DEUTSCHE   ZUKUNFT

KULTURPOLITISCHE BEILAGE ZUR DEUTSCHEN FREIHET BLICK ÜBER ZEITRAGEN UND BUCHER  

In regelmäßigen Abständen soll auf diesen Blättern ber die geistige Situation in Deutsch­ land   berichtet werden. Die Darstellung, in welchem Umfage deutsches Kulturgut unter dem Hitler  - Diktat erschüttert wurde, ist erforderlich, um einen klben Blick über die Wirklichkeit zu gewinnen. Wir wollen aber mehr geben. Wir wollen versuhen, die Strömungen, die sich als neudeutscher Idealismus oder romantischer Aufbruch bezeichne Ideen, die bekanntlich das

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tum s. Es erträgt efinnungsparaden mit heiser geschrienem Patriotismus allenfag in der Zeit der drei Hitlerschen F's, der Feste, Fackelzüge us Feuerwerfe. Dann verpufft unter zischenden Schwaden die damme des deutschen   Theaters, die einst vor der Kulturwelt hell erglühte.

Bekenntnis zur brutalen Gewalt gegen jeden Andersdenkenden Icht ausschließen, nach ihrer Liquidation der Gesinnung

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Herkunft und ihrer Wirkung zu untersuchen. Unser Ziel ist klar.'s ist beflügelt von dem Willen, mit der politischen auch die geistige Freiheit für Deutschland   zurükzugewinnen.

Die Redaktion

Denk' ich an Deutschland   in de nacht..."

Eine Viermonatsbilanz aus em Dritten Reich

Bon Gerhard Bergeeft

Der große Erodus des Geistes aus Hitlers   Despotie ist nicht zu Ende. Täglich werden noch Gelehrte, Publizisten, Musiker, Schauspieler, nicht reinraffig oder des Kultur­bolschewismus verdächtig, mittels braunen Briefes von Amt und Brot entfernt. Zur gleichen Zeit, in der die Golddeckung der Reichsbank zusammenschrumpft, verliert die Substanz der schöpferischen Leistung in der Wissenschaft und in den Künsten immer mehr an Gehalt. Nur ist ein Unterschied da. Er besteht darin, und das ist die Tragik der Lage: Materielle Werte find zu ersetzen, während das, was in den Bezirken des Geistes verloren geht und in Haß und in Uebermut ver­wüstet wird, unwiederbringbar ist für alle Zeit.

Gaudeamus igitur

Ir vier Monaten welch ein Trümmerfeld! Die

deutschen   Universitäten hat ber Reiniger Rüst als Forschungs- und Lehrstätten durch die Entfernung hervor.

ragender Gelehrter verarmt und entwertet. Die Studenten, di: erzogen werden sollen, maßen sich die Rolle von Erziehern

ar, kontrollieren und kommandieren und vertreiben selbst rehtsstehende Wissenschaftler von ihrem Platz. Professoren, di: noch vor wenigen Monaten politisch gänzlich uninteressiert erchienen, produzieren sich auf einmal als Paladine des Hakenkreuzes und werden damit zugleich erste Nummern in der neudeuren enjwant. Denn diese hat ihren bis­herigen Maßstab, der sich nach der geistigen Leistung richtete, ve: loren. Wer heute an den deutschen   Universitäten nicht in jeder Vorlesung eine rhetorische Arabeste einfügt, worin er sich als Mitkämpfer in der nationalen Front bekennt muß gewärtig sein, daß er bei nächster Gelegenheit von der braunen Burschenherrlichkeit ausgepfiffen wird. Auf der Strecke liegen Menschenschicksale, die ihr Leben lang durch Können und Gesinnung der Wissenschaft dienten.

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er

Aber noch schlimmer ist der Zusammenbruch der Charaktere, die schmiegsame Anpassung an die neue Bewalt unter Verleugnung der eigenen befferen Ueber­jeugung, das große Schweigen des eingeschnürten und ge­effelten Geistes. Es gibt ein paar Ausnahmen, wie den

Wettbewerb um die hartumfämpf Position einen Konkur­renten weniger zu haben.

