Zoologischen Garten zusammengestellten Sammlung von Nage­thieren, die wir in der durch feste Fundamentirung und neue Einrichtung ihrem Zweck auf das Beste angepaßte Murmelthier­grotte unweit des großen Raubthierhauses finden. Von euro­ päischen   Nagern sind da jezt vertreten die Gattungen der Ziesel und der Murmelthiere, jene zierliche, behende Geschöpfe, dieses mehr gemüthliche, etwas schwerfällige Burschen, die jedoch eine bedeutende Gewandtheit zu entwickeln im Stande sind, wenn es gilt den eigenen Balg in Sicherheit zu bringen. Den Murmelthieren steht der durch fünf Exemplare hier vertretene Prairiehund am nächsten, ein in seiner Heimath, Nordamerika  , in großen Ansiedlungen gesellig lebender Nager mit eigenthüm lich bellender Stimme, welche ihm seinen Namen verschafft hat. Gemeines Zieses und Perlziesel, sowie Alpen  - und Steppen­murmelthier und Prairiehund sind Erdgräber, welche sich auch. hier in der Gefangenschaft ihre unterirdischen Wohnungen an­gelegt haben, ganz im Gegensaz zu den beiden die benachbarten Abtheilungen bewohnenden Süd- Amerikanern, von denen die furchtsame Mara oder der Pampashase bei uns gar nicht gräbt, während die unverschämten, bissigen Viscachas, von den be­rittenen Hirten des Pampas bitter gehaßt, wegen ihrer für Roß und Reiter so gefährlichen unterirdischen Gänge nur Furchen aufwühlen, aber nicht wirklich unterirdische Bauten fertig bringen.

Gerechtfertigte Maßregelung eines Rechtsanwalts. Der hier domizilirende Rechtsanwalt Dr. Max S., welcher den hiesigen Ehrenrath der Anwaltskammer schon wiederholt zum disziplinarischen Einschreiten veranlaßte, hatte unlängst einem seiner Mandanten statt einer für ihn erstrittenen größeren Summe einen Schuldschein ihn Zahlung gegeben. Der Ehren­rath der hiesigen Anwaltskammer hat daraufhin den genannten Rechtsanwalt zur höchsten Geldburße und mit einem Verweise verurtheilt. Gegen dieses Urtheil hat indessen die Staatsanwalt­schaft bei der höheren Instanz in Leipzig   Berufung eingelegt, und diese hat durch Erkenntniß vom 26. Juni cr. dem Dr. Mar S. die fernere Ausübung des anwaltlichen Berufes inner­halb des Deutschen Reiches untersagt. In hiesigen Rechts­anwaltfreisen ist dieser Beschluß mit großer Befriedigung auf­genommen worden.

Der Juliusthurm bei Spandau   ist für die Geschichts­forscher ein intereffanter Gegenstand, denn nach dem Anz. für das Havell." weiß man weder, wie alt er ist, wer ihn erbaute, noch von wem er erbaut wurde. Die zum Bau verwandten Steine stimmen in der Größe vollständig mit denen in der alten Stadtmauer überein. Man könnte hieraus schließen, daß der Juliusthurm zugleich mit der Stadtmauer, also um das Jahr 1320 entstanden sei. Im Uebrigen macht er ganz den Ein­druck eines Bauwerks aus der Zeit Kaiser Karl IV. Um 1400 foll der Ausdruck einen mit dem Julius bestrafen" bereits sehr gebräuchlich gewesen sein. Vielleicht hat der Thurm später davon feinen Namen erhalten. Besonders zur Zeit der Quizom's ist das Burgverließ zu Spandau   adeligen und nichtadeligen Wege­Lagerern oft ein unbequemer Aufenthalt gewesen. Auch Dietrich v. Quißow selbst hat eine 14tägige Haft darin abgebüßt. In einem Kriege, den er im Jahre 1402 gegen den Bischof Johann v. Lebus führte, wurde er von den Spandauer   Bürgern am 10. November in der Nähe von Kremmen   angegriffen. In einem heißen Gefecht wurde er besiegt und gefangen genommen. Im Triumph führten ihn die Spandauer als Gefangenen mtt fich in die Stadt. Allgemeiner Jubel empfing die heimkehren­den Krieger, großes Lob ward ihrer Heldenthat gespendet. Alles war auf den Beinen, um den verhaßten Raubritter zum Schloffe zu geleiten, wo er im Verließe des Juliusthurmes ge­fangen gehalten wurde. Am 2. November kam Markgraf Jost nach Spandau  , um mit Dietrich v. Quizom zu unterhandeln. Gegen ein Lösegeld von 1000 Schock böhmischer Groschen wurde er sofort aus der Haft entlassen.

