Deutsche Freiheit" Nr. 148 Das bunte Vlatt Samstag, 30. Juni 1934 ♦jßt- ^ Rheinische Apäße Der Gerüchtemacher Der Wegearbeiter Döres Speck war die lebendige Zeitung non Volmerswerth   und versorgte dos Dorf mit Neuigkeiten, wobei es ihm freilich nicht immer auf die Wahrheit ankam, sondern mehr auf die Verbreitung seines Geschwätzes. Eines Tages stand er, von seiner Arb«it ausruhend, auf seine Kratzhacke gestützt, als der Schmätze Henderich vorbeikam, der sein Dreirad schob, um leere Gemüsekörbe abzuholen. Wie er Döres Speck sah, dachte er, da er sich öfter über dessen Klatsch geärgert hatte: halt! dem willste du mal einen oarat machen! 'n Dag, Döres!" 'n Dag, Henderich! Wo willsbe denn hin mit dem Dreirad?" Oh," antwortete der Schmitz- Henderich,ich öh ich will in die Neustadt. Da liegt ein Schiss am Rhein   mit Erdäpfeln. Die kann man sich umsonst holen." Umsonst?" Eja, umsonst. Die sind naß geworden. Viel wird ja nich dran sein, aber man kann sie, mag leicht sein, noch brauchen, um die Schweine damit zu füttern." Ja, dat kann man." meinte Döres Speck.Wat sagste? Ein ganzes Schiff voll Erdäpfeln? Und umsonst? Dat wär' mir doch wat!" Er schulterte seine Kratzhacke und ging eilig ins Dorf, um die Neuigkeit an den Mann zu bringen. Als der Schmitz« Henderich nach einer halben Stunde mit seinem beladenen Dreirad wieder heim wollte, begegnete ihm das halbe Dorf mit Schiel^karren, Dreirädern, Zieh- karren. Und wie er den ersten, den zweiten und den dritten fragte, wohin er wolle, und zur Antwort bekam, baß er nach dem Rhein   fahre, um in der Neustadt umsonst Kar- toffeln aus dem Schiff zu holen, da wurde der Schwitze Henderich nachdenklich. Schließlich sagte er sich: Die Bewohner der Osterinsel  Die Insel Tristan da Cunhas, die unter dem Namen Osterinsel  " berühmt geworden ist, ist ein seltsamer Erben- platz. Mitten im Süd-Atlantik, 1800 Meilen von Afrikas  Küste entfernt, liegt sie verloren und weit weg von den Schiffahrtslinien. Sie hat eine merkwürdige Bevölkerung von einigen hundert Einwohnern, die stark gemischte Ele- mente umfassen. Zahlreiche Abenteurer sind hier nach einem ereignisreichen Leben gestrandet. England, dem die Insel gehört, tut alles, um sie nicht verkommen zu lassen: dank der spärlichen Pflanzungen auf der Insel und der Vorräte, die vom Kontinent durch Lebensmittel-Schiffe herangebracht werden, haben sich die Insulaner bisher mehr recht als schlecht ernähren können. Doch der ständige Zuwachs der Bevölkerung droht ihr Dasein mehr und mehr einzuschrän- ken, so daß England bereits ihre Umsiedlung in Aussicht ge- nommen hat. Woraufhin natürlich Kanada   und Südafrika  , die hauptsächlich für die Beherbergung von Auswanderern in Frage kommen, geantwortet haben, daß sie nicht wissen, was sie mit den Leuten anfangen sollten. Und England, das selbst mit Arbeitslosen übervölkert ist, fragt sich nun, wie es diese überflüssigen und enterbten Elemente unterbringen soll. Der vielumworbene Zwergstaat Obwohl Andorra   nur eine Miniatur-Republik ist, ist sie nichtsdestoweniger der Gegenstand mancher Begierden. Wenn sie alle hinfahren, muß doch wohl am End' was Wahres dran sein. Man kann alles nich wissen." Drehte sein Dreirad um und fuhr auch an den Rhein  . Der Schwitze Röbes und der liebe Gott Früher floß der Dllsselbach offen durch die Mühlenstraße in Düsseldorf  . Zu den einzelnen Häusern führten schmale Holzbrücken, die oft in miserabler Verfassung waren, so daß sie selbst am hellen Tage nur mit Lebensgefahr überschritten werben konnten. Der Schmitz« Köbes kehrte an einem Samstag spät abends stark benebelt nach Hause heim. Als er bis zu der Brücke, die über den Bach führte, gekommen war, stiegen ihm Zweifel auf, ob er den schmalen