Den

Freihei

Nummer 141-1. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Dienstag, den 5. Dezember 1933 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Litwinow   bei Mussolini Seite 7

Europäische Gedanken

Seite 3

Ostpreußen

wimmelt von Erwerbslosen

Seite 4

Die 13 Todesurteile Seite 8 y los

Inseratenteil beachten!

Ausnahmezustand in Spanien  

Der zweite Wahlgang- Friedliche Machtverschiebung oder Massenkämpic?

Die Stichwahlen

Paris  , 4. Dez. Havas berichtet ans Madrid  , daß der Ausnahmezustand über ganz Spanien   verhängt worden ist, weil die Regierung von einem möglichen Anschlag der spa: nischen Anarchisten, der in der Nacht zum Montag aus= geführt werden sollte, Kenntnis erhalten hatte.

Der Ministerpräsident erklärte, wenn der Ausnahme­zustand nicht schon früher verhängt worden sei, so deshalb, um zu vermeiden, daß man den Eindrud hätte gewinnen fönnen, die Regierung beabsichtige auf die Wahlen einen Einfluß auszuüben.

In der Nacht hat der Innenminister durch den Rundfunk an das spanische Bolt einen Aufruf gerichtet, in dem es heißt, die Wahlzwischenfälle seien verhältnismäßig felten gewesen, aber ein Komplott sei in Vorbereitung gewesen. Da die Regierung alle Anschläge gegen die öffentliche Ordnung zu unterbrüden entschlossen sei, habe sie sich für die Verhängung bes Ausnahmezustandes entschieden.

Nach einer Aufstellung des Innenministeriums hat der weite Wahlgang- soweit bisher zu übersehenfolgendes. folgendes Ergebnis gehabt: Gewählt wurden:

10 Radikale,

1 konservativer Republikaner,

1 unabhängiger Radikaler,

1 unabhängiger Republikaner,

1 Mitglied der Volksvereinigung,

5 Mitglieder der Landwirtepartei,

2 Traditionalisten,

8 Sozialisten,

1 Kommunist.

In Madrid  - Stadt sind 13 Sozialisten und 4 Rechtsparteiler gewählt worden.

In Burgos   ist der Gründer der spanischen   Faschistenpartei Dr. Albinana gewählt worden.

Zwischenfälle

Paris  , 4. Dez. Es liegen eine Anzahl Meldungen über Zwischenfälle am spanischen Wahlsonntag vor. So wird aus Madrid   berichtet, daß gegen das Madrider Kasino mehrere Steine geworfen wurden, wodurch zahlreiche Fensterscheiben in Trümmer gingen. In einem Vorort von Madrid   wurde auf einen Autofahrer ein Anschlag unternommen und der Eigentümer des Wagens erschossen. Vor den Eingangstüren au zwei großen Kaffeehäusern in Madrid   sind Bomben explodiert. Der Sachschaden ist beträchtlich, Menschen sind nicht zu Schaden gekommen. Man nimmt an, daß dieser An­schlag mit dem Streit der Kaffeehauskellner in Zusammen­hang steht.

Wie gewählt" wurde

Feuer an den Kirchen!

Ein Stimmungsbild aus Madrid   schildert, wie am die nun am 3. Dezember durch Stichwahlen über 20. November die Parlamentswahlen gemacht wurden, Provokatcure"

95 Mandate beendet wurden:

I. W. Wie es am Wahltag in den Dörfern, in den Städten zuging?

Ganz einfach: Der Ausweis, den die Wähler zur einem einfachen bedruckten Blatt Papier  , ohne Bild.

Und es ergab sich, daß einige Tage vor der Wahl ein wahrer Sturm auf die Steuerämter einsetzte. Alle Leute zahlten ihre Steuern, und viele, die bezahlen wollten, hörten zu ihrer Ueberraschung, daß bereits andere ihre Schuld beglichen und mit der Steuerquittung dem Wahlausweis das Weite gesucht hatten. So kam es, daß ein und dieselbe Person in verschiedenen Wahl­lokalen unter verschiedenen Namen sechs- und achtmal ,, ihre Kandidatur" die der Rechten wählte.

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In den Provinzhauptstädten und kleinen Orten waren am Tag der Wahl sämtliche vermietbaren Autos an kapitalkräftige Bürger vergeben, und unter den Auto­besitzern hatte sich eine Art Freiwilligendienst etabliert, der diejenigen, die Steuerzettel von Einwohnern anderer Orte eingelöst hatten, nach diesen Orten beförderte.

