Deutsche   Stimmen

Feuilletonbeilage der ,, Deutschen Freiheit"

Oskar Maria Graf  

Goethe im Dritten Reich

Jeßt, weil der Hitler samt seinem so pompös angekündigten Vierjahresplan nur das Gegenteil von einer Besserung der allgemeinen Lage und von der Lebenshaltung des einzelnen erreicht hat, jezt betreibt man bei uns im Dritten Reich erhöhte Kulturpropaganda. Grad notwendig und wichtig hat man es. Der Kampfbund für deutsche Kultur   und die ein­schlägigen Instanzen schicken ungezählte Aufklärer" in die Dörfer des flachen Landes. Jeder Parteigenosse oder SA.­Mann, der sich irgendwie einmal mit Büchern und dergleichen beschäftigt hat, wird herangezogen, und da selbstverständlich eine solche Betätigung nicht nur sehr lohnend ist, sondern auch einen gewissen geistigen Nimbus gibt, so melden sich- wie sich denken läßt haufenweise Anwärter dafür.

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" Pflügt die deutsche Bauernseele mit Geist!" verkündete eine diesbezügliche Proklamation des Kampfbundes: Düngt unser unverdorbenes Landvolk mit den Inhalten unserer reichen, tiefen nationalen Kunst und Dichtung!"

Auf diese Weise ist jetzt sogar schon nach Hinterwiegelbach, Gemeinde Wiegelbach, Pfarrei Anzhofen, der Goethe hin­gedrungen. Nämlich vorige Woche hat im Saale des Post­bräus von Anzhofen eine derartige Kulturversammlung stattgefunden. Unverschwiegen soll es bleiben- unter großem Andrang. So eine Versammlung ist ja immer eine ganz nette Unterhaltung. Wer dort redet und was geredet wird, ist ganz Wurscht. Die Hauptsache ist, daß sich was rührt. Ob es jetzt ein Marionettentheater oder ein Zirkus, eine Auf­führung des Burschenvereins oder eine politische Versamm lung ist, immer wird der Postbräusaal voll dabei.

Der Herr Parteigenoffe Referent hat seine Sache auch aus­gezeichnet gemacht. Er hat nicht bloß höllenmäßig über die vierzehn Jahre Lotterwirtschaft des vergangenen Regimes, über die Verbrecher" und Juden, die uns so weit in den Dreck gebracht haben, geschimpft, nein, nein, er ist auch um es gebildet auszudrücken in bessere Kultursphären in bessere Kultursphären hinaufgestiegen.

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In Hinterwiegelbach ist unsere Dorfschule und da hat auch ber Bürgermeister Alois Schmauseder seinen Siz. Folgedessen find auch der Lehrer Haunsberger und der Bürgermeister bei der betreffenden Versammlung zugegen gewesen. Und wo diese Prominenten einmal hingehen, da kommt selbstverständ­lich der große Haufen nach.

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Also gut, der Rebner hat einmal mit großem Schwung gesagt: und stellt euch doch vor, werte Anwesende, Deutsch­ land   ist das Land der Dichter und Denter! Wir haben die größten Genies und Erfinder auf jedem Gebiet, aber- so frag ich wer hat in der Gott sei Dank für immer ver­schwundenen Novemberrepublik Achtung vor uns in der Welt gehabt? Nein Mensch! Und warum das? Weil wir vor der Machtergreifung unseres großen Führers Adolf Hitler  militärisch überhaupt keine Macht mehr gehabt haben, weil wir bis jetzt wehrlos waren, darum hat uns auch all unsere geistige Größe kein Ansehen verschaffen können. Unsere großen Denker und Dichter und Erfinder sind fast alle ver­Hungert, und jetzt, weil sie tot sind, jetzt gehen unsere Erz­feinde her und wollen uns auch noch die Ideen, die Erfin bungen und die hinterlassenen Kunstwerte dieser Großen unserer Nation stehlen! Und warum das? Weil wir uns bis jetzt gegen diese niederträchtige Räuberei einfach nicht haben wehren können!" Er hat einen Schluck Bier genommen und noch begeisterter weitergeredet: Zum Beispiel voriges Jahr, da haben wir Deutsche   die hundertjährige Wiederkunft des Geburtstage 3 unseres größten Dichters Johann Wolf­ gang Goethe   gefeiert. Die ganze Welt lebt nach seinen Ideen. Er hat Bücher geschrieben, die in alle Sprachen übersetzt worden sind. In Amerika  , in Australien   und in den ver­stecktesten Inseln werden seine Werke gelesen. Wir Deutsche  tönnen stolz sein über den Besitz eines solchen Genies, aber gar nichts hat es uns geholfen vor Hitler   sind wir ent­

machtet gewesen. Kein Heer, teine Waffen, radikal gar nichts haben wir gehabt, mit was wir unseren niederträchtigen Feinden hätten vorschreiben können, wie der große Deutsche gefeiert werden müßte!"

