5lr. K HnterOaltuns^beilage 193» BUNTE WELT Seine Majestät der Star Bo« Fritz Rosenfeld  Der Weltmachtgedanke, der die Gehirne der Kaiser und Könige beherrschte und ihre Laten lenkte, ist immer ein unerfüllter Traum geblieben; auch die mächtigsten Imperien der Geschichte umfassten nur einen geringen Bruch­teil der Erde. Die wahre Weltherrschaft er­kämpfte nicht die Waffe, sondern eine Maschine, die einen wesentlich sympathischeren und unge­fährlicheren Typ des Despoten auf den Herr­scherthron hob: den Filmstar. Waren einst die Könige und Königinnen, die Prinzen und Prinzessinnen in der Wunschtraumwelt der Völker Sinnbild und Inbegriff aller Schönheit, aller Vollkommenheit, aller Grösse, wurden fie zu den Zentralgestalten ihrer Märchen, wurde ihnen in der Phantasie der Menschen über­natürliche Kraft angcdichtet, so sind eS heute die Helden und Heldinnen der Flimmerlein­wand. Sie haben mit ihrenVorgängern manches gemein. Auch sie werden mit den Mitteln einer eindringlichen Propaganda in das Scheinwerfer­licht der Popularität gerückt, auch ihr Leben wird mit Legenden umwoben, auf daß die Phantasie der Massen ihre Nahrung erhalte, und auch sie zittern täglich und stündlich um ihren Thron; es gibt tausend Prätendenten, die die Macht an sich reisten wollen. ES i st eine Weltmacht. Das Antlitz Seiner Majestät des Königs war den Bürgern eines einzelnen Staates vertraut, prangte in den Stuben eines einzelnen Reiches, und an Fest­tagen auf der Titelseite der Zeitungen eines einzelnen Volke-. Da» Bildnis Seiner Majestät de- Filmstars geht über die Stirnseiten der Zeitschriften der ganzen Welt, prangt auf allen Plakatwänden von Oslo   bis Kapstadt   und von San Franzisko bis Tokio  , und ist Millionen und aber Millionen Menschen dieser Zeit so be­kannt, wie das de- eigenen Bruders, der eignen Mutter. Um den Kulis im Hafen von Schang­ hai   so gut zu gefallen wie den Plantagenarbei­tern in Südamerika  , den Farmern in Kansas  so vertraut werden zu können wie einem kleinen Kontoristm in Berlin  , einem Kaufmannslehr- ling in London   und einer Näherin in Paris  , muh das Bildnis Seiner Majestät deS Stars aus einer genauen und weltumspannenden Kenntnis der Wunschträume der Menschheit geschaffen sein. Geschaffen der Star ist kein naturge­wachsenes Geschöpf, er ist ein Kunstprodukt. Der Mensch ist sozusagen nur da- Rohmaterial, da» erst nach zahlreichen Experimenten seine endgültige Formung erhält. Da» fertige Star­antlitz, da» un» von den illustrierten Zeitschrif­ten, den Stirnwänden derKinotheater, denFilm« Plakaten entgegenblickt, ist das Endergebnis eine» ost sehr komplizierten und langwierigen UmwandlungSprozeffe», an dem der Regisseur, der Kosmetiker, der Friseur, der Schminkkünst­ler gleichen Anteil haben. DerTyp", den ein Star darstellt, wird weniger von der Persön­lichkeit de» Schauspieler», al? vielmehr von der AugenblickSkönjunktur de» Filmmarktes be­stimmt; wenn gerade männermordende Vamp» in Mode sind, wird au» einem jungen Mädchen ein Vamp gemacht, das in einer andren Periode de» Film» vielleicht zu einem seelenvollen Engel mit treuherzigem Augenaufschlag gestempelt worden wäre. Der allmächtige Star, zu dem Millionen Menschen in Bewunderung aufblicken, ist ja nur eine Ware, die verkauft wird und die Gewinn bringen muh; hinter seinem Thron stehen im Dunkel die, die ihngemacht" haben und die an ihm verdienen wollen. Bon ihnen ist er abhängig, sie können ihn stürzen, indem sie einen andren Starauf den Mark werfen". Au» der Nähe besehen, sind alle Herrscher der Welt immer nur Marionetten, die an fremden Drähten zappeln. Der Star-Verbrauch der Filmindustrie ist grenzenlos. In allen Städten der Welt sind un­ausgesetzt Vertreter der grohen Filmgesellschaf­ten auf der Suche nachneuen Gesichtern". Nicht nur die Theater, die Revuebühnen, die Kabaretts werden beobachtet, auch auf den Sportplätzen, bei den Schönheitswettbewerben, bei grohen Tanzfesten wird nach zukünftigen Stars" Umschau gehalten. Ein Star muh ent­weder ausserordentliche Schönheit und grohe Be­gabung, oder aber einen auf einem andren Feld erworbenen Namen mitbringen, um dem Film al» brauchbare Zugkraft zu erscheinen; rin Welt­meister im Schwimmen, ein