Die Bühnengenossenschaft mar eier der ersten Verbände, ber fich Hitler   freiwillig offerierte, lage bevor der Gewalt­streich im Zeichen Ley's die Gewerfsaften als Selbstver­waltungskörperschaften vernichtete. Nutwenige der Großen und Einsamen im Bereich der Schaubüne und der Musik durften ein Widerwort sprechen. Ein Man von internatio­nalem Rang wie Wilhelm Furtwänder wendte sich in seinem Brief an Goebbels   gegen die Msreglung seiner nicht minder bedeutenden DirigentenkollegenBruno Walter und Otto Klemperer  . Er konnte es wagen im Gefühl seiner Unabhängigkeit. Alle Abhängigen schwiegen, sele kleinere Meister" priesen den Ausschluß der Nichtarir aus den Runsttempeln und den Konzertsälen als ein lärast fälliges

Kultur? In Hanns Jost's" Salageter" tommt dieser Satz vor: Höre ich das Wort Kultu  , dann entsichere ich meinen Revolver." Johst will ironisch sein. Auch uns schmeckt das bildungsspießerische Kulturgerede feineswegs. Aber wen haben sie jest alles auf den Jndergefeßt, wer wird aus der Dichterakademie herausge worfen, wessen Werte verglimmen auf den Schetterhaufen unter Huronengebrüll unb Göbbels'schen Redeöls vor Deutschland   au­funftsträchtigen Akademikern? Die Schriften von Jakob Wassermann  , Heinrich Mann  , Alfons Paquet  , Erich Maria Remarque  , Stefan und Arnold Zweig  , Franz Werfel  , Erich Kästner   und vieler anderer, die, in alle Welt­sprachen überseßt, für Deutschland   zeugten. Thomas Mann  , Deutschlands   stärkster Epifer, findet feine Zeitung, die heute einen Aufsatz von ihm zu drucken wagte. Schriftsteller, in deren Sätzen es blizzte von Anmut und Kraft, werden von den Verlegern boykottiert, in deren Geschäftszimmern SA.. Kommissare den Betrieb überwachen. Dafür werden sie ge­zwungen, Hitler- Literatur in ihre Verlagsserie zu überneh men. Wo die Gewalt nicht eingesetzt werden kann, wird sanft mit dem wirtschaftlichen Rohrstock nachgeholfen. Das deutsche Verlagsgeschäft erlischt, die deutschen Buchhändler liquidieren.  in hellen Scharen. Und die Zeitungen, die man einst wegen ihres geistigen Gesichts schäßte, werden teils mit Wider­willen, teils unter bitterem Zwang gelesen, weil es eine andere Leskost in diesem Deutschland   überhaupt nicht mehr gibt.

Hunger tut auch den Schriftstellern weh. Das in Zei

ethisches Gebot, aber sie rechneten es zugleich in besere Chan- tungsunternehmungen festgelegte Kapital muß sich verzinsen.

cen und höhere Honorare für die eigene Tasche um.

Dramatiker im gleichen Schritt und Teitt

Haupthelbin in diesem Trauerspiel des Geistes ist die nationale Dramatik selber. Wenn man dent innerer Gehalt der nationalen Revolution" bewertet nach den künstlerischen Durchbrüchen vor ihrem Siege, nach der wollte

dann erkennt man erst ganz ihre unschöpferische Armut. Unter der ganzen jüngeren Dichtergeneration, die für die Bühne schrieb, gab es nur ganz Wenige, die die Hitler- Seele ins Theatralische fonzipierten, und vor allem: die etwas fonnten. Auch der heutige Braune- Haus- Dichter und Staatstheaterintendant Hanns Joh st, dessen Schla­geter" befehlsgemäß von 300 deutschen   Bühnen aufgeführt wird, hat sich, als es noch nicht recht lohnend war, niemals öffentlich zum Hafenkreuzbanner bekannt. Literatur über die nationalsozialistische Ideologie gab es nur im Bereich des politischen Schrifttums und der Sozialphilosophie. Am be­kanntesten sind die Namen des- inzwischen verstorbenen Möller van den Bruck, von Ernst Jünger   und Kurt Hielscher  . Aber auch diese werden von dem heutigen Faschismus keines=

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Die Verleger- und Journalistenverbände haben sich national. sozialistischer Führung beugen müssen. Man könnte ver stehen, wenn die deutschen   Zeitungen und ihre Mitarbeiter dem geistigen Terror auswichen, mit Ingrimm vorsichtig schwiegen, ihre Gesinnung und ihr unverlierbares Ge­danfengut mit Sorgfalt behüteten vor dem Zugriff des lauernden Feindes.