Steg in der Dunkelheit finden würde. Dazu hatte sich der Himmel mit schwarzem Gewölk überzogen. Dumps rollte der Donner, ab und zu zuckte ein Blitz. In seiner Herzensangst dachte Schwitze Köbes an Gott und betete: Lieber Gott, laß mich noch einmal glücklich nach Haus kommen. Ich will auch im Leben nicht mehr ins Wirtshaus gehen!" In diesem Augenblick zuckte ein Blitz auf: die Helligkeit benutzte Schwitze Köbes und eilte über den Steg. Er um- klammerte das morsche Geländer und wähnte sich in Sicher- heit, und übermütig rief er: Jetzt kannst du mir den Puckel raufrutschen!" Aber kaum hatte er das gerufen, da wich das morsche Holz, und er stürzte in den Bach. Als er drunten sag, sah er vor- wurfsvoll nach dem Himmel und sprach: Lieber Gott, du bist mir auch ein Retter, du! Du kannst auch kein Späßchen vertragen!" Hans Müller-Schlösser. Vor einigen Monaten wollte ein reicher Tscheche, der über einige tausend Dollar verfügte, die Täler von Andorra  käuflich erwerben. Nunmehr ist kürzlich ein gewisser Boris von Skossirefs dort aufgetaucht, der sich als Vertreter des Hauses Frankreich   ausgab und die Rechte des Herzogs von Guise auf das Fürstentum Andorra   wahrnehmen wollte. Er setzte den erstaunten Bewohnern des Ländchens auseinander, daß einst Heinrich IV.   der legitime Erbe dieser Rechte ge­wesen sei, die ihm von seiner Mutter Jeanne d'Albert, der Gattin Johann I., des Grafen von Feix, überkommen seien. Daraus ergebe sich, baß Johann III., Herzog von Guise, jetzt zusammen mit dem Fürsten von Urgell, Erbansprüche auf das Gebiet besitze. Auf Grund einer Untersuchung stellte sich jedoch heraus daß Skossirefs ein Betrüger war. Er wurde unverzüglich aus Andorra   ausgewiesen. Die Zwergrepublik weiß sich zu verteidigen Die böse Schwiegermutter Dieser Tage wurde das zur Wirklichkeit, was böse Zungen schon immer gesagt hatten. Ein jung Verheirateter stellte sich dem Gefängnis von Santa Palazia in Ancona   freiwillig und bat um seine Aufnahme. Auf die Frage nach seiner Tat, mußte er antworten, daß er zwar nichts verbrochen habe, daß er jedoch das Leben im Gefängnis dem weiteren Zusammenleben mit seiner Schwiegermutter vorziehe. Er drückte seine tiefe Enttäuschung darüber aus, als man ihm eröffnete, daß man ihn bann nicht nehmen könne. 500 Dollars pro Minute Die Frau des Präsidenten der Vereinigten Staaten   be- weist mit ihren Antworten sowohl ihren großen Takt als auch ihre Schlagfertigkeit. Dieser Tage erhielt sie die Summe von 3000 Dollar für einen Vortrag, den sie über Frauenfragen im Radio gehalten hat. Die Uebertragung hat genau sechs Minuten gedauert. Daraufhin erhielt Mrs. Roosevelt eine Zuschrift, in der man sie fragte, ob sie ihrer Meinung nach diese 3000 Dollar verdient hätte. Aber die Frau des Präsidenten ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und antwortete:Sie haben recht. Niemand ist fähig eine Arbeit zu leisten, die mit S00 Dollar pro Minute bezahlt werden kann. Ich habe auch niemals angenommen, daß meine Arbeit so viel wert war. Daher habe ich auch die 3000 Dollar sofort einem Wohltätigkeitsfonds überwiesen. Den» iib habe mir gesagt, daß man einen solchen Preis nicht Mrs. Roosevelt bezahlt hatte, sondern der Frau des Präsidenten der Vereinigten Staaten  ." Weltmeister im s>chlsngenbeschwören In dem dänischen Orte Hirtshals   bei Hjörring   hat sich eine hübsche kleine Schlangengeschichte zugetragen, die zum Glück ein heiteres Ende fand. Ein sechsjähriger Knabe fand beim Spielen in einer Sandschlucht acht lebendige Kreuz- otlern von mehr als zwölf Zentimeter Länge. In der Meinung, es seien Fische, steckte der junge Nimrod   die zischenden Schlangen in die Hosentasche, um sie seiner Mutter zu bringen. Zu Hause