Donnerstag, den 17. Mai 1934
Kaiser Nero gibt Redefreiheit
Eine nichtantike Fabel
Kaiser Nero trat vor den Senat, Glättete seiner Toga Falten
Und sprach: Ihr Väter, es ist in der Tat Nicht mehr auszuhalten!
Was auch geschieht im weiten Reiche,
Ihr plärrt das gleiche:
,, Scipio war ein Latrinenspüler, Cäsar ein Unteroffizier,
Homer ein sitzengebliebener Schüler"
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Ja, so sprecht ihr
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,, Gegen des Kaisers geweihte Person!"
Das geht auf die Nerven,
Es ekelt mich schon.
Darum: bitte, sich einzuschärfen:
Damit ihr fortab amüsanter seid,
Gebe ich Redefreiheit!
Ich lade Euch alle ein zur Kritik, Natürlich will ich nur positive, Nicht die hemmungslose, laszive Wie in den Zeiten der Republik . Um, was ich meine, aufzuhellen
Werde ich gleich ein Thema Euch stellen: Sagt jetzt in voller Offenheit,
Womit Ihr unzufrieden seid!"
So Nero . Sein Fettgesicht glänzte von Schmalz,
Er grinste freundlich von Ohr zu Ohr.
( Bei Hofe wußte man: Bestenfalls Stand jetzt ein Todesurteil bevor.) Natürlich tönte ringsum Applaus, Darauf nämlich hielt Nero sehr,
Doch dann war es aus.
Die Rednertribüne blieb gähnend leer
Und was der Kaiser auch winkte und drohte,
Es meldet sich endlich nur der devote Petronius und sprach von seinem Platz Unbewegten Angesichts
Den einen Satz:
,, Herr, wir sind unzufrieden
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mit nichts."
Doch Nero : Du hast mich nicht begriffen. Ist das die verlangte Offenheit? Heraus, womit unzufrieden Ihr seid, Und nicht nur Lippen gespitzt gepfiffen!"
Da sah man den greisen Marull sich erheben: ,, O Göttlicher, der Du uns Freiheit gegeben
Studentische Miesmacher Die Blüte der Nation meckert
Das Mitteilungsblatt einer feudalen Leipziger Studentenverbindung enthielt dieser Tage einen Stoßseufzer, den wir hier einer größeren Oeffentlichkeit übergeben wollen:
,, Was den häufigen SA.- Dienst anbelangt, so haben sich die Verhältnisse für uns in keiner Weise gebessert. Dr. D. hat zwar versucht, auf Grund seiner persönlichen Beziehungen zu den Standartenführern uns wenigstens zu entlasten. Nun waren wir bis jetzt in einem Ausbildungssturm, der uns allzu häufige Beurlaubungen zur Unmöglichkeit machte. Zu außerordentlichen Veranstaltungen, als das sind: Stiftungsfest und Herrenabende, gelang es den Bemühungen von A. H. M., der die Charge eines Sturmbannführers inne hat, uns vom Dienst zu befreien. Der S. C. muß deshalb versuchen. in die Studentenschaft hineinzukommen. Nur so kann es glücken, unsere alten Traditionen und althergebrachten Formen aufrecht zu erhalten, auch in diesen völlig veränderten
Das blaue Heft
Von Bruno Brandy
Du
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An der Mansarde draußen probierte ein Fink seine Triller, erschrak vor dem Lärm hinter dem Mansardenfenster und schrie flog davon. Du willst wieder nicht mitgehen?" Emil seinen Bruder an. In allen Ländern marschieren die Arbeiter zu ihrem Festtage auf, in allen Ländern... und --" Zornrot verstummte der SA.- Mann, denn der Jüngere sah ihn mit einem solch langen, triumphierenden Blick an, daß sein Gedankenlauf zu knäueln begann. Sekundenlang lag dieser Blick dämpfend zwischen den Brüdern. ..Ueberleg Dir mal, was Du eben gebrüllt hast," sagte der Jüngere ruhig, klappte ein blaues Heft zusammen, schob es in die Kommode und ging mit einem breiten Lächeln aus der
Stube.
