könnte, zählen auch die Helden und Heldinnen bekannter Skandalprozesse; sie bekommen-Ivar tatsächlich Angebote von Filmgesellschaften, aber ihrePopularität" hat einen kurzen Atem, und nach einem einzigen Film versinken sie wieder in Vergessenheit. Das Eintagsfliegendasein hat die Heldin eines Ehescheidungsprozesses oder einer Giftmordaffäre mit den Persönlichkeiten des politischen Lebens gemein: der Film hat Leo Trotzky   und den entthronten König von Spanien  zu gewinnen versucht, er hat den abgesetzten Bürgermeister von New Uork, Jimmy Walker  , gewonnen, aber die Spekulation schlug fehl. Auch dieStars", die ihr Engagement ihrer exotischen Abkunft verdanken, wie Anna May Wong  , halten sich nicht lang; der Reiz ihrer Fremdartigkeit geht nach dem dritten oder vier­ten Film verloren. Ein paar Künstler des Films find, ohne je auf einer Bühne gestanden zu haben, von Regisseuren entdeckt worden: Greta Garbo  , die Mauritz Stiller   in Schweden   kennen lernte, Wallace Berry, Jeanette Macdonald  , Norma S h e a r r e r, die eine kleine Lehrerin war, und vor allem die wundervollen Menschen­darsteller des russischen Films: Jnkischi- noff, Batalow, Schauspieler, die nicht mit denTraditionen" des Theaters belastet find. DieEntdeckung" von Stars im Alltag, in einem Tanzlokal, einem Eisenbahnzug, einem Kaffeehaus hat in der Phantasie von Millio­nen junger Menschen wahre Verheerungen an­gerichtet. Jeder und jede txäumt davon, eines Tages einem Regisseur, einem Schauspieler, einem Produzenten aufzufallen und im Tri- umphjug in das Büro einer Filmgesellschaft geführt zu werden, wo ein Kontrakt zur Un­terzeichnung bereit liegt. Zehntausende junge Mädchen und junge Männer strömen nach Hollywood  , verdingen sich als Kellner, als Schuhputzer, als Zeitungsverkäufer; sie hoffen alle, dass eines schönen Tages ein Regisseur auf fie aufmerksam werden, ihre erträumte Film­neigung erkennen und ihnen den Weg zu Ruhm und Reichtum ebnen wird. Von Zehntausend chat aber kaum ein einziger die Chance, wirklich ein Star zu werden; die andren werden bestenfalls Statisten und hungern flch in der glanzvollen Welt Hollywoods   kümmerlich durch. Hier ent­scheidet eben lediglich Seine Majestät der Zu­fall, die unbestechlichste, die einzige inappel­lable Schicksalsmacht der Welt. Gibt es Wege zum Berus des Filmschau­spielers? In allen größeren Städten haben sich Filmschulen aufgemacht, sie verlangen von filmbegeisterten jungen Menschen hoher Schul­geld, aber sie verderben höchstens die natür­liche Begabung ihrer Schüler. Filmen läßt sich nicht lernen. Wer schauspielerisches Talent hat, kann es immer noch am besten auf der Bühne erproben; der natürlichste Weg ins Filmatelier führt durch das Theater. Die künstlerischen Per­sönlichkeiten wie Greta Garbo   oder Wallace Berry, die sich ohne Theater, ohne einen über­haupt mit Kunst zusammenhängenden Dorberuf durchgesetzt haben, sind AuSnahmSerscheinungen. Die Mehrzahl aller StarS kommt von den Brettern, muß allerdings mehr können, als durchschnittliche Bühnenschauspieler; in dem Fragebogen, der jedem jungen Star präsentiert wird, spielen außer Sprach- und GesangSkennt- nissen auch Reiten, Schwimmen, Chauffieren «ine wichtige Rolle. Millionen zerbrechen sich darüber den Kopf, wie Herr X. oder Frau D. zu einem Welt­star aüfgerückt sind; aber wenige denken dar­über nach, was aus den Stars wurde, die ab­getreten, in der Versenkung verschwunden sind. In Hollywood   gibt es Modesalons, Friseur­läden, Grundstücksmaklerfirmen, die die Namen von einstmals gerühmten Schauspielern tragen; das Ende der großen Karriere ist oft nüchterne Betätigung in einem nüchternen Alltagsberuf. Die großen Gagen zerrinnen so leicht, wie sie verdient werden; Seine Majestät der Star ist eben nicht mehr, als eine armselige Stern ­schnuppe, die all ihr Licht im Flug verströmt, und wenn sie die Erde, die Wirklichkeit berührt, einem grauen, gewöhnlichen Stein gleicht. Sna Don^ermann Clanbin* Damals wohnten wir in der Sophienall« in einer Terrasse, Haus Nr. 8. Die drei en­gen Stuben waren niedrig und feucht. Die Ta­peten hingen immer wieder irgendwo von den Wänden, so sehr die Mutter sich auch darum be­mühte. Der Vize hieß Herr Poloschinski und wohnt« im Vorderhaus im Hochparterre. Er hatte eine schön« Frau. Da meine Frau Mutter auch als schön galt, so mag eine Art heimlicher Rangstreit wenn auch mehr von derVorderhaus- seite aus, zwischen den beiden Frauen bestanden haben. Jedenfalls war Herr Poloschinski nicht bereit, die erbärmlichste Kleinigkeit im Hause machen zu lassen. Meine Mutter drängte den Vater oft, sich mit Herrn Poloschinski so oder so auseinandersetzen. Aber