Deutsche   Stimmen

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Feuilletonbeilage der, Deutschen Freiheit"* Sonntag, den 17. September 1933 Ereignisse und Geschichten

Zeit- und Streitschriften

Geeinigt im Kampf gegen Faschismus und Scheiterhaufengeist

Zahlreiche Leser haben uns gebeten, eine Zusammenftel Inng aller Zeitschriften zu veröffentlichen, um die fich das aus Hitlerdeutschland vertriebene geistige Deutschland  , bereichert durch Mithelfer aus dem Auslande, gesammelt hat. In diesem halben Jahre fonnte sich unter den schwierigsten Berhältnissen ein fämpferisches Schrifttum entwideln und Fronten unter der Obhut regsamer Redaktionen bilden, die von politischem Willen und geistig- kultureller Abwehrkraft durchpulst sind.

Wir geben unsere Aufstellung ohne kritische Stellung: nahme. Jede Zeitschrift und ihre Helfer können für sich felber zeugen. Bekannte Namen, die offen zu und sprechen; andere, die ihr Vifier gefchloffen halten, um sich und die ihren vor Verfolgung und Naub zu schützen. Nur, wer die Geheime Staatspolizei   nicht kennt, wird diese Anonymität mißdenten.

Die Liste

Aufruf". Streitschrift für Menschenrechte. Herausgeber: Friedrich Brill, Prag  , Liga für Menschenrechte. Er­fcheint 14tägig. Preis pro Heft 2,- frz. Fr. Kunst Politik Das blaue Heft". Theater Wirtschaft. Erscheint im Bergis- Verlag in Wien   am 1. und 15. jeden Monats. Preis pro Heft 2,50 frz. Fr.

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felde- Anna Seghers   unter Mitarbeit vieler be­deutender Dichter und Schriftsteller. Erscheinungsort: Prag  . Preis pro Heft 5,- fra. Fr., halbjährlich 6 Hefte 26,50 fra. Franken, jährlich 12 Hefte 50,- fra. Fr.

Das Neue Tagebuch". Herausgeber: Leopold Schwarzschild  , Paris  . Erscheint jeden Samstag. Preis pro Heft 3,- frz. Fr., pro Vierteljahr 30,- fra. Fr.

Die Neue Weltbühne". Wochenschrift für Politik- Kunst- Wirtschaft. Preis pro Heft 3,- frz. Fr., pro Viertel­jahr 36,- fra. Fr.

3one". Wien  - Paris  . Der Querschnitt durch die deutsche Politik, Literatur, Kunst, Theater, Musik und Wirtschaft, gesammelt von Emil Szittga. Preis pro Heft 2,50 fra. Franken.

Soeben ist auch das erste Heft der Sammlung" er. schienen, die Klaus Mann   unter dem Patronat von André Gide  , Hurley und Heinrich Mann   heraus­gibt. Sobald wir das Heft erhalten haben, werden wir die erforderlichen näheren Angaben darüber nachholen.

Alle diese Zeitschriften können durch die Buchhandlung der

Konzentrationslager DUF

Geschrieben zu Ernst Heilmanns Folterung Hört ihr sie nicht aus den Verwesungslöchern auftreischen: Helft!"? Ich hör und sehe sie, getreten und bespien von Verbrechern, ein blutend Bündel Mensch vom Haupt zum Knie.

O Menschheit, hörst du nicht? Nicht deine Stimme in ihrer Stimme? Nein? Du schweigst und harrst, als spiele auf dem Mond sich ab dies Schlimme. Schauspielerin, die du dich selber narrft.

Was solls mit deinen hochgemuten Staaten, was all dein Prangen mit Bernunft und Recht? Menschen schrein auf. Ein Staat heißt Misetaten vollbringen, wie noch keiner sich erfrecht.

Kommt her, Despoten, steigt aus euren Särgen gekrönte Maffenmörder ohne Zahl,

ihr Henker hoch und niedrig, und ihr Schergen, die ihr mittatet bei dem Opfermahl:

Hier könnt ihr lernen! Hier ist jeder kleine SA- Student ein halber Attila  .