warf er sie mit der Be- merkung, er habe einen schönen Braten mitgebracht, auf den Fußboden, wo sie sofort zischend in Kampfstellung gingen. Die erschrockene Mutter erkannte blitzschnell den Irrtum ihres Sohnes und rief^eine Nachbarin herbei. Den beiden Frauen glückte es, die Schlangen totzuschlagen, ehe sie Schaden anrichten konnten. Wissen s>ie schon... ... welches der wirkliche Name von Voltaire   war? Francois Arouet  (16941778). ... welches der wirkliche Name des französischen   Dichters Stendhal   war? Marie Henri Beyle(17851849). ... welcher englische Dichter in der Südsee starb? Robert Louis Stevenson  . ... wer sich selbst denKönig der Diebe" nannte? Der rumänische Hochstapler Georges Manolescu  . ... wer die erste moderne Tänzerin war, die barfüßig tanzte? Jsadora Duncan(1902). ... wie die berühmteste Moschee in Europa   heißt?> Die Hagia Sophia  . ... welches Tier den Siamesen heilig ist? Der weiße Elephant. ... wie der Palast der türkischen Sultane hieß? Das Serail. ... nach wem die berühmteste Pyramide ihren Namen hat? Nach Cheops  , ägyptischem König(um 2700 v. Chr.). ... wie der größte Lyriker Chinas   heißt? Li-tei-po. ... der wievielte Teil der Menschheit in China   lebt? Mehr als ein Viertel(ca. 425 Millionen Einwohner). ... wie der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets heißt? Omega. ... welcheSchrift" aus Knoten in einem Strick besteht? Die Quippu der Peruaner. V Unsere Töchter, die Kannen Roman von HermyniaZurMühlen. 10 Leg es doch unter den Baum," bat ich.Damit du wenigstens ein Geschenk hast." Laß doch, Mutter, ich kann warten." Aber ich wollte unbedingt, daß meine Toni ein Weih- Nachtsgeschenk hat und band die Kordel auf und packte das Buch aus. Die Toni sprang vor und wollte es mir aus der Hand reißen. Doch kam sie zu spät, ich hatte schon den Titel gelesen:Mein Kamps" von Adolf Hitler  . Ich hatte für diesen einen Abend meinen Kummer ver- gessen wollen und mit meiner Toni so sein, wie ich es srüher gewesen mar. Aber dieses Buch da, dieser Name, nein, es ging nicht. Ich dachte an andere Weihnachten, als mein Anton noch lebte. Das ganze Jahr sparte ich Pfennig um Pfennig zusammen, um ihm ein Buch zu schenken, das er sich wünschte, und wie er sich freuen konnte, wie er das Buch liebevoll in die Hand nahm, darin zu blättern begann und plötzlich die Toni und mich völlig vergaß, weil er zu lesen angefangen hatte. Die kleine Toni zupste ihn dann am Aermel: Vater, wir sind auch noch da. Vergiß das nicht." Und mein Anton stellte ein wenig beschämt das Buch in den Bücherschrank, den er sich selbst gezimmert hatte. Später dann setzte sich die große Toni zu ihm und las ait, und wenn ihr etwas besonders gefiel, rief sie eifrig: Hör zu, Mutter," und las die Stelle laut vor. Seit dem Tode meines Anton hatten wir einander immer nur nützliche Sachen geschenkt, und nun kam zum erstenmal wieder ein Buch ins Haus. Und was für eines! Ich blickte zum Bücherschrank hinüber, in dem die Bücher, die mein Anton so oft gelesen und die er so geliebt hatte, standen. Und die toten Bücher waren mir mit einem Male näher als mein eigenes Kind. Die Toni schien meine Gedanken zu erraten. Ich habe dir doch gesagt, Mutter, daß du das Paket nicht aufmachen sollst" Ich war noch immer wie vor den Kopf geschlagen, nicht zornig, nur traurig und verwirrt. Und ich hatte nur einen Gedanken: Aber nicht in Vaters Schrank, Toni, nicht in Baters Schrank." Die Toni nickte nur, und dann saßen wir lange stumm unter dem brennenden Baum, Mutter und Kind, und doch zwei Fremde, die einander nicht mehr verstanden. Die Kerzen knisterten leise und so oft eine erlosch, war mir zu- mute, als sei mein Anton von neuem gestorben und habe auch meine Toni mit