Deutsche   Stimmen. Bellage zur Deutschen Greifieit". Ereignisse und Geschichten

Sonntag- Montag, den 24. und 27. August 1934

Die dazu gedachte Wurst

Olly gibt den deutschen Frauen einen guten Rat

Die Frauen im ,, dritten Reich" haben keine sehr guten Tage. Man wirft sie aus den Aemtern und aus den Büros. Sie haben wieder die alt- klassische Auf­gabe zu erfüllen, dem Manne die Sorgenfalten aus der Stirne zu streichen und überhaupt himmlische Rosen ins irdische Leben zu flechten, soweit sie die Tätigkeit am braunen Kochtopf nicht vollkommen ausfüllt.

Aber hier hat sie die allergrößten Sorgen. Sie weiß nicht ein noch aus: Teuerung und kein Geld. Da schaltet sich nun Olly Niemann in der ,, NS. Frauen­warte"( 1. August) ein und beschenkt die Frauen mit guten Ratschlägen. Hören wir sie wörtlich: ,, Vor einiger Zeit las ich unter der Ueberschrift ,, Die Haus­frau als Rechenkünstlerin" eine Aufstellung der Kosten nur für Mittag- und Abendessen für 5 Personen. Es wurde ein Betrag von 15 RM. wöchentlich errechnet. Dieser Betrag ist für einen Arbeitslosenhaushalt noch viel zu hoch.

Ich möchte Ihnen nun einmal einen Einblick in meine Haushaltbuchführung geben. Mein Mann bekommt für sich, für mich und unser zweijähriges Kind 12,80 RM. Unter­stützung in der Woche. Da wir für Miete wöchentlich nur 5 RM. bezahlen brauchen, kann mir mein Mann 7 RM. Haus­haltgeld geben. Mit den restlichen 0,80 RM. muß er Licht, Stiefelsohlen und Kohlen bezahlen. Aber das ist ja seine Sache.

Zur Beschämung derer, die leider auch heute noch trot eines guten Monatseinkommens über schlechte Zeiten klagen, will ich mal aufschreiben, mit welchen Lebensmitteln ich für uns 3 Personen nun schon seit 2 Jahren ausgekommen bin. Die notwendigsten Lebensmittel für eine Woche sind: 7 Liter Milch

2 Brote.

2 Pfund Margarine auf Verbilligungsscheine

ein halbes Pfund Speck.

1 Pfund Zucker

1 Pfund Grieß..

1 Pfund weiße Bohnen.

ein halbes Pfund Malzkaffee.

M

ein halbes Pfund Fleisch

ein halbes Pfund Schmierkäse.

Gemüse

Eier

9

1,40 RM. 1,10 RM.

0,76 RM.

500

0,50 RM.

.

$ 0,40 RM.

0,20 RM.

0.20 RM.

0.11 RM.

. 0,40 RM.

0,19 RM.

0,50 RM. 0,24 RM.

6,- RM.

Es bleibt dann 1 RM. für Sachen, die nicht jede Woche gekauft werden müssen, wie Waschmittel, Bohnerwachs, Schuhpaste usw.

Die Verbannungsinsel Von Alfred Kerr  

Josh love

Dank dem großzügigen Werk der Winterhilfe der NSDAP. hatte ich die Kartoffeln im Hause. Durch Sondergaben an Festtagen ist es mir sogar möglich, an meinem Haushaltgeld etwas zu sparen, das ich dann für notwendigste Anschaffun­gen für mein kleines Töchterchen verwenden kann.

Was soll man nun jeden Tag kochen? So furchtbar schwer, wie es aussieht, ist es nun doch nicht. Einige Beispiele:

Montag, Kartoffelbrei mit gebratenen Zwiebeln, das schmeckt gut, wenn man ein klein wenig Milch und Fett darantut und viel Liebe und Sorgfalt dazu verwendet. Die beiden zuletzt genannten Gewürze kosten nichts und passen zu allen Gerichten. Und dann kann sich jeder noch ein recht schönes Stück Braten dazu denken.

Dienstag, Milchsuppe, hinterher Bratkartoffeln. Mittwoch, Bohnensuppe mit Speckgrieben und einer schönen dazu gedachten Kochwurst.

Damit ist schon die halbe Woche herum. Für die anderen Tage findet die praktische Hausfrau dann auch schon ein Mittagessen. Ein strahlendes Kindergesicht und ein paar Blumen oder ein Tannenzweiglein schmücken den Tisch.

Es gibt auch mal einen kleinen Krieg um das liebe Geld, wenn es doch mal nicht reichen will, aber das frischt die Liebe! Es wäre ja sonst vielleicht langweilig. So geht die Zeit hin, und wir verlieren nicht den Glauben an eine bessere Zukunft!"