Der Vorwurf der Feigheit hat am Donnerstag einen jungen Handwerker zu einem Selbstmordverfuch getrieben. Der in der Großen Frankfurterstraße in einer Werkstatt arbeitende Schlosser H. hatte am Abend genannten Tages mit seiner Braut einen Tanzsaal besucht, und das junge Mädchen, eine Näherin, war von einem Unbekannten mehrfach zum Tanz aufgefordert worden, was die Eifersucht des H. in so hohem Maße erregte, daß er seine Braut zwang, mit ihm das Lokal zu verlassen. Auf dem Nachhausewege kam es zwischen dem Pärchen zu einer heftigen Auseinandersetzung und H., tief gekränkt und erbittert, erklärte der Geliebten, daß er sich ihretwegen noch das Leben nehmen werde. Dazu bist Du viel zu feig!" versezte das Mädchen höhnisch und mit diesen Worten drehte sie dem Bräu­tigam den Rücken, während H. nun gleichfalls nach seinem in der Andreasstraße belegenen Logis ging. Gegen 1 Uhr Nachts hörte die Wirthin des jungen Handwerkers ein jämmerliches Stöhnen in der Schlaffammer desselben und, nichts Gutes ahnend, öffnete sie die Thür derselben und fand ihren Chambre­garnisten erhängt am Fensterkreuz vor. Der bereits Bewußt­lose wurde von den alarmirten Nachbarsleuten abgeschnitten und einem herbeigeholten Arzt gelang es, H. wieder ins Leben zurückzurufen. Die erste Handlung desselben war nun, seine Wirthin zu bitten, sie möge doch seiner Braut brieflich mit­theilen, daß er sich aufgehängt habe!

Die dumme Liese. Ein hiesiger Lokalberichterstatter meldet: Ein Monstreprozeß wird in den nächsten Tagen die Einwohner mehrerer Häuser der B.- straße auf dem Gesund­ brunnen   nach dem Justizpalast in Moabit   führen. Der Prozeß, welcher nicht weniger als 53 Angeklagten wegen Beleidigung und Verleumdung" zählt und 27 Angeklagte und einige 90 Zeugen vor den Richter zitiren wird, verspricht um so inter­effanter zu werden, als die geladenen Zeugen ein lebendiges Beweismittel nach dem Justizpalast zu bringen gedenken, wel­ches jedenfalls als ein Kuriosum in der Prozeßführung be­zeichnet werden dürfte, und zwar einen Ziegenbod, welcher den Namen Liese" führt, und um dessentwillen sich der Monstre­prozeß angesponnen hat. Besagter Wiederfäuer befand sich vor einigen Wochen auf dem Hofe eines Hauses, und nicht weit davon stand die Frau des Hausbesizers, welche der Ziegenbock bedrohte. Die Besizerin des Thieres scheuchte dasselbe mit den Worten hinweg: Mach, daß du fortkommst, dumme Liese!" ein Ausruf, welchen die Hausbesizers frau auf sich bezog und sich in spizen Worten verbat. Die andere blieb ihr die Ant­wort nicht schuldig, Bewohner dieses Hauses sowie daranstoßen­der Hofgebäude kamen hinzu und betheiligten sich, für und wider Partei nehmend, an dem Streit, und das Ende dieser Biegenbock- Affäre ist jener Rattenkönig von Prozessen, welcher 15 Rechtsanwälten Gelegenheit zur Entfaltung ihres oratorischen Talentes geben wird. Und das Alles um eine einzige dumme Liese!"

Sorglose Behandlung geringfügiger Fnhwunden hat wiederum ein blühendes Menschenleben gefährdet und den Betreffenden Zeitlebens zum Krüppel gemacht. Vor 10 Tagen zog sich der in der Grünthalerstraße wohnende Arbeiter K. eine leichte Verlegung an der großen Zehe des linken Fußes da­durch zu, daß er sich den Nagel abriß, was nur eine schwache Blutung verursachte. Troz mehrfacher Warnungen seitens Be­fannter und trotzdem der Fuß nach einigen Tagen ganz be­denklich anschwoll, ließ K. die Wunde unbeachtet, bis er am Sonnabend durch entsegliche Schmerzen gezwungen wurde, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, jedoch leider zu spät. Im Moabiter   Krankenhause, wohin K. gebracht wurde, mußte gestern zur Amputation des Beines bis zum Knie geschritten werden, und es ist troßdem fraglich, ob es gelingen wird, den Schwerverleßten am Leben zu erhalten.

