Jr. 281.

Dienstag, den 2. Dezember 1890.

7. Jahrg.

Berliner Volksblaff.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mart, wöchentlich 28 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Pf. Postabonnement 3,30 Mart pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1890 unter Nr. 892, V. Nachtrag.) Unter Kreuzband, täglich durch die Expedition, für Deutschland und Desterreich- Ungarn 2 Mark, für das übrige Ausland 3 Mark pro Monat.

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beträgt für die 5 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs­Anzeigen 20 Pf. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Beuthstraße 3, sowie von allen Annoncen- Bureaur, ohne Erhöhung des Breises, angenommen. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 Uhr Mittags und von 3-7 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Festtagen bis 9 Uhr Vormittags geöffnet. Fernsprecher: Amt VI. Nr. 4106.

Redaktion: Beuthstraße 2.- Expedition: Beuthstraße 3.

Doktor Bahrdt redivivus." werbe bie dirigirende und leitende Thätigkeit des Unter- tations objette des Kapitals geworden, und

bis

nehmers von den Sozialisten unterschätzt. Nun, kein Sozialist das rühmt sich seines Treibens!

Die Alten speisten die Dichter, Denker und Künstler

Mach' Dich verdient ums Vaterland, So wirst Du ausgehau'n!" Ein Schiller

-

- um nur Einige aus Tausenden nennen- mußte hungern, ein Heinrich von

Unter den Blinden ist der Einäugige König". Man wird so thöricht sein, den Unternehmer, der sein Geschäft darf sich sonach nicht wundern, wenn die Gemeinplätze des leitet, zu den Faullenzern zu werfen; wir wollen gerne im Prytaneum; die Bourgeoisie macht sie zu Lohnsklaven; Herrn Richter, die er in seinem Windmühlenkampfe zugeben, daß manche dieser Herren mehr beschäftigt sind, nach dem Tode erst werden die Heroen des Geistes ver­gegen die Sozialdemokratie zum Besten giebt und die als ihrer Gesundheit gut thut. Und dennoch kann man herrlicht, damit man für ein paar Thaler sich schöngeistig" sämmtlich von ehrwürdigem Alter sind, von seinen Nach- diese Art Arbeit nicht in gesellschaftlichem zeigen fann. Man sett den Leuten, die man im Leben tretern in der bürgerlich- liberalen Presse für funkelnagel- Sinne produktiv nennen. Der Unternehmer von verfolgt, Denkmäler, und vergießt Krokodilsthränen, daß neue Weisheit ausgegeben werden. heute arbeitet nicht zu dem gemeinnützigen Zweck, den es ihnen so schlecht gegangen: So ist die blödsinnige Verleumdung, der Sozialismus Bedarf der Gesellschaft zu decken, sondern nur um das sei ein Feind von Wissenschaft und Kunst und die von ihm weiland angelegte Kapital instragend zu mehren. Sozialisten unterschätzten demgemäß den Werth der Als Träger des falschen Systems der freien Konkurrenz geistigen Arbeit, gegen alle Sozialisten von Babeuf hat er seine Arbeit darauf gerichtet, seine Mitbewerber zu zu Mary und Lassalle ausgespielt worden. Sie ge- auf dem Waarenmarkte zu übervortheilen, und zwar giebt Kleist erschoß sich aus Noth, ein Feuerbach lebte fällt den Herren Bourgeois so gut, daß sie immer und es im Handel häufig Manipulationen, die vom Betrug im Elend und ein Wilhelm Bauer mußte den immer wieder von Neuem ausgespielt wird, und gefällt nicht weit entfernt sind. Sein Dichten und Trachten ist, Bettelhut für sich herumgehen sehen hoffentlich am Besten jenen aus dem Schlamm auf die Mitbewerber von dem Absatzgebiete zu vertreiben und Bourgeoisgesellschaft die Dichter und Denker. Da gehört gestiegenen Parvenu's der Börse, die gelegentlich mit ihrem sie zu ruiniren. Die Arbeit, die nur der Aufrecht- die eiserne Stirn des weiland Dr. Bahrdt dazu, sich als erschwindelten Gold einmal ein gutes Gemälde kaufen oder erhaltung dieses gemeinschädlichen Produktionssystems Vertheidiger dieser Bourgeoisgesellschaft aufzuwerfen und einen armen Schriftsteller zu Tische laden und sich dann dient, kann sonach nicht als nußbringend im wahren Andere der Mißachtung der geistigen Arbeit anzuklagen! ihrer Verdienste um Kunst und Wissen Sinne des Wortes anerkannt werden, denn sie dient nur In einem sozialistischen Gemeinwesen hätte weder ein schaft" rühmen. Der Blödsinn, der von der jenem kapitalistischen Egoismus, der die ungeheuren Schiller, noch ein Kleist, noch ein Feuerbach, noch ein Bourgeoispresse über den Werth der geistigen Ar- Verheerungen von heute anrichtet, der aber nichts desto- Wilhelm Bauer hungern gemußt. zu Tage gefördert wurde, hat zuweilen förmliche weniger von den Charlatans der bürgerlichen Oekonomie Purzelbäume geschlagen. Wer erinnert sich nicht noch der als, gesund" gepriesen wird.

