Deutsche   Stimmen Beilage zur

Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Geschichten

Sonntag- Montag, den 29. und 30. April 1934

Krieg gegen Karikaturendad

Der tschechische Künstlerverein Mánes", die repräsenta­tivste Kunstvereinigung der Tschechoslowakei  , veranstaltet gegenwärtig in Prag   eine Internationale Karikaturen ausstellung. Tschechische, französische, englische, amerika­nische und belgische Künstler sowie etliche deutsche   Emigran­ten haben ihre Arbeiten ausgestellt. Das Hauptgebiet der Karikaturen ist selbstverständlich die Politik. Die Karikatur macht vor niemandem Halt, auch nicht vor dem Staatspräsi­denten der tschechoslowakischen Republik, vor Masaryk  , der ebenso wie Edvard Benesch, das Schicksal, karikiert zu wer den, mit humorvoller Fassung zu tragen versteht.

Weniger Fassung bringen die Diktatoren Europas   auf. Als erster meldete sich der deutsche   Gesandte, der ehemalige Demokrat Koch  , in offizieller Note gegen die Ausstellung.

Namentlich eine Fotomontage von John Heartfield  hatte es ihm angetan: eine Röntgenaufnahme des Führers. Man sieht schöne runde Goldstücke in den Magen des Füh­rers gleiten, aber aus seinem Munde kommt Blech, ordinäres, gewöhnliches Blech. Diese Fotomontage und besonders die Unterschrift: Frißt Gold, redet Blech, erregte den Unwillen des Gesandten. Das Außenministerium wandte sich an den Künsterverein und bat um Entfernung des Bildes; aber der Verein gab nicht nach. So griff die Polizei ein, eine Unter­suchungskommission begab sich in die Ausstellung und be­gutachtete die Karikaturen. Das Kompromiß, eine Karikatur Görings aus dem Schaufenster der Ausstellung zu entfernen, gefiel dem Gesandten nicht und so verfügte denn die Polizei die Entfernung des Hitlerporträts von John Heartfield   und etlicher anderer Bilder, darunter besonders des Hindenburg­porträts von Schukajew, Paris  .

Das Einschreiten des Gesandten Koch und der tagelange Zweifel, ob Hitler weggehängt werde, machte der Ausstellung

eine Riesenreklame. Sie wies und weist einen Rekordbesuch auf, denn auch das, was geblieben ist, reicht noch immer aus, um den Antifaschisten Vergnügen und befreiendes Lachen zu bereiten.

Kaum hatte der Gesandte Koch für John Heartfields Ruhm sich so erfolgreich eingesetzt, meldete sich der österrei chische Gesandte. Marek. Auch er war gekränkt und bean­

dolen

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Jüdische Schulkinder

Die geringsten Bedenken"

Der Ausschluß jüdischer Kinder von den höheren Schulen wird nach dem neuen Erlasse des preußischen Unterrichts­ministers vom 7. April bald in vollem Umfang vollzogen sein. Der vorjährige Erlaß gegen die Ueberfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" wird darin eingeschärft, auch für

private Anstalten. Bei Vorhandensein nichtarischer Kin­der verschiedener Art sind die mit arischem Blut­einschlag zu bevorzugen, ebenso die länger ansässigen vor den später zugewanderten Familien. Soweit arische Kinder einzuschulen sind, müssen sie bevorzugt werden, auch wenn dadurch der Anteil der Nichtarier unter den zu­gebillligten Satz von 1,5 Prozent sinkt. Dieser Prozentsat, der nach dem Staatsdurchschnitt des jüdischen Bevölkerungs­anteils festgesetzt ist, gilt auch von den Orten, wo dieser Anteil höher ist( z. B. in Berlin   5 Prozent). Schließlich wird den besonderen höheren und mittleren Lehranstalten für jüdische Schüler, auch privaten, die Aufnahme von Schülern in diesem Jahre völlig verboten.

Diese lette Anordnung zeigt ebenso wie die willkürliche Prozentberechnung usw., daß es den herrschenden Anti­semiten gar nicht auf eine verhältnismäßige Verteilung der Schüler nach Rassen" ankommt, sondern auf die böswillige Ausschließung der Juden von der höheren Bildung über­haupt. Zum ausdrücklichen Bekenntnis zu diesem, Greuel" sind sie noch zu feige, und erreichen deshalb durch allerhand Verklauselierungen denselben Zweck. So werden unfähige und verbummelte Nazisprößlinge vor der jüdischen Konkur­renz bewahrt. Wie das auf die Leistungen wirkt, macht den Rust  - Trabanten keine Sorge.