mein Vater besaß in die. scn Dingen keinen Willen. Wir waren zu der Zeit vier Knaben, von de­nen der kleinste eben laufen konnte, als es hieß: der Adebar werde bald wiederkommen. Ich kannte den Adebar, den Kinderbringer schon gut, und wußte um die Tüte, die er mit­brachte und fallen ließ, wenn ich auch vergeblich darüber nachgedacht hatte, wie er immer glücklich die Fenster aufstoßen und den neuen kleinen Bruder heil hindurch zu steuern vermochte. Ja, einen neuen Bruder! An anderes als an einen Bruder dachte ich nicht. Da hieß es, die Mutter wolle gern, daß der Adebar«in« Schwester bringe. Ich lag abend» im Bette und dachte vor dem Einschlafen an die kleine Schwester. Ich suchte Namen für sie aus und versuchte sie mir vorzustellen. Aber es glückte mir nicht. Es wurde immer ein Bruder. Als meine Ungeduld aufs höchste gestiegen war, ward mitten in der Nacht ein Geschrei und das kleine Kind war da und eS war wirklich ein Mädchen. Ich sah rS erst am andern Morgen, ob ich schon nicht mehr darum hatte schlafen können. Der Va­ter ging früh fort. Ich eilte an das Bett der Mutter. Die Mutter sah blaß auS und lächelte. Ich hob vorsichtig das dünne Tuch vom Nebenbett, darin das Neue lag. und war betrof­fen und selig zugleich. Da lag eS und hatte die Augen weit offen große, blanke, blaue Augen. Sein Haar war gelb, beinahe weiß, ein richtiger Schopf. Ich hätte das Neue am liebsten herausgeho« ben und in die Arme genommen, aber ich wußte: das ging nicht an. Es hatte noch gar keine festen Knochen. Da plärrte es plötzlich los. Ich hatte Freud  » und Angst auf einmal dabei. Die Mutter sah mich an und-lächelte wieder. Das Neue sollte Ina heißen. Ich sagte den Namen den ganzen Tag vor mich hin. Der Name kam mir fremd vor. Aber ich sagte ihn so lange, bis di« Fremdheit ver­schwunden war, bis ich in aller WirkliAeit eine Schwester hatte, die Ina hieß. Ina war ein sehr stille- Kind. Ich weih gar nicht, daß es jemals außer jenem ersten Male richtig gcfchrieen hätte, wie die Babys rundum, oder wie Matten und Lucien und Paul geschrien hatten, daß ich mir die Bettdecke fest über beide Ohren zoa und es nützte doch nichts. d Ina lag immer in ihrem Bette oder im Arm der Mutter und sah still und staunend umher. Ich wagte kaum, Ina anzufassen. Sie war mir hei­lig. Anders weiß ich es nicht zu sagen, Ja es war etwas um Ina her, das mich scheu macht», sie zu berühren. Ich sah sie nur an, bis ich eS auf einmal nicht mehr aushielt und mich weg­drehte. Den anderen Knaben in derTerrafle berichtete ich fast Märchen über meine neue Schwester. Aber sie hörten mir kaum zu oder lachten bloß. Da erzählt« ich ihnen nichts mehr, mochte sie auch nicht mehr. Ich ging allein und dachte mir aus, wohin ich überall mit der kleinen Schwester gehen könnte, und was ich ihr alles zeigen wollte. Da erkrankte Ina plötzlich. Mitten in der Nacht stand der Vater auf, warf den Rock über und holte den Doktor. Der kleine dicke Doktor kam und war ganz außer Atem. Ich stand im Hemd und lauschte und zitterte. Ich hörte Ina leise röcheln und di« Mutter weinen.. Dann ging der Arzt fort und es ward alles still. Nur die Mutter weinte noch leise. Ich ver­grub mich in meine Bettdecke an der Seite des Vaters, der auch wieder zu Bett gegangen war, und weinte leise mit. Meine Brüder schliefen und hatten nichts davon gemerkt. Es waren traurige Tage, bis eine Droschke in die Terrasse geholpert kam, bis man Ina in ihren kleinen Sarg hineinhob. Ein paar karge Kränze hatten di« Nachbarn aus ihrer Armut beigesteuert, aber fie verdeckten nicht da­schwarze, trostlose Holz. Mein Vater stieg ein und sonst noch je­mand. Ich weiß nicht mehr, wer. Dann holpert« der Wagen über das rauhe Pflaster wieder hin­aus. Die Nachbarn sahen ihm verstohlen auS halb geöffneten Fenstern nach. Mein Vater kam spät in der Nacht wieder nach Hause. Er sprach merkwürdig heiser und laut. ES tat mir weh, wie er sprach, wenn ich vor lauter Müdigkeit auch nicht verstand, waS er redete. Ich kroch weit von ihm ab an den Bett­rand und log mir vor: Ina lebe noch; es sei alles gar nicht wahr. ES sei alles nur rin bitter­bös«! dummer Traum gewesen. So schlief ich wieder ein. Am anderen Morgen kam Frau Poloschin- fki und sprach mit der Mutter. Meine Mutter weinte wieder, aber sie schien doch gefaßter und gab Frau Poloschinfli, als sie sortging, freund­lich die Hand. Bald darauf kam der Tapezierer und ersetzte dir alte Tapet« durch eine neu«, die lauter bunte Blätter alz Muster hatte, so daß di« Stube auf einmal wie eine Laube aussah. Meine Mutter war sehr stolz. Sie hatte noch lang««in sehr stilles Gesicht; über von der to­ten Ina ward nicht mehr gesprochen.