in den Tod genommen. Am ersten Januar ging ich wie alle Jahre zur Gräfin Agnes, um ihr ein gutes neues Jahr zu wünschen. Als die Marie, das Mädchen, mir öffnete, machte sie ein erfreutes Gesicht. Das ist recht, daß sie gekommen sind, Frau Gruber. Ich weiß mir schon gar nicht mehr zu helfen. Die liebe Alte," die Marie ist ein junges Ding von neunzehn Jahren und findet es unter ihrer Würbe, die Gräsin Agnes beim Titel zu nennen,, und die Gräsin Agnes weiß, daß sie für die Mariedie liebe Alte" ist und lacht darüber,die liebe Alte sitzt nun schon den ganzen Morgen da und weint. Sie will mir nicht sagen, warum. Und ich Hab Angst, sie könnte mir noch krank werden." Ich bin rasch in das Wohnzimmer gelaufen und richtig, da saß die alte Frau ganz klein und zusammengekauert neben dem Kamin und weinte, daß es sie nur so schüttelte. Was ist denn geschehen?" fragte ich erschrocken. Tie alte Frau hob den Kopf: ihr Gesicht war ganz ver- ändert, verzerrt, als ob sie Schmerzen hätte, und die Augen waren dick verschwollen vom Weinen. Sie reichte mir stumm die Hand, und als ich sagte: Ich bin gekommen, um ein gutes neues Jahr zu wün­schen," erwiderte sie mit zitternder Stimme: Wünsch mir, daß ich bald sterbe, Kati, das ist das einzige, was du mir wünschen kannst." Sie hat mich seit vielen Jahren, seit der Zeit, da ich als junges Ding bei ihr mar, nicht mehr geduzt, und es ist mir ganz komisch vorgekommen. Sie hat nach ihrem nassen Taschentuch getastet, sich die Augen gewischt und versucht, nicht mehr zu weinen. Aber die Tränen sind ihr immer wieder über die Wangen ge- laufen, und ihr kleiner, magerer Körper hat gebebt. Mein erster Gedanke war: sie hat ihr Vermögen verloren. Das kommt ja heutzutage oft vor. Und was soll die alte Frau, die nie arbeiten gelernt hat, tun? Die Claudia kann ja auch nichts. Ich habe sie gefragt, ob es das ist. Sie hat den Kopf geschüttelt: Wenn es nur das wäre, Kati." Sie tat mir so leid, aber ich mußte trotzdem insgeheim lächeln: wer Geld hat, versteht es nicht, seinen Wert zu schätzen, und gar die Gräfin Agnes, die so anspruchslos ist, die weiß ja gar nicht, was es heißt, wenn man ohne Pfennig dasteht. Sie hat eben immer genug zum Leben gehabt. Vielleicht hat sie meine Gedanken erraten. Ich weiß, daß auch das ein Schlag für mich wäre," hat sie gesagt.Ich bin ja schon alt und kann nicht arbeiten. Aber das wäre wenigstens keine Schande. Und ich müßte mich nicht fragen, ob nicht auch ich die Schuld daran trage. Nein, das wäre keine Schande." Sie hat mich so hilflos angesehen, daß ich gar nicht wußte, was tun.. Ich bin weiter in sie gedrungen, sie soll mir doch sagen, was geschehen ist, aber sie hat nur geweint und geflüstert: Das Aergste, Kati, das Allerärgste, die größte Schande, die mich treffen konnte." Und mehr war nicht aus ihr herauszubringen. Ich blieb über eine Stunde bei ihr und versuchte, sie zu trösten, aber wie kann man einen Menschen trösten, wenn man nicht weiß, worüber er verzweifelt ist? Immer wieder bat ich sie, es mir doch zu sagen, aber immer wieder ant- wartete sie: Ich kann nicht, Kati, ich kann nicht. Ich schäme mich zu sehr. Bielleicht morgen. Heute kann ich es nicht sagen. Kann nicht." Tie hielt meine Hand fest mit ihrer alten mageren kleinen Hand. Und dann sagte sie auf einmal, ganz unvermittelt: Wir waren immer anständige Menschen, immer. Wenn ich zurückdenke, an meinen Vater und meinen Großvater und noch weiter an ihre Frauen, so brauche ich mich nicht zu schämen. Mein Großvater hat auf dem Spielberg ge- seifen, weil er für die Freiheit gekämpft hat. Ja, wir waren alle anständige Mensche». Alle." Und dann weinte sie wieder, so verzweifelt, so fassungslos, daß mir das Herz weh ta». (Fortsetzung folgt^