Freiheit
Nummer 1471. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Dienstag, 12. Dezember 1933 Chefredakteur: M. Braun
Seite 3
Stoßteupp" für Lohncaub
Seite 4
Nazis gegen
Konzentrationslager
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Seite 8
D. F. Das deutsche Reichsparlament, durch Terror und Verfaffungsbruch gewählt, tritt zu einer eintägigen Sigung zusammen. Sie hat nur den Zweck, den preußischen Ministerpräsidenten und deutschen Reichsminister Göring durch Zuruf zum Präsidenten dieses sogenannten Reichstages zu machen und die Abgeordneten zum Empfang von 600 Mark Diäten monatlich zu ermächtigen. Irgendwelche Arbeiten für das Reichsparlament liegen nicht vor. Die Regierung hat feine Vorlagen gemacht. Aus den Reihen der Abgeordneten find keine Anträge gestellt, die übrigens nur nach vorher eingeholter Erlaubnis der Reichsregierung möglich wären. Auch wird dementiert, daß die Erledigung des neuen Verfassungswerks nahe bevorstehe.
Bon der allgemeinen Weihnachtsamnestie verlautet nichts mehr. Göring läßt den Henker ungehindert arbeiten. Innerhalb 24 Stunden sind allein in Köln sieben Hinrichtungen vollzogen worden. Das sind mehr als in der ganzen fünfBehnjährigen Geschichte der Kulturrepublik von Weimar . 61 Todesurteile sind bisher verhängt. Etwa 40 Todgeweihte, darunter in einem Falle Vater und Sohn, feiern das christliche Fest der Liebe in den Todeszellen. Wir rechnen dabei nur die politisch zum Tode Verurteilten, Männer, die im Rampfe gegen das Uebermaß von Terror der Nationalsozialisten sich wehrten. Vielleicht auch nur beschuldigt wer den, die Gegenwehr mit der Waffe gewollt zu haben.
Die Weltöffentlichkeit hat mit Entseßen von der Massenschlächterei in Köln , die von betrunkenen Scharfrichtern verlibt wurde, Kenntnis genommen. Um das noch nicht ganz erstorbene Weltgewissen zu täuschen, hat der oberste aller deutschen Henker, nämlich Hermann Göring , verkündet, er werde fünftausend politische Gefangene zum Weihnachtsfeste in Freiheit setzen. Niemand kann nachprüfen, wieviel an dieser Zahl übertrieben ist. Wer Görings Hemmungslosigteit, seine Meineide und die Verlogenheit der durch ihn verwüsteten preußischen Polizei vor dem Reichsgericht erlebt bat, wird ihm und seiner Behörde nichts glauben.
Unterstellen wir aber immerhin, daß man einige Tausend aus den Konzentrationslagern entlassen wird, übrigens unter der höchst persönlichen Androhung Görings, daß sie vernichtet werden, wenn sie sich nicht unbedingt dem neuen Staate unterwerfen. Diesen angeblich beabsichtigten Entlassungen jedoch gehen gerade jetzt neue Verhaftungen von tausenden und tausenden gegenüber. Allein in Dresden sind 500 Sozialdemokraten und Kommunisten festgesetzt worden. Ueber das ganze Reich geht diese neue Verhaftungswelle. Da man den neuen Kampfformen der sozialistischen Fronten, deren Vortrupp längst die sozialdemokratische Jugend geworden ist, nicht recht auf die Spur kommt, greift man wahllos auf die Funktionäre der alten, längst zerschlagenen sozialdemokratischen Organisation zurück. Jeder und jede, die einmal auch nur die bescheidenste Funktion ehrenamtlich in der Sozialdemokratie befleidet haben, und im Verdachte stehen, ihrer Gesinnung treu geblieben zu sein, sie alle sind von den Schergen des„ dritten Reiches" bedroht. Es ist nicht festzustellen, mie hoch die Zahl der allein schon im Dezember verhafteten Sozialisten und Kommunisten ist, aber bestimmt geht sie im Reiche weit über 5000 hinaus.
Auch die über die Reichsgrenze entkommenen Sozialisten find nicht sicher. Hochbezahlte Spizel der Geheimen Staatspolizei verfolgen sie in allen Ländern. Wir werden in den nächsten Tagen dies wieder einmal urFundlich nachweisen. Uns liegen Original= geleitschreiben der Geheimen Staatspolizei für solche Auslandsagenten vor, die nicht nur die Aufgabe haben, die illegale Arbeit nach Deutschland hinein zu beobachten, son dern die auch versuchen, Emigranten in dem Gastlande unmöglich zu machen, um diese Leute so von Land zu Land zu hehen und allmählich ihre Kräfte zu zermürben.