Vermint wird der in Wusterhausen a. d. D. wohnhafte Schornsteinfermeister Kühne. Derselbe hat am Dienstag, den 18. d. M., im Arbeitsanzuge und ausgerüstet mit Kugel, Leine und Besen die Stadt verlassen, um in der Umgegend derselben feinen Berufsarbeiten nachzugehen und ist zuleßt am Donners­tag auf dem Wege von Bantifow nach Wusterhausen  , welcher

von Wald begrenzt wird, gesehen worden; er soll hier von einem Unwohlsein befallen worden sein. Feldhüter und andere Per­fonen haben den Verschwundenen vergeblich gesucht, es fehlen auch Kugel, Leine und Besen.

Erschreckende Dimensionen hat der Brechdurchfall bei Kindern in unserer Stadt angenommen, was aus der Todes­statistik der letzten Wochen deutlich hervorgeht. Die Zahl der Sterbefälle übersteigt diejenigen der Geburtsfälle wesentlich. Die amtliche Statistik der Woche vom 9. bis 15. Juni meist 898 Neugeburten auf, denen 1224 Todesfälle gegenüberstehen, so daß also 326 Personen mehr starben als geboren wurden; unter den Verstorbenen befanden sich 823 Kinder im Alter von noch nicht einem Jahre.- Infektionskrankheiten mit tödtlichem Ausgang tamen für die jeßige dazu neigende Jahreszeit nur wenig vor, im Ganzen etwa 70. Dagegen wurde der Tod von Kindern an Brech durchfall   in 457 und an Darmkatarrh   in 192 Fällen fonstatirt.

Bwei Menschen ertrunken. Gestern Nachmittag mietheten sich drei junge Leute von dem Bootsverleiher Schmidt zu Treptow   ein Boot, um eine Wasserfahrt zu unternehmen. Nicht weit vom Ufer entfernt, auf der Stralauer Seite, ver­gnügten sich die Insassen des Bootes, mit demselben zu ichaufeln, als gerade ein Dampfer vorüber gefahren war; das Boot schlug um, und alle drei fielen ins Wasser. Dem Be­fizer eines auf die Hilferufe der Verunglückten herbeigeeilten Seegelbootes der Agent Herr Menzel und dem in seiner Begleitung befindlichen Mechaniker Herrn Broste- gelang es, einen der mit den Wellen Kämpfenden durch Zuwerfen eines Rettungsringes an Bord zu ziehen, die beiden anderen aber gingen, ehe ihnen Hilfe gebracht werden konnte, unter. Die Unglücksstelle wurde erfolglos nach den Leichen der Verun­glückten abgesucht.

