Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freifieit" Ereignisse und Geschichten

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Samstag, den 21. April 1934

Der Einheitsfestanzug

,, Ohne Festanzug kein Germane" mi

Von Max Baldauf

Außer dem allgemeinen Kotz kann jeder im dritten. Reich", je nach Temperament und Neigung, sein besonderes Leiden haben. Laßt euch das meines Kollegen Wuglich erzählen. Er ist in unserem Betrieb zweifellos der Unpoli­

tischste, hat sich in der Demokratie nie um Parteien und Bewegungen gekümmert und wollte lediglich möglichst ge­räuschlos regiert sein. Also ein ruhiger Beamter, wie wir sagen. Gerade dem wird der blöde ,, Einheitsfestanzug" zum Verhängnis. Jawohl, derselbe Festanzug, den Ley verordnet hat, damit die Arbeiter noch eine Uniform zu bezahlen und die Schneidermeister was zu tun haben.

Wutlich steht an der Werkbank neben mir. Klein, hager, schlecht genährt. Zwei Kinder, die Frau oft krank. Da­zwischen Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit. Seine Frau braucht ein Kleid, sein Aeltester ein Paar Hosen. Aber das allein ist's nicht, was den Spund raus haut, wie Wutzlich sagt, er hat einen Traum: Knickerbocker... Seit zehn Jahren läuft er in der gleichen Sonntagskluft rum. Er könnte drin konfir­miert sein, so sieht sie aus. Sonntags wandert er mit der Familie gern ins Freie. Da sieht er andere mit Kniehosen. Mann, Du hast doch ordentliche Waden," meint seine Frau, ,, hol Dir doch mal einen Anzug mit Knickerbocker!" Seitdem ist das sein Traum. Fünfzehn Mark hatte er schon dazu gespart. Jetzt soll er das für Ley stiften, damit das Ding blau, zweireihiges Jackett im Schranke hängt und mal rausgezerrt wird, wenn die braune Bonzerie zum Antreten kommandiert.

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Seit zwei Monaten meckert Wutlich neben mir jedes Wort ein paar Monate K- Z. Vor einem Jahr hat er mit seinem Nachbar vorsichtshalber das Naziblatt abonniert. Seine Frau läuft in nationale Frauenabende, sein Aeltester sollte demnächst in die Hitler- Jugend  , Wutlich geht jede. Woche in ,, Kraft und Freude  ". Man rennt, was man kann, um seine Ruhe zu haben aber bei der blauen Zwangs­jacke, da hakte es aus. Futsch ist die Sonntagskluft mit Knickerbocker. Er steht abends in der Kammer vorm Schrank­spiegel, mustert seine anständigen Waden, sieht die schönen Kniehosen in Schaufenstern und möchte dem Sedlatschek ein paar kleben.

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Der Sedlatschek ist unser nationalsozialistischer Betriebs­obmann, seit zwei Jahren Nazi und deswegen eifriger als die alten, die schon zu rosten anfangen. Nach dem Märzrummel lief unser Direktor brauner an als Hitler selber und machte den Sedlatschek zum Vorarbeiter. Seitdem plagt der vor Ehrgeiz und hat sich auch einen persönlichen Traum zu­gelegt: er, an der Spite des Betriebs, alles in blau- und der NSBO.- Vorstand sagt: ,, Da, seht euch den Sedlatschek an! Der hat seinen Betrieb in Schwung!" Jede Woche kassiert er pro Mann zwei Mark für Leys Zwangsjacke. So in Massen­bestellung würde es vier Mark billiger. Er hat schon bei einigen Schneidermeistern akkordiert. Einer ist sein Schwa­ger. Und wieviel Prozent kriegt er von den anderen?

bar noch eine Ader geplatzt. Er bedichtet die neue Uniform von hinten und von vorne. Einige dieser Ergüsse erschienen im Naziblatt. Nichts bleibt diesen Lesern erspart und uns auch nicht: wer Samstags seine zwei Mark nicht abgeliefert hat, kriegt eine Mahnung in die Hand gedrückt, mit einem

Verschen drauf. Etwa von der Art: Kummer breitet sich nicht aus, hast Du den Festanzug im Haus...

