Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschien Freificit" Ereignisse und Geschichten

Sonntag- Montag, den 14. und 15. Januar 1934

Hans Hartmann Apostata

Es war nach dem Umsturz von 1918. In Westdeutschland verbreitete sich die Kunde von einem jungen protestan tischen Pfarrer Dr. Hans Hartmann, der mitten im Solinger   Industriegebiet durch seine Reden eine magische Anziehungskraft auf die sehr radikalen sozialistischen   Ar. beitermassen seines Bezirkes ausübte. Er sprach von der Kanzel, am Vortragspult, in politischen Versammlungen. Elegant und kühn zugleich, leidenschaftlicher Pazifist und Ankläger gegen das Kanonenchristentum, Sozialist aus reli­giösem Ethos, um den sich bald eine Bewegung sammelte.

Er redete nicht nur: er schrieb auch in flüssig beken­nerischer Haltung. Der Name des Lizentiaten Dr. Hans Hart­mann tauchte in vielen sozialdemokratischen Zeitungen und Zeitschriften auf. Es gab keine Frage", zu der er nichts zu sagen wußte. Er schrieb mit schillernder, leicht verschwom­mener Dialektik und betätigte sich in der sozialistischen  Kulturbewegung als Lebensgestalter. Schließlich wurde er von der Kirchenbehörde von seinem Posten enthoben.

Zugegeben, daß für Dr. Hans Hartmann nun eine harte wirtschaftliche Notzeit begann. Aber was tat er nun? Er antichambrierte in allen sozialdemokratischen Zeitungs­redaktionen und überschüttete sie mit Aufsätzen, die zu Rundfunkvorträgen verarbeitet wurden. Er erbat die Hilfe des sozialdemokratischen Parteivorstandes, bewegte sich mit der Sicherheit eines Voltigeurs in der Welt der parlamen­tarischen Beziehungen und ließ sich von den einflußreichen sozialdemokratischen Abgeordneten Empfehlungen stellen, die ihm ausgedehnte Reisen und Informationen er­möglichten. Er schrieb Buch um Buch, zuletzt interessiert für die internationale Jugendbewegung, immer leidenschaft­licher Sozialist mit den Flammenzeichen der demokratischen Auslese im Herzen.

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Bisher ist dieser Bericht nicht interessant. Er wird es erst im Vergleich zu dem Hans Hartmann nach dem 30. Januar 1933. Denn dieser ehemalige Kriegsdienstverweigerer mar­schiert seither festlich im gleichen Schritt und Tritt zur Pauke der Macht. Sein Ethos schwört nicht mehr zum Land Orplid der sozialistischen   Lebensgestaltung, sondern er hält sich an die griffigen Realitäten gegenwärtiger Erwerbs­quellen. Der einstige hellstimmige Freiheitsheld, bewegt von der persönlichen Verantwortung derer um Kant und

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Fichte wir sehen ihn versunken auf den Gebetsteppichen des ,, totalen Staates".

In Saarbrücken   hat er in diesen Tagen wieder ge­prochen. Im Kaufmännischen Verein. Sein reicher Schatz an Klingelphrasen bekennt sich zur unaufhaltsamen Dyna­mik der Frontgeneration". Er hat den Duce in Natura ge­sprochen, hingerissen vom Führergedanken, nun mit blau­treuem Auge Adolf Hitler   zugewandt, der die Welt regeneriert. Zufällig lasen wir in diesen Tagen eine Rede Hartmanns, gehalten zu Pfingsten 1928 auf einer sozialisti­ schen   Tagung zu Heppenheim  . Hier sagte er( ,, Sozialismus aus dem Glauben", Rotapfelverlag Zürich, Seite 105) unter anderem wörtlich:

,, Wir hören vielmehr im Sozialismus eine Frage Gottes an uns, die lautet: was ist damit gemeint, daß sich im Klassenkampf so schreckliche Dinge offenbaren? Wir können sie von uns aus nicht beantworten, nichts End­gültiges sagen. Wir können nur sagen, daß das Schreck­liche, das im Menschen ist, offenbar ist, ebenso aber auch die Hoffnung, die in ihm ist, und zu der er aufgerufen

wird, und von da aus tasten wir uns dann weiter..." Nein, das Schreckliche im Menschen hat sich Dr. Hans Hartmann nicht offenbart. Nur das Niedrige. Und von da aus tasten wir uns dann weiter wahrhaftig, auch er hat neues Terrain gewonnen. Nicht nur ein Typus des Verrats und der Verleugnung, sondern der schlimmeren und ver­ächtlicheren des Miterfinders von Ideologien, die ihre Inhaber öffentlich zur Rede- und Schrifterlaubnis legitimieren sollen, daß sie schon immer heimlich Adolf Hitlern   verschworen gewesen seien.

Der Teufel kann einen Pfarrer lehren. Und so spricht denn dieser Hartmann, der einstige Rebell wider die Her zensträgheit des offiziellen Protestantentums, heute mit der gleichen schmiegsamen und öligen Stimme jedes aktuell er­forderliche Lob eines Staates aus, das seine Freunde und Helfer von früher ausstößt, verfemt, fängt und verhaftet. Einst träge Herzen heut fleißige Peitschen! Ein aktivi­Einst träge Herzen sticher Lizentiat sieht die Welt endlich voller Aktivität und Jugendkraft und hat heimgefunden zu seinem Gott. Andreas Howald.

Hauptmann sah den Retter

Gedenkworte eines deutschen   Dichters an Friedrich Ebect

Wenn ich über den ersten deutschen   Reichspräsidenten sprechen soll, so kann es nur unzulänglich sein. Es sind Männer genug da, welche seine Verdienste kennen, in aus­führlicher Weise darzustellen tüchtiger sind. Aber auch eine Menge Menschen sind vorhanden, die solche Verdienste recht gut kennen, aber verschweigen und, schweigend, ver­unglimpfen lassen.-

Für mich ist Friedrich Ebert   ein warmherziger, ganzer Mann, ein ebenso warmherziger, ganzer Deutscher   und ganzer Mensch! Herkunft, Kenntnis eines Handwerks oder Unkennt­nis eines Handwerks sind dabei, trotzdem Kenntnis immer vor Unkenntnis steht, Nebensache. Die Aufgaben, welche Friedrich Ebert   beim Antritt seines hohen Amtes fand, nahe­liegende, unabweisliche, gewaltige, furchtbare Aufgaben, hat er mit breiter Kraft, breiter Güte und fester Entschlossen­heit, als großer Staatsmann, gelöst und ist dadurch zum Retter Deutschlands   in schwerer Not geworden. Fern sei es mir, mich den unsterblichen Mächten des finsteren Undankes

sein Opfer gefordert. Ehre deshalb für immer seinem An­denken in jedem wahrhaft deutschen   Herzen!

Gerhart Hauptmann  .

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Sein Name wirkt auf viele magisch, Denn manchen gilt er als Genie. Er selber nimmt sich furchtbar tragisch Und sagt dem Herrgott ,, Sie".

Wenn er bei Sommerhige hustet, Dann macht das Ganze Halt, Bis irgend so ein Lecker pustet Und haucht: ,, Fürwahr,' s ist kalt!"

Er kann den größten Unsinn schwatzen Den Leuten scheint er tief Sie lärmen staunend mit den Tagen Und gucken sich ganz schief.

Er läßt sich keine Feier nehmen Und geht stets ohne Frau; Er würde sich vor ihr nur schämen Sie kennt ihn zu genau....

1845- 1933

Alles ist wieder da

Max Randstein

1845. ,, Serenissimus hat die hohe Gnade zu haben ge­ruht, die Wehrmänner zu Hirschberg, sechs an der Zahl, welche zu dem in Tonna   ausgebrochenen Feuer geeilt und mit der aufopfernden Bereitwilligkeit Dienste geleistet hatten, öffentlich, vor der Front Allerhöchstselbst gnädigst zu beloben und dem ältesten derselben( nachdem er sich durch den Taufschein als solcher ausgewiesen) zum Zeichen Allerhöchstihrer höchsten Zufriedenheit und Anerkennung

höchsteigenhändig die Hand zu reichen." Amts- und Regie­rungsblatt für das Fürstentum Reuß- Lobenstein- Ebersdorf. -1933. Das Staatsministerium überreichte dem 69jähri gen Invaliden Ottenbacher in Weiblingen, der ein Kind vor dem Ertrinken rettete, zwanzig Mark."( In der württem bergischen Presse.)

Kotz

Ein Nazi- Katechismus

Soeben erschien von einem Mann, der mit Recht den impe rativischen Namen Alfred Kotz führt, ein Buch: ,, Führen und Folgen, ein Katechismus für Hitler- Soldaten". Dieses kriegshetzerische Buch preist sich so an: ,, Vergleichbar dem ,, Deutschen Volkskatechismus" von E. M. Arndt und dem ,, Katechismus für einen jungen Deutschen" von Heinrich von Kleist  ... Frontkämpfergeist wird beschworen für die, die an die Front im Ringen um ein neues Deutschland   und um einen neuen deutschen Menschen rücken. Für dieses Ringen wird ,, Fühlen und Folgen" zum Vademecum, das im Tor. mister mitgetragen wird."