Bewegung der Bevölkerung der Stadt Berlin  . In der Woche vom 9. bis 15. Juni 1889 fanden 205 Eheschließungen statt. Lebend geboren wurden 898 Kinder, darunter 117 außerehelich, todtgeboren waren 32 mit 5 außerehelichen. Die Lebendgeborenen find 31,4, die Todtgeborenen 1,1 pro Mille der Bevölkerung, die außerehelich Geborenen sind bei den Lebendgeborenen 13,0, bei den Todtgeborenen 15,3 pet. Die Zahl der gemeldeten Sterbefälle be­trug 1224, die sich auf die Wochentage wie folgt vertheilen: Sonntag 204, Montag 205; Dienstag 173, Mittwoch 158, Donnerstag 145, Freitag 141, Sonn abend 198. Von den Gestorbenen erlagen an Masern 9, Scharlach 4, Diph therie 18, Bräune 1, Keuchhusten 10, Kindbettfieber 1, Typhus 3, Ruhr 1, Syphilis 1, Altersschwäche 17, Gehirnschlag 11, Lungenentzündung 28, Lungen schwindsucht 84, Diarrhoe 143, Brechdurchfall 457, Magendarmkatarrh 49. Durch Vergiftung tam 1 Person um( durch Alkoholvergiftung, Delirium tremens). Eines gewaltsamen Todes starben 17 Personen, und zwar durch Verbrennung oder Berbrühung 1, Ertrinken 6, Erhängen 6, Ueberfahren 2, Sturz oder Schlag 1, Schußwunde 1. Hierunter sind 11 Todesfälle durch Selbstmord her beigeführt. Dem Alter nach sind die Gestorbenen: Unter 1 Jahr alt 823 ( 67,2 pet. der Gesammtsterblichkeit), 1-5 Jahre 145, 5-15 Jahre 20, 15 bis 20 Jahre 8, 20-30 Jahre 36, 30-40 Jahre 49, 40-60 Jahre 76, 60-80 Jahre 68, über 80 Jahre 9 Personen. In hiesigen Krankenhäusern starben 117, ein schließlich 11 Auswärtige, welche zur Behandlung hierher gebracht waren. Auf die Standesämter vertheilen sich die Todesfälle folgendermaßen: Berlin  Kölln- Dorotheenstadt( I.) 23, Friedrichstadt  ( II) 22, Friedrich- und Schöne berger Vorstadt( III) 40, Friedrich- und Tempelhofer Vorstadt( IV.) 91, Louisen stadt jenseit, westlich( Va.) 77, Luisenstadt jenseit, östlichlich( Vb.) 73, Luisenstadt diesseit und Neu Kölln( VI) 63, Stralauer Viertel, westlich( VIIa.) 82, Stralauer Viertel, östlich( VIIb) 68, Königstadt( VIII) 82, Spandauer Viertel  ( IX) 38, Rosenthaler Vorstadt, südlich( Xa.) 114, Rosenthaler Vorstadt, nördlich ( Xb.) 97, Oranienburger Borstadt( XI.) 130, Friedrich- Wilhelmstadt und Moabit  ( XII) 92, Wedding  ( XIII.) 132. Die Sterbefälle find 42,8 pro Mille der fort. geschriebenen Bevölkerungszahl( 1 490 839). Die Sterblichkeitsziffer in folgenden Städten des Deutschen Reiches mit mehr als hunderttausend Einwohnern be trug in Aachen   22,2, Altona   23,2, Barmin 20,2, Bremen   24,6, Breslau   42,1, Chemniß 35,8, Danzig   31,0, Dresden   22,0, Düsseldorf   26,1, Elberfeld   29,0, Frankfurt   a. M. 19,9, Hamburg   mit Vororten 21,5, Hannover   21,6, Köln   33,9, Rönigsberg 51,2, Krefeld   19,4, Leipzig   24,4, Magdeburg   41,8, München   33,4, Nürnberg   26,8, Stettin   46,5, Straßburg   i. E. 22,6, Stuttgart   21,8 auf Tausend. In anderen Großstädten Europas   mit mehr als dreihunderttausend Einwohnern betrug die Sterblichkeitsziffer in Amsterdam   27,0, Budapest  ( Vorwoche) 29,8, Dublin   22,2, Liverpool   18,2, London   15,0, Paris   20,3, Petersburg  ( Vorwoche) 25,6, Warschau  ( Vorwoche) 33,2, Wien  ( Vorwoche) 27,0 auf Tausend. Es wur den 2228 Zugezogene, 2287 Weggezogene gemeldet, so daß sich die Bevölkerung mit Einrechnung der nachträglich gemeldeten Geborenen nnd des Zuschlages, der den Weggezogenen erfahrungsmäßig zugerechnet werden muß, um 552 ver mindert hat, die Einwohnerzahl beträgt fonach am Schlusse der Berichtswoche 1490 287. In der Woche vom 16. bis 22. Juni kamen zur Meldung In fettions Erkrankungsfälle an Typhus   11, Poden 1, Masern 23, Scharlach 46, Diphtherie 71, Rindbettfieber 1.

Polizeibericht. Am 29. v. M. war ein Kellner wegen Deliriums nach der Wache des 68. Polizei- Reviers, Straß­burgerstr. 24, gebracht worden, wurde dort von Krämpfen be­fallen und verstarb auf der Stelle infolge Herzlähmung. An demselben Tage Mittags wurde vor dem Hause Nr. 1. An der Spandauerbrücke ein Mädchen von einer Droschke über­fahren und am rechten Fuße und am rechten Arm nicht unbe­deutend verlegt. Nachmittags wurde vor dem Hause Alt­Moabit Nr. 128 ein Mann von einem Schlaganfall getroffen und mittelst Droschke nach dem Krankenhause Moabit   gebracht. Zu derselben Zeit stürzte auf dem Neubau des Grundstücks Gneisenaustraße 12 der Maurerlehrling Riefelad, als er scherz­weise aus dem Fenster des zweiten Stock einige Mitarbeiter mit Kalf zu bewerfen versuchte, auf den Hof hinab und zog sich einen Bruch des rechten Oberscheufels zu. Er wurde nach dem Krankenhause Bethanien gebracht. Am 30. ds. Mts.