Ich aber, Deutschland  , weine, weine, weine, weil folche Schande meine Seele sah.

Boltsstimme", Saarbrücken 3, Bahnhofstraße 82, bezogen ,, Freie" Geschichte

Neue Deutsche Blätter". Monatsschrift für Lite­ratur und Kritik. Herausgeber: D. M. Graf- W. Herz- werden, die für schnelle Expedition an den Besteller sorgt.

Gerade in der Nacht vor Nürnberg  ...

Nun werden sie auch noch mondsüchtig!

In der Braunschweigischen Landeszeitung" vom 5. Sep­tember lesen wir folgende erschütternde Geschichte:

Königslutter  . Ein Regenbogen mitten in der Nacht. Ein seltsames Schauspiel fonnte man am Abend des 2. September gegen 9.30 Uhr für kurze Zeit auf der Landstraße zwischen dem Bahnhof Frellstedt und dem Orte Süpplingen   beobachten. Während ein feiner Sprühregen niederging, war der südliche Himmel wegen des starken Windes vorübergehend wolkenlos, so daß die fast volle Mondscheibe in hellem Glanze erstrahlte.

Da erblickte man plößlich auf der Wolfenwand des nördlichen Himmels einen Lichtstreifen. Zuerst glaubte man, daß er von den Lampen eines aus der Ferne nahenden Autos oder von einem Scheinwerfer herrührte, bis der halbkreisförmige Bogen deutlich zu Tage trat und keinen Zweifel darüber ließ, daß man es mit einem Mondregenbogen zu tun hatte, der die dunkle Him­melshälfte fast bis zum Zenith überspannte. Da die wun­derbare Erscheinung nur in schwachem Glanze erstrahlte und auch nur wenige Minuten fichtbar blieb, ließen sich die Farben nicht genau feststellen, aber wer das Schauspiel gesehen hat, dem wird es unvergeßlich bleiben."

die Farben nicht genau festzustellen waren. Aber das dicke Ende kommt nun erst. Der Bericht lautet nämlich weiter:

Das seltsamste dabei ist wohl, daß dieses Naturwunder, das vielleicht auch an anderen Stellen beobachtet werden fonnte, gerade in der Nacht zum Sonntag licht bar wurde, als der Parteitag in Nürnberg  seinen Höhepunkt erreichte. Es erinnert sich wohl mancher der Rütliszene in Schillers Wilhelm Tell", als Vertreter der drei Schweizer   Urfantone nächt­licherweile auf der einsamen Hochwiese zusammenfommen, um ihren alten Bund zu erneuern und ihre Unabhängig­feit gegen fremden Eroberungswillen zu wahren. Zauber­haft erscheint vor ihren Augen der Mondregenbogen. Gin Regenbogen mitten in der Nacht!" Es ist das Licht des Mondes, das ihn bildet, das ist ein seltsam wunderbares Zeichen, es leben viele, die das nicht gesehen.

Und die Herzen der Männer erfüllte frohe Zuversicht, daß das Werk der Vaterlandsbefreiung gelingen werde."

Vielleicht war bei dieser Gelegenheit nicht nur die Mond­genzblatt mit diesen Tollheiten füllte.

Johst   läßt eine Nonne durch Luther  zum Scheiterhaufen vecurteilen

Vinder.

In Wittenberg   wurde anläßlich einer Luther  - Feier ein Drama des Modedichters und Werbepoeten des dritten Reiches" Hans Johst   aufgeführt. Die Kölnische Zeitung  " berichtet darüber:

" Nicht wie der Mehrzahl der Festspieldichter auf die histo­risch getreue Schilderung der Ereignisse der Neformation fommt es Jobst aner springt frei um mit der Geschichte. Er läßt den Mönch Luther aller historischen Ueberlieferung zum Trotz eine Nonne zum Scheiterhaufen verurteilen, er läßt Dr. Eck den Versuch machen, den Reformator zu erdrosseln. Johst   will das Drama, und daher braucht er solche Höhepunkte. Er braucht den Gegenspieler, und so läßt er Eck gemeinsam mit Luther   durch fast alle Szenen gehen, um die beiden erbitterten Widersacher den Kampf zwischen Rom   und Wittenberg   bis zum Ende ausfechten zu lassen. Für die nationalen Töne, die daneben in diesem Stüd anflingen, hat die Gegenwart ein besonders feines Ohr."