Diese Worte stehen in Friedrich Ebert   und seine Zeit. Acische Musik und Malerei

Ein Gedenkwerk über den ersten Präsidenten der deutschen Republik", Dr. Wilhelm Glaẞ u. Vo., Verlag Charlottenburg, Seite 71. Geschrieben wurden sie vor acht Jahren, damals, als Friedrich Ebert   von der nationalistischen Meute nieder­gehetzt worden war.

Eine heroische Szene kommt uns in Erinnerung. Im Herbst 1922 feierte Gerhart Hauptmann   seinen 60. Geburts­tag. In Breslau   waren die Hauptmann- Festspiele. Im alten Rathause wurde der Dichter von Friedrich Ebert   in den Saal geführt, der aus Berlin   zu diesen Veranstaltungen gekommen war. Beide standen lange beieinander im festem Händedruck. Derselbe Hauptmann hat kürzlich ebenso fest und ebenso lange diejenige Adolf Hitlers   gedrückt. Stände der Dichter heute vor der Bahre seines neuen Führers, forderte man ihn auf, einen Nachruf zu schreiben: er könnte das viel zu ändern.

anzuschließen! Lieber will ich mitsamt meinem Dank sterb- Manuskript von 1925 für Friedrich Ebert   verwenden, ohne

lich sein. Friedrich Ebert  , bei dem man tief erschüttert an die Baracke denken muß, in welcher der große Lincoln das Licht der Welt erblickte, hatte nicht nur die Führereigen schaften des Verstandes, sondern ebenso die des Herzens. Mit dem Herzen umfaßte er Volk und Vaterland: beide haben

Zucke zackig, deutscher Mann!

Marschmusik zur Arbeitsschlacht

Welches die Aufgaben der ,, Deutschen Arbeitsfront  " sind, ist hinlänglich bekannt. Für ihre bekannten Schlachten hat nun ein Genie namens Piegner- Clausen einen Marsch der deutschen Arbeitsfront  " komponiert und widmete ihn dem Dr. Ley. Mit Recht, denn wie es im Waschzettel dazu heißt die Musik ist zackig, aber so leicht zu singen, daß sie jedem im Ohr haften bleibt". Sie enthält schmissige Marschteile, anfeuernd, wuchtig und hinreißend, die das bekannte Zucken hervorrufen". Zwischen Arbeitsschlacht und Zacken und Zucken, I zwischen A bis Z und den Ansichten des Herrn, Röhm bis

Es soll der Dichter mit den Rettern gehen. Immer mit dem Herzen! Die sanften Augen Gerhart Hauptmanns  blicken bereits wie diejenigen von Lynkeus  , des Türmers, in die Ferne: bitte, der Nächste!

3. Die vom NSLB.   getroffene Gliederung der Gaue, Kreise und Ortsgruppen, sowie die entsprechend gegliederte Facharbeit der Abteilung ,, Erziehung und Unterricht" gelten als zuständig.

4. Nochmals wird die Rückkehr aufge. löster oder in Auflösung befindlicher Ver. bändestrengstens verboten.

5. Selbständige in den NSLB. als Fachschaften nicht ein­gegliederte wissenschaftliche Fachverbände können mit den gleichlaufenden Fachschaften der NSLB  . zum Zwecke der Verwertung ihrer Leistungen in Verbindung treten.

zu den Zentnerladungen des Herrn Ley geht dieses Anal- ,, du Fröhliche"

phabet neudeutscher Kunst, triumphal und hymnusartig" seinen Weg des Abfalls von menschlicher Gesittung und es geht in im Marschtakt der Trommeln und Festgesänge der Zulukaffern.

Deutsches Erzieherleben

Nur NS.  - Lehrerbund alles andere streng verboten.

Dr. Robert Ley   verfügt: Wie der NS.  - Lehrerbund, der neun Zehntel aller deutschen Erzieher als Einzelmitglieder umfaßt, mitteilt, ist zur Klärung und Vermeidung von Miß­verständnissen endgültig von der PO. folgende Verfügung getroffen worden:

1. Der NSLB  . ist die parteiamtliche Organisa. tion des deutschen   Erzieherlebens. Er umfaßt alle als Mitglieder im NSLB.   organisierten Erzieher.