standete die Kunstgattung der Karikatur. Da für die Tsche­chen das altösterreichische Wappen, der Doppeladler, so un­gefähr das Hoheitssymbol ist, das sie am meisten verachten, beschwerte sich Marek über die Verächtlich machung des Doppeladlers, die ebenfalls Heartfield   begangen hat. Weit mehr erregte ihn noch eine Zeichnung des tschechischen Künstlers Frantisek Bidlo  : ,, Charitas". Man sieht den Galgen und den Henker. Ein schwerverwundeter Delinquent wird, sorgfältig verbunden, von Arzt und Krankenschwester be­treut, zur Justifizierung emporgehoben. Kein Wort, kein Strich sagt, daß dieses Bild ein österreichisches Ereignis ab­bildet; aber der Gesandte hat sich dennoch getroffen gefühlt und des Bildes wegen protestiert.

Der Gesandte Marek hat sich nun nicht allein damit be­

Letzter erster mai in Braun Das ist der letzte erste Mai, wie viele ahnen, - befohlen Da zitternd Volk Und unter brüderblutbedeckten Fahnen Die Lüge wird zur Weisheit aufgebauscht.

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Mördern lauscht

Das ist der letzte erste Mai, wie alle spüren, Denn dieser Tag, den man so schmachvoll stahl, Fügt neuen Schwur zu den gebrochnen Schwüren Und neuen Trug zu all der alten Qual.

Das ist der letzte erste Mai, der alle peinigt. Bald lacht-wenn erst die Tyrannei gefällt Der erste Mai, der alle Völker einigt, Der Freiheit Mai, der Mai der ganzen Welt Charlie Kaschno.

gnügt, politisch zu protestieren, er hat gleichzeitig erklärt, Otto Wallburg  , der Tragöde

daß die von ihm gerügten Kunstwerke ohne jeden künst­lerischen Wert seien. Was über die Kompetenzen eines Ge­sandten immerhin hinausgeht. Wenigstens findet das der Künstlerverein ,, Mánes", dessen sachliche und strenge Jury ihren guten Ruf hat, und was schließlich ein Gesandter kann, nämlich beim Außenministerium protestieren, das kann ein Künstlerverein auch. So hat denn der Verein Mánes" gegen den Kunstkritiker und Gesandten Marek beim Außenministe­rium protestiert und um die Zurückweisung der ästhetischen Meinungen des österreichischen Gesandten gebeten. Inzwi­schen steigt der Besuch der Ausstellung von Tag zu Tag und die protestierenden Gesandten werden ausgelacht. Dieses Gelächter hat die Gesandten vorsichtig gemacht. So konnten täglich im Befreiten Theater" die schönsten Strophen gegen Hitler   und Dollfuß   gesungen werden und nun wird gar noch, über vielseitiges Verlangen, das witige Anti- Hitler- Stück Der Esel und sein Schatten" neuerlich aufgeführt.

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Aber da es gegenwärtig außer Deutschland   und Oester. reich sonst noch Faschismus gibt, was man aus der Karika­turausstellung lernen kann, meldet sich soeben noch der pol nische und italienische Gesandte zum Protest. Nur der portu­giesische schweigt, nicht etwa weil sein Faschismus auf festeren Füßen steht, sondern weil der in Prag   wirklich nicht karikiert worden ist.

Man kennt ihn von der Bühne und von der Leinwand her. Dick und quabblig, mit einer sich überschlagenden Stimme. Ein Komiker, der kaum etwas hinzutun braucht: er wirkt durch sich selbst.

Aber nun ist Otto Wallburg   jäh in den Zeitenstrudel ge­raten. Er ist nämlich Volljude. Durch geheimnisvolle Be­ziehungen gelang es ihm aber, sich noch im Theater- und

Filmsattel zu halten.

In diesen Tagen spielt er in Saarbrücken   in einem gleich­gültigen Schwank. Die Nazi- Presse schreibt über ihn schon im Vorbericht: ,, Liebling des Publikums". puham

In Pforzheim   ging es ihm anders. Hier wurde nach einem Bericht der Pforzheimer Rundschau" in letter

Minute das Gastspiel Otto Wallburgs abgesagt. Als Grund dafür wird angegeben, daß von der Schriftleitung einer Pforzheimer   Tageszeitung angefragt worden sei, ob Wall­burg Jude sei; auf eine bejahende Auskunft hin sei erklärt worden, es würde zweckmäßiger sein, den Theaterabend nicht stattfinden zu lassen. Die ,, Porzheimer Rundschau" zitiert in diesem Zusammenhang die sehr freundliche Kritik, welche z. B. der ,, Westdeutsche Beobachter"( ein amtliches Organ der NSDAP  .) dem Gastspiel Wallburgs in Köln   gewidmet hat, und sie erinnert weiter daran, daß Otto Wallburg   Mitglied der Reichstheaterkammer sei und daß er als Frontkampfer die Genehmigung habe, im In- und Auslande zu spielen. ,, Offenbar sind also irrige lokale Auffassungen der Anlaß 10 zu diesen Vorgängen gewesen," fügt die Frankfurter Zei­ tung  " hinzu Otto Wallburg   als tragische Gestalt! Man wird sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen können.

