Lieber...
h. b. ... .. aber Du weißt ja, wie schwierig es momentan ist für mich, an Dich zu schreiben. Leider ist es ja manchmal heutzutage so, daß man seinen nächsten Mitmenschen nicht mehr frauen fann. Der Hunger ist groß. Dazu kommt der große Druck, den alle Stellen ausüben, die irgendwie mit der Verteilung von Unterstützungen zu tun haben. Manch einer hat in der Verzweiflung den Kopf verloren und ist bei der letzten Aufhebung der Aufnahmesperre hingelaufen, um sich in die SA. aufnehmen zu lassen.
Auch M. hat nunmehr diesen Schritt getan. Ich habe ihm schwere Vorwürfe gemacht. Aber er gehört nun einmal leider nicht zu den Kämpfernaturen, die lieber verhungern, ehe sie das bewußte Hemd wechseln. Als ich ihm Vorhaltungen machte, antwortete er, ob ich ihm Stiefel und Brot geben könne.
Du kannst glauben, wir haben uns an vieles gewöhnen müssen. Es macht bestimmt kein Vergnügen, hier in Arbeit zu stehen. Manchmal möchte man den ganzen Dreck hinschmeißen und davongehen. Dabei muß man noch froh sein, daß man als„ ehemaliger" Sozi überhaupt seine Familie vor dem größten Hunger Schüßen kann.
Am Samstag hatte unsere Firma„ Deutschen Abend". Jeder Werksangehörige muß hin oder er fliegt. Ich kann Dir sagen, es wird einem übel, wenn man dieses Geseire miterleben muß. Dagegen waren die alten Harmonieverbände die reinsten Klassenkampforganisationen.
Am Mittwoch ist eine Versammlung im Sportpalast. Erscheinen ist 3wang. Es wird genau kontrolliert. Am Freitag stellt sich in einer Abteilungsversammlung der neue Nazibonze vor. Also Pflichtversammlung. So geht das jede Woche drei, viermal. Eintrittsgeld beträgt im Durchschnitt 40 bis 80 Pfennig. Dafür hast Du dann das Vergnügen, Dich beschimpfen und Dein Ehrgefühl in den Dreck trampeln zu Lassen.
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Die 13 Todesurteile
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macht. Wir haben in diesen Tagen erst wieder den Fall mit dem alten... mann erlebt. 27 Jahre hat er in seinem Betriebe gearbeitet. Eine unbedachte Aeußerung und schon war er draußen. Er hat Einspruch erhoben. Antwort darauf befam er Du wirst lachen! vom Polizeipräsidium: Der Einspruch wird abgelehnt wegen Verdachts staatsfeind licher Gesinnung. Im übrigen solle er froh sein, daß er nochmal so davongekommen sei.
Als er nach Hause fam, hat er sein Anerkennungsdiplom für fünfundzwanzigjährige treue Mitarbeit, unterzeichnet vom Altvater Hindenburg , in den Ofen gesteckt.
Aber trotz aller Not ist die Stimmung hier so, daß wir zu= frieden sein können. Nachdem der erste Schreck vorüber war, haben sich viele gefunden, die begeistert mitarbeiten und Kopf und Kragen riskieren, um den Sturz dieser Gesellschaft vorzubereiten. Oftmals muß man sich wundern, weil diese neuen aktiven Kräfte vielfach bisher völlig unbekannt find. während mancher von den früher Guten heute versagt. Aber das kommt wohl bei den Alten daher, daß ihre Kraft verbraucht und ihr Wille nun nicht mehr stark genug ist. Die dauernden Aufmärsche, freiwilligen" Sammlungen, Eintopfgerichtstheater und Abzüge wirken auf die, die in ihrem ganzen Leben nichts anderes als Eintopfgerichte auf dem Tisch gehabt haben, besonders revolutionierend. Du machst Dir keine Vorstellung, wie beispielsweise der Mittel
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stand medkert. Ja, diese Brüder haben sich eben zu gründlich rerrechnet. Die dachten, der große Adolf würde ihnen die Kunden in ihre jämmerlichen Budiken treiben. Und nun geht es ihnen hundertmal dreckiger als vorher. Das kommt zum Zeil daher, daß die Leute kein Geld mehr haben, etwas zu laufen. Zum andern aber hat sich ein großer Kreis von Genoiſen gefunden, der um die Ladentüren derjenigen, die früher ausgesprochene Hitler - Frißen waren, herumgeht. Das erhöht natürlich die Meckerei ungeheuer. Dadurch wird die Stimmung gegen die Hitler- Bonzen in diesen Kreisen von Tag zu Tag schlechter.