beit

Drehen wir aber den Spieß um und fragen wir

-

so ehrt die

Korrespondenzen.

durch die wissenschaftliche Welt ging? Herr Bernstein nach der Werthschäzung der edelsten geistigen Arbeit in Kiel , den 30. November. Die Kieler Stadt: der Maggid" an der damals Duncker'schen Volkszeitung" der Bourgeoisgesellschaft. verordneten Wahl vom 28. November. Das Re­hatte erfahren, daß die Berliner Steinträger für ihre Da sehen wir den Dichter und Denker, den Forscher, fultat der Wahl hat allgemein überrascht, und obwohl sich die chwere Arbeit mit drei Thalern pro Tag bezahlt worden den Mann der Wissenschaft zum Lohnsklaven des hiesige gut bürgerliche Presse wohlweislich über ihren Sieg aus­seien, und er hatte prophezeiht, diese hohe Honorirung Kapitalismus degradirt. Oder ist es etwas Anderes, schweigt, so wird es umsomehr von der auswärtigen Presse als einer Handarbeit müsse zu einer Führen wir dieses Geistes" führen. Damals lachte Alles homerisch zu- Rapital pochen kann, die Leitung literarischer und wissen wurden die Stadtverordneten mit einigen hundert Stimmen ge­jammen und die armen Steinträger machten große Augen schaftlicher Unternehmungen an sich reißt, ohne im Ge- wählt. Voriges Jahr, als die Arbeiter mit in die Wahl traten,

Unternehmer, der nur auf sein Sieg des Bürgerthums hingestellt werden. Geschrei auf seinen richtigen Werth zurück. In früheren Jahren

und die Arbeiter

darob, daß sie plötzlich noch ein kulturfeindliches" Ele- ringsten. dazu befähigt zu sein? Wir sehen heute z. B. erhielten die Ordnungsparteien 1100 600 Stimmen. Dieses Jahr, am 4. November, erhielten die

ment geworden. Herr Richter hat in seiner gewaltigen" riesenhafte Verlagsgeschäfte in den Händen von Leuten, Ordnungsparteien ca. 1150 und die Arbeiter ca. 1400 Stimmen. schwaggewaltigen! -Rede gegen die Steuerreform denen aller Geschmack, alle schöngeistige Bildung, alle als für den zweiten Tag die Wahl ausgesetzt wurde, war es für die Bernstein Weisheit nur wieder aufgewärmt, als er literarische Urtheilsfähigkeit abgeht. Und doch haben Jeden Klar, der nicht gerade mit Blindheit geschlagen war, daß davon sprach, die Sozialdemokratie unterschätze die geistige sie einen großen, ja den größten Theil der es galt, für dieOrdnungsparteien Zeit zu gewinnen. Um denOrdnungs­Arbeit, und dem Bernstein - Nachbeter wird wieder rings Literatur in der Hand, Hand, denn der Schriftsteller, parteien noch einmal einen Sieg zu ermöglichen, dazu bedurfte im Lande von, freisinnigen" und nationalliberalen Blättern der es außerordentlicher Mittel. Die Freisinnigen, Nationalliberalen, ihnen seine Arbeitskraft verkaufen muß, die Junungen und alle möglichen Vereine und Gruppirungen, nachgebetet. sieht sich genöthigt, sich zu ducken, wenn er leben will. sie alle hatten schon bei der ersten Wahl geschlossen gestimmt. Es Widmen wir der Sache noch einmal eine Betrachtung. Männer von reichem Geiste und vielseitigem Wissen müssen fehlten nur die Konservativen, welche im Schmollwinkel saßen, soweit sie es verdient. ihre literarische Produktion der rohen Laune eines ge- die freifinnige Tyrannei ließe sie nicht in die städtische Vertretung weil sie bisher aus der großen Schüffel nicht mitessen durften; Herr Richter, als der Vertreter der frondirenden" wöhnlichen Protzen anbequemen, denn nicht Jeder hat gelangen, jammerten sie. Die Konservativen wurden nun auch Großkapitaliſten und Unternehmer, ist der Meinung, das Zeug, den Kampf mit der Noth um einer unab- gewonnen( jedenfalls durch Konzessionen); außerdem sezten die gegenüber der produktiven Thätigkeit des Lohnarbeiters hängigen Gesinnung willen aufzunehmen! Solche Fälle reisinnigen ihre Reichstagswahl- Organisation in Bewegung. fommen jeden Tag vor. Und das spricht von Gering- In der ganzen Stadt wurden die Wähler durch sogenannte Vertrauensmänner( Schlepper) herbeigeführt. Welcher Druck Bahrdt mit der eisernen Stirn" nannte Goethe einen schäzung der geistigen Arbeit durch die Sozialdemokratie! dabei auf die kleinen Geschäftsleute, Handwerker wc. ausgeübt charlatanisirenden Theologen dieses Namens. Wissenschaft und Kunst verkrüppeln, weil sie Speku - wurde, läßt sich leicht erklären. All' dieses zusammen hätte die

Feuilleton.

