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Freihei

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands  

Nummer 59-2. Jahrgang Saarbrücken  , Sonntag/ Montag, 11./12. März 1934 Chefredakteur: M. Braun

Wettrüsten wie nic zuvor!

Wenn die Abrüstungskonferenz erfolglos ist...

London  , 10. März 1934.

Die Warnung Baldwins im Unterhaus, daß England bei einem Fehlschlag der Abrüstungsbemühungen aufrüsten müsse, wurde in drei Ministerreden am Freitagabend wieder­holt und unterstrichen.

Schatzkanzler Chamberlain   erklärte bei einem konser: vativen Festessen in Birmingham  : Wenn die Abrüstungs­fonferenz mit einem völligen Zusammenbruch endige und die europäischen   Staaten wieder ein Rüstungswettrennen einleiten sollten, dann werde England für seine Verteidigung die Ausgabe viel größerer Summen als bis: her ins Auge failen müssen. Es sei allerdings viel zu früh, die Unmöglichkeit einer Vereinbarung anzunehmen. Chamberlain dementierte die Behauptungen, daß die eng lische Regierung ein großes Wehrgesez plane, das viele Millionen Pfund kosten würde und im Herbst dieses Jahres eingeführt werden sollte, bais

Sehr deutlich sprach auch der englische   Innenminister Sir John Gilmour   in Cardiff  . Möglicherweise, so sagt er, fönne der englische   Plan nicht voll durchgeführt werden. Die englische   Regierung werde aber ihr Hauptaugenmerk anf den Ausgleich der Luftrüstungen richten. Wir beschäf: tigen uns zur Zeit mit diesem Problem. Wenn wir auf die

Dauer herausfinden, daß unsere Nachbarn auf dem Festlande uns in dieser Angelegenheit nicht entgegenkommen wollen, dann werden wir mit großem Bedauern Schritte zum Schuge unseres Boltes unternehmen müssen."

Der Erste Kommissar für öffentliche Arbeiten, Minister Ormsby Gore, sagte, daß England sich um den Abschluß eines begrenzten Abkommens, und zwar um ein Luftab: kommen, bemühen werde, wenn die Staaten eine allgemeine Abrüstungsvereinbarung nicht wünschten. Sollte England eine bedeutende Begrenzung der internationalen Luftrüstun: gen nicht erreichen, dann könnte die gegenwärtige zweitflaffige Stellung Englands nicht länger zugelassen werden. Für ieden Flieger und für jedes Flugzeug, die irgendeiner der Nachbarn Englands in Europa   ausbildet bzw. baut, würden wir ebenfalls eine Flieger ausbilden und ein Flugzeug bauen."

Frankreichs   Sicherheitssorgen Um die Luftrüstung

Paris  , 10. März. Vor dem Kammerausschuß für Luft­fahrtsfragen äußerte sich Luftfahrtminister General Denain über den Stand des Heeresflugmaterials und gab die vor­gesehenen Maßnahmen zur Verbesserung dieses Materials bekannt. Der Ausschuß beschloß, den Luftfahrtminister auf­zufordern,

1. energisch die Modernisierung des zivilen und militärischen Flugmaterials in Angriff zu nehmen;

2. die Reorganisation des Luftfahrtministeriums und die Zusammenarbeit zwischen der HeeresIuftfahrt und der zivilen Luftfahrt durchzuführen;

3. keine endgültigen Verpflichtungen hinsichtlich der Fragen zu treffen, die die zivile Luftfahrt angehen.( Handels- oder Touristen- Flugwesen, neu zu eröffnende Verkehrslinien in Nordafrika  , Betrieb der Strecke Afrika  - Südamerika  ), ohne vorher diese Fragen dem Ausschuß unterbreitet zu haben. Die Regierung hat einen Gefeßentwurf eingebracht, der die Bereitstellung von 2980 Millionen Franken für Rüstungs­zwecke im Rechnungsjahr 1934/35 vorsieht. Politische Brandstiftung Zwischen Japan   und Rußland

Mostan, 10. März. Die Telegrafenagentur der Sowjet­ union   verbreitet eine Meldung aus Chabarowsk  , dort seien Nachrichten aus Charbin   eingetroffen, wonach angeblich eine japanische   Abteilung unter dem Vorwand des Kampfes mit dem Banditenunwesen" Wohn- und Bürogebäude der Wald­fonzession der Ostchinabahn in Brand gesetzt habe. Trozz aller Maßnahmen sei es nicht gelungen, die Konzession vor der Feuersbrunst zu retten. Eine Reihe Gebäude und große Bestände bearbeiteter Hölzer seien verbrannt. Nach vorläu­figen Schäßungen betrage der Schaden Zehntausende von Goldrubel.

Die amerikanische   Flugzeugfabrik Wright hat von Rußland   Bestellungen auf Flugzeugmotoren im Werte von 2,4 Millionen Dollar erhalten. Für 200 000 Dollar Motoren sind bereits geliefert worden.

