Feuilletonbeilage der„ Deutschen Freiheit"* Sonntag, den 3. September 1933* Ereignisse und Geschichten
Dec fidele Bauer Wilhelm Tell
Blicke in den beaunen Kunstbetrieb
Es gibt zwei Arten von Kitsch im dritten Reich": den blutigen und den erotischen. Einige Theaterstücke und alle neu entstandenen patriotischen Filme, ob sie nun SA.- Mann Brand" oder„ Horst Wessel " oder sonstwie heißen, setzen sich in der Hauptsache aus hieb- und stichfesten Rauf, Schieß- und Krawallszenen zusammen. Es sei nur an die garantiert echte Original- Säbelmenjur erinnert, die das Studentenkorps Normannia" im Horst- Wessel - Film vorzupauten gedenkt und die an Meßgerinstinkte zuschauender Spießer appellieren soll. Augenblicklich bereitet der Berolina- Kulturfilm zur Abwechslung einen friegsbegeisterten Stagerraf- Film vor:„ Deutsche Helden zur See."
Bisher hat es sich allerdings herausgestellt, daß die nationalsozialistischen Großaufnahmen, von denen man gewaltigen Erfolg erhoffte, fich nach der ersten Aufführung in Kassenpleiten verwandelten. Das deutsche Volk sieht allmählich so viel Blut, es möchte wenigstens im Kino" mal was anderes" erleben. Den Bankrott zu mildern, treibt man nicht nur SA.- Leute, sondern auch Arbeiter und Angestellte scharenweise in die Lichtspielhäuser, verramscht man vor allem in fleineren Orten! die Eintrittskarten in den mehr oder minder gleichgeschalteten Betrieben. Und wehe dem Einzelgänger, der sich vom Besuch des Mußkitschs zu ermäßigten Preisen auszuschließen wagt!-3u ermäßigten Preisen" allerdings die Aktion vermag die Löcher in den Rinofaffen nur notdürftig zu schließen, und die Lichtspielbefizer wenden sich lieber bewährteren Zugkräften zu.
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Sie kultivieren den erotischen Kitsch, mit dem Ufa und andere Firmen den Markt ohnehin überschwemmen. Und hier ist von nationaler Erhebung, künstlerischer Erneuerung, frischem Geist wahrlich nichts zu spüren. Mag sein, daß goldgelockte Kinder vom Rhein und blauäugige, schuhplattelnde bayerische Buam eine noch größere Rolle fpielen als früher im allgemeinen hat sich kaum etwas geändert. Nationale Erhebung hin und Gleichschaltung her
der Graf auf der Leinwand heiratet weiter das arme Wäschermädel, der Millionenchef verliebt sich weiter in seine blonde Sekretärin, die gnädige Frau kauft sich weiter zwecks späterer Heirat" ihren hübschen Chauffeur, der fahltöpfige Baron tätschelt weiter die rosigen Wangen der Barmaid, seiner„ künftigen Braut" die Kassen füllen sich, denn so was mögen die Leute gern, und der gestrenge Zensor sieht dem unteren Treiben lächelnd zu. Früher hieß das ganze Jüdischer Asphaltkitsch", teyt heißt es Volkskunst", das Kind bekam einen neuen Namen und behielt seine alten Unarten bei.
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Wie die Kinos, so die Sprechbühnen. Ein gleich geschaltetes schlesisches Blatt gibt ganz offenherzig zu, die fentimentale Singipieloperette solle im fünftigen Spielplan„ offenbar einen bevorzugten Platz einnehmen". Und Schlesien steht nicht etwa einzig da. Im Gegenteil! Seit
alle ernstzunehmende Kunst als staatsgefährlich verbannt ist, triumphieren Operetten, Schwänke und romantische Ritterschmarren im ganzen„ dritten Reich". In einer einzigen Woche konnte man auf Berliner Bühnen folgende Herrlichfeiten sehen:„ Die große Trommel", eine Revue, in der ein fleines Mädchen vom Rummelplay große Karriere macht und seine ganze Verwandtschaft mit sich emporsteht, Biffons „ Schlafwagenkontrolleur"," Jessels Schwarzwaldmädel", Drei alte Schachteln "," Bigeunerliebe"," Krach um Jolanthe", E. v. Wildenbruchs„ Rabensteinerin", ein romantisches Ritterschauspiel. Nur nach der sogenannten„ künft
Autodafé
Du fezerische Liederbrut,
Ihr Schelme, ihr perfiden Schwäßer, Aufwiegler ihr für Fleisch und Blut, Ihr losen, liederlichen Rezer.