Das nennen wir mal einen guten Rat. Alles, was uns fehlt, das denken wir uns einfach dazu: Fleisch und Wurst, Hemd und Kleid, Schuhe und Strümpfe. Indem wir es uns wünschen

dürfen, vertreiben wir uns die Langeweile, und es frischt

die Liebe". Zugleich zieht sich der Hunger in das durch­bohrende Gefühl seines Nichts im dritten Reiche" zurück, wo allein unser Führer regiert.

Eine Hausfrau aus dem Reiche, die zu der verruchten Sippe der Nein- Sager gehörte, hat Ollys Aufsatz gelesen. Sie schreibt uns dazu:

,, Wir haben nichts dazu zu sagen, nur das eine, daß die Preise nicht stimmen. Nun gibt es ja Menschen, die werden satt vom Festefeiern und Fahnenschwingen, die anderen von Uniformen."

Olly, die Fröhliche, stellt einfach ein paar Blumen und ein Tannenzweiglein auf den Tisch. Der Glauben ist ihr wichtiger als die Kochwurst.

Das sind die Menschen, die unser Führer liebt.

Die Moskauer   Schriftstellectagung

17 Jahre Sowjetliteratur

Nach dreimaliger Verschiebung trat am 15. August in Moskau   der erste Bundeskongreß der Sowjetschriftsteller zusammen. Der Kongreß ist eine unmittelbare Folge des Be schlusses des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei vom 23. April 1932, der nunmehr mit vollem Recht als historisch bezeichnet werden darf. Vor diesem Beschluß gab es in der Sowjetliteratur keine Basis, auf der sich die Schrift­steller aller Richtungen und Schattierungen hätten einigen oder auch nur verständigen können. In den zwei Jahren, die seit dem Beschluß über die Umorganisierung der Sowjet­literatur vergangen sind, wurde diese Basis geschaffen. Es gibt heute einen Sowjetschriftsteller als Sammelbegriff, einen Sowjetschriftsteller schlechthin, ohne Rücksicht auf Ab­stammung, Geschmacksrichtung, Weltanschauung. Dieser Schriftsteller soll nun in den Tagen des Moskauer   Kongresses zu Worte kommen.

Mit welchem literarischen Gut kommt dieser Schriftsteller auf den Kongreß? Diese Frage beantworten, heißt das Fazit einer literarischen Periode von 17 Jahren ziehen. Der An­fang dieser Periode war durch das Vorhandensein einer glor­reichen literarischen Tradition und eines kräftigen lite­rarischen Nachwuchses gekennzeichnet. Es lebten noch die Aelteren Veresajev, Serafimovic, Gorkij  , Brjusov  , Belyj  , Sologub  , Kuzmin; unter den Jüngeren ragten hervor Babel, Pilnjak  , Leonov  , Fedin, Pasternak, Selvinskij, Artem Veselyj  , Sejfullina, zwischen zwei Epochen standen als Binde­glieder Blok, Jesenin  , Majakovskij  .

Die Ausblicke schienen gut, und die ersten Jahre nach der Ueberwindung des Bürgerkrieges und der Hungersnot brachten eine Reihe bemerkenswerter Werke an den Tag. Zu­gleich aber begann ein großes Sterben: Brjusov, Chlebnikov  , Cumilev, Jesenin  , Majakovskij  , Sologub  , Chvylovyj. Es kam aber noch schlimmer. Altbewährte Kräfte der Literatur, Mit­kämpfer an allen Fronten der Revolution, unbedingte Gegner der alten sozialen und politischen Ordnung mußten der Lite­

nach vollwertiger Kunst hat alle Kreise ergriffen. Wie man seinerzeit eine Architektur ablehnte, die durch gewollte

Nüchternheit bedrückte, so hat der Sowjetleser die ideologisch einwandfreie, innerlich aber sterile und schwunglose Literatur abgelehnt. Ideologie und Kunst, Wollen und Können, Frömmigkeit und Meisterschaft dieser Ruf hallt heute durch die Berichte der Sowjetliteratur.

Die Erhöhung eines jeden Schriftstellers, der ehrlich an seinem Werke schafft, zum Range des vollberechtigten Sowjetschriftstellers das ist Fortschritt. Und noch mehr ist das Herz des heutigen Sowjetschriftstellers ganz von dem Verlangen erfüllt, das Handwerksmäßige zu erlernen, es den Klassikern gleichzutun, in die Tiefe und erst dann in die Breite zu gehen, Kunstwerke zu liefern, an sich und am Werk gewissenhaft zu feilen. Die guten Sachen, die jenseits aller Systeme geschaffen worden sind, und dieses volle Herz werden wohl das Gesicht des Kongresses bestimmen.