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Auf diese allerdings nicht grad wirkungsvollen Worte, die feinen Bauern recht interessiert haben, weil nichts Hand­greifliches drinnen vorgekommen ist auf diese Worte hin haben bloß der Lehrer und der Bürgermeister den Kopf gehoben und einander zuerst fragend angeschaut. Alsdann aber ist es dem Schmauseder doch ein wenig zu dumm geworden.

,, Wia schreibt sich der, vo dem er redt?" hat er den Lehrer gefragt und genau so den Redner: Wia schreibt er sich?" " Goethe!" unterbrach sich der Redner befliffen.

" Wos sogst? Hundert Johr sollt der vit( alt) sei? Dös gibts ja nachher dengerst( doch) net," hat der Bürgermeister beleidigt hingeworfen, hat ein zweiflerisches Gesicht gemacht und sofort die anderen Bauern mitgerissen. Der Redner wollte fortfahren, aber er ist nicht mehr zum Wort gekommen. " Hundert Johr? Ah, geh! Lüag üns doch net gor a so o, gell!" hat der Enzensberger gebrüllt, und jetzt ist es schon von allen Seiten losgegangen.

" Do müaßt man doch schon wos in der Zeitung glesn habn! Hundert Johr, hm?! Und man hot überhaupts noch nig der­fahrn davo? Ah, man kennt den Menschen gor net? Geh, här auf mi dein'm Schmarrn!" schrie es durcheinander. Der Red­ner kam wirklich in Bedrängnis und wußte nicht mehr wei­ter, weil die schimpfenden Bemerkungen grad so niederhagel­

ten auf ihn. Der Lehrer Haunsberger erkannte die vorhan­dene Gefahr und er ist auf das hin aufgestanden.

Bauern und Bayern  ! Werte Anwesende!" hat er mit sei­ner mächtigen Stimme geplärrt: Der Goethe ist ja schon hundert Jahre tot! Der Redner hat sich geirrt!"

Wos? Tot? Hundert Johr tot? Ja, wos redt er denn nachher davon?" erhoben die verärgerten Anwesenden Ein­spruch. Seinen Mißgriff jäh erkennend, wollte sich der Red­ner fuchtelnd Gehör verschaffen und schrie: Ah, natürlich! Entschuldigung! Irrtum! Irrtum meinerseits, werte Anwe­sende, Irrtum!" Und um seine profunde Kenntnis in allem leuchten zu Isen  , leierte er, wie aus dem Konversations­lexifon auswendig gelernt, hastig herunter: Johann Wolf­ gang Goethe  , unser größter deutscher   Dichter, wurde am 28. August 1749 in Frankfurt am Main   geboren und und- verstarb am

am..."

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Jetzt war es aber schon ganz aus mit dem Respekt. In Hinterwiegelbach und überhaupt im ganzen altbayrischen Geviert hat man seit ewiger Zeit so seine festen Ansichten und die kann auch der Hitler nicht ausrotten. Unmöglich! Feste Ansichten sind das über bestimmte Städte beispiels­weise. In Berlin  , sagt man, da gibt's bloß Preußen, in Ham­ burg   nur Matrosen, in Köln   sind die Rheinländer daheim und in Frankfurt   die- Juden!

Wos? Wos? Vo Frankfurt is er hergwefn, der Geethe? Wos? A Jud is er gwesn? A Jud aa noch? Wos? Wos? schrien die versammelten Bauern rebellisch durcheinander und wurden immer grimmiger: Wos, du damischer Kerl do drobn, du damischer! Du Bazi, du elendiger! Zerst redtst in van fort vo Daitschn und jetzt fimmst auf oamoi( ein­

Ereignisse und Geschichten

mal) mit aran solchern windign Saujudn daher, wo boch

der Hitler verbotn hot!"

Und sie nahmen im Nu eine derartig drohende Haltung gegen den Redner ein, daß dieser eiligst die Flucht ergriff. Seither hat der Nationalsozialismus- bet aller Staats­treue im dortigen Gebiet in Hinterwiegelbach und Um­gebung alles Renommee verloren. Es ist auch merkwürdiger­weise kein solcher Kulturvortrag" mehr abgehalten worden.