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Draußen spann das erste Dämmern eines Frühlingsabends. Der SA.- Mann warf sich in einen Stuhl. Was, er sollte überlegen? Er, der Aeltere von Beiden? Ha, was ihm dieser Marxist schon erzählen konnte! Er griff zur Zeitung, warf sie wieder weg... Dieses Kücken, mit seinen dreiundzwanzig Jahren! Sagt ihm, er sei konfus er, der Große, der schon Sturmführer sein konnte, wenn man nicht egal Leute von oben vorzöge! Innungsmeister mußte der Vater mindestens sein. Er - konfus? Das war sehr einfach mit dem Ersten Mai, schr einfach, nicht? Damals, vor dem Kriege, da wurde er nur von den Organisierten mit der roten Nelke gefeiert... Damals... Er fuchtelte im Selbstgespräch mit den Händen, verhedderte sich, seine Gedanken schwammen in nebligen Erinnerungen...
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Damals war er. Emil Krause, nicht dabei. Hinterher wurden allemal tausende Arbeiter gemaßregelt. Das lohnte sich gerade... Und dann, nach dem großen Kriegswirbel, landete Emil bei den Nazis, wie der Vater. Der war Kleinmeister gewesen, an der marxistischen Entwicklung ging er kaputt, selbstverständlich, was denn sonst. Aber davon wußte der
So sei mir ein offenes Wort gewährt: , Gern brächten wir Senatoren Manchen Miẞstand Dir zu Ohren, Leider wird es uns arg erschwert. An jeder Türe Deines Palastes Halten die Prätorianer Wacht Und des ungeladenen Gastes Wird nur in seltenen Fällen geacht't. na Hat sein Begehren man protokolliert, Und die Kleider ihm visitiert, Kommt er in eines der Wartezimmer, Wo die letzte Hoffnung erlischt, Einige Hundert harren dort immer. Glücklich, wer Deinen Schreiber erwischt. Doch Dich selber von Angesicht
Weiter im Satz kam Marullus nicht Denn wie ein Krater, den der Druck Ueberkochender Lava sprengt,
Hatte der Kaiser mit einem Ruck Ihn von der Rednertribüne gedrängt: ,, Schurke, mißbraucht hast Du meine Huld! Statt der Kritik, der sachlichen, reifen, Hörte ich nur ein nörgelndes Keifen. Das geht über Engelsgeduld!
Meine Leibwache ist Dir ein Spott!
Mit verdeckten Worten und tückischem Stich Machst meine Schreiber Du lächerlich. Aufs S ch a fott!
Die Redefreiheit, betone ich, bleibt.
Doch stirbt, wer Mißbrauch mit ihr treibt!"
So tobte Nero . Aber im stillen Rechnete er: Es wird sich lohnen, Marull besitzt an zwanzig Millionen Bargeld in Rom und in Bajae Villen, Was laut Gesetz gegen Hochverrat Verfallen ist an Kaiser und Staat."
Moral: Wenn Tyrannen ,, Freiheit! " schrein, Fall nicht darauf rein.
Das hat nicht nur im Rom der Cäsaren Fürwitzigen den Kopf gekost'.
In Deutschland kannst du das gleiche erfahren: Siehe Göbbels und Grüne Post".
Mucki.
Verhältnissen, dann kann man mit Ruhe und Sicherheit in die Zukunft blicken. Leider sind die Aktiven noch immer
Ereignisse und Geschichten
Das zackige Wunder
Herrlich, aber gefährlich
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Das ist eins von
den vielen Wundern, die wir im vergangenen Jahre erlebt haben.
Blättert man in dem gleichen Heft 13 Seiten weiter, so liest man folgende Feststellung des Komponisten und Chormeisters Heins Heinrich- Hannover:
,, Ich erblicke in dem., zackigen" Singen eine starke Schädigung der Organe, die beim Singen tätig sind. Ich denke dabei an das überlaute, schreiige, vielfach rohe Singen, das Forcieren und das knallige Ansetzen der Töne und insbesondere an das ganz und gar unverständliche, abgerissene Singen, das charakteristisch ist für den Marschgesang unserer Zeit... Wird so weiter gesungen wie bisher, so sehe ich die Zeit nahe, da unsre Chorverbände ihre Tätigkeit einstellen müssen, weil kein brauchbarer Nachwuchs mehr vorhanden ist. Die Anzeichen dieser Ge fahr spüren ernsthafte Chormeister schon jetzt." Das ist also des Wunders Kern: das deutsche Volk singt wieder, und wenn es so weitersingt, wird es demnächst überhaupt nicht mehr singen, höchstens bellen können. Der Fall ist symbolisch. Die vielen Wunder, die wir im vergangenen Jahr erlebt haben", nehmen fast alle das gleiche Ende: sie fressen sich selber auf und lassen ein krankes, armes, freudloses Volk zurück.