Das gesamte Bürgertum, aufgeschreckt aus seiner Lethargie, war mobil gemacht. Vor allem aber die Frauen. Der Wahlzenfus sah mehr als ein Drittel Frauen über der Zahl der männlichen Wähler vor; so sah man vor den Wahllokalen hauptsächlich jene Frauen der bürgerlichen Stände, in Trauer, mit dem schwarzen Schleier über den Haaren und dem dicken Kreuz im Ausschnitt, die man für gewöhnlich nur mit dem Gebetbuch aus den Kirchen­türen treten sieht. Damit ihnen auch ja nichts passiere, waren die Wahllokale von zahlreichen Polizeitruppen flankiert, die oft sogar neben dem Präsidententisch Fuß faßten trotz Verbotes! und in den Arbeitervierteln die Schlangen der Wähler mit Gummiknüppeln aus­einandertrieben. Sie wurden autorisiert von den Zivil. gouverneuren, die die gesamte Verantwortung für die ,, öffentliche Ordnung" trugen, und deren Haupt­beschäftigung feit etwa 8 Tagen vor der Wahl darin bestand, die gefährlichen" sozialistischen Elemente hinter Gefängnismauern zu bringen, um besser den Bestechungs: methoden ihrer Freunde von rechts freien Lauf zu lassen. Wenn man all das berücksichtigt, kommt das Wahl­ergebnis, das den Sozialisten in einigen Provinzen wenigstens die Minderheiten zubilligt, noch einem Himmelswunder gleich.

Havas berichtet aus Barcelona  , daß die Berhand Bricht der Sturm los?

lungen über die Beilegung des Transportarbeiterstreiks fehlgeschlagen sind. Im Stadtviertel Horta   in Barcelona  explodierte eine anscheinend von Anarchisten gelegte Bombe in einem Elektrizitätswerk. Ein Autobus, der trotz des Streits ausgefahren war, wurde von Streifenden überfallen und in Brand gesteckt. In Tarrasa   hat die Polizei eine ge­heime Zusammenkunft von Extremisten ausgehoben und 40 Personen, darunter bekannte Anarchisten, verhaftet. Der Generalgouverneur hat die Verhaftung der Anarchisten und die Schließung der roten Gewerkschaften angeordnet. Die Verhafteten werden an Bord eines Dampfers gebracht und dort inhaftiert.

Erregung

Madrid  , 3. Dezember. Mehrfach versuchten Antiklerikale größere Trupps von Nonnen, die zur Wahl gingen, am Be= treten der Wahllokale zu verhindern, so daß sie sich unter dem Schutz der Polizei flüchten mußten. In mehreren Fällen wurden Autos, in denen Nonnen oder die Insassen der von Drden geleiteten Asyle herangebracht wurden, mit Steinen beworfen. zertrümmert oder gar verbrannt. Vor den RIöstern rotteten sich Haufen zusammen; fie fonnten aber an dem Versuch, in die Gebäude einzubringen, von starken Polizeiaufgeboten gehindert werden. Besonders auffällig blühte diesmal der Wahlschmindel in allen feinen Formen. Viele Perionen, die des Stimmentaufs überführt wurden oder versucht hatten, mit gefälschten Wahlscheinen in mehreren Stimmbezirken zugleich zu wählen, wurden ver­prügelt oder verhaftet. Diesmal find auch in Madrid  einige Wahlurnen zertrümmert worden.

Madrid  , 2. Dezember 1933.

Morgen sind die Stichwahlen, und heute erst, fast zwei Wochen nach den Hauptwahlen, sind die amtlich retouchierten Wahlergebnisse des ersten Wahlganges bekannt gegeben worden. Sie machen den Eindruck willkürlicher Berech­nungen, wenn auch zuzugeben ist, daß bei den zahllosen Ver­stößen gegen die Wahlordnung ein korrektes Wahlergebnis überhaupt nicht zu ermitteln war. Die Linksparteien erhalten nun nur noch 65 Mandate, von denen 27 den Sozialisten gehören, die in den konstituierenden Cortes 115 hatten. Der Rechtsblock hat 169 Abgeordnete. Das ist ziemlich die Zahl, der ihm schon nach den ersten Aus­rechnungen zugeschrieben war. Die Agrarpartei, die sich selbst nur 36 Mandate errechnet hatte, bekommt nun plötz­lich 80 Mandate zugeschanzt. Es ist das ein Trick der re­gierenden Geschäftsminister, da die Agrarpartei zusammen Size zugeschrieben werden, den Kern der zukünftigen Re­mit den Verrouxisten, denen nach den ersten Wahlen 78 gierungsbildung abgeben sollen.

