schweinsknöchel mit Leipziger Gose hinunterspülen, oderaber im Schatten des Hofbräuhauscs die sechste Weißwurstder fünften Maß Bier nachschicken.Die Vorlage wird zwar äußerst sekret gehalten, dochweiß jetzt Jedermann, daß oer E x p a t r i i r u n g s-Paragraph darin eine Hauptrolle spielt. Ueber dasWie? dagegen sind die Ansichten getheilt. Da es nichtunsere Sache ist, auf bloße Muthmaßungen hin Schlüssezu ziehen, so gilt es eben abwarten, bis der Bundesrathsein Schweigen bricht. Expatriiren ist ein lateinisches Wortund heißt: aus dem Vaterland treiben. DasAlterthum verbannte nach politischen Umwälzungen einzelneBürger, das christliche Mittelalter hatte seine Judenverfol-gungen, der Absolutismus hatte seine Hugenotten und seineSalzburger, und auch das neunzehnte Jahrhundert brauchtsich in dieser Gesellschaft nicht zu schämen; es steht hinterseinen Vorgängern nicht zurück.Nur böse Zungen aber können behaupten, daß derBundesrath eine Kritik der Vorlage so lange wie möglichhabe vermeiden wollen:„Fürst Bismarck kenntseine Leute zu genau, um nicht zu wissen, daß derReichstag mit herzinniger Freude Alles das thun wird,was die Reichsregierung fordert.Man lasse sich nicht durch die Komödie beirren, dieaugenblicklich von den reaktionären Parteien aufgeführtwird. Die nationalliberalen Organe und die Moniteuredes Zentrums spielen Fangball mit der Novelle. Sie bc-schuldigen sich gegenseitig der heißen Liebe zum Sozialisten-gesetz, und Einer wirft dem Andern vor, daß er die An-nähme der verschärften Ausnahmebill durchdrücken werde.Die durchsichtige Absicht der Streitenden ist es, sich rechtvolksthümlich und freiheitsfreundlich zu geberden, um imgeeigneten Äugenblick, auf einen Wink von oben, umzu-fallen.An der gesinnungsfesten Annahme des neuen Gesetzesdurch die„kommenden Männer", die Miquel, Bennigsen,Fischer und von Marquardsen braucht man nicht zu zweifeln.Es ist klar, daß diese Vortänzer des großindustnellen Kapitals,der Bankokratie, der Schiffsrheder und Guanohändler vonHaus aus die erbittertsten Feinde der Arbeiterbewegung sindund sein müssen. Die„Fraktion Drehscheibe" weih mit derElastizität eines Schlangenmenschen sich allen politischenSituationen anzuschmiegen und das Nein der ersten Lesungzum Ja in der zweiten Lesung stimmungsvoll umzuformen.Die Schopenhauerische Philosophie der Verneinung desWillens kennt keine eiftigeren, folgsameren Anhänger, alsdie Partei der Gentlemen. Sie haben keinen eigenenWillen, sie verneinen sich als selbstständige politische Partei,noch kindlichen Schmollen,„aber nicht über die Sache selber.DaS habe ich wohl gemerkt."„Aber ich verstehe es ja auch nicht, lieber Benno; ichbin solch' ein armes, unwissendes und dummes Ding."„Glauben Sie es ihr nicht, Baumann, das ist nichtwahr," sagte Benno schnell.„Sie ist aar nicht so dummund versteht Manches so gut, daß ich selber oft darüber er-staunt bin. Aber sie zankt immer mit mir, wenn ich ein-mal ein wenig lange bei meinen Berechnungen gesessen habe,und will mir nicht Recht geben, daß das meine größte Er-holung ist."„Aber der Arzt hat es Ihnen doch auch verboten,"sagte Baumann.„Ach was, der Arzt!" rief Benno heftig.„Der glaubtauch, daß ich krank, ganz gefährlich krank wäre! Aber es istgar nicht wahr! Ich fühle mich heute so wohl und leicht,daß ich tanzen möchte."„Gott gebe, daß es immer so bleibt!"„Es wird schon. Sie sollen einmal sehen, Baumann,was wir Beide noch Alles zusammen bauen werden, undwenn Sie erst selbstständig sind, haben Sie auch nachhermehr freie Zeit. Nicht wahr, das geschieht bald?"„In den nächsten Tagen, hoffe ich."„DaS ist herrlich— aber hier ist die Pforte. So,nun machen Sie, daß Sie wieder in Ihr Joch kommen,und tausend Dank noch für Ihre Freundlichkeit!"Er ließ ihn hinaus und schloß die Pforte wieder, undals Baumann zurückschaute, sah er, wie Benno, lebhaftplaudernd, am Arme seiner jungen Führerin durch den Parkschritt, und noch wie sie schon hinter dem Gebüsch ver-schwunden waren, hörte er sein fröhliches Lachen.Ein unbequemer Besuch.Der alte Freiherr von Wendelsheim ging eben inseinem„Studirzimmer", das er aber kaum je zu dem Zweckebenutzte, auf und ab und rauchte dazu aus einer langenPfeife mit Meerschaumkopf.Es war eine hohe Gestalt, nur mit etwas schwammigemOberkörper und eben nicht besonders ansprechender Physio-gnomie, obgleich er einmal ein schöner Mann gewesen seinsie gehen auf in dem großen