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Am schwierigsten hat ers mit Wutlich. Das gibt immer ein Gefluche. Sedlatschek drückt ihm eine Mahnung in die Hand, geht rasch an der Werkbank weiter und Wutlich liest: ..Die Welt ist Lug, die Welt ist Trug fest bleibt der Einheitsfestanzug!" Wutlich wird grün, schmeißt den Wisch unter die Werkbank und scharrt mit den Tretern drauf rum. Der März ist vorbei, Wutlich hat erst zwölf Mark an­gezahlt, der Braune trifft ihn allein im Lagerraum, drückt ihm einen Zettel in die Hand: ,, Was nützt der arische Ahne, ohne Festanzug kein Germane!" Macht mal was gegen so'n dichterisches Talent! Wutlich packt den Wisch, funkelt den Obmann von unten her an und fragt listig: ,, Willst Du mir einen Gefallen tun? Ja?" Und nun kommen Götz von Berli­ chingen  , Brehms Tierleben  , Drohungen und Verwünschungen, daß man den Krawall im Büro hören konnte. ,, Ich sch... auf eure Uniform! Hast Du Deine Prozente schon? Spitz­buben elende " Der Sedlatschek wird fahl, schaut

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sich um, niemand in der Nähe, er geht. Soll er den Mann ins Konzentrationslager sperren lassen? Wenn's ein Marxist wäre, ein vaterlandsloser Geselle, ein Politischer, einer von der Kommune, schön aber so'n unbeschriebenes Blatt! Die hat der Obmann zu gewinnen, fordert die NSBO. Er setzt sich zu Hause hin und dichtet, und am nächsten Tag hat der Wutzlich einen Zettel auf der Werkbank: ,, Kleider machen Leute bedenk das und zahl heute." Denn Sedlat­scheks Traum ist nun mal die blaue Betriebsmannschaft. Am ersten Mai soll sie am Nasenring vorgeführt werden.

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Wutlich kennt den ersten Mai von früher her ein bißchen. Da ging er auch manchmal mit, ohne daß er recht wollte. Aber da kam jeder, wie er war, manche trugen Bluse und Arbeitstracht. Da gings nur um große Dinge: Völkerfrieden, Freiheit, Kampf für den Sozialismus Hose wie Jacke waren gleichgültig. Wenn er jetzt vom ersten Mai hört, dann gehts in Poesie und Prosa um den ,, Einheitsfestanzug", nichts vom Weltfrieden, nichts von Völkersolidarität, nichts vom Kampfe gegen den Kapitalismus. Die Nazis haben einen Tag für die Textilindustriellen draus gemacht...

Seit Wochen spüre ich, daß Wutlich das Saufen anfängt. Er sieht verschwiemelt aus, riecht nach Fusel, räsoniert manchmal wie betrunken über die Werkbank hin: Ich kote auf die Zwangsjacke... Sonntagskluft brauchen wir, keine Massenuniform... In die Wurst hacke ich den Kaffer... Ich merke, wie sich neben mir eine Katastrophe entwickelt. Während des Krieges soll er schon mal so'ne

Periode durchgemacht haben jest bringt ihn das dritte

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Reich" zum Saufen. Und diesmal ist die Sache gefährlich. Damals durfte er schimpfen jetzt gleicht er einem Nacht­wandler, der ab und zu polternd, drohend, schimpfend am Abgrund entlang tobt. Eines Tags wird er drin liegen...

Aber Sedlatschek will nicht nur ein organisatorisches Genie sein nein, er dichtet auch. Seine erste Frau soll dran ge­storben sein. Aber durch die blaue Jacke ist bei ihm offen- ,, Jawohl, aber nicht ohne Festanzug," beharrt der Sedlatschek.

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Die Idealkonkurrenz

Frauen zwischen Gewehr und Kochlöffel

Vor einigen Monaten hielt der deutsche   Propaganda­minister Dr. Göbbels   eine große Frauenrede. Sie gipfelte in dem Appell an die Frauenwelt, mit dem Manne in ,, Ideal konkurrenz" zu treten.