Und dann erst die SS. und SA . Man kann den Eindruck haben, als fäße die nationale Regierung auf einem brodelnden Bulkan. Die rauben Kämpfer hatten sich die Belohnung für ihre an unseren Leuten verübten Brutalitäten wesentlich anders vorgestellt Darum ibt es dauernd heftige Dis kussionen und Revolten. Haben die Bonzen an einer Stelle den Brandherd notdürftig ausgetreten, so schlagen die Flammen an einer anderen Stelle um so höher. Erst in der Ichten Woche haben sie wieder über hundert SA. - Leute vom Wedding in das Konzentrationslager Oranienburg gebracht. Nunmehr halten sie überall große Appelle ab, wo die Lamettabonzen allerlei zu hören friegen. Diese Appelle haben den Zweck, eine alte Garde mit besonderen Abzeichen zu bilden, die die auffäffigen Sitler- Soldaten in Schach halten sollen. Wielange wird es dauern, dann müssen sie eine noch ältere Garde bilden, die die alte Garde zur Ordnung rufen muß.
Du warst in Deinem letzten Schreiben ein wenig pessimistisch und haft gemeint, es würde wohl sehr lange dauern. Sicher ist der Sturz diefes Regimes feine Sache, die sich auf heute und morgen ins Auge fassen läßt. Trotzdem find wir guter Zuversicht. Denn der Hitler - Schwindel war zu 1:08, um diese Diftatur mit den Mahstäben anderer Diktaturen zu messen. Außerdem weißt Du ia, wie unsere alte Paro.e lautet:„ Tempo, Tempo, Kameraden."
Nun laß es Dir autgehen und den Kopf nicht hängen. Warte mit dem Schreiben, bis ich Dir eine neue Adresse mitgeteilt habe. Alle Freunde lassen grüßen. Dein O...
Auslands'äuschung
( Inpreß.) Im Konzentrationslager Brandenburg war türzlich eine Besichtigung durch ausländische Journalisten angefagt. Alle Gefangenen wurden vorher zum Rafieren tommandiert. Für jeden Internierten wurde ein Strohsack bereitgestellt, während sonst mehrere zusammen auf einem Strohfact schlafen mußten; dann gab es sogar ein festliches Mittagessen.
Nach der Besichtigung mußten die neu ausgegebenen Strohfäde fofort zurückgebracht werden, und es gab wieder das frühere faum genießbare Essen.
Man schreibt uns aus Mitteldeutschland :
Die dreizehn Todesurteile, die das Schwurgericht in Dessau im Hecklinger Mordprozeß gefällt hat, haben in Mitteldeutschland eine furchtbare Erregung in der Arbeiter schaft ausgelöst. Hecklingen ist ein Landstädtchen mit etwa 10 000 Einwohnern. Es liegt an der preußisch- anhaltischen Grenze und war schon vor dem Kriege stark sozialdemokratisch. Nach dem Kriege war das Städtchen oft der Schauplatz heftiger politischer Kämpfe. Die sozialdemokratisch gelettete Stadtverwaltung war der Angriffspunkt für rechts und links
Die Einwohnerschaft hatte unter der Not besonders stark zu leiden Ringsum waren die Kohlen- und Kaligruben stillgelegt. Ungeheure Arbeitslosigkeit trug dazu bei, daß ständig eine Atmosphäre der Erregung herrschte. Die Bergleute wurden in verhältnismäßig jungen Jahren von den Grubenverwaltungen entlassen, und sie mußten von ihren niedrigen Renten leben. Der Schreiber dieser Zeilen hat die bedauernswerten Opfer der Wirtschaftskrise oft in Versammlungen vor sich gehabt. Und oft hat er ihren Unwillen über die Lage entgegennehmen müssen. Man muß diese abgehärmten Gesichter der Männer und Frauen gesehen und studiert haben um zu wissen, wieviel Disziplin ihre Träger trotz all ihrer Not beherrschte. Man muß die hoffnungslose Lage der Jugend dieses Gebietes und ihre sonstigen Nöte gekannt haben um zu begreifen, daß jeder Nazilümmel, der vom Unternehmer bezahlt wurde, in einer solchen Stadt als Provokateur wirken mußte.
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Die Mitteilung darüber an die Witwe des Ermordeten enthielt die Bemerkung, daß das Verfahren auch eingestellt worden sei, weil der Ermordete selbst Schuld an seinem Tode gewesen sei.
Ein anderer Fall. In der Nähe von Hecklingen liegt Staßfurt . Diese Stadt hatte seit Jahren einen sozialdemokratischen Bürgermeister. Hermann Kasten hieß er. Ein außerordentlich tüchtiger Mann, dem faum jemals ein Mensch wegen seiner Geschäftsführung Vorwürfe ge= macht hatte. Er hatte die unter vorheriger bürgerlicher Verwaltung völlig verlotterten Finanzen in Ordnung ge bracht. Die Stadt konnte sich glücklich schäzen, ihn zu haben. Aber er war Marxist. Das war der Grund zu einer stän digen Heze gegen ihn. Und eines Abends, als er, von einer Landtagssigung aus Berlin fommend, soeben seine Gartenpforte aufgeschlossen hatte, knallte ein Schuß. Kasten zu Tode getroffen, brach zusammen. Die ganze Nacht wand er sich in Todesqualen. Er fonnte nur noch den Täter als einen jungen Mann mit Schülermüze nennen. Dann starb er, im besten Mannesalter von 48 Jahren.