Aus Moskau   wird berichtet: Vorsitzender Maksim Gorkij  

Der 1. Kongreß der Sowjet- Schriftsteller wurde in An­wesenheit der Mitglieder der Regierung der Sowjetunion   und zahlreicher Gäste, unter ihnen auch zahlreiche hervor­ragende ausländische Schriftsteller, die ebenfalls an dem Kongreß teilnehmen, eröffnet. Den Vorsig des Kongresses führt Maksim Gorkij  . Mehr als 100 Delegierte aus allen Teilen der Sowjetunion   sind auf dem Kongreß vertreten. Im Namen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion   und im Namen der Regierung wurde der Kon­greß vom Sekretär des Zentralkomitees Zdana begrüßt. Ein großangelegtes Referat über sowjetrussische Literatur er­stattete Maksim Gorkij.  

ratur entsagen oder ihrer natürlichen Stimme künstliche Töne Der Herr Gesandte Koch

abringen; auf den Plan traten Scharfmacher und Nichts­könner, das Anknüpfen an die Tradition wurde als ,, bürger­liches Vorurteil" verschrien. Anpassungsfähige Schriftsteller flüchteten in die Vergangenheit, in die Natur, aber die Lite­ratur hatte davon keinen Gewinn.

Nach dem historischen Beschluß vom 23. 4. 1932 hat sich der Sturm, der die Sowjetliteratur zu verheeren drohte, ge­legt. Die allgemeine Pazifierung des Sowjetlebens hat ihre wohltuende Wirkung auch auf die Literatur ausgedehnt. Die Einteilung in proletarische und nichtproletarische Schrift­steller, in Hundertprozentige. Verbündete, Weggenossen und Feinde hat aufgehört, für die Beurteilung des Sowjetschrift­stellers maßgebend zu sein. Bezeichnend ist in dieser Hin­sicht der Riesenerfolg der jüngsten Romane von Solchov ( Der stille Don), Aleksej Tolstoi( Peter I.) und Ilja Ehren­ burg  ( Der andere Tag).

Was ist geschehen? Der Kampf um die Qualität, in dessen Zeichen die Sowjetunion   heute steht, ist auch der Literatur zugute gekommen. Noch nie wurden in Rußland   so viele Klassiker, heimische und ausländische, gedruckt, gespielt und gelesen wie jetzt in der Sowjetunion  . Ein Heißhunger nach solider Bildung, nach der Besignahme des klassischen Erbes,

Worüber er sich beschwert

Aus Prag   wird uns berichtet: Der deutsche   Gesandte für die Tschechoslowakei  , Dr. Koch, hat in einer Verbalnote gegen die Sammlung ,, Das ,, dritte Reich" in der Karikatur" bei den

hiesigen diplomatischen Stellen Einspruch erhoben und den Einspruch damit begründet, daß in der Sammlung Zeich­nungen enthalten seien, die bereits auf den seinerzeitigen Einspruch des Gesandten hin aus der bekannten Mánesaus­stellung entfernt worden seien. Tatsächlich enthält die Mappe aber als einzige der in der Mánesausstellung beanstan­deten Zeichnungen eine Zeichnung von Godal Die Röhmsche Hochzeit".

Es ergibt sich also die geradezu groteske Situation, daß der deutsche   Gesandte noch sechs Wochen nach den Ereig nissen des 30. Juni eine Persönlichkeit in Schutz nehmen zu müssen glaubt, deren Namen im ,, dritten Reich" ausgemerzt worden ist und deren anerkennende Erwähnung in Deutsch­ land   mit Konzentrationslager bestraft wird. Diejenigen Eigenschaften von Röhm, die in der Zeichnung karikiert werden, sind ja von Hitler   nach der Röhmschen Erschießung in ausreichender Weise besprochen worden.

Es liegt ein Insel im Weltenmeer,

Die stinkt mephistisch kreuz und quer, Guano- Insel geheißen,

Weil dort die Vögel scheinbar gern sind. II

Vögel, auch nicht gesunde,

Die sich von Fischfraß nähren, Rotten sich rings aus der Runde, Ihren Leib zu entleeren.

So daß der stärkste Mann der Welt Bei diesem Stank in Ohnmacht fällt. Es sprengt die Schleimhaut des Magens Doch die Vögel ertragen's.

III

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Sankt Helena ist anders. Sie barg Den Korsen. Sein verfrühter Sarg. Ein kahler Felsen gelblich- rötlich. Doch ohne Stank.( Anständig und tödlich). IV

Falls künftig in der Weltgeschicht'

Ein blutiger Hausknecht mit Strizzi- Gesicht Den Korsen äfft dann sollt ihr den Affen, Wenn es einmal mit ihm zu End' ist, Auf die Guano- Insel schaffen,

Wo er in seinem Element ist.