Ein wenig Scheiterhausen, ein wenig Erdrosseln: dafür hat die Gegenwart, wie der Berichterstatter ganz richtig sagt, ein besonders feines Ohr.

Hab' Sonne im Lautsprecher

So weit, so gut. Nichts ist gegen einen vernünftigen Mond- scheibe fast voll, sondern auch der Redakteur, der sein Intelli- Gute Laune fües Volk egenbogen bei fast voller Mondscheibe zu sagen, auch wenn

Hubermann an Furtwängler

Eine würdige Haltung

Die Time 8" veröffentlicht einen Brief des großen pol­nischen Musikers Bronislam Hubermann an den deutschen   Dirigenten und Staatsrat Dr. Furtwängler, der Hubermann gebeten hatte, seine Weigerung, in Deutsch­ land   aufzutreten, zurückzuziehen, da die Werke ausländischer Komponisten in deutschen   Konzerten nicht verbannt würden". Hubermann antwortet:

Ich bewundere lebhaft ihren Entschluß und Ihren Mut, mit dem Sie Ihre Kampagne für die deutschen   Konzerte und gegen die Bernichtung führen, die von den Advokaten der Nassereinheit droht. Alle Anstrengungen, können mich nicht bewegen, die Haltung Toscaninis, der sich weigerte, in Bayreuth   zu dirigieren, die Haltung Paderewskis und der Brüder Busch sowie den Erfolg, der ihre Haltung erzeugt hat, durch irgendein Kompromiß von meiner Seite zu gefährden. Die deutsche Regierung hat er klärt, daß in der Musik wie in andern Künsten nur das Verdienst entscheidet. Diese Behauptung ist absurd, wenn die Regierung fich nicht entschließt, die Profefforen, Dirigenten und Musikdirektoren wieder auf ihre Posten zurückzuberufen, die aus politischen oder Raisegründen entfernt worden sind. Indessen ist die Behauptung der Re­gierung nur diktiert von dem Wunsch, die Künstler_zu gewinnen, die vor vollen Sälen zu spielen gewohnt sind und dann mit dem Beweis zu paradieren, daß es um die Kultur in Deutschland   aufs befte bestellt sei. Was auf dem Spiel steht ist mehr als ein wichtiges Konzert oder das Schicksal der Juden; die elementaren Bedingungen der Existenz der europäischen   Kultur find in Gefahr." Der Weigerung Hubermanns, in Deutschland  , wie es heute ist", aufzutreten, haben sich die folgenden Künstler in­Cortot, zwischen angeschlossen: Pablo Casals  , Cortot  , Menuhin   und Arthur Horowiz, Yehudi Schnabel.

Die taplere Karin Michaelis  

nordische Schriftstellerin Rarin Die bekannte Michaelis hat dieser Tage vor den Kopenhagener Studenten über das dritte Reich" gesprochen. Sie sagte u. a., daß sie zwar lange geschwiegen hätte, daß es sie nun aber dränge, der Stimme ihres Gewissens au

folgen, selbst auf die Gefahr hin, daß man ihre Bücher verbrennen würde. Jeder an­ständige Mensch müsse von diesem Deutschland   abrücken, das die Menschlichkeit mit Füßen träte. Hitler   halte sie zwar für einen Jdealisten, aber er sei nicht Herr seiner Entschlüsse und befände sich in schlechter Gesellschaft. Es sei ihr schwer geworden, sich zu diesen Fragen zu äußern, aber nun sei sie froh, daß sie ihr Herz erleichtert habe.

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Diese mutigen Worte haben um so größeres Gewicht, als Karin Michaelis   in Deutschland   sehr viel gelesen wird. Der größte Teil ihres Schriftsteller- Einkommens tam von deutschen   Verlegern.