Todesstoß gegen Englands Denkschrift

Das verzweifelte Suchen nach Rettung für die sterbende Abrüstungskonferenz

London  , 10. März. Der Brief des französischen   Außen­ministers Barthou   vom 10. Februar an den Vorsitzenden der Abrüstunskonferen, Henderson( wir verweisen auch auf den Aufsaz Hendersons Dokumente"), wird von der englischen Presse als Hauptpunkt der gestrigen Völker­bundsveröffentlichungen in längeren Auszügen wieder gegeben. Dieses Schreiben, so sagt der diplomatische Mit­arbeiter des Daily Herald", ist der offizielle und kategorische Todesstoß für die Simon- Denkschrift. Daily Mail" meint, das Schriftstück zeige mit schmerzlicher Rlarheit, daß eine Einigung zwischen den Mächten unwahrscheinlich sei. Be­deutung mißt das Blatt auch der Anregung Simons in sei­nem Brief an Henderson bei, daß möglicherweise ein 3wi­schenstadium" zwischen die bisherigen Verhandlungen und eine Rückkehr nach Genf   eingeschaltet werden soll. Im Zu­sammenhang hiermit werde in Genfer   Meldungen wiederum die Möglichkeit einer begrenzten Mächtekonferenz außerhalb Genfs als Konferenzorte werden Lausanne   oder Stockholm  genannt aufgeworfen, zu der die vier betroffenen Haupt­

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mächte einschließlich Deutschland  , ferner Amerika  , Rußland  und Japan  , die Kleine Entente  , Polen   und Spanien   einge­laden werden sollen. Das Blatt beurteilt jedoch die Aus­sichten für die Abhaltung einer solchen Konferenz äußerst schlecht. Der Genfer   Berichterstatter des" Daily Telegraph  " mie auch New Chronicle" heben hervor, daß der Konferenz­gedanke weitgehend von dem Erfolg oder Mißerfolg der Rundreise Edens abhängig gemacht worden sei und daber zur Zeit nicht mehr aktuell sei. In Genf   werde die Einbe­rufung einer solchen Konferenz für unwahrscheinlich gehal­ten, da sie mit ziemlicher Sicherheit ihren 3wed verfehlen würde. Als nächster Schritt werde daher die Einberufung des Abrüstungsbüros erwartet. Nur der diplomatische Mitarbei ter der Daily Herald" meint, daß gerade der Fehlschlag der

bisherigen Abrüstungsbesprechungen die Einberufung einer Neun- oder 13- Mächte- Konferenz in Stockholm   wahrschein­lich mache. Aus den Völkerbundsveröffentlichungen gehe klar hervor, daß die Besprechungen fehlgeschlagen seien und ein anderer Weg gefunden werden müsse.

Gleichzeitig wird von wenigen Blättern auch die Möglich­feit einer besonderen Konferenz über die Luftstreitkräfte er­wähnt. Sir Vernon Bartlett vertritt im News Chronicle" die Ansicht, in der Whitehall   bestehe eine Anregung, daß die Frage der Luftstreitkräfte gesondert von den anderen Rüstun­gen besprochen werden könnte. Der politische Mitarbeiter der " Daily Mail" meint, daß England die Einberufung einer Weltkonferenz erwäge, falls die Abrüstungskonferenz end­gültig zusammenbrechen sollte. Ferner trage sich die englische Regierung mit dem Gedanken einer Konferenz der Domi­ntumsvertreter, um die Verteidigung des englischen Welt­reiches zu erörtern.

London   erobert

Labour- Mehrheit im Londoner   Rathaus

London  , 10. März. Bei den Kommunalwahlen hat die Arbeiterpartei einen noch viel größeren Sieg errungen, als zunächst zu übersehen war. Das endgültige Ergebnis lautet: Konservative 55( 88), Arbeiterpartei 69( 35), Liberale 0( 6) Size.

Damit hat die Arbeiterpartei zum ersten Male die Mehr­heit errungen. Das Ergebnis dürfte auf die innerpolitische Entwicklung ganz Englands von Einfluß sein. Die Regie­rung Macdonalds sieht ihre Autorität dahinschwinden.

Der hitlerfreundliche Presselord Beaverbrook hat höchst persönlich in den Kampf eingegriffen, um die Schlacht zu

Aus dem Inhalt

Heldentum der Illegalen e

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Schacht gegen De. Ley

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Olympiade 1936

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der Vierzigjährigen

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Reichstag

Gestern und heute

Herr Hitler   läßt durch seinen Verlag Franz Eher   sonder. bare Dinge in die Welt setzen. Er behauptet nämlich, sein Buch Mein Kampf  " sei ein pazifistisches Buch. ???