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früh hatte sich auf dem Grundstück Wilhelmsstraße 50 der Kistenmacher Schulze auf das Fenster des zweiten Stocks gesezt und war eingeschlafen. Er stürzte infolge dessen aus bem Fenster auf den Hof hinab und erlitt anscheinend inner­liche Verlegungen und einen Bruch des linken Oberschenkels, so daß er mitelst Krankenwagens nach der Charitee gebracht werden mußte. Mittags vergiftete sich eine Frau in der Sorauer­straße mittelst Zuckersäure. Die Leiche wurde uach dem Schau­hause geschafft. Nachmittags wurde an der Ecke der Neuen Hoch- und Linienstraße ein zwölfjähriger Knabe von einem Brauerwagen überfahren und erlitt einen Bruch des linken Oberschenkels und eine Quetschung des rechten Fußes. am Abend desselben Tages ein Mädchen die vor dem Schank­geschäft Grenadierstr. 29 angebrachte Laterne anzünden wollte und zu dem Zweck einen auf den Kellerhals gestellten Stuhl bestiegen hatte, stürzte es auf den Bürgersteig hinab und erlitt einen Bruch des rechten Schlüsselbeins, sowie eine Verlegung am Hinterkopfe, so daß es nach dem Krankenhause im Friedrichs han gebracht werden mußte.

Gerichts- Beitung.

Als

Prozeß gegen die Militairlieferanten Wolland und Hagemann.

Sechster Sigungstag.

Nachdem Landgerichts direktor Schmidt die Sigung um 10 Uhr eröffnet, ergreift Staatsanwalt Elnger zu seinem Plaidoyer das Wort. Die gerichtlichen Untersuchungen, welche innerhalb vier Jahre vorgenommen worden seien und nunmehr zum Abschluß ge­langen sollten, hätten begreiflicher Weise in allen Schichten der Bevölkerung ein großes Aufsehen erregt, denn es wurde da­durch festgestellt, daß eine große Reihe preußischer Beamten als bestechlich und ungetreu zu bezeichnen seien und da­durch einen Schimpf auf den gesammten Beam­tenstand häuften, dessen Wiederholung nunmehr durch Bestrafung und Entlassung der Schuldigen hoffent lich für alle Zeiten vorgebeugt sei. Es handelte sich in der vorliegenden Verhandlung nur noch um die beiden Männer, welche als Militärlieferanten dem Unfuge durch Anerbieten von Geschenken Vorschub leisteten. Es sei vorweg die Frage zu erledigen, ob die Zahlmeister als Beamte im Sinne des Ge­sezes anzusehen seien oder nicht, und ersteres sei wohl keinem Zweifel unterworfen. Ferner habe die Beweisaufnahme zwar ergeben, daß die Zahlmeister bei der Vergebung der Lieferungen eine Stimme nicht hätten, aber ebenso zweifellos sei es, daß die Zahlmeister als Rath gebende Faktoren einen nicht geringen Einfluß auszuüben vermochten. Wenn nun die Zahl­meister ihren Rath wider besseres Wissen und wider bessere Ueberzeugung zu Gunsten der Angeklagten ertheilen, so be gingen sie eine strafbare Pflichtwidrigkeit, die einer Bestechung