Habt acht, euch droht ein Glaubensakt: Schon steht der Holzstoß hoch geschichtet; Erbarmungslos hinaufgepackt
Wird, was ich frechen Sinns gedichtet.
Empor zum klaren Aetherraum Hebt sich das Flammenspiel des Brandes: Ein Totenopfer wüstem Traum, Die Siegesfackel des Verstandes!
sucht der Gläubige vergebens.
Aber manchmal haut plößlich irgendeiner, der sich zum Zensor berufen fühlt, mit rauher Hand auf den wohlgedeckten Operettentisch. Zum Zensor berufen fühlt sich z. B. der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Walter Darre , der während seines Ferienaufenthaltes in Bad Wörishofen die Aufführung des Fidelen Bauern" von Leo Fall kurzerhand untersagte. Bisher gehörte das Bühnenwesen nicht gerade zum Ressort des landwirtschaftlichen Ministers, doch Walter Darre mag dumpf gespürt haben, daß die neudeutsche Kunst irgend etwas mit Mist zu tun hat und für Mist fühlt sich der Landwirtschaftsminister rechtens zuständig. Was ihm gerade der harmlose Fidele Bauer " an= getan hat? Je nun, ein Bäuerlein der Operette trägt den Namen Oberlindober, erfrecht sich also, genau so zu heißen, wie ein berüchtigter Nazibong e, und um nichts zittern die armseligen Führer mehr als um thre Würde. Der Vorgang zeigt, daß im„ dritten Reich" jeder beamtete Dummkopf fich als Kunstdiktator aufspielen darf.
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Andere, viel ernstere literarische Gefahren übersehen die Hitlerherren zum Glück. Um überhaupt etwas Neues" zu schaffen, wendet sich der deutsche Film in völliger Vertennung filmischer Aufgaben den Klassikern zu. Indes Erich Waschnet unter dem Titel„ Soldatenglück" eine freie Bearbeitung von Leffings Minna von Barnhelm" dreht, bereitet die Terra" einen Wilhelm- Tell- Film vor, Profeffor Lang begibt sich als historischer Sachverständiger eigens nach der Schweiz . Daß sich Vergleiche zwsichen dem Hakenkreuzbanner und dem Geßlerhut im gefnechteten Deutschland geradezu aufdrängen müssen, ist dem Zensor entgangen.
3war ist es, künstlerisch betrachtet, eine Greueltat, klassische Stücke, in denen das Bild nichts, die Sprache alles ist, zu verfilmen aber die deutschen Lichtspielleute sollen ruhig Schillers Tell drehen, uns fanns recht sein. Denn der Geist der Freiheit läßt sich nicht gleichschalten, ob er nun in Tells Gewand oder in einer verbotenen Gegenwartschrift auftritt.
Einer fragt und bekommt Antwort
Rolland und ein cheinischer Dichter
Der in der weiteren Oeffentlichkeit vollständig unbekannte rheinische Dichter Wilhelm Matthiessen veröffentlicht im nationalsozialistischen Parteiorgan„ Der Angriff" einen Offenen Brief an Romain Rolland . In diesem Brief heißt es u. a.:
" Sehr geehrter Herr Romain Rolland !
Sie haben sich berufen gefühlt, eine Lanze einzulegen für einige Menschen, die das Deutsche Reich der Brandstiftung beschuldigt und die Sie für unschuldig halten. Das scheint edel und gut gedacht. Und des Dichters des„ Johann Christoph" würdig, wenn Sie auch über die unveräußerlichen Hoheitsrechte eines fremden Staates hinweggehen zu dürfen glauben. Das können wir der Weltfremdheit eines Dichters der vergangenen Epoche zugute halten.
Oder ist Ihr Protest an Deutschland der billige Mut einem entwaffneten Lande gegenüber, der Mut des Tartarin von Tarascon?