Wir haben es auch nicht geglaubt, aber Hitler  , durch Franz Ehers Mund beweist es uns. Sofern wir die ehernen Worte des Führers als Beweis betrachten dürfen. Nämlich, höchst ärgerlich über die Uebersetzung des politischen Standard­werkes aller Deutschen   ins Französische, hat der Verlag nicht nur beim Pariser   Kadi geklagt, sondern zwingt auch per Auflage die deutsche Presse, in ihren mehr oder weniger unschuldigen Spalten folgendes zu drucken:

,, In Wahrheit handelt es sich bei den Stellen des Buches, denen die Worte und Satzteile entnommen sind, um eine Auseinandersetzung mit inner politischen Gegnern, die dem Führer mangelndes Interesse an der Wiedergewinnung verlorener Gebiete vorwarfen. Der Autor weist demgegenüber darauf hin, daß die Frage zu ernst sei, um durch leichtfertige Agitation gelöst zu werden, und lehnt Gewaltanwendung für dieses Ziel ab. Die theoretische Möglichkeit eines gewaltsamen Konflikts wird im Buche nur im Zusammenhang mit der damals akuten Frage der Rheinlandbesetzung erörtert."

Da kommt davon, daß die Franzosen kein Deutsch können! Da schreibt nun der Führer extra ein Friedensbuch, lehnt jede Gewaltanwendung ab, ganz theoretisch, versteht sich und der unwissende Uebersetzer mißversteht die herrlichsten, friedlichsten Stellen. Zum Beispiel folgende:

,, Unterdrückte Länder werden nicht durch flammende Proteste in den Schoß eines gemeinsamen Reiches zurückgeführt, sondern durch ein schlagkräftiges Schwert."( S. 689).

Oder: Dieses an sich immer mehr der Vernegerung anheim fallende Volk bedeutet in seiner Bindung an die Ziele der jüdischen Weltbeherrschung eine lauernde Gefahr für den Bestand der weißen Rasse Europas  ... Was Frankreich  , angespornt durch eigene Rachsucht, planmäßig geführt durch den Juden, heute in Europa  betreibt, ist ein Sünde wider den Bestand der weißen Menschheit und wird auf dieses Volk dereinst alle Rachegeister eines Geschlechts hetzen, das in der Rassenschande die Erbsünde der Menschheit erkannt hat."( S. 705).

Oder: Erst wenn dies in Deutschland   vollständig begriffen sein wird, so daß man den Lebenswillen der Nation nicht mehr in bloß passiver Abwehr verkümmern läßt, sondern zu einer endgültigen aktiven Auseinander­setzung mit Frankreich   zusammenrafft und in einen legten Entscheidungskampf mit deutscherseits größten Schlußzielen hineinwirft: erst dann wird man imstande sein, das ewige und an sich so unfruchtbare Ringen zwischen uns und Frankreich   zum Abschluß zu bringen; allerdings unter der Voraussetzung, daß Deutschland  in der Vernichtung Frankreichs   wirklich nur ein Mittel sieht, um danach unserem Volke endlich an anderer Stelle die mögliche Ausdehnung geben zu können." ( S. 766/7).

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Denn: Im ewigen Kampf ist die Menschheit groß geworden im ewigen Frieden geht sie zugrunde." Wenn das noch nicht friedlich genug ist, den sollte man zur Strafe das Buch des Führers ins Deutsche übersetzen las­sen. Denn wir sind ja selbst ein bißchen in Verlegenheit, aber es hilft nichts, die Welt muß es endlich erfahren, damit die ewigen blöden Mißverständnisse aufhören: nichts an dem klassischen Buch des Führers ist kriegerisch oder blutdürstig; erst das schlechte Deutsch macht es dazu.

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Und der Reichskanzler Hitler  , der beim französischen   Kadi geklagt hat, ist nunmehr wirklich auf dem richtigen Wege. Er sollte auch bei einem deutschen   Gericht eine einstweilige Verfügung erwirken, die es dem Verfasser von ,, Mein Kampf  " verbietet, die friedlichen Absichten des Reichskanzlers noch weiterhin durch seine minderwertigen literarischen Leistungen zu gefährden. Argus.

gunsten der Konservativen zu entscheiden. Er schimpfte im Stile des Göbbels  . Das Auftreten des Presselords, der sich am Tage vor der Wahl dazu hinreißen ließ, die Arbeiter führer Strolche zu nennen, hat der bisherigen Majoritäts­partei, die über Groß- London   mehr als zwanzig Jahre hin durch ununterbrochen geherrscht hat, wohl eher geschadet. Das Triumphgefühl der Arbeiterpartei nach ihrem erstaunlichen Siege ist natürlich sehr groß. Durch ihn wird die Persönlich= feit des Organisators des Kampfes auf der Labourseite, Her­ bert Morrison  , start in den Vordergrund gerückt. Morri­son ist 46 Jahre alt und war im lezten Labourkabinett Ver­fehrsminister gewesen. Er ist kein sehr eindrucksvoller Redner, doch gilt er unter den jüngeren Labourführern als einer der Begabtesten