Namen mahnen!

Ein holländischer Mitarbeiter schreibt uns:

Mendes da Costa, Cologo de Montero, Lopes Cordoso, Lopes Diaz- wo begegnet man diesen flangvollen Namen? An den Haustüren von Amsterdam   sind sie zu lesen. Sie erinnern daran, daß es vor mehr als 400 Jahren einmal eine Judenaustreibung aus Portugal   gegeben hat und daß es die Holländer waren, die die vertriebenen Juden auf­nahmen.( Ein Nachkomme dieser portugiesischen Flüchtlinge war u. a. der berühmte Philosoph Spinoza  .)

Nun, das sind feststehende Dinge. Warum wird daran er­innert?- Weil sie ein Prüfstein für die Richtigkeit gewisser Theorien abgeben. Wenn nämlich die nationalsozialistische Lehre recht hat, so müssen die Portugiesen infolge ihrer Selbstreinigung vom jüdischen Gift seit 1500 mächtig empor­geblüht sein, während die Holländer, die sich leichtfertig selber mit diesem blutsaugerischen Parasitenvolt infizierten, ficherlich e lend verkamen...?

Und so war es in Wirklichkeit: Portugal  , das sich um 1500 mit Spanien   in den Besitz der Seeherrschaft und der Kolonien teilte es war u. a. seit Vasco da Gama   im Be­tz von Vorder- und Hinterindien  , stürzte im folgenden Jahrhundert von der stolzen Höhe und sank zu einem der 8urückgebliebensten Länder Europas   herab. Die Niederlande erlebten dagegen im 16. und 17. Jahrhundert eine ungeahnte Blüte als Kultur-, Handels- und Seenation,

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und wenn sie auch gegen England die Seeherrschaft nicht auf die Dauer behaupten konnten, so blieben sie doch eines der reichsten und tultu viertesten Länder der Welt; ein Land, so wohlhabend, daß es jetzt den Bankrott seines deutschen   Schuldners erlebt, der ihm zirka 2 Mil­liarden schuldet, ohne daß dadurch eine Panik oder ernstliche Zahlungsstockung in Holland   entsteht!

Portugal   ohne, Holland   mit Juden. Ist diese Ent widlung rein zufällig? Man schlage den soeben erschienenen 14. Band des Großen Brockhaus", des wegen seiner Objek­tivität allgemein anerkannten deutschen Konservations­tons, auf. Dort Itest man unter" Portugal  " folgendes:

Dem spanischen Königspaar zu Gefallen vertrieb er ( König Emanuel 1. von Portugal  ) in den Jahren 1496/97 die Juden und die nach dem Fall Granadas ins Land ge= kommene Mauren oder ließ sie zwangsweise taufen. Damit aber beraubte er Portugal   der fleißigsten und wirt schaftstüchtigsten Boltsteile. Die Glanzzeit Portugals   trug überhaupt schon den Keim des Ver­falles in sich.

Das past wahrlich schlecht zu Hitlers   Theorie, daß die Juden es sind, die den Verfall ihrer Wirtsvölker herbei­führen. Wird nun übrigens auch der Große Brockhaus" auf den Scheiterhausen der deutschen Bücherinquifitoren Joe. wandern?

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Stufen

Stufen zur Spize enrer Macht, Stufen zum Turme enrer Gewalt, Steilen sich unsere Leiber.

Leicht und mühlos und ohne Gefahr Steigt ihr zum Gipfel, zum Gipfel empor, Harter Schritt knallt auf die Stufen...

Uneben, zerrissen wäre der Weg, Schmiegte sich nicht Stein an Stein, Stufe an Stufe, Körper an Körper...

Ihr und das Schicksal, das uns

In den düstern Gaffen aus dem Mutterleibe riß, Ihr und das Schicksal habt Körper an Körper

Und Leiden an Leiden

Aneinandergetettet, aneinandergeschweißt. Granit läßt sich williger zerstüden Als sie, die unzerreißbare Einheit.

Nie währte Geduld länger und ward fie Grausamer genugt als unfere.

Doch, ihr, seid wachsam, einmal wird

Ein Zucken und Zucken durch die Glieder des Koloß Laufen und springen, aufbäumt sich

Der Riese und schüttelt sich aus weitem Schlaf...

Und atmet tief die fremden Düfte ein Und grüßt die Sonne, die unserer Freiheit Jubelt und jauchzt...