Aber was geschieht täglich? Federn, die einst links orientiert waren, verbiegen sich vor aller Augen nach Ginigen jede Schellers haufenaktion gegen dasselbe literarische Schaffen, das sie einft liebten und rühmten. Schlimmer noch: sie geben ihrer Verwandlungeine hochgeistige Bemäntelung. als ob sie schon immer so gedacht und so geschrieben, schon immer die deutsche Wiedergeburt mit Hitler  , Göring   und Göbbels   erträumt und ersehnt hätten. Sie erdichten und er­finden tiefgründige Theorien, um die innere Scham vor der eigenen Charakterlosigkeit leichter herunterschlucken zu kön nen. Sie rühmen die neue Romantik und bekennen sich aunt jungen Idealismus, während sie, oft schon ergraute Herren, einen sehr materialistischen Kampf um ihren Redaktions sessel ausfechten müssen...

ledeutenden Chirurgen Sauerbruch  , der seine jüdischen wegs als Beute von seinem Geiſt anerkannt. Kam vor der Freiheitskampf für den Geist

Sffiftenten auf Hitler  - Diktat hin nicht entlassen wollte. Aber no find die Hochschullehrer, ihre Fakultäten, ihre Senate und ihre Verbände, die gegen die Austreibung ihrer Sollegen manifestieren? Sie dulden, daß junge Leute, die vor eit paar Jahren mit Mühe und Not ihren Doktor bauten, jest vor ihnen auf einmal als legitimierte Universitäts­Fonmissare" erscheinen. Höchstens lächeln die Wissenden hinter ihnen her, aber feiner wagt ein fräftiges Wort, denn neben den akademischen Diktator in der braunen Uniform steht die SA. Welch ein erschütternder Blick über all die tief­gebeugten Rücken, die den namhaftesten Gelehrten an den deutschen   Universitäten gehören! Statt des gemein samen Schreis- ein Knirschen mit den 3äh nen, das nicht einmal der Herr Kollege hören dari.

Thalia in braun

In der Welt des Theaters- wie könnte es hier anders sein? Intendanten, Regisseure, Dirigenten, Schau­spieler, Pioniere und Neuerer, die das deutsche Theater emporgeioben hatten aus der Niederung des Banalen und des Kitsdes und nun davongejagt wurden: wer zählt ihre Namen? Die Schaubühne, die Stätte höchfter hersischer Ver­klärung zwischen Mitleid und Furcht, hat in ihrer täglichen Praxis immer viele kleine Menschlichkeiten gesehen. Heute ist sie ein Schauplatz der Rache und des Neides, der Aus­treibung der Könnerschaft und der Begabung geworden. Jeder kleine Statist, jeder unfähige Chargen­spieler fann im Bezirk seiner Kulisse Rasse­wart spielen, denunzieren und seinen Ellen bogen einseßen, wenn er sein dickes Hafen kreuz aufleuchten läßt. Wilde Kommunisten, stür­mische Sozialisten entdecken über Nacht ihr heiß für Hitler  schlagendes Herz und erhöhten damit in der neuen Atmo­sphäre der Gleichschaltung ihre fünstlerische Reputation. Sie sehen zu, wie unzählige ihrer Kollegen und Kolleginnen, mit benen sie oft ein einzig Volf von Brüdern waren, geächtet und verjagt werden, verbannt von den deutschen   Bühnen, existenzlos und hungernd. Man drückt dem Betroffenen die Hand, wenn es niemand sieht, doch im geheimen froh, im

Hitler  - Aera einmal ein Theaterstück mit schwülstig- natio­nalem Pathos auf die Bühne, so starb es nach kurzer Zeit an der lähmenden Uninteressiertheit des Publikums.

Aber wird es den neuen Konjunkturdrama­tifern, den Ziese und Griese, den Schäfer und Mell nicht eines Tages ebenso gehen? Wir sind weit davon entfernt, die theatralische Epoche vor der Hitler  - Aera zu loben. Das Zeitdrama" mit seinem dilettantischen Realismus darf man schnell vergessen. Aber es waren doch Männer und Hoff= nungen dabei, die erleben und gestalten durften in geistiger Freiheit und persönlicher Unabhängigkeit in jener Luft, in jener Luft, in der die Kunst nach ewigem Gesetz allein Blüten ansetzen kann. Heute sitzt an der dramaturgischen Schalttafel Herr Goebbels   mit seinem Theaterbevollmächtigten Hinckel, die dem Geist und der Kunst die Rolle des Dienertums an der Politik des Dritten Reiches   zuweisen. Unmöglich für den deutschen   Dramatiker, aus diesem Zellenreich auszubrechen und sich der Lizen und Streifen auf seinem Dichterrock zu entledigen! Er fände keinen Verleger, keine Bühne führte ihn auf. Jede Rebellion in der Idee ist Hochverrat und Staatsverbrechen und endet im Ronzentrationslager.