Er selber duftet, er fühlt sich zu Haus; Die Vögel aber jetzt rücken sie aus.

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Zeit- Notizen

Internationales Musikfest in Venedig  

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Vom 8. bis 16. September findet das dritte internationale Musikfest in Venedig   statt, dessen Verlauf ungewöhnlich interessant zu werden verspricht. Neben drei Symphonie­konzerten mit moderner Musik, deren eines die Komponisten selbst als Dirigenten am Pult sieht, werden im Teatro Gol­doni drei Kammeropern unter Hermann Scherchen   gespielt. Damit aber auch die Liebhaber klassischer Musik auf ihre Rechnung kommen, hat man die Wiener Staatsoper eingeladen, mit Mozarts Cosi fan tutte  " in das Teatro Carlo Fenice zu kommen, wo Clemens Krauß   außerdem noch ein Symphoniekonzert und ,, Die Frau ohne Schatten  " von Richard Strauß   dirigieren wird ebenfalls mit dem Gesamt personal der Wiener Staatsoper. Endlich wird auf dem Markusplats unter Tullio Serafin   mit einer Riesenhesegung an Chor und Orchester, sowie Solisten ersten Ranges( Gigli) das Requiem von Verdi zur Aufführung gebracht werden. Der literarische Fußball- Preis

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Frankreich   ist bekanntlich das Land der Literaturpreise, die Zahl solcher literarischen Auszeichnungen ist kaum noch zu übersehen. Sogar das Fußballspiel hat einen Literatur­preis, der von der französischen   Fußball- Vereinigung ele gründet wurde und im November verliehen wird. Es handelt sich bei diesem Wettbewerb darum, eine Erzählung zu er langen, die das Fußballspiel behandelt, die Geldpreise sind zwar nicht besonders hoch, sie betragen zweitausend, tausend und fünfhundert Franken, aber es geht natürlich auch bei diesem Spiel vor allem um die Ehre. Und die Ehre, das Fußballspiel literarisch veredelt zu haben, ist ja schließlich nicht zu verachten!

Novellen- Preisausschreiben

Die im Querido- Verlag, Amsterdam  , erscheinende lite­rarische Monatsschrift Die Sammlung" veranstaltete ein Preisausschreiben für Novellen. Das Preisrichter, kollegium bestand aus Bruno Frank  , Heinrich Mann   und der Redaktion der, Sammlung". Aus 150 anonymen Einsen­dungen wurden ausgezeichnet: Mit dem 1. Preis ,, Ein Mäd­chen mordet" von A. M. Frey  , mit dem 2. Preis Der Tod in der Michaelskirche" von Gustav Regler  . Lobend erwähnt und zum Abdruck in der, Sammlung" angenommen wurden: ,, Gold und Schwarz" von Frits Walter ,,, Der Charlatan der Wahrheit" von Güther Anders und Menschensohn und Wechslersohn" von Friedrich Oberländer. Die preisgekrönten Novellen erscheinen in den nächsten Heften der Sammlung", Eine zehnte Symphonie von Beethoven  ?

Aus Wien   kommt die Nachricht, daß Raoul Biberstein, der kürzlich die bisher unbekannte Oper von Beethoven  ,, Das Feuer der Vesta" aufgefunden hat, mehrere neue Beethoven- Entdeckungen gemacht hat. Unter den neu auf­gefundenen Blättern befindet sich nicht nur der ganze dritte Akt der Vesta", sondern auch ein Orchestervorspiel, von dem bisher nicht festgestellt werden konnte, ob es zu dieser Oper gehört, oder nicht. Die Untersuchungen darüber werden von der gesamten Musikwelt mit größtem Interesse ver folgt, und man hat bereits die Vermutung geäußert, ob es sich bei diesem Orchestervorspiel nicht etwa um eine zehnte Symphonie Beethovens handelt.

Der skandinavische Molière wird gefeiert

Im September wird Skandinavien   den 250. Geburtstag Ludwig Holbergs feiern, des großen Komödiendichters, den man auch den skandinavischen Molière nennt. Die Norweger  werden in dem alten Theater in Bergen   einige seiner Werke im Kostüm und in den Dekorationen der Uraufführung spielen, und die Dänen bereiten große Festspiele vor, die in verschiedenen Theatern Kopenhagens   stattfinden werden. Heinrich Wölfflin   emeritiert

Heinrich Wölfflin   wurde auf sein Ersuchen vom 15. Ok­tober ab von den Verpflichtungen als ordentlicher Professor der Kunstwissenschaft an der Universität Zürich   befreit. Der Regierungsrat hatte das Gesuch genehmigt, da Wölfflin   die Altersgrenze erreicht hat. Heinrich Wölfflin   wurde zum Honorarprofessor ernannt.