bekannter Boxer kann er sich leisten, weder schauspielerisches Talent, noch gar eine filmgeeignete Erscheinung zu haben, er wird doch eine grohe Anzahl von Menschen in» Kino locken, und so die Erwar­tungen erfüllen, die die Filmindustrie in ihn setzt. Woher bezieht der Film seine Stars? In erster Linie immer noch vom Theater. Vor allem, weil junge Schauspieler und Schauspie­lerinnen auf der Bühne bereits eine gewisse Routine erworben haben, über jene ärgsten Un­fertigkeiten hinaus sind, die die Arbeit im Film- atesier verzögern und die Filmgesellschaft durch die Verminderung des Arbeitstempos eine Menge Geld kosten. Dann gewih auch, weil sie bereits einige Popularität erlangt haben, die ein, zu­meist allerdings recht bescheidenes An­fangskapital für ihren künftigen Filmruhm bedeutet. Die Star», die das Theater dem Film geschenkt hat, sind zumeist mich die stärksten künstlerischen Persönlichkeiten der Filmleinwand: ein Emil I a n- ningS, ein Werner KrauS, eine Elisabeth B e r g n e r, drüben in Amerika   ein Charles L a u g t h o n, die Brüder John und Lyonel Barry moore, Paul Muni  , Eduard G. Rob inson, Al Jolson  , Mae West  , Kay FranciS  , Mirjam HopkinS, ,die ver­storbene Marie Drehler. Der Operetten­film hat die Oeperettenbühne und das Revue­theater Erscheinungen wie Maurice Cheva­ lier  , Eddie Cantor   und andre gegeben, die im Film nicht nur von ihrem Bühnenruhm zeh­ren, wie etwa Josephine Backer, sondern sich ganz neue Anhängerkreise erobert haben. Vom Tanztheater, vom Ballett, kam Anna Sten  , kam La Jana  , aus den Girlarmeen der grossen Revuebühnen Lilian H a r w e y, Myrna Loy  , Marion Davies  ; ein bedeutender Pro­zentsatz aller amerikanischen   Filmstar» hat auf den Revuebühnrn des Broadway das Licht der Scheinwerfer zum erstenmal erblickt. Der Ton­film hat dann auch den Sängern und Sängerin­nen der Operntheater zu Filmruhm verhalfen; Jan K i ep u r a, Richard Tauber  , Lawrence Tibett, Alfred Piccaver   und viele, allzu­viele andre schmettern ihre Arien nun auch durch den Lautsprecher in die Kinosäle der Welt. Der Rundfunk und die Schallplatte haben dem Film Jaseph Schmidt, Bing C o r 8 b y, den Komiker Will Rogers   gegeben. Der Z i r« k u s schenkte ihm den weisesten und gütigsten Herrscher im Filmreich, Charlie Chaplin  / und eine lange Reihe von Groteskkomikern. Durch den Tonfilm haben manche Stars- der Stummfilmzeit Anschluss an das Theater ge­funden; sie gingen den mugekehrten Weg, sie sprangen aus dem Rahmen derKinoprojektion»- wand auf die Bretter der Bühne: Asta Niel­ sen  , Ossi O S w a l d a, Colleon Moore, Mary Pickford  , Henny Porten  ; und so­garStarS" wie Liane Haid   lassen eS sich nicht nehmen, auch Theater zu spielen. Zwei Schwinnnweltmeifter, B u st e r Crabbe und Jonny Weissmüller, haben beim Film Karriere gemacht; mit den Boxern I. Dempsey, Carpentier, Max Baer  , wurden Filme gedreht. Die Helden der ameri­ kanischen   Wildwestfilme, die tapferen Cowboy», kommen zumeist vom Sportplatz; hier ist ja die Beherrschung de» Körper», da» artistische Kön­nen wichtiger al» die schauspielerische Ausdrucks­fähigkeit. Eine grosse Anzahl von Stars hat al» Statisten angefangen'(Ronald Colman  , Gary Cooper  ) oder in Berufen, die an der Peripherie des Films liegen; Charles Far« r e l l war Sekretär eines Fllmstars, der heute beinahe vergessenen Corinne Griffith  , und da» schwarze Stubenmädchen der Frau Mae West   wurde eines Tages als Schauspielerin entdeckt". Regisseure haben sich als Schauspie­ler versucht(W. Pudowkin im.Hebenden Leichnam"), wie Schauspieler Regisseure ge­worden sind: Ernst L u b i t s ch, Karl Grün  «, Reinhold Schünzel  , Willy Forst  , Paul Wegener  . In der Phantasie der Zeitungs­leser bekommt jede Schönheitskönigin einen Filmkontratt mit einer Millionen-Dollargage; das ist allerdings auch nur ein Wunschtraum der Schönheitsköniginnen; einige wurden wohl von einer Filmgesellschaft engagiert, aber keine ein­zige hat sich auf die Dauer behaupten können, weil der Tonfilm von den Darstellern eben doch mehr verlangt als eine hübsche Larve und schlanke Beine. Zu den Eintagsfliegen des Filmruhms, wie man diese Siegerin­nen zweifelhafter Schönheitswettbewerbe nennen