Foithe zupft die Harfe
Kunst in ernsten Gralshütten
,, Mit Hermes Schnelle brausen um die Wette die Stürme der Leidenschaften durch die Herzen einer Nation, um an diesem Tage des Führers zu denken, ihm zu danken, daß er, der edle Vielseitige, auch der Filmkunst das reine Licht wiedergegeben hat, nach dem wir uns sehnten... Mögen die Sterne schwinden, mögen Wolken kommen, wir wissen, daß hinter diesen Wolken die alte Sonne Homers kreist und lächelt, dieselbe Sonne, die schon seit Jahrtausenden die ungeheuren Rätsel des Seins immer täglich neu löst. Und mit ihr haben wir durch unsere Revolution wahre Sinnigkeit, tiefes Gemüt, Freude an der Natur und an dem Naturbegreifen genug, um den alten Plunder zu entbehren und ihn gelegentlich zu Jahrmarktfesten zu versteigern. Das unendliche Land der Kunst ist jetzt Händen und ernsten Gralshütten anvertraut."( Ein Hitler - Artikel im Berliner ,, Film- Kurier" von Alphos Joithe.)
Joithe klingt fast so wie Goethe auf Jiddisch. Solches Deutsch aber hat man früher nicht einmal in Jiddisch geschrieben!
stark durch SA.- Dienst und NSDStB. überlastet. Von offi- und Catilina , dec Revolutionär"
ziellen Kneipen oder Spielkneipen kann nicht die Rede sein. Wir müssen uns in diesem Falle mit außerordentlichen Veranstaltungen begnügen. Es hat sich herausgestellt, daß es wahrscheinlich unausbleiblich sein wird, daß der eine oder der andere alte Herr, der das Rundschreiben, die Arierdurchführung betreffend, nicht vorbehaltlos unterschrieben hat, das Band verlieren wird. Wir bemühen uns mit der Verbandsleitung, dem auf irgend eine Weise aus dem Wege zu gehen."
Die jungen Herren beklagen sich beileibe nicht über die Störung der wissenschaftlichen Arbeit an den Universitäten durch SA.- und SS.- Dienst. Es grämt sie, daß sie neuerdings nicht mehr die rechte Zeit zum Kneipen zu finden scheinen.
Schade ist nur, daß es uns nicht möglich war, den Namen des studentischen Mitteilungsblattes oder des Corps, der es herausgibt, festzustellen. Wir haben unser Zitat der Nr. 95 der parteiamtlichen ,, Flensburger Nachrichten" entnommen.
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Daran war die Mutter schuld, der Vater hätte es dem Grünschnabel erzählt. Jeden Ersten Mai zog das Kücken mit; man hatte ja nichts zu sagen... Schöner Feiertag allemal: der Kleine drüben, der Große hüben. Und scharfer Dienst stets. Im Völkischen Beobachter" stand:„ Polizei, gib die Straße frei für den Ersten Mai! In einer Stunde jagen wir die roten Demonstranten mit der Waffe auseinander!". Jawohl, die Helden der Feder konnten das so hinschmieren, aber die SA. hatte den Qualm. Mußte, in Lastautos verpackt, draußen auf dem Lande liegen und abends heimkehrende Maifeiertrupps überfallen. Jedes Jahr dasselbe...
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Und jetzt? Emil legte die Stirn in Falten, suchte den Knäuel zu ordnen, die Gedanken zu sortieren. Jetzt war der erste Tag im Mai ein deutscher Feiertag. Hitler hielt Maireden im Rundfunk... Festtag der Arbeit, weil jetzt die Arbeiter weil jetzt Thyssen Unsinn, weil jetzt das Kapital nicht mehr
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Was war denn eigentlich nicht mehr? Emils Stirn wurde krauser. Der Knäuel verfitzte sich wieder... Da hatte der Grünschnabel doch sowas gesagt von den alten Zeiten nich... Wie war doch der Quatsch gleich? Der Klugscheißer, was der wußte, das wußte Emil auch. Dort, in der Schublade, schlummerte das bißchen Weisheit...