Nachbruck verboten.]

Rothenburger Tage.

( 1

ihn austrieb, ward Fehde kam.

gewesen. Heute mußte sie sich aber eingestehen, daß ihre Be­mühungen durchaus vergeblich gewesen waren.

Roman aus der Zeit des großen Bauernkrieges von 1525 mächtige Steinkrüge mit altem Tauberwein gefüllt, und die sah nachdenklich vor sich hin.

Von Wilhelm Blos .

Im Frauen kloster.

Es war an einem der letzten Märztage des Jahres 1525. Stattlich und ruhig wie immer sah das Kloster der

er so zornig, daß es zu einer O Matthias," rief sie mit schmerzbewegter Stimme, Das Gedächtniß an solch lustige Zeiten mußte bei den Klosterfrauen wieder wachgerufen sein, denn die Fesseln daß ich diesen Tag erleben muß!" Matthias, der Klosterförster, ein alter Mann mit wetter­Klösterlicher Zucht schienen völlig gelöst. Es war etwas Be sonderes im Gange. Die Schaffnerinnen hatten verschiedene gebräuntem Gesicht und eisengrauem Bart, nickte stumm und Wenn der heilige Dominikus die Zuchtlosigkeit seiner Klosterfräulein, alt und jung, kredenzten den Besuchern die blanken zinnernen Becher unter Lachen und Scherzen. Die Priesterinnen sähe, er würde des Himmels Zorn auf sie Patrizier und Bürgerssöhne, die zum Besuch erschienen herabbeschwören. Glauben sollte man, die Zeit wäre wieder waren, wurden bald schier so ausgelassen, wie auf der erschienen, da die Klosterfrauen den Rittern die Liebes­Trinkstube am Markt. Man stieß fröhlich an und es war brieflein über die Mauern hinauswarfen. nicht wenig getrunken, zumal die Klosterfrauen kräftig Be- große Stube ist voll lockerer Gesellen, die da Völlerei Denn die Klosterfrauen zu Rothenburg treiben." Und den guten alten Klosterwein trinken," murmelte

jäh abstürzenden Höhe am westlichen Rande der berühmten nahmen es nicht so genau mit den Ordensgelübden und Reichsstadt in das frisch aufgrünende Tauberthal hinab. Ordensregeln und waren gar nicht zimperlich, wenn schon Matthias grimmig.

"

Die ganze

eine andere Bestimmung zuschrieb. Man könnte meinen, der jüngste Tag soll anbrechen," im Kloster, so

Die gewaltige Ringmauer der alten Veste anlehnt, herrschte Einige Fräulein thaten sogar recht lose und mochten leicht liefen in den Kreuzgängen unruhig hin und her; zuweilen Zucht nur als eine Art Mummenschanz. ein ungewohntes Leben und Treiben. Die Klosterfrauen den Glauben erwecken, als betrachteten sie die klösterliche will auch draußen in der Welt alles drunter und drüber

bildeten sich Gruppen, die lebhaft sprachen und gestikulirten.

gehen. Keiner will mehr in seinem Stand bleiben und Während aus der großen Stube laute und fröhliche Alle widerstreben der Obrigkeit, die doch von Gott ein­Nun trat Matthias aus der Fensternische, wo er bisher Euler im Konventsaale händeringend gestanden, hervor. Die verwachsene ältliche Dame mit dem" Ihr faget, wie es ist," sprach er mit dumpfer Stimme,

In der großen Stube des Klosters, wo man die Besuche zu empfangen pflegte, hatten sich heute zahlreiche Verwandte Stimmen drangen und oftmals auf dem Klosterhof widerhallten, gesetzt ist. und Freunde der Klosterfrauen eingefunden. Hier ging es lief die würdige Priorin des Dominikanerinnen- Klosters,

Ich weiß wahrlich nicht, wie's

ehrbaren und fürsichtigen Raths der Stadt Rothenburg schon auf und ab. vor langer Zeit den Klosterfrauen verboten, in der großen dünnen halbergrauten Haar, den grünlichen Augen und dem es wird keine Ruh mehr in den deutschen Landen und böse Stube Wein zu schenken, gedenkend des Unfugs, den einst runzlichten Antlig konnte für Männer niemals sonderlich Tage kommen über uns. Ritter und Herren daselbst getrieben. Wußte man doch, daß anziehend erschienen sein und hatte sich um so leichter auch kommt, aber heute brummt es mir immer in meinem alten einft der Schirmvogt des Klosters, der Junker Lupoldt von zum Klosterleben entschließen können.

Sie hatte in dem Kopfe und die Prophezeihung, die ich so oft schon gehört

Bielriek, fich mit Kuechten, Pferden und Hunden in das Kloster mit vieler Ausdauer die alte Strenge aufrecht zu er von dem alten Kräuterweib aus Nortenberg, sie will mir Alofter gelegt hatte, wobei es sehr furzweilig zuging. Als man halten gesucht und war auf ihre Erfolge nicht wenig stolz nicht aus dem Sinn: