Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschien Freiheit".

Mittwoch, den 14. Februar 1934

Unterwerfung oder Schweigen

Die braune Lehcfceiheit

Das

Internationale

Archiv schreibt uns:

Antifaschistische

In der Oeffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, als ob die Eingriffe in die Lehrfreiheit, in deren Zeichen im Frühjahr 1933 Deutschland   stand, insbesondere die Ent­lassung freiheitlich gesinnter Hochschullehrer, die die ganze Welt in Erregung versetzte, seit längerer Zeit seltener ge­worden seien. Ein Blick in die Ministerialblätter der einzel­nen deutschen   Länder beweist aber, daß dies keineswegs der Fall ist. So wurde, wie die ,, Hessische Landeszeitung" meldet, erst jüngst dem bekannten ordentlichen Professor der Literaturgeschichte und Philosophie Dr. Walter Kinkel an der hessischen Landesuniversität Gießen   die Lehrbefugnis entzogen. Gleichzeitig hat der württembergische Kultusminister den Professor der katholischen Theologie an der Universität Tübingen  , Dr. Adam, wegen eines religiösen Vortrags zunächst seines Amts entsetzt und ihm erst nach Abgabe einer Unterwerfungserklärung die Wieder. aufnahme seiner Vorlesungen gestattet.

Aus Frankfurt am Main   wird gemeldet, daß die Studenten der Frankfurter   Universität den Professor Dr. Riezler in der Abhaltung von Vorlesungen gewaltsam hindern.

Diese Entwicklung der..wissenschaftlichen Lehrfreiheit" findet die volle Billigung aller amtlichen und parteiamt­lichen nationalsozialistischen Stellen. Sie wird durch fol­gende Ausführungen des, Völkischen Beobachters" noch unterstrichen:

,, Der nicht nationalsozialistische Wissenschaftler hat sich lediglich darauf zu beschränken, sein Fachgebiet zu lehren und die Frage der Politik der Geisteshaltung und

Sie haben Konjunktur

Aber: ,, Die andere Seite des Problems"..

Im ,, Börsenblatt für den deutschen Buchhandel"( 2. Januar 1934) schreibt einer von der Literatur- SA., der weit­hin unbekannte Schriftsteller Josef Martin Bauer  , über die Aufgaben des Buchhandels im ,, dritten Reich". Da stimmt er an mit hellem, hohem Klang:

..Jetzt aber haben wir Konjunktur. Wir deutschen Dichter werden auf jene Pläge der Vorlegetischchen

der Weltanschauung denen zu überlassen, die vielfach oder sogar meistens ohne das Fachwissen des Akademikers mehr davon verstanden oder verstehen."

Wie verträgt sich diese Erklärung der Behauptung, der ,, Nationalsozialismus   sei eine Weltanschauung, die das gesamte geistige Leben der Nation bestimmt"? Die National­sozialisten zeigen selbst, daß diese Behauptung eine Phrase ist. Sie können auch der Wissenschaft nichts anderes ge­bieten als Unterwerfung oder Schweigen. Das bedeutet für die deutsche Wissenschaft den Weg zum Bankrott.

Zur Förderung der wissenschaftlichen Arbeiten des Internationalen Antifaschistischen Archivs" haben eine Reihe Politiker, Schriftsteller und Gelehrten ein Protek­toratskomitee gegründet, zu dem u. a. Professor Levy­Bruhl, Romain Rolland  , Professor Wallon  , Gräfin Catherine Karolyi, Claire Sheridan, Professor Georg Bernhard  , Dr. Lion Feuchtwanger, Dr. Kurt Rosenfeld, Rudolf Leonhard  , Joseph Roth   ihren Beitritt erklärt haben.

Das Komitee hat sich vor allem die Aufgabe gestellt, den Aufbau einer Bibliothek des in Deutschland   verbrannten und verbotenen Schrifttums zu fördern, es wendet sich an die Oeffentlichkeit mit der Aufforderung, diese bedeutungs­volle Arbeit durch Ueberlassung von Material( an die Adresse: 22 rue Saint Augustin, Placard No. 18, Paris   2) zu unterstützen. Eine Reihe von Fachberatern sind bereits zur Mitarbeit für die verschiedenen Abteilungen gewonnen.

Ereignisse und Geschichten

Neo- Sozialismus

Hört es, meine lieben Arier und Christen: Wir sind alle Sozialisten!

Nein, blicken Sie nicht verstört und wild:

Es steht doch deutlich auf unserem Firmenschild. Ziehen Sie vor allem dies in Betracht:

Damit haben wir ja eigentlich des Rennen gemacht! Gewiß, der Marxismus ward ausgerottet,

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gerädert, erschossen, zerstochen, zerrissen aber andernteils ward er auch nur verschrottet. Bitte, fragen Sie Vögler und Thyssen. Ja, meine Lieben, mit Gunst:

Das war kein Kunststück mehr, dies war Kunst! Ich frage Sie ehrlich und ohne Spott:

Wo säßen wir ohne den herrlichen Schrott? Und natürlich ohne die weisen und fixen Leute, die ihn ergänzen und mixen? Was trugen die alles dazu herbei! Fabrikgeheimnis!.... Ein Wunderbrei, der hier als Ursubstanz entstand für ein sozialistisches Vaterland.

Man schmiert ihm dem Kinde, dem Buben und Mädel nicht nur in die Mäuler, nein, auch in die Schädel, klatscht ihn in die Ohren, gießt ihn in das Blut, das senkt die Löhne und hebt den Mut.

Ob Proletarier, Prinz, ob Professor

sie fressen ihn gierig mit Löffel und Messer, Besonders kann er getrocknet uns taugen. ( Zwischenruf: Als Sand für die Augen!)

Haha, kleiner Schäker!... Schluß... Für den Chronisten: Wir sind alle, alle Sozialisten wie das deutlich in unserer Firma steht

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Auf dem Londoner   Friedhof in Highgate hat sich einer im Grabe umgedreht.

liefern. Wir wissen aber auch, daß unser Ruf in aller Welt militärmuseum Koblenz

von lieben Freunden so schlecht gemacht worden ist, daß er nicht übler mehr werden könnte. Er würde durch Maßregelung giftiger Schlangen nicht besser, aber auch nicht schlechter werden

Hütet Euch fein, wir leben nicht mehr zu Zeiten Bismarcks, sondern Hitlers  !" ( Deutsche Wochenschau, 28. 1.- 1934.)

hingelegt, auf denen früher weiß Gott   wer sich einem Zeit- Notizen

zugriffbereiten Publikum gezeigt hat. Jetzt gehen die Menschen, wenn sie uns draußen in den Fenstern gesehen haben, herein und nehmen ohne langes Ueberlegen ein en braven Deutschen  . Nicht wahr? Jetzt klagen wir nicht mehr über unsere eingemotteten dreitausend, jetzt legt man siebentausend auf und dann laufend immer zehn­

tausend, bald werden die verbilligten Volksausgaben

kommen, sie werden sich bezahlt machen, denn jetzt ist unsere Zeit, wie eben noch die Zeit anderer Leute war: Konjunktur!"

Im Jubelruf erklingt das echteste Wort des gleichge­schalteten Kulturbetriebes: Konjunktur! Jetzt haben wir Kon­junktur; nicht mehr die Thomas und Heinrich Mann  , sondern wir, die Josef Martin Bauer  , gestern noch talentlos, heute gottbegnadet, liegen auf den besten Plätzen der Vorlege­tischchen und machen sich bezahlt, es ist eine Lust, zu leben. Dem Jubelruf aber folgt das Klagelied:

,, Von der Seite der Führung finden wir Vertrauen, diese eine Seite ist klar..., die andre Seite des Problems fordert von uns ein hartes Dienen in klarer Bejahung, ein Dienen, das in sich selbst die Befrie. digung trägt und heute wirklich nicht fragen kann nach dem baren Entgelt... Daß man uns schon in naher Zeit ausraufen wird oder daß man nun Bücher, die wirklich aus deutscher Seele kommen, so herumzeigen wird bei jeder geselligen Möglichkeit, wie man früher andre Bücher im Herzeigen bewußt empfohlen hat, das dürfen wir uns nie erwarten."

,, Die andere Seite des Problems" sind nämlich die deutschen  Leser, die trots dem Führerplätzchen auf den Vorlege­tischchen nichts von dem neuen Literaturdreck wissen wollen - was jedermann begreift, wenn er nur einige Kostproben aus dem Kauderwelsch des Josef Martin Bauer   zu sich ge­nommen hat.

Der Gauleiter hat die Entscheidung

Wer studieren darf

Der preußische Kultusminister Rust   hat jetzt in Durch­führung des Gesetzes gegen die Ueberfüllung deutscher  Schulen und Hochschulen und des Erlasses des Reichsinnen­ministers für das Land Preußen die Zahl der Abiturienten und Abiturientinnen, denen im Jahre 1934 die Hochschul­reife zuerkannt werden darf, auf 10 734 festgesetzt ( darunter 1048 Abiturientinnen) und die Reglung der Aner kennung der Hochschulreife getroffen.

Nach diesem Erlaß erfolgt die Ausstellung der Hoch schulreifezeugnisse im Rahmen der den einzelnen Provinzen zugewiesenen Zahlen durch den Oberpräsidenten. Nur auf Antrag des Abiturienten hin wird das Hochschul­reifezeugnis erteilt. Die Anträge werden von den Anstalts­leitern im Anschluß an die bestandene Reifeprüfung an den Oberpräsidenten weitergereicht. Jedoch hat der Anstalts­leiter unter eigner Verantwortung in jedem Falle zur Frage der besonderen Hochschulreife Hochschulreife ausführlich ausführlich gutachtlich Stellung zu nehmen.

Der Oberpräsident wird von den Anträgen dem zu. ständigen Gauleiter der NSDAP  . Kenntnis geben mit der Bitte, etwaige Bedenken gegen die poli tische Zuverlässigkeit des Antragsstellers mitzuteilen.

,, Hütet Euch...!"

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Wir Nazis sind eine verschworene Brüderschaft und nicht etwa sanfte Lämmlein geworden. Wir haben diese Welt er­kannt samt ihren Hetmitteln. Wir haben kein Interesse daran, gewissen Greuelzentralen mit Gewalt Nahrung zu

Verboten

laut Kriminalpolizeiblatt 1763/1766 folgende Druckschriften: ,, Bibelkommentare"( Prag  ); Franz Blei   ,,, Formen der Liebe" ( Verlag und Ort nicht angegeben); Blumen-, Frucht- und Dornenstücke"( Berlin   Buchhandlung Buchholz); Tempo"

M. I. Grant.

Im Wilhelmi- Haus zu Koblenz   wurde ein militärhistori­sches Museum eröffnet. Die Nazipresse berichtet darüber: ,, In dem hochinteressanten Museum sind prachtvolle Uni­formen aller Waffengattungen der alten Armee, besonders der Reiterregimenter, Waffen aller Art wie Säbel, Gewehre, Karabiner, Geschützmodelle usw. in ihrer historischen Ent­wicklung zu sehen. Einen Glanzpunkt der Ausstellung bildet die 500 Stück umfassende Ordensschau, wo alle soldatischen Auszeichnungen, angefangen vom ,, Pour le Merite  " bis zum ,, Eisernen Kreuz  " zusammengetragen sind. Eine Bildersamm­lung eindrucksvoller Schlachtendarstellungen, umfassend die Zeit von 1813 bis 1919, vervollständigen die Ausstellung." Fotos von Kriegskrüppeln werden nicht gezeigt.

( Wien  ); Cahiers Juifs"( Herausgeber: Léon Palombo); Kultucbolschewismus marschiert

er

,, Kennzeichen des großen Abfalls"( herausgegeben von der Deutsch  - österreichsiche Mission, Berlin  ); Hitler  , wie wirklich ist! Unbekanntes von Hitler  !"( Bratislava  , Verlag E. Peck); ,, Schweizerische Blätter" ( Rapperswil  ).

Heß   wird porträtiert

Republikanische

Bilde des Führers such

,, Jeder Deutsche muß neben dem Bilde des Führers auch das seines Stellvertreters besitzen! Der bekannte Maler C. Horn in München  , der das große Hitlerbild ge­

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Nachdem früher, so lesen wir in der Kölnischen Zeitung  ". die Einrichtung eines Familienbades in Aachen   an Bedenken der Zentrumspartei   im Stadtparlament gescheitert war, wurde vor kurzem beschlossen, den Hangeweiher zum Familienbad auzubauen, und neuerdings soll auch die Schwimmanstalt in der Elisabethstraße an einem Nachmittag in der Woche für Familienbadeverkehr freigegeben werden.

schaffen hat, das einzige Bild, zu dem der Führer eine Füdischer Chirurg rettet SA  - Führer

es der

Sitzung gewährte, ist auch Schöpfer dieses Bildes von Rudolf Heß  . Es ist ein künstlerisch ganz hochwertiges Bild des sympathischen, klugen und energischen Mannes. In Helio­gravüre mit Röteluntergrund hergestellt, ist schönste Schmuck für jedes deutsche Haus und als Geschenk für die Angehörigen der SA. und SS. und alle deutschen   Männer und Frauen besonders geeignet." Wie in Nazi- Deutschland

Die Wiener Universität   hat drei Arten von Studenten­karten eingeführt: eine für die österreichischen ,, Arier", eine für Ausländer und die dritte, auf gelbem Karton, für Juden.

Karl von Ossietzky  

Der bekannte englische   Publizist Wickham Steed  hat an den Herausgeber der ,, Times" folgenden Brief gerichtet, der in der Nummer vom 23. Januar ver­öffentlicht ist.

In einer Zeit, da das Zögern der deutschen   Regierung, Dimitroff   und die zwei andern Bulgaren  , die von der Mit­schuld an dem Reichstagsbrand freigesprochen sind, freizu­lassen, wie sie so eindrucksvoll zeigten, Besorgnis im Auslande erweckt, kann es hoffnungslos scheinen, die Auf­merksamkeit auf das Los anderer politischer Gefangenen lenken zu wollen. Trotzdem bitte ich, entsprechend dem dringenden Wunsch einer großen Anzahl deutscher   Schrift­steller und anderer Männer des öffentlichen Lebens, die sich heute in der Verbannung befinden, um die Erlaubnis, von dem harten Geschick Carl von Ossietkys zu snrechen, einem sehr bekannten deutschen   Schriftsteller und Journalisten, der seit Monaten in dem Konzentrationslager Sonnenburg   festgehalten wird.

Nach zuverlässigen Zeugenberichten ist Ossietzky heute in gebrochener Mann, der die Qualen, die ihm zugemutet werden, kaum mehr lange wird ertragen können. Körper­liche Miẞhandlungen, Unterera" hrung, ein schwerer mili­tärischer Dienst und wiederholter Dunkelarrest haben seine Gesundheit gebrochen wenn auch nicht seinen Geist.

Der Sohn eines Hamburger Kaufmanns und schon vor dem Kriege überzeugter Anhänger der Friedensbewegung, tat Ossietzky trotzdem seine Pflicht als deutscher   Soldat an der Front, und wurde nach dem Krieg Herausgeber einer liberalen Zeitschrift. Mit einigen anderen organisierte er die ,, Nie- mehr- Krieg"-Bewegung, die eine Zeitlang in Deutsch  land tonangebend war. Er wirkte ferner an der Gründung

Der Leiter des israelitischen   Krankenhauses in Berlin  , Prof. Dr. Rosenstein, erlebte in diesen Tagen eine seltene Ueberraschung. Die Reichskanzlei rief telefonisch an, um mitzuteilen, daß ein SA.- Chef aus der Umgebung Hitlers  im Hospital ankommen werde und sofort durch Rosenstein operiert werden müsse. Der berühmte Chirurg machte darauf aufmerksam, daß es sich um ein jüdisches Krankenhaus handele und erhielt folgende Antwort: ,, Das macht nichts, keine Diskussion bereiten Sie die Instrumente vor." Eine halbe Stunde später geschah die Operation. Das Leben des SA.  - Führers wurde gerettet.

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zweier Blätter mit, die die Weimarer Republik   unterstützten. Aber seinen Ruf als Schriftsteller erwarb er im wesentlichen durch seine außerordentlichen Leistungen erst als Mit­arbeiter, dann als Herausgeber der Wochenschrift Die der Woch Weltbühne".

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Zwei deutsche Institutionen die Sozialdemokratische Partei   und die Reichswehr  - waren die Hauptobjekte seiner Kritik, und beide vergalten ihm das durch besondere Feind­schaft. 1931 machte man ihm wegen einer Bemerkung über die Reichswehr   einen Hochverratsprozeß, und das Reichs­gericht in Leipzig   verurteilte ihn zu 18 Monaten Gefär nis. Er weigerte sich, ins Ausland zu flüchten und ging im Früh­jahr 1932 ins Gefängnis. Eine große Zahl deutscher   Schrift steller begleiteten ihn an das Gefängnistor.

Im Winter 1932/33 erließ die Regierung des Generals von Schleicher eine Amnestie, und obwohl die Sozialdemokrater Ossietzky nicht wohl wollten, bestanden sie doch dars if, daß sie auch ihm zugute kam. In der Tat wurde zu diesem Zweck ein eigener Paragraf in das Amnestiegesetz eingebaut - ein schlagender Beweis für die Schätzung und Hoch­achtung, die Carl von Ossietzky   geoß. Damals hatte er neun Monate im Gefängnis gesessen.

Trotz des Drängens seiner Freunde, das Land zu verlassen, blieb Ossietky auch noch nach der Machtergreifung der Hitler  - Regierung in Deutschland   und wurde am Morgen nach dem Reichstagsbrand festgenommen. Beim Reichstagsprozeß wurden die wildesten Beschuldigungen gegen ihn er!-ben, aber es wurde ihm nicht gestattet, als Zeuge zu erscheinen. Heute steht er, als Folge der Haft, der dauernde mili­tärischen Uebungen und der Unterernährung, an Schwelle des Todes. Wenn es zu viel wäre, auf seine Be freiung zu hoffen, so sollte sein Anspruch auf das Mit gefühl der ganzen zivilisierten Welt, wie ich denke, nicht ungehört verhallen.

der