Werner Krauß   mit dem Hakenkreuz

Werner Krauß  , der bedeutende deutsche Schauspieler, hatte einen Gastspielvertrag mit dem Wiener Burgtheater   ab­geschlossen. Es steht aber nunmehr fest, daß es zu dem ver­tragsmäßigen Auftreten nicht kommen wird. Es wurde seinerzeit als ein großer Gewinn betrachtet, daß es gelungen mar, Werner Krauß  , einer aweifellos größten lebenden Schauspieler, alljährlich für längere Zeit ans Burgtheater zu binden. Es hieß fogar, daß er sich für längere Zeit im Jahre in Wien   ansiedeln und zu diesem Zweck ein Haus kaufen wolle.

Ser

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland   ist Werner Krauß   in so starkem Maß in das nationalsozialistische Fahrwasser ge­raten, daß an sein Auftreten an einem österreichischen Staats­theater angesichts des gegenwärtigen Verhältnisses Deutsch­ lands   zu Desterreich wohl kaum mehr zu denken war. Er hat sich allzu offensichtlich zu einem Propagandaobjekt für Nazideutschland hergegeben.

Berachtet mein Volk, soviel ihr wollt. Wir haben beide uns unser of nicht auserlesen. Sind wir unser Volk? W ßt denn Vores d Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch? Ach! Wenn ich einen mehr in euch gefunden bödem es genügt, ein Mensch zu heißen!" Leifing.

Der Direktor der Reichsrundfunkgesellschaft Reichssende­leiter Eugen Hadamovski hatte die deutschen   Funt intendanten und die Sendeleiter nach Berlin   geladen. Er betonte in seinem Referat über das Thema Volksempfänger verlangt Volkssender!" u. a., daß die Funkintendanten die Wünsche ihrer Hörer kennen und so berücksichtigen müßten, daß der Rundfunk wirklich zu einem lebendigen Instrument der Unterhaltung und der Entspannung werde. Um die seelische Bereitschaft der Hörer zu finden, müssen sie durch die Brogrammgestaltung zur Aufmerksamkeit gebracht werden. Dazu sei erforderlich, daß, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht zwei Stunden hintereinander im Rundfunk geredet werde. Entscheidender Wert ist auf das Bedürfnis der Hörer auf Entspannung zu legen.

Frohsinn und Heiterfeit sollen dem Rundfunkhörer fortan zutönen. Mit Ausnahmen von Hitler  , Göring   und Göbbels  darf niemand mehr stundenlang reden, weil das die Bedürf­nisse nach Entspannung stört. Die Rundfunk- Revolution ist beendet die Evolution des lustigen Spiels, das den fnurrenden Lautsprecher des Magens verstummen macht, fann beginnen.

Rückgang ,, im Rahmen"

Die Gesamtzahl der Rundfunkteilnehmer im Deutschen Reich betrug am 1. September 4 470 862 gegen 4 488 278 am 1. August d. J. Die Abnahme um 12 416 Teilnehmer( gleich 0,3 v. H.) hält sich im Rahmen der üblichen Sommerabmel­dungen zur Reisezeit.

Wer ist Papa ,, tatsächlich?" Amtliche Bettschnüffelei

Der Reichsminister des Innern, Herr Frid, hat folgendes Rundschreiben erlassen: Bei Feststellung der Abstammung handelt es sich nicht um juristische Verwandtschaftsverbält= nisse, sondern um die blutmäßige Abstammung.

Außereheliche Kinder( außerehelich" bedeutet sum Unterschied von unehelich" die Geburt durch eine verhei­ratete Mutter, wobei nicht der Ehemann der Mutter, son­dern ein andrer Mann der tasächliche Vater ist) werden da­her den Nachweis der arischen Abstammung auch hinsicht lich des natürlichen Erzeugers zu führen haben... In den Fällen, wo die Vaterschaft nicht anerkannt wurde oder der natürliche Erzeuger nicht bekannt ist, wird es Sache des Be­werbers sein, durch Heranschaffung glaub mit r= digen Materials den Nachweis zu führen, daß die Er­zeugerschaft durch einen Nichtarier nicht in Frage kommt." Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als die amt­liche Forderung der widerlichsten Bettschnüffelei.