Neuerdings scheint man auch die Presse, soweit sie von getauften Subjekten der Göring und Göbbels bedient wird, in den Dienst dieser Spizelarbeit stellen zu wollen. Eine Saarbrüder Pressefiliale des Reichspropagandaministeriums veröffentlicht eine angebliche Niederschrift über die Ausschußsibung der 1. Internationalen sozialistischen Konferenz über deutsche Fragen in Paris ( 21. bis 26. August) mit Reden von Wels, Breitscheid und Hölter= mann. In diesem Protokoll" werden diese drei Politiker beschuldigt, den bewaffneten Aufstand in Deutschland und den Einmarsch von Frei forps aus dem Auslande nach Deutschland Dorzubereiten. Das Saarbrüder Blatt, dessen Redat
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Das ist die Vertassung, auf die sie schwören!
teure gewiß in recht begrenzten Horizonten leben, dürfte immerhin soviel ahnen, daß es die so denunzierten Politiker nicht nur als Kandidaten der Göringschen. Henkerbelle, sondern auch als Ziele für die innerhalb und außerhalb des Reiches arbeitenden Fememörder angibt. Das Schicksal des Professors Lessing zeigt, daß jeder der so beschuldigten sein Leben riskiert. Gegenüber Redakteuren als zutreiber des Henfers wirken die Scharfrichter Görings, die das Geld für ihre Mordarbeit öffentlich liquidieren, liquidieren, beinahe beinahe noch zivilisiert.
Eine Polemik gegen die von dem Saarbrücker Blatt wiedergegebene Fälschung erübrigt sich, da glücklicherweise die Agenten der Geheimen Staatspolizei in diesem Falle besonders schlecht gearbeitet haben. Richtig an der ganzen Erzählung ist nur, daß im August eine internationale Konferenz in Paris stattgefunden hat, über die öffentlich auch in dem erwähnten Saarbrücker Blatt berichtet worden ist. Delegiert waren nur Wels, Aufhäuser und Hilferding . Breitscheid und Höltermann hatten feine Mandate und konnten deshalb weder Referate halten noch debattieren. Jeder, der auch nur einmal von der Geschäftsordnung einer sozialistischen Tagung etwas begriffen hat, weiß das. Hältermann ist zudem in jenen Augusttagen, soweit wir unterrichtet sind, weder in Paris noch überhaupt in Frankreich gewesen.
Das gefälschte Protokoll ist aus Zeitungsnachrichten und Zeitungsauffäßen zusammengestoppelt und mit den Zufäßen.
versehen worden, die notwendig sind, um Wels, Breitscheid und Höltermann als Männer zu kennzeichnen, die durch die Feme zu richten sind.
Wir stellen bei dieser Gelegenheit ein für allemal fest, daß weder der Parteivorstand in Prag noch irgendwelche andere im Saargebiet oder außerhalb der Reichsgrenzen lebende Sozialdemokraten irgendwelchen Einfluß auf die Tätigkeit unserer tapferen Kameraden im Reiche ausüben. Das ist ein Ehrenstandpunkt. Die Verantwortung für das, was im Reiche geschieht, haben die Kämpfer und Kämpferinnen selbst zu tragen. Wir wollen und können ihnen mancherlei Hilfe bringen, die Entscheidung über Organisation und Taktik im illegalen Kampfe aber liegt bei den Freunden im Reiche. Das ist so klar und diese Linie wird so fest eingehalten, daß jeder Versuch, sie durch Fälschungen zu verwirren, nußlos ist.
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Weiberdorf"
Die Männer verhaftet
Unter den Landwirten der Provinz Schleswig- Holstein gärt es nicht minder wie unter denen Ostpreußens . Von hier aus nahmen die Landvolkbewegung und die Bombenattentate, wie auch die Nazibewegung ihren Ausgang. Heute ist von der ehemaligen Hitler - Freude wenig mehr zu spüren. Ueberall finden Haussuchungen und Verhaftungen statt. Ein aber sicher noch nicht dagewesener Fall ereignete fich in Moordorf bei Aurich . Von diesem Dorfe aus wurden in der letzten Zeit mehrfach die Dörfer der engeren und weiteren Umgebung mit regierungsfeindlichen Flugblättern belegt. Auf Befehl der Polizeileitung wurde deshalb des Morgens das Dorf umstellt und sämtliche Häuser von Polizei und SA. durchsucht.
Die Bauern empfingen die Nazi mit lautem Schimpfen und belegten die Regierung im allgemeinen und Hitler int besonderen mit Schmeicheleien, die ihre sofortige Verhaftung nach sich zogen. 34 Landwirte sind von der Polizei mitgenommen worden fast die gesamte männliche Bevölke rung! Das Dorf, das jetzt ohne Männer ist, wird in der Umgebung das Weiberdorf" genannt!
Große Beachtung fand auch die erfolgte Verhaftung eines der bekanntesten Bauernführer aus Schleswig- Holstein , J. Johannsen aus Büsum . Jobannsen wurde über die Grenzen der Provinz hinaus zunächst als einer der Führer der Landvolkbewegung bekannt. Nach deren Auflösung organisierte er auf dem flachen Lande den Stahlhelm. Die Unterwerfung Seldtes machte er nicht mit, da er die Politik Hitlers als ein Verbrechen an der Bauernschaft bezeichnete. Da er sich jedoch größter Beliebtheit bei den Bauern er freute, wurde der Stahlhelmführer von der Verhaftung nerschont worüber sich Johannsen schämte. Da sein Auftreten indessen immer schärfer wurde, ist er jetzt verhaftet und einem Konzentrationslager zugeführt worden. Die Polizei sagt, wegen unglaublicher Beschimpfungen des Volkskanzlers Hitler"!