Aber ich frage Sie: Wo blieb Ihr Protest gegen die Sowjetunion , als dort die großen russischen Dichter reihenweise in den Leichenfellern der Tscheka hingemordet wurden? Ich frage Sie: Haben Sie sich je darum bemüht, in diesen Fällen, in denen es sich um wertvolle Menschen handelte, Gerechtigkeit und Humanität zu verlangen? Haben Sie überhaupt nur Aufklärung darüber verlangt, wo der herrliche russische Lyriker Gumiliow geblieben ist? Woran starb Alexander Blod? Wie hat man Sergei Jesenin in den Tod gehezt? Warum schweigt Fedor Sologub ? Warum Anna Achmatowa ? Wo blieb Wiaceslaw Iwanow?"
Es ist wenig wahrscheinlich, daß Romain Rolland fich bemühen wird, Herrn Matthiessen einen Vortrag über russische Literaturgeschichte zu halten. Wir wollen jedenfalls einige Tatsachen zu den Anschuldigungen Matthiessens anführen. Es stimmt, daß Gumilion während des Bürgerfrieges wegen seiner Teilnahme an einer monarchistischen Verschwörung zum Tode verurteilt wurde. Dagegen starb Block 1921 an Storbut; Jesenin beging Selbstmord im alkoholischen Rausch; Sologub schweigt, weil er schon vor mehreren Jahren eines natürlichen Todes starb; Achmatowa schreibt zwar fast nicht mehr, ihre Werke werden aber in Rußland immer neu verlegt, und Iwanow lebt als Emigrant seit mehreren Jahren in Italien
Hugin.
Wer aber ist, so darf man zuletzt fragen, Herr Wilhelm Matthiessen ? Es ist noch gar nicht so lange her, da schrieb er für die sozialistische Presse des Rheinlandes ge= pfefferte Satiren über hohlköpfiges Borussentum, über lächerlichen militärischen Schneid, über Uniformspieleret und Gamaschengeist. Er fühlte sich als rheinische Rhapsode gegen die Ostelbier und war alleweil trinkfroh dazu.
Er hätte bei seinen hübschen Kinderbüchern bleiben sollen. In der Arena, wo sich europäische Geister mit den Gaben des Kopfes messen, macht Wilhelm Matthiessen keine gute Figur. Denn jeder weiß, aus welchen Kraftquellen der braune Trank gespeist wird, der ihm heute so trefflich mundet.
Ein Verlag, der boykottiert sein will
Der Verlag Albert Langen in München , der vor tausend lichen„ Simplizissimus " gegründet hat und heute nein, vor sechsunddreißig Jahren den rebel= noch die Werke von Björnson, Samsun , Selma Lagerlöf , Andersen- Nerö und andern guten Europäern vertreiben darf, hat ein Ersuchen des„ Prager Mittag" um Bespre chungsstücke mit einer Schimpffanonade folgenden Kalibers beantwortet:
Wir können es vor unserem deutschen Gewissen nicht verantworten, unsere Autoren in den beschmutzenden Kreis Ihrer alles Deutsche begeifernden Mitarbeiter aufnehmen zu lassen. Wo Heinrich Mann seinen Haß gegen unser Vaterland ausspeit, wo Alfred Kerr seinen Bolschewitengeist Parade laufen läßt usw., da ist fein Raum für das Werk unseres Verlegers, der seit Jahren gegen all das streitet, dem Sie nun Obdach geben, und für all das kämpfte, was Sie besudeln.
Weniger ordinär, aber vielleicht noch lehrreicher ist ein Brief, den derselbe Verlag am 23. v. M. der Redaktion des Karlsbader„ Volkswillen" geschrieben hat:
Wir danken für Ihre Anfrage vom 28. v. M. betreffend Abdruckshonorar des Romans„ Tarantella ", bedauern jedoch, Ihnen aus politischen Gründen Romane nicht mehr überlassen zu können. Wir wären Ihnen verbunden, wenn Sie uns die noch in Ihrem Besitz befindlichen Leseeremplare, soweit sie noch auffindbar sind, zurücksenden würden.
Die Herren, die da im Auftrag der eigentlichen Verlagsbesitzer, des gleichgeschalteten DHB.( Deutschen Handlungsgehilfenverbandes), den Verkauf ihrer Ware ins Ausland verweigern, gönnen offenbar nur Hitler - Mamelucken, am deutschen Wesen zu genesen". Der„ Literatur" gewordene Hitlerismus soll die von den Hitler - Leuten selbst gezogene Grenze nicht mehr überschreiten. Antifaschisten werden die von Albert Langen - Georg Müller verlegten Bücher nicht mehr zur Hand nehmen.