Inzwischen sind diese Berechnungen unsicher geworden, da der Rechstblock beschlossen hat, nur dann durch einzelne seiner Gruppen fich an einer republikanischen Regierung zu beteiligen, wenn das Wahlprogramm der Vereinigten Rechtsparteien mit einer fofortigen weitgehenden Ber fassungsänderung angenommen wird. So ist es denn sehr fraglich, ob eine parlamentarische Regierung möglich ist. ( Siehe auch 2. Seite

Der Korrespondent der Obergebietsführung West der Hitler Jugend   gibt folgendes bekannt: Der von der Obersten SA.  - Führung als Sonderkommissar ein­gesetzte Sturmbannführer Polizeipräsident Gelberg Krefeld hat mit sofortiger Wirksamkeit, um weitere Be unruhigungen in den Jugendverbänden zu vermeiden, bis auf weiteres allen katholischen und evangelischen Jugend­organisationen und deren Untergliederungen das Tragen von Uniformen und Uniformstücken jeglicher Art verboten. Wir stellen mit Genugtuung fest, daß verantwortungs­bewußte Staatsstellen endlich darangehen, die immer mehr hervortretenden Provokationen gewisser noch existierender Grüppchen einzudämmen."

Diese Meldung ist ein Symptom. Ueberall find Aus. einandersetzungen zwischen den Nationalsozialisten und sich zur Aufrechterhaltung ihrer Selbständigkeit auf das den Führern der katholischen Verbände im Gange, die Konkordat berufen. Jetzt werden auch die evangelischen Jugendverbände, obwohl sie nicht früh genug ihre Hitler treue bekunden konnten, gewaltsam in die Hitlerjugend hineingezwungen. Alles was noch neben den Nazis zu Bischof von Limburg   sich darüber beklagt, daß man in existieren wagt, ist eine Provokation"! Wenn der seiner Diözese eine immer stärker werdende Propaganda unter den katholischen Jugendverbänden zum Eintritt in die Hitlerjugend betreibt, so hilft ihm heute nicht einmal mehr der verzweifelte Anruf des Konkordats.

Aufgebot ihrer ganzen Autorität zur Erhaltung der Während die katholischen Kirchenfürsten sich mit dem katholischen Glaubens- und Sittenlehre gegen die Gleich schaltung wehren, hat der evangelische Reichsbischof Müller die Auflösung der Bindekräfte des deutschen Protestantismus vor Augen. Die große Auseinander Pfarrernotbund   vereinigten Geistlichen und ihren An­setzung zwischen den Deutschen Christen  ", den im hängern und den Bölkisch- achriftlichen ist keine inner. kirchliche Angelegenheit mehr. Sie ist auch über den schwörende Erklärung ist imstande, den Strom der Rahmen einer Krise schon hinausgeschritten. Reine be Austrittsbewegungen aus den Deutschen Christen  " auf­zuhalten, der alle Dämme zu brechen beginnt.

Totalitätsanspruch erhoben. Nach dem Vorbild der Das Unheil kam, als die Deutschen Christen  " braunen Macht wollten sie die Kirche erobern", wobei sia nicht bedachten, daß eine auf dem reinen Machtprinzip aufgebaute Kirche, die niemals autoritative Befehle von einer Zentrale erhielt, im Widerspruch steht zur Selbst­verantwortlichkeit und Selbstentscheidung des gläubigen Gewissens. Von rechts" und von links" ist heute ein solcher Ansturm gegen die Deutschen Christen  " im Gange, daß man bereits ganz offen von einer Auf­lösung der Glaubensbewegung und von einem völligen Scheitern der national. sozialistischen Kirchenpolitik spricht. Der Reichsbischof Müller befindet sich in offenem Gegensatz zu den Kräften, die er selber zur Herstellung der Einheit der evangelischen Kirche gerufen hatte.

Man erinnert sich noch der Kirchenwahlen im Sep. tember. Unter Druck und 3wang wurde die Mehrheit für die Deutschen Christen  " hergestellt. Der ordnungsgemäß gewählte Pastor Bodelschwingh mußte, weil er nicht zu den " Deutschen Christen  " gehörte, dem Reichsbischof Müller weichen, dem Hitler aus politischen Gründen besonders verpflichtet war. Hat doch Müller, wie Konrad Heiden  in seinem neuen Buch Nationalsozialismus  " mitteilt, Blomberg   zu Hitler   geführt. Jett fordert man von Müller, daß er sich von den Deutschen Christen  " trenne. Da er aber durch sie ins Amt ge kommen ist, so wird er diesem Verlangen wohl kaum nachgeben können, wenn er sich als Reichsbischof über. haupt noch halten will. Diejenigen, die das Christentum germanisieren wollen, und diejenigen, die die Lehre des Evangeliums rein erhalten wollen von politischen Er. wägungen, bauen ihre Gräben immer beffer aus, um die Position des Reichsbischofs sturmreif zur machen.

Jetzt soll das sogenannte geistliche Ministerium neu gewählt werden. Bei der völligen Verworrenheit, die das