Ihr, ihr seid in die Tiefe hinabgeschleudert, Abgeschüttelt, läftiges Ungeziefer...

Hoch in den Strahlen des Lichts Glühen und wachsen wir!

28. Wilf.

Das Das Buch sticbt in Deutschland  

! Das gleichgeschaltete Börsenblatt für den Deuts schen Buchhandel" veröffentlicht eine Bekanntmachung, in der es heißt:

Verschiedene Kreisvereine haben in den letzten Tagen an uns das Ersuchen gerichtet, sofortige Maßnahmen zur Abwendung der im Sortiment herrschenden Notlage zu er greifen.

Wir weisen darauf hin, daß eine Besprechung der Ver­hältnisse im Buchhandel mit Herrn Reichsminister Dr. Göbbels   unmittelbar bevorsteht..

Vor allen Dingen muß der Buchhandel sich selbst helfen. Dabei muß er, wie in früheren Notzeiten, den Gedanken der Arbeitsgemeinschaft in den Vordergrund stellen. Jeder Buchhändler soll das Verhältnis zu seinen Berufskollegen darauf einstellen, daß Gemeinnuß vor Eigennus geht.

In diesem Sinne sprechen wir die dringende Bitte an den Verlag aus, Wünsche der Sortimenterkunden auf Ver­längerung der Zahlungsziele und auf Zahlungsstundung im Rahmen des Möglichen zu erfüllen.

Kurz und gut: den Buchhändlern geht es im Dritten Reich hundsmiserabel.- Deutschland war das Land höchster Buchkultur; jedoch diese Kultur ist auf den Scheiterhausen, die Göbbels   anzündete, gestorben. Die Kulturmenschen, die Bücher gelesen haben, wagen es nicht mehr, Bücher zu kaufen. Eine gute Bibliothek kann zum gefährlichsten Beweis für politische Unverläßlichkeit werden. Die andern aber, die heute Deutschland   beherrschen, pflegen Bücher nicht zu lesen, sondern nur zu verbrennen. Und da der Buchhandel von Hit­ lers   Mein Kampf  " und von Karl May   allein nicht leben kann, geht er im Namen von Deutschlands   Erneuerung zu­grunde.

Was man

Was man sich zuflüstert

Eine Frau betritt in Leipzig   eine Buchhandlung. Ich Darf es möchte ein Buch für meinen franken Mann." vielleicht etwas Nationales sein?"" Nein danke, so krank ist er nicht!"

Ein Pariser, ein Wiener   und ein Berliner   unterhalten sich über die Frauen. Der Franzose sagt: Bei uns schäßt man am meisten die reife, mondäne Frau." In Wien  ", ente gegnet der Zweite, hat man die jungen, feschen und reschen Maderln am liebsten." Darauf der Berliner  : Und bei uns im Dritten Reich ist die begehrteste Frau momentan die arische Großmutter!"

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Der nicht sehr germanisch aussehende Doktor Göbbels   ift zufällig unerkannter Zeuge eine SA- Razzta. Plötzlich zupft ihn jemand verstohlen am Rocke   und flüstert: Mensch, Jude, mach' Beene; hier ist dicke Luft!" Darauf entrüstet sich Göbbels  : Erlauben Sie mal, ich bin Dr. Josef Göbbels  !" Da fängt der andere zu lachen an: Det is doch zu doll! Eben hat die SA  . einen anderen Juden laufen lassen, der fich für Göbbels   ausgab."

Große Aufregung im Parterre bei der SS  .- Wache. Einer hat einen weißen Geist gesehen, die weiße Frau". Alles alarmiert! Durchsuchung der Räume! Zuletzt kommt man in das Arbeitszimemr des Reichskanzlers. SS. stellt fest: Hitler   sitzt da und regiert; vom Geist keine Spur!

Ein Saarwagen fährt über Homburg   nach Kaiserslautern  . In Landstuhl   wird das Auto von einem SA.- Mann ange= halten: Wollen Sie mich mitnehmen, ich habe in Kaisers­ lautern   dringend zu tun!" Frage des Fahrers: Wer sind Sie denn?" Antwort: SA  ." Darauf der Chauffeur: Hitler  sagt, SA  . marschiert. Wir fahren!" Und fuhr davon.

Biel tausend Funken, eine Glut, Viel Herzen und ein Schlag, So harren wir gar wohlgemut Bis an den Jüngsten Tag; Die Einheit muß verschlingen Die böse Zwei,

Dann soll es donnernd flingen: Deutschland   ist frei!

Gerwegh