Die Eclaubten
Dec deutsche Autocenkalender
Eine Reichsstelle zur Förderung deutschen Schrifttums stellt eine Kartothek auf, in welcher die deutschen Autoren, d. h. die Schriftsteller, die noch im dritten Reich". wirken, mit allen ihren Qualitäten, ungefähr wie Zuchtrüden, geführt werden sollen. Besonders wertvolle Manuskripte sollen dann dem Staat direkt zur Verfügung gestellt werden. Diese Kartothek zählt bisher 150 Schriftsteller. Die Namen ihrer unsterblichen Werke sind noch unbekannt und werden es vermutlich für immer bleiben.
Limonade im Bergquell
Jm„ Völkischen Beobachter" wurde jüngst gejammert: ,, Schon wagen die Skribenten sich wahllos an die Revolution! Schon kommen die Kritiker nicht nach, den Wust von Produktion zu sichten, der sich an Adolf Hitlers Werk hängt! Schon schleichen sich die Ewig- Andern mit Heilgeschrei in δας Geschäft. Schon sind Verwässerer am Werk und gießen Wasser in den Wein, nein, Limonade in den Bergquell."
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Die arische Heirat Führeenaturen und Blondinen bevorzugt
Zu den vielen andern Dingen, die im Deutschland des Raffenirrfinns schon gleichgeschaltet wurden, ist längst auch die Heiratsannonce gekommen. Der Deutsche ist der fernigen Worte eines seiner Führer eingebent, daß eine blonde, arische Prostituierte allemal noch besser set, als eine verheiratete Jüdin, und richtet sich danach. Blond ist der große Bedarf des Marktes der gleichgeschalteten Presse, herb, innig und langhaarig fommt noch hinzu, soweit es sich um die Wünsche des deutschen Mannes handelt, während die deutsche Frau Führernaturen ohne akademische Verweichlichung, aber mit etwas Vermögen bevorzugt. So sieht das
aus:
Ideale Che
Welch große Langhaarblondine schäßt abstinente Musiklehrkraft. Angebote an...
Kaufmann einer Spezialbranche Deutscharter, mit alteingeführtem Spezialgeschäft, durch erwiesenen Leidenschaftsfehltritt der Frau läuft restlos die Scheidung zu meinen Gunsten. Welch deutsches Mädchen will es wagen?
Tansend Lente konnt' ich finden, Menschen aber nicht Nationalsozialistin, 29 Jahre alt, gut gewachsen, herbe, blond, naturnah froher Mensch, troß überquellender Lebensfreude in awtjähriger Ehe vereinsamt( Atade
mifer), sehnt sich wieder nach Leben und Pulsschlag und unerschrockenem Führer, einem echten deutschen Manne ohne Verweichlichung. Angebote...
Nationalsozialistische Blondine mit gesundem, rassischem Erbgut, sucht deutsch stämmigen Lebensgefährten, der auf dem Boden der er wachenden Nation steht. Vermögen ist keines vorhanden, aber erwünscht. Angebote...
Welcher blonde, arische Mann, nicht über 30 Jahre, rassenbewußt, nicht ohne Vermögen und Position, ehelicht ebensolches blondes, deutsches Mädchen, 1,70 Meter groß, 27 Jahre. Suche in der Ehe Erfüllung des Lebens. Unter" Sukunft"...
Jetzt kann es feinen 8weifel mehr geben: für den artschen Edelmenschen der Zukunft ist vorgesorgt. Aus der Vereinigung solcher gutgewachsener, naturnaher, herber Langhaar, respektive nationalsozialistischer Blondinen mit dem unerschrockenen Führernaturen mit Spezialgeschäft, Leben und Pulsschlag kann gar nichts anderes hervorgehen. Um so mehr als auch Vermögen und rassisches Erbaut in die Ehen mitgebracht werden, die überdies auf dem Boden der erwachenden Nation stehen. Deutschland hat für seine Zukunft ausgesorgt, sein Plaz an der Sonne ist ihm sicher.