Dieser Appell ist von den deutschen Frauen mit Be­geisterung aufgenommen worden. Sie ließen sich yom Taumel des erwachten" Deutschland   willig mitreißen. Vom Taten­drang besessen, zogen diese nordischen Frauen" durch die Lande und kündeten mit bewegtem Herzen die großen Taten" der großen Frauen der Vergangenheit". Jene Frauen, die an ,, unsichtbaren Fäden die große Politik regu­lierten" und die ebenso wie der Mann mit dem Schwert umzugehen" wußten. Sie bedauerten es unendlich ,,, daß es keine Heerführerinnen mehr gibt". Sie wären bereit ge­wesen, sich mit ihrem Amazonenheer Harrn Göbbels vor die Füße zu werfen und appellierten an die Regierung, daß sie sich endlich wieder zu dem wehrhaften Weib der Ver­gangenheit" bekehre. Mit seherischem Weitblick und in prophetischer Ekstase schwärmten sie: ,, Es wird aus unserem nordischen Blut eine Zeit kommen, in der es keine Berufs­verbote mehr für eine deutsche   Frau gibt. Lediglich der soldatische Beruf wird heute dem Manne allein vorbehalten. Und doch werden wir endlich auch das weibliche Geschlecht wieder wehrhaft erziehen, wie es heute schon unsere erb­tüchtigen Mädel ersehnen..."

Friedrich Kayẞler  

Der Präsident der Genossenschaft der Deutschen   Bühnen­angehörigen hat Friedrich Kayßler   in Würdigung

seiner Verdienste um die deutsche   Theaterkunst anläßlich seines 60. Geburtstages zum Ehrenmitglied der Bühnen­genossenschaft ernannt.

In den Ruhestand

Emeritierungen: Der Ordinarius für pathologische Ana­tomie und animalische Nahrungsmittelkunde in der veteri­när- medizinischen Fakultät der Universität Gießen Dr. med. vet. et phil. A. Olt ist auf sein Ansuchen in den Ruhe­stand versetzt worden.- Der Polarforscher und Ordinarius für Geografie an der Universität München   Prof. Dr. E. v. Davgalski ist auf sein Ansuchen von der Ver­

Rauschgifte

Von Georg Wilman

Ein

In Berg in der Pfalz   wurden der nationalsozialistische Bürgermeister und vier andere Personen wegen Kokain­schmuggels verhaftet; alle fünf gehörten einer inter­nationalen Rauschgift- Schmugglerbande an.

Das Giftgeschäft wächst und blüht und gedeiht In deutschen Vaterlanden.

Es ist fürwahr eine herrliche Zeit Für Rauschgift- Schmugglerbanden.

Teils handeln die Herren mit Skopolamin  , ( Für Leipzig   beispielsweise) Teils gehn Bürgermeister mit Kokain Geschäftlich auf die Reise.

Da hat man doch jüngst in der fröhlichen Pfalz  Einige Herren ergriffen,

Die war'n statt wie üblich im Hopfen- und Malz­Im Rauschgifthandel begriffen.

Das soll uns nur recht sein, denn das Kokain Ist doch nur für feine Leute.

Dagegen sollt man auch vom Leder ziehn Gegen die andere Meute;

Herr Göbbels   zum Beispiel, der Propagandist, Vergiftet täglich und stündlich

Das bißchen, was noch zu vergiften ist, Schriftlich sowohl als auch mündlich.

Auch die deutsche Presse( was sich so nennt) Streut Gifte durch alle Spalten. Ueberhaupt läßt im giftigen Element Sich's am besten schalten und walten.

Und was Herrn Banse in Braunschweig   betrifft, Den braunen Aufrüstungslehrer, Der hat eine ganze Sammlung von Gift, Die machen das Leben uns schwerer.

Man sollte nicht gar zu zimperlich sein Und entlasse den Berger Meister;

Er ist im Grunde kein größeres Schwein Als die andern, und dann beweist er,

Daß Deutschland  , trotzdem's aus dem Völkerbund  Protestierend hinausgetreten,

Noch immer lustig, fidel und gesund In Weltverbänden vertreten.

Denn ist's auch nicht grade das Genfer   Haus, So ist es der Rauschgift- Weltbund. Schließlich kommt das ja auf's selbe raus! Die Hauptsache: es ist ein Geldbund!

Briefwechsel

Ganz ohne Kommentar

Personen:

Professor Gumbel  , einer der hervorragendsten deut­schen Mathematiker, Professor an der Universität Heidel­ berg  , vom ,, dritten Reich" sofort entlassen, jetzt an der Lyoner Universität.

Professor Bieberbach, Ordinarius der Mathematik an der Universität Berlin und ein früher sehr angesehener Gelehrter. Gegen die Absetzung von 200 Professoren der Universität Berlin( darunter seine Fachkollegen Einstein, Schrödinger  , Haber) hat er keinen Widerspruch erhoben. Er arbeitet zur Zeit über ,, Mathematik und Rasse". I.