Der Schüler wurde verhaftet. Das war im Januar dieses Jahres. Anfang Februar wurde dieser Lümmel entlassen und außer Verfolgung gelegt.
Kein Richter fand sich, der diesen jungen Mann aburteilte. Heute ist er strammer SA.- Mann und verprügelt Arbeiter. Der Witwe des verstorbenen Bürgermeisters Kasten entzieht man die Witwenrente. Das ist Recht im dritten
Und nun erst der erſchoffene 3ies lit. Wir wollen den zich.
Mord nicht gutheißen. Aber 3ieslik war ein Provokateur.
Er war es, der Abend für Abend wie ein Pfan in die KPD - Kneipe ging und herausforderte. Er war es, der jeden sozialdemokratischen Arbeiter, jeden Reichsbanners mann, jeden Kommunisten auf der Straße anpöbelte.
Er war es, der sozialdemokratische und kommunistische Versammlungen zu sprengen suchte. Was Wunder, daß man ihm gern einen Denkzettel verabreichen wollte. Wir haben die feste Ueberzeugung, daß die sogenannten Mörder an jenem verhängnisvollen Abend 1932 von ihm aufs schwerste gereizt worden sind. Es war gerade Wahlzeit. und die Nazis traten überall provokatorisch auf. Zieslik war überall dabei, wo es zu Raufereien tam; er war es, der ständig mit, der Pistole herumfuchtelte. Und in Anhalt, wozu Hecklingen ge= hört, gab es schon damals keine objektiven Richter mehr, denn Anhalt hatte bereits eine Naziregierung unter Herrn Feyberg. Die Republikaner waren rechtlos.
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Kann man da nicht verstehen, wenn Arbeiter fich vor solchen Rowdys zu schüßen suchten? Der oder ich stand es damals in Anhalt bei Zusammenstößen.
Um den Tod dieses„ Edelmenschen" zu rächen, haben die Dessauer Richter 13 Arbeiter zum Tode verurteilt. 13 für einen! Warum? Nur weil sich nicht nachweisen ließ, wer geschossen hatte.
Wie aber find anhaltische Richter in anderen Fällen verfahren? Im August 1932 tam an einem Sonnabendabend eine Dessauer Reichsbannerabteilung auf Rädern von einer Tour aus Zerbst zurück. An ihrer Spize ihr Führer Feuer= herdt. Sie hatten eben ein nationalsozialistisches Gartenlokal passiert. Da gab es hinten Krach. Die Nazis überfielen die letzten des Radfahrerzuges. Feuerherdt fuhr sofort an das hintere Ende des Zuges. Er hatte eben das Kommando " Weiterfahren" gegeben, um es nicht zu einer wüsten Schlägerei kommen zu lassen. Da fam aus dem Garten ein Nazimann angelaufen, und er schoß sofort auf Feuerherdt. Dieser stürzte getroffen vom Rade. Die Nazibande fiel über ihn her und bearbeitete den zu Tode getroffenen mit Messern. Am andern Tage starb Feuerherdt nach fürchterlicher Qual. Die Dessauer Richter bzw. der Staatsanwalt? Was tat die hohe Justiz?
Sie stellte das Verfahren ein, weil der oder die Mörder nicht festzustellen waren.
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Alles das wissen die Arbeiter in Mitteldeutschland . Und nun müssen sie mitansehen, wie für einen Nazi- Rowdy dreizehn Arbeiter zum Tode verurteilt werden. Alles bäumt sich in ihnen auf. Nur noch einmal Rache nehmen für soviel Unrecht. Das ist ihr Wunsch und Wille. Wehe euch ihr Richter" des dritten Reiches". Ihr werdet Sturm ernten. Die Welt aber, was sagt sie dazu? Wird sie erst erwachen. wenn sie von Herrn Hitler so behandelt wird, wie jetzt im Innern Deutschlands die freiheitliebenden Menschen?
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Die„ Neuen Deutschen Blätter", Nr. 3, erschienen in ver stärftem Umfang und bringen einen interessanten Brief= wechsel zwischen Stefan Zweig , Ernst Fischer und Wieland Herzfelde sowie Hermynia Zur Mühlen und dem Engelhorn- Verlag, Stuttgart , unter dem Titel„ Briefe, die den Weg beleuchten". Weiter Balder Olden :„ Mir wäre nichts Besonderes passiert". Briefe von Ludwig Börne , Prosa von Theodor Plivier , Stefan Hochrainer, F. C. Weiskopf u. a. sowie in der Stimme aus Deutschland " ergreifende Schilderungen wirklicher Ereignisse sowie einen Original- Instruktionsplan für den Horst- Wessel - Sturm Lichterfelde . Eine Auseinander-> febung: 3wei Grabreden auf Karl Kraus ". eine Satire „ Das erlösende Mittel" von Oskar, Baum, Buchfritifen, Glossen usw. beschließen das 72 Seiten starke Heft. Preis: Kc 6,50.
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