zu

gleichkäme. Man habe nun zu erwägen, ob die Angeklagten die verbrecherische Absicht hatten, die Zahlmeister durch Ge schenke zu Pflichtverletzungen zu bewegen. Es sei dies zwar ein innerer Vorgang in der Seele des Angeklagten, aber eine Menge Thatsachen sprächen zu Ungunsten der Beschuldigten. Da sei in erster Linie die zwischen Wolland und Hagemann geführte Rorrespondenz zu berücksichtigen. Als Wollant sich über die großen Ausgaben seines Geschäftstheilhabers be schwerte, antwortete dieser, daß es nur einmal bringende Opfer seien, welche aufhörten, sowie der Zweck er­reicht sei. Ein anderes Mal schreibe Hagemann, er werde mit Hilfe der Zahlmeister. noch günstigere Reſultate erzielen. Wolland schreibe in einem anderen Briefe an Hagemann, er folle zusehen, einen höheren Preis zu erzielen, für jeden Pfennig pro Ration, welcher mehr bewilligt werde, wolle er dem betr. Bahlmeister gerne 15 M. zahlen. Schwer belastend sei ferner der Brief, den Hagemann an den Zahlmeister Barth richtete. Er forderte darin den Adressaten auf, mit den Lieferungen der derzeitigen Lieferanten Unzufriedenheit zu erregen, damit den legteren die Lieferungen entzogen würden und er sich für die Firma Wolland verwenden könne. Man müsse aus diesen That­fachen den Schluß ziehen, daß die Angeklagten sich ihrer straf­baren Handlung wohl bewußt gewesen und daß die Entschuldi gung des Angeklagten Wolland, er habe nur einem erlaubten Gebrauch gehuldigt, als stichhaltig nicht angesehen werden fönne. Der Staatsanwalt geht sodann zu den einzelnen Fällen über. Er führt aus, wie der Angeklagte Hagemann, der für die verschiedenen Zahlmeister bedeutende Aufwendungen machte, fie in Restaurationen und Vergnügungslokalen freihielt und den Frauen Geschenke zukommen ließ, dadurch nur die Be­treffenden günstig für sich stimmen wollte und war dies erreicht, sodann mit schwererem Geschüß in Gestalt von mit Geld be­schwerten Kouverts und sonstigen baaren Zuwendungen vorging. Der Staatsanwalt gelangt zu dem Resultat, daß der Angeklagte Wolland in 5 und der Angeklagte Hage­mann in 24 Fällen der Beamtenbestechung schuldig und des­halb zu bestrafen feien. Bei Abmessung der Strafe sei zu be rücksichtigen, daß beide Angeklagte geradezu gewerbsmäßig ge­handelt haben und sich der Tragweite und Folgen ihrer Handlungen voll und ganz bewußt waren. Die Verwerflichkeit der That sei auch dem Angeklagten Wolland klar gewesen, er habe die Bestechungen aber als ein nothwendiges Uebel ge­halten. Eine Reihe von Beamten, die sich in geachteter Stel­lung befanden, seien durch die Handlungen der Angeklagten um Ehre, Brot und Amt gekommen und schon aus diesem Grunde müßten mildernde Umstände von vorne herein werden. ausgeschlossen Die Angeklagten feien aber verschieden zu beurtheilen. In Wolland hätten von vorne herein verbrecherische Triebe nicht gewohnt, sie seien erst durch Hagemann und im Laufe der Geschäfte erzeugt worden. Anders sei es mit Hagemann, dessen Vergangenheit schon schwer gegen ihn spreche. Dieser Mann, der mit einem Ber­mögen von über 300 000 M. aus dem Feldzuge zurückkehrte, der aber einer unrechtmäßigen Aneignung nicht überführt werden fonnte, dagegen aus dem Offizierſtand und des eisernen Kreuzes verluftig erflärt wurde, dieser Mann habe in gewinnsüchtiger Absicht die Zahlmeister bestochen, obgleich er genau wußte, daß sie dadurch ihre Pflicht verlegen. Die moralische Beurtheilung der That sei von der größten Bedeutung und diefer Gesichtspunkt veranlasse ihn, gegen Hagemann die Aberkennung der bürger­lichen Ehrenrechte zu beantragen. Er beantrage, gegen Hage­mann für jeden Fall eine Gefängnißstrafe von sechs Monaten zu erkennen, das würde insgesammt 12 Jahre Gefängniß aus­machen. Diese Strafe beantrage er auf sechs Jahre Ge­fängniß zusammenzuziehen und außerdem auf fünf Jahre Ehrverlust zu erkennen. Gegen Wolland beantrage er eine Gesammtstrafe von zwei Jahren Gefängniß, ihm aber die Ehrenrechte zu belaffen, da derselbe im Laufe der Verhandlung gezeigt habe, daß er einer solchen Ver­günstigung würdig sei. Da die Angeklagten lange in Untersuchungshaft gesessen, sei es billig, einen Theil der zu erkennenden Strafe für verbüßt zu erachten, die Höhe stelle er dem Gerichtshof anheim.