F. B.

bisher, wurde die Einführung der für 1934 angekündigten neuen Lehrbücher wiederum um ein Jahr verschoben.

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Im Verlauf des Kampfes gegen die katholische Kirche   be. schließen nationalsozialistisch geführte Gemeinden in Baden und Bayern   hie und da die Umwandlung der katholischen in Simultanschulen. Ob diese Bewegung größeren Umfange an­nehmen wird, läßt sich noch nicht übersehen.

Die Streitigkeiten um die Reste und das Vermögen der alten Lehrerorganisationen geht heftig weiter. Die ,, Führer" verleumden sich gegenseitig, in Westfalen   und Berlin   wur­den mehrere Lehrer, die sich weigerten, den Nazis das Ver­mögen der alten Verbände zur Vergeudung auszuliefern, verhaftet. In Halle wurde ein Lehrer verhaftet, weil er sei­nen Führern" Korruption vorgeworfen hatte.

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Vor einigen Tagen gab der Schirach einen neuen Befehl heraus, Mitnehmen der Fahrtenmesser ,, Blut und Ehre" in die Schule sei nun endgültig verboten. Das ist der dritte Be­fehl dieses Inhalts. Die Wiederholung läßt darauf schließen, daß da ziemlich viel faul war im Staate Dänemark  . Wir

haben seinerzeit berichten können, daß zwei Berliner   Pimpfe

auf der Fahrt zum Nürnberger   Parteitag erstochen wurden bei Streitigkeiten untereinander. Immer wieder klagen die Lehrer über blutig ausgetragene Streitigkeiten. Es kommt so­gar vor, daß die miẞliebigen Lehrer von den bewaffneten Hosenmätzen aus der Klasse gejagt werden. Jedenfalls hat die Bewaffnung der Schuljugend schon katastrophale Folgen ge­habt.

Der berufene mund

Zur gestrigen Abendvorstellung des Vogelhändlers" er­

schien auch der Frankenführer Julius Streicher   im Fürther   Stadttheater. Julius Streicher   sprach sich unserem Mitarbeiter gegenüber äußerst befriedigt über die Leistung des Fürther   Operetten- Ensembles im allgemeinen und über die gestrige Aufführung des Vogelhändlers" im besonderen aus. Er habe, so äußerte sich der Frankenführer, oft Gelegen­heit die Leistungen anderer Bühnen in Deutschland   zu be­urteilen und könne trotzdem dem Fürther   Stadttheater das Zeugnis ausstellen, daß seine Leistungen ganz hervorragend sind. Dies Urteil aus einem berufenen Munde möge der Intendanz des Fürther   Stadttheaters ein gewich­tiger Beweis mehr sein dafür, daß sie sich mit ihrer Arbeit auf dem rechten Wege befindet und weiterhin noch beacht­liche Erfolge erzielen kann."

Zeit- Notizen

Die Kamera"

Fränkische Tageszeitung", 24. April.

,, Die Kamera", das Berliner   Kino, das seit Jahren wert­volle und entwicklungsgeschichtliche wichtige Filme( auch Stummfilme) als Reprisen aufführte, die sonst nicht mehr gezeigt wurden, ist jetzt von der Reichsfachschaft Film ,, wegen Spielens unzeitgemäßer Filme" geschlossen worden.

Dichter der Bürgerlichkeit

Aus Zürich   wird uns berichtet:

Eine weitere Berücksichtigung ist noch den Juden zuge­dacht ,,, denen vom Standpunkt einer im national­sozialistischen Geiste geführten Gemeinschafts­erziehung die verhältnismäßig geringsten Bedenken entgegenstehen"- also den Leuten vom Neumann- Bund und ihresgleichen, die ach so gerne mitmachten, wenn sie nur zugelassen würden. So möchte man die anständig gesinnten Thomas Mann   im Zürcher Schauspielhaus über Goethe  Juden beglückwünschen, daß ihre Kinder von der, Er­ziehung" dieser Nazi- Brutanstalten mit ihrer seelischen Ver­rohung und Verdumpfung und den besonderen Judenquäle­reien verschont bleiben. Die Verordnung aber ist ein Aus­druck der niederen Willkür, Konkurrenzangst und Gehässig keit, die im ,, dritten Reiche" regiert und selbst die Blüten des früheren Zarismus hinter sich läßt. Die zahmen Juden im Saargebiet dürfen danach der Zukunft ihrer Kinder hoffnungsvoll entgegensehen. Vielleicht, wenn sie noch ein bißchen besser kriechen, gelten ihre Kinder als solche, denen die ,, verhältnismäßig geringsten Bedenken entgegenstehen". Also in den Staub vor der Nazipeitsche! Vielleicht findet ihr dann Gnade vor ihren Augen.