Aber den Untergang des deutschen   Theaters wird kein SA.- Befehl aufhalten können. Doch schon hat die Massen­flucht der Interessierten eingesetzt. Gleichgeschaltet mit dem Nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur" hat sich der unter katholischem Einfluß stehenden Bühnenvolks­bund. Zwangsweise wird die freie Volksbühnen= bewegung das gleiche Schicksal erleben. Ihr Berliner  Theater am Bülowplaß, der Zufluchtsort der Theaterlieben­den in der Verfallszeit der vergangenen Jahre, wird jetzt kampfbündlerisch mit einer Dosis Hanns Jobst überwacht und damit ein lebendiger Wert zum Verstummen gebracht, der hunderttausende von deutschen   Arbeitern der Theaterkunst nahebrachte. Die Schmiede an der Front gegen den Kultur­bolschewismus versuchen jetzt, Dußende fünftiger Drama­tifer in den Steckkissen der nationalen Poesie mit brauner Milch aufzuziehen. Aber wird es zu guterletzt etwas helfen? Wieviele der staatlichen und städtischen Schaubühnen werden dem Zusammenbruch entgehen?

Im Gebälk nistet ein Wurm, gegen den auf die Dauer feine Tinktur hilft: die Langeweile des Publi­

Wahrlich, es geht nicht nur um die Rückeroberung ber politischen Freiheitsrechte! In drei frrzen Nonaten hat mant aus dem deutschen   Geistesleben, aus der Freiheit der Wissen schaft, aus den reichen Gärten des Schrifttums und der Künste eine Leichenwüstenei gemacht. Zwischen den Schutthaufen liegen vernichtetes, exiftenalofes Menschen­wesen, Männerftola, den der Büttel gebrochen, allea Stirb und Werde im freien Wettbewerb der geistigen Leistung

Dent' ich an Deutschland   in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht. Heinrich Heine  , deutscher Dichter, Jude und Emigrant, der diese Zeilen in aufstöhnender Sehnsucht nach Vaterland und Muttersprache schrieb, wußte: Schlafen hilft nichts, Träumen hilft nichts. Die Flucht aus diesem Dritten Reich  , die dem Terror entgehen wollte, ist nur ein Ausweg, keine Lösung. Alle Deutschland   unverbrüchlich Liebenden stehen vor der Aufgabe, den Sturm vorzubereiten, der die Kerker der poli­tischen und geistigen Freiheit öffnet zur großen Wiederauf­erstehung, zur Aufrichtung der Geschlagenen und Gelähmten.

Goebbels   verbietet die Objektivität

Es wäre zwecklos, den Spiegel der Vergangenheit, den Göbbels   den Zeitgenossen vorhält, auf Wahrheit zu untersuchen, noch festzustellen, ob nicht Mitglieder anderer Bewegungen auch prophetische Worte eines Wanderers sprechen lassen könnten es wäre vor diesem bewußten Pro­pagandastück zwecklos, zumal auch der veranstaltende Kampf­ bund für deutsche Kultur  " sich die Objektivität der Kritik verbeten hat."(-c. in der Frankfurter Zeitung  " über das Stück Der Wanderer" von Joseph Göbbels  .)

Noch nicht tief genug?

Auf der 48. Jahrestagung der Goethe- Gesellschaft   in Weimar   betonte deren Vizepräsident, Prof. Rippen­berg, der Inhaber des offenbar gleichgeschalteten Insel Rezlags, daß auch die Goethe Gesellschaft stärkste Anteilnahme an dem gewaltigen Ringen des deutschen  Volkes um eine neue Daseinsform habe. Tiefer denn je fönne man sich heute zu Goethe bekennen, der ja auch ein Erziehungsideal aufgestellt habe, das in mancher Hinsicht mit dem der Gegenwart verwandt set".