Rechtsanwalt Dr. Friedmann beginnt seine Vertheidi gungsrede mit der Erklärung, daß es nicht Aufgabe der Ver­theidigung sein könne, mit einem Worte auf die einzelnen zur herein zugeben, daß die Handlungsweise seines Klienten Hage­Anklage stehenden Fälle zurückzukommen. Er wolle von vorne­mann als hochgradig unmoralisch zu bezeichnen sei. Aber, so unangenehm es ihm sei, einen ganzen Stand in dieser Weise zu beleuchten, er müsse doch behaupten, daß die Bahlmeisterkategorie fein reines Blatt gewesen sei, bevor die Angeklagten zu ihr in Beziehung traten. Es sei schon lange die wurmstichige Stelle zur Kenntniß der höheren Be­hörde gelangt, es habe sich nur kein Anfläger gefunden, bis der Geheimrath Kreidel sich berufen fühlte, den seit lange be­stehenden Schaden aufzudecken. Daß die Zahlmeister manch' räudiges Schaf in ihrer Mitte bargen, das beweise schon die Thatsache, daß ein Theil derselben wegen weit schwererer Ver­brechen und Vergehen verurtheilt worden sind. Das Gericht habe nicht zu entscheiden, ob die Angeklagten unmoralisch ge­handelt hätten, sondern nur, ob dieselben vom juridischen Ge­sichtspunkte aus zu bestrafen sind. Es sein ein gefahrvoller Boden, auf dem die Judikatur bei Beurtheilung der Bestechung zu arbeiten habe. Wie verschiedenartig würde ein derartiges Vergehen von den verschiedenen Gerichten beurtheilt! Das Strafmaß bewege sich zwischen Gefängniß von einigen Wochen und zwischen Zuchthaus. Hagemann fannte die eigenthümliche Stellung, welche die Zahlmeister einnehmen. Er wußte, daß derselbe nach oben und unten hin Beziehungen hat, aber nicht immer amtliche, fondern gesellschaftliche Beziehungen. Der Bahl­meister kann nach oben und nach unten hin gefährlich und nach­theilig wirken, und diese Gefahr hat Hagemann beseitigen und nach­hteilig wirken, und diese Gefahr hat Hagemann beseitigen wollen. Aus diesem Grunde hat er sich mit diesen Beamten auf einen guten Fuß gestellt, wenn er auch ein unmoralisches Mittel dazu benuzte. Aber keineswegs sei erwiesen, daß die den Zahlmeistern gemachten Zuwendungen dieselben zu irgend einer, für die Angeklagten günstigen Amtshandlungen bestimmen sollten. Ebensowenig sei erwiesen, daß die Ange flagten unrechtmäßige Vortheile erstrebten. Nun habe die Judi­fatur schon in früheren Fällen entschieden, daß eine Pflicht­widrigkeit schon angenommen werden könne, wenn ein Beamter Bedenken, die er hege, nicht äußere. Auch nach dieser Richtung hin sei während der ganzen Verhandlung nicht das Geringste erbracht worden, woraus zu schließen sei, daß ein solches Anfinnen an die Zahlmeister gestellt worden ist. Der Vertheidiger führt sodann eingehend aus, daß die Zahlmeister die Geschenke nicht in amtlicher Eigenschaft annahmen und daß es überhaupt un­möglich war, daß dieselben innerhalb der Menagelieferungen amishandelnd eingreifen konnten. Und konnten die Zahl­meister dies in einzelnen Fällen thun, so müsse den Ange­flagten doch nachgewiesen werden, daß fiie dies wußten. Der Vertheidiger kommt am Schlusse seiner Rede zu der Ansicht, daß vom rechtlichen Standpunkte aus eine Verurtheilung der Angeklagten nicht angängig ist und beantragt deshalb deren Freisprechung.

Nach halbstündiger Pause macht der erste Vertheidiger Wollands, Rechtsanwalt Dr. Staub folgende Ausführungen: Als im Herbste 1885 der Brief von Hagemann an den Zahl meister Bartsch in Magdeburg   aufgefangen wurde, da glaubte man, einer großen Bestechungsgeschichte auf die Spur gekommen zu sein. Bald glaubte man, Wolland habe den Zahlmeister bestochen, um sich auf Kosten der Truppen Vermögensvortheile zu verschaffen. Die Annahme erwies sich bald als haltlos, und es blieb nur der Vorwurf übrig, daß Wolland durch die Gewährung von Geschenken sich einen Vortheil hatte ver­schaffen wollen. Ich gehe nun nicht so weit wie