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Notizen zur Schulpolitik

thor

er. In der neudeutschen Schulpolitik hat sich nichts We­sentliches verändert. Immerhin lassen sich einige Fort­schritte" auch hier konstatieren.

Das neunte Schuljahr sollte laut Ankündigung eingeführt werden als Landjahr. Man las das Vorschuß- Lob dieser Ein­richtung in allen Zeitungen. Nun ist der Termin herangekom­men. Das Landjahr wird nur für wenige Tausend Kinder durchgeführt, und auch für diese nur verkürzt.

Da die maßgeblichen Oberbildungsbonzen sich über die Grundsätze der neuen Bildungspolitik nicht einigen konnten

In einem schlecht besetzten Vortragsabend sette Thomas Mann   seinem Publikum klar und genau auseinander, warum Goethe als Repräsentant des bürgerlichen Zeitalters" zu bezeichnen sei. Es ist weniger ein Lob Goethes, der wirklich nicht allzu angenehm im Umgang gewesen sein muß, als ein Lob auf jene Zeit, in der die humanistische Bildung vor­herrschend gewesen ist, ein Nachruf auf eine dem Vortragen­den wie dem größten Teil seiner Hörerschaft eng ans Herz gewachsene Epoche.

bot Wie ein Nachruf klingen alle Worte Thomas Manns  , voll beinahe zärtlicher Trauer. Goethe als ausgesprochen ich- be­ladener Mensch, Goethe als Gourmand, dem man mit einem schlechten Essen geradezu eine Beleidigung zufügte, Goethe, der bis zum Größenwahn Eingebildete, Arrogante, Goethe als Verehrer des bürgerlichen Mittelstandes, Goethe der Pedant, Goethe der Bürger in der Vollendung in seinen bür­gerlichen Aussprüchen: Wer vorsieht, ist Herr des Tages" oder Es war nie meine Ar', gegen Institute zu wettern", Goethe, der Vertreter restlos gesinnungslosen und wertungs­losen Dichtertums, Goethe, über den das treffende Wort, treffend in jeder Beziehung. gesagt worden ist: Er war cole­rant, ohne milde zu sein! Das ist der Goethe, den Mann uns nahe zu bringen versucht, indem cr ohne jegli Ver­tung und ohne eigener Gesinnung Ausdruck zu geben, über den Menschen Wolfgang von Goethe   berichtet.

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Thomas Mann   spricht und vor unseren Augen ent­steht- Gerhard Hauptmann   in Großfromat. Immer wieder, jem Satz, in allen Phasen des Lebens erscheint das Ge­

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sicht des Alten von Hiddensee  . Nur mit einem kleinen Unter­schied. Goethe wuchs auf im bürgerlichen Gedanken, breitete sich aus in bürgerlicher Dichtung und endete mit der Vision des Weltsozialismus'. Gerhard Hauptmann  , geboren im Be­ginn des erstarkenden sozialen Gedankens, breitet sich aus in sozialisierenden Dichtungen und endet im Gestrüpp des Kleinbürgertums, das sich schamhaft Nationalsozialismus  " nennt. Beide Goethe wie Hauptmann unheroisch bis zum Aeußersten und darin anerkennenswert, beide Bürger im Grunde ihrer Seele, nur Goethe war ein Hauptmann unter den Dichtern, aber Hauptmann ist kein Goethe. Nichts davon sprach Thomas Mann  . Säuberlich und ge­pflegt berichtete er nicht ohne wohlabgewägten Humor mit unzähligen wohlabgewägten Zitaten abgewägten, niemals wagenden Worten, rundete er das Bild des Dichterfürsten zu einer Allegorie humanistischen Bür­gertums, ieindlich der Demokratie wie feindlich der Reak­

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tion, politisch gestaltlos.

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in wohl­

Die Zuhörer strahlten und dankten mit aufrichtigem Bei­fall. Man hörte viel Hochdeutsch, und mancher mag sich auf dem Heimweg eingeredet haben, er sei ein kleiner Rated Wh- c.

Rassekarteien

Im Deutschen Aerzteblatt" macht der Oberregierungsrat Dr. Keller( Berlin  ) den Vorschlag. Personalbogen über die Abstammung für sämtliche Reichsdeutsche einzuführen und erb- und rassebiologische Karteien in ganz Deutschland   ein­zurichten. Die Personalbogen sollen obligatorisch eingeführt

werden.