2. Die in ihm befindlichen eingeschriebenen Mitglieder der NSDAP.   sind im Amt für Erzieher( NSLF.) zusammengefaßt und erhalten ihren gesonderten Ausweis.( Mitgliedsbuch),

Wörtliches aus dem Reiche der Nazi- Christen

,, Unlängst ging eine kleine Notiz durch die Zeitungen, die gewißlich einige empfindsame Seelen wieder in sanfte Wal­lungen gebracht haben wird: die Post bat, von Weih nachtspaketsendungen an Strafgefangene Abstand nehmen zu wollen, da solche Sendungen nicht zugestellt wür­den. Gewiß: eine ernste und strenge Maßnahme für die, die es trifft, und doch nichts anderes, als eine bitter notwendig gewordene Reaktion gegen den, jedem gesunden Volks­empfinden hohnsprechenden Humanitätsdusel, der schließ lich und endlich selbst in jedem Verbrecher nur noch das bemitleidenswerte Opfer einer mangelhaften Erziehung, einer schlechten Zeit oder einer überkommenen, asozial" bestimmten Willens- und Wollensrichtung sah. Mit dieser Einstellung hat die nationalsozialistische Regierung sofort und- im Interesse der Sicherheit und Sauberkeit und Ord­nung im Staate in scharfer Weise gebrochen!"

Jüdische Studenten: 1,5 Prozent.

Nach einem Erlaß des Preußischen Unterrichtsministe riums darf die Zahl jüdischer Studierender an staatlichen Kunstschulen und Akademien, Meisterateliers, Hochschulen

für Musik und den Meisterschulen für musikalische Kompo sition 1,5 Prozent sämtlicher Studierender nicht übersteigen. Der jüdische Bewerber muß obendrein den Nachweis führen, daß sowohl er wie seine Vorfahren in enger Beziehung zum Deutschtum gestanden haben. Anspruch auf Zulassung zum Studium besteht nicht.

Zeit- Notizen

Käthe- Kollwity- Schule umbenannt. Die frühere Käthe- Ko witz- Schule( Gymnasium am Richardplatz   in Neukölln) ist durch Verfügung des Kultusministers in Martha- Gunkel­Schule umbenannt worden.

Beim Antikriegs- Preisausschreiben der Internationalen Vereinigung revolutionärer Schriftsteller in Moskau   wurden 17 Werke( deutsche  , tchechische und ungarische) mit Preisen ausgezeichnet. Der erste Preis wurde unter die beiden reichs deutschen   Schriftsteller Fritz Erpenbeck   und Joh. R. Becher aufgeteilt. Den zweiten Preis( für Lyrik) erhielt die neun undzwanzigjährige Wiener   Schriftstellerin Klara Blum   für das Gedicht ,, Ballade vom Gehorsam".

Die braune Layer. Hofrat Dr. Layer, der Professor für Staatsrecht an der Universität Wien  , ist auf eine staatsrecht. liche Professur an die Universität Köln   berufen worden. Er soll hier den braunen, nach Berlin   berufenen Karl Schmitt  ersetzen. Professor Dr. Layer ist bekanntlich von der öster reichischen Regierung zwangspensioniert worden, weil er die Heldentaten der Nazi- Studenten an der Wiener Universi tät billigte.

Adreßbücher bedürfen der Genehmigung. ,, Sämtliche Ver leger von Adreẞbüchern, Jahrbüchern, Kalendern usw., mit Anzeigenteilen, deren Werke nach dem 1. Januar nicht wieder erschienen sind, müssen für die Weiterherausgabe die Genehmigung zur Wirtschaftswerbung einholen." Der Ter min zur Einreichung war der 13. Dezember.

Pädagogische Frauenarbeit geschlossen. Die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit  , Berlin  W 30, Barbarossastraße, ist geschlossen."

Verboten wurden( Kriminalpolizeiblatt 1709) folgende Druckschriften: Junge Garde" Nr. 19; Sokol"( Warschau  ); Lienzer Nachrichten"( Lienz  , Tirol; christlichsozial  ); Bern  hard Handmann ,, Der Diktator", Verlag Wahrheit und Recht, Groß- Jena   bei Naumburg  ; Bruin Boek", Verlag Scheltens u. Giltag, Amsterdam  ; das Aarauer Tageblatt" ist ab 1. Dezember wieder erlaubt.

Verboten laut Kriminalpolizeiblatt 1734 und 1735 wurden folgende Druckschriften: Slovénsky Prehled"( Prag  ): ,, Aero- Preß"( Prag  ); Bezdez  "( Leipa, Tschechoslowakei  ); ,, Deitsche Arbeiter- Presse"( Wien  ); Der Land- und Forst Westdeutscher Beobachter, 4. Jan arbeiter"( Saaz  , Tschechoslowakei  ),