Er lauschte nach der Küche hin, riß den Kommodenkasten auf. Werden wir gleich haben... Neue Mode, solchen höheren Zimt aufzuschreiben, Ersatz für verbotene Bücher, konnte der reden, was er wollte. Natürlich, da steht der Quark:
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,, Die Bonifaziusse stahlen den Germanen auch einige Festtage, indem sie den Geist der neuen Kirchendogmen in die alten heidnischen Feiertagsschläuche gossen. Die brachten aber immerhin den römischen Pflug mit, die höhere Produktionsweise! Darum siegte die neue Religion. Aber ihr was bringt ihr denn? Das Mittelalter war schon früher da und Thyssen auch. Seht euch vor, daß der internationale Geist des Ersten Mai euren Horizont nicht sprengt Dreimal las er, langsam, angestrengt und in tiefer Ver
Geschichtslügen und Provokationen der Unterdrückerklasse
Unter diesem Titel erscheint in Kürze im Verlage ,, Nous velles Edition Latines", 21 rue Servandoni, Paris , eine deut sche und eine französische Ausgabe eines neuen Werkes do aus Deutschland vertriebenen Berliner politischen Strafverteidigers Dr. Botho Laserstein.
Das fesselnd geschriebene Buch stellt zum ersten Male in materialistisch- dialektischer Weise die bedeutendsten Provokationen der Weltgeschichte, Vorläufer des Reichstagsbrandprozesses dar. Vorbesteller erhalten das Werk zum Vorzugspreis von ffr. 6.- für die deutsche , ffr. 9. für die fran zösische Ausgabe bei einem Umfang von etwa 6 Bogen.
Das Buch dürfte auf das lebhafteste Interesse des Leserkreises rechnen, da es auch neues Licht auf das Problem der politischen Advokatur und Justiz wirft.
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wieder in den Kasten. Wo der Junge das nur her hatte? Sollte sich bloß nicht erwischen lassen. Wo schrieb er das Zeug eigentlich ab? Auf seinem Miste wuchs das nicht, sonst müßte er, der ältere Bruder, mindestens soviel wissen, wo er beinahe Gruppenführer sein könnte. Warum konnte der Grünschnabel seit einigen Monaten wieder auf Arbeit gehen? Weil sein Bruder was zu sagen hatte! Aber am Ersten Mai wollte er sich drücken... wo doch die Arbeiter in allen Ländern aufmarschierten... In allen Ländern.... Dumpf sah er nach der Kommode hin. Der Geist der Schrift wallte aus dem Kasten und wehte ihn an. Arbeiter aller Länder, internationaler Arbeitertag? Hatte ihn der Grünschnabel darum so höhnisch angesehen? Soso, deshalb. Na also, er wußte auch soviel wie der... Aber wenn Hitler jetzt feierte, warum lungerten sie vor Jahren immer am Ersten Mai in Ueberfallgruppen auf der Landstraße umher? Und wieso Thyssen und Mittelalter auf dem Zettel dort im Kasten?
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Wieder rollte der Knäuel, wieder war er an der Kommode, Raus mit der Schwarte... ,, Die brachten aber immerhin den römischen Pflug... Aber ihr, was bringt ihr denn?" Qualm verdammter! Das wollte der Grünschnabel verstehen? Was sollten sie denn bringen, he? Mögen sich bloß nicht greifen lassen!
Die Dämmerung sank, höhnisch grinste die Schrift des Jungen durch das graue Düster, ungreifbar und gefährlich. Weg mit dem Wisch! Wütend, hilflos und verzweifelt fette er das Blatt heraus, warf es zu Boden, packte es wieder, zerriẞ es, schmiẞ die Schnitzel in den Ofen. So, jetzt war er erledigt, dieser Geist, den er nicht begriff... Das blaue Heft flog wieder in den Kasten. Alberne Mode, solche Sprüche aufzuschreiben, die man nicht versteht.
Mit einem Ruck schnallte er das Koppel um. Strammer Dienst war immer noch das beste. Mit der Denkerei kommt unsereins nicht weiter, höchstens ins Konzentrationslager... In der Instruktionsstunde fiel er dem Saf an diesem Abend durch besondere Unaufmerksamkeit und störrisches Wesen
Jüngste, der Grünschnabel, natürlich nichts mehr, sonst wäre sunkenheit, wie jemand, der ein Geheimnis ergründen will; auf, weshalb er sich in der Führungsliste die erste scharfe
er nicht immer zur sozialistischen Arbeiterjugend gerannt. das Dunkel jedoch wich nicht. Bedrückt schob er das Heft
Rüge zuzog.