Herrn

Auch Herrn Göbbels kamen diese ,, Sehnsüchte erbtüchtiger Mädels" zu Ohren. Und in seinem Unterbewußtsein erhob Université de Lyon, 8. 4. 34 sich jenes wehe, wenn sie losgelassen" zu schauerlicher Größe. Er schritt sofort zur Tat: schon am nächsten Tage ließen die braunen Zeitungen einen empörten Protest los gegen den ,, emanzipierten Blödsinn".

Die Frage Schwert oder Kochlöffel"? beantwortete er kategorisch mit Kochlöffel" und verwies die ,, nordischen Frauen" in ihre Schranken ,,, um das deutsche   Volk vor Fantastereien zu schügen, die uns außenpolitisch schaden können..."

Wes das Herz voll ist, des fließt der Mund über. Neu­deutsch: Wenn ganz Deutschland   widerhallt von dem Rufe ,, Volk ans Gewehr", wer wollte es da der deutschen Frau verübeln, wenn sie nicht zurückstehen will hinter männ­lichem Tatendrang und nun ihrerseits nach dem Schwert ruft?

Herr Göbbels selber war es doch, der die ,, Idealkonkur­renz" proklamierte; nun die völkischen Frauen" sie ver­wirklichen wollen, droht er mit den ,, außenpolitischen" Folgen.

,, Es ist ein eigen Ding um die Logik des deutschen Propagandaministeriums" resumierten die ,, völkischen Frauen". Und rauschten tief gekränkt in ihre Gemächer zurück. L. K.

pflichtung zur Abhaltung von Vorlesungen befreit worden. Der erste Vorsitzende der Deutschen Philosophischen Gesell­schaft Prof. F. Krüger  ( Leipzig  ) hat sein Amt nieder­gelegt. Den Vorsitz hat bis auf weiteres der Tübinger   Philo. soph Prof. M. Wundt, ein Sohn Wilhelm Wundts, über­

nommen.

Klimsch   und Meid

Auf Vorschlag des preußischen Unterrichtsministers hat der preußische Ministerpräsident den Professor Frig Klimsch von den vereinigten Staatsschulen für freie und

angewandte Kunst in Berlin   Charlottenburg   zum Vorsteher eines Meisterateliers für Bildhauerei und den Professor

derselben Schule Hans Meid  

zum Vorsteher eines Meisterateliers für Grafik bei der preußischen Akademie der Künste ernannt,

Prof. Dr. H......

Aus Ihrer Zusendung ersehe ich, daß ich noch Mitglied der Deutschen   Mathematiker- Vereinigung bin. Da diese, Wissenschaft keinen Widerstand entgegengesetzt hat, beeile entgegen ihren Statuten, der Zerstörung der deutschen ich mich, diese Mitgliedschaft aufzugeben und bedaure nur, daß ich dies aus Unkenntnis nicht bereits früher getan habe. E. J. Gumbel.

II.

Die deutsche   Wissenschaft" reagierte prompt per Post­karte. Berlin  , 14. 4. 34

,, Zur Antwort auf das gefällige Schreiben an Herrn H...... GOETZ VON BERLICHINGEN  .

Was verstehen Sie von deutscher   Wissenschaft? ( gez.) Bieberbach.

III.

Université de Lyon, 16. 4. 34 Herrn

Prof. Dr. Bieberbach

Universität Berlin Ich bestätige den Empfang Ihres ungefälligen Schreibens und bedaure, im Interesse des Ansehens der Wisse.-chaft nicht im gleichen, neudeutschen Sauherdenton antwor. zu können. ( gez.) E. J. Gumbel  .

Das Bibliothekswesen in der Sowjetunion  

Die letzte Sitzung des Zentralexekutivkomitees der Sowjet­ union   befaßte sich mit der Untersuchung des Bibliothek­wesens. Seit der Revolution ist der Bücherbestand der öffentlichen Büchereien von 9 Millionen Bänden vor der Revolution auf 124 Millionen Bände 1932 gestiegen. Für Kollektivwirtschaften, Betriebe und als Wanderbibliotheken für das flache Land gab es 1932 111 000 Einheiten, deren

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Leserzahl ununterbrochen wächst. Allein 1932 zählte en 15 Millionen Arbeiterleser. Für die weitere Entwicklung des Bibliothek wesens wurden zahlreiche Beschlüsse gefaßt, die in erster Linie die Heranbildung von qualifizierten Biblio­

thekaren sichern sollen.