Nirwana, dem Nichts derKartellbrüderschaft. Etwas ist in sie gefahren von dem ge-lehrigen, wohldressirten Pudel, durch welchen ArthurSchopenhauer die Table d'hote-Gäste des„Weißen Schwan"in Frankfurt a. M. so oft entzückte. Man sollte beinahean die Seelenwanderung glauben. Sie werden über denStock springen, die Nationalliberalen.Und die Ultramontanen? Sie machen jetzt ausihrer reaktionären Gesinnung kein Hehl mehr, seit derHandel zwischen der Kurie und Preußen so günstig für den„Gefangenen des Vatikans" ausgefallen ist, seitdem der Kul-turkamps abgelöst wurde durch den Gang nach Kanossa, seit-dem der Karolinenstreit durch Leo XIII entschieden wardund der Papst„die um Windthorst" zur Abstimmung für dasSeptennat kommandirte. Was kümmert es sie, daß dieKatholiken viele Jahre lang selbst unter einer drückendenAusnahmegesetzgebung gelitten haben? Das Zentrumkämpfte nur, so lange es selbst unter Ausnahmegesetzenstand, gegen dieselben, nicht aus grundsätzlicherGegnerschaft, sondern aus Gründen politischer Taktik. DieUltramontanen werden, je nach der Lagerung der Verhält-nisse, in der Entscheidungsstunde geschlossen oder mit der zur1887 ist emphatisch erklärt worden, daß man nicht ruhenund rasten werde, bis die Jesuiten wieder nach Deutsch-land zurückgekehrt seien. Nur gemach, erst kehren dieanderen Mönchsorden, dann die Väter von der GesellschaftJesu zurück.Wenn die Sozialdemokraten, die entschiedensten Gegneraller Ausnahmegesetze, jeder Expatriirung, mit Hilfe desZentrums expatriirt werden, werden die cxpatriirten Jesuitennach Deutschland zurückkommen.Man fasse sich in Geduld. Der Geist des Pudels gehtum, und auch die Ultramontanen werden über den Stockspringen.Die k o n s e r v a t i v e n Gruppen sind selbstverständ-lich von vornherein für jede, auch die allerschärfste Aus-nahmebill. Sie springen natürlich über den Stock.Jndeß die„ d e u t s ch f r e i s i n n i g e" Partei�wirdja„unentwegt ankämpfen" gegen die Novelle. Sie hates sehr bequem, die jetzigen drei Majoritäten des Reichs-tags, wie sie dem Reichskanzler zur Verfügung stehen, ent-heben sie der blamablen Mühe der Äbkommandirungen.Im Herzen aber fteut sich diese Partei des mobilen KapitalsO � � Of-l.„12____' C» V P.' fselbst zerfallen; die wirklich demokratischen Elementemußte; aber das Alter rückte früh an ihn heran. Dieschon etwas in's Graue spielenden Haare wurden um diefast zu flache Stirn schon dünn und spärlich, und die kleinendunkeln Augen kniff er, nach einer häßlichen Gewohnheit,nur noch mehr zusammen. Er sah auch nie den, mit demer gerade sprach, fest an, sondern fuhr mit den Blicken un-stät über dessen ganzen Körper oder bald da, bald dort indie Stubenecken hinein, als ob er etwas suche. Uebrigensaalt er für einen echten Kavalier von sogenanntem„altenSchrot und Korn" und war jedenfalls' ein ausgeschulterHofmann, wenn er auch selbst dort manchmal mit einer qe-wissen Derbheit kokettirte.Allerdings sollte er früher viele gute gesellige Eigen-schaften und besonders einen trockenen, wenn auch etivasbittern Humor besessen haben; jetzt war der freilich ver-schwunden oder doch wenigstens bei Seite gestellt, denn erverließ das Schluß selten oder nie, so lange er seinenWohnsitz dort hatte und in dem Schlosse, mit der bissigenSchwester zur täglichen Gesellschafterin, mußte der Humorwohl weichen, und wenn es der vorzüglichste gewesen wäre.Man konnte aber auch nicht sagen, daß er gerade mürrischoder verdrießlich sei; er ließ die Welt eben au sich kommenund schien nur dem fast unmittelbar bevorstehenden Zeit-punkt entgegen zu harren, wo die Erbschaft ausbezahlt unddamit auch zugleich die Schuldenlast getilgt wurde, die ihnjetzt zu Zeiten drückte.Heute zogen sich aber, ganz ungleich anderen Tagen,finstere Wolken über seine Stirn, denn rechts in einem derFauteuils lehnte sich, mit der Reitpeitsche die Stiefelschäfteklopfend, sein erstgeborener Sohn Bruno; und sonderbarerWeise zeigte er sich gerade gegen den, von dem der ganzeneue Wohlstand seines Hauses ausgehen sollte, auf dem erallein basirte, fast immer mürrisch und verschlossen, und Brunokonnte sich kaum erinnern, je ein fteundliches Wort vonihm gehört zu haben. Auch heute war er in nicht bessererLaune, und den Sohn, der eben erst eingetreten sein konnte,denn er hatte noch die Mütze in der Hand, mit dem Blicknur streifend, sagte er:„Und was wolltest Du eigentlich heute? Du sagtest