Den
Freiheit
Nr. 242 2. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Dienstag, den 30. Okt. 1934 Chefredakteur: M. Braun
Schacht
gegen Feder
Seite 2
Die Pariser Saackundgebung
Seite 3
Leene kaufen, ohne zu zahlen
Seite 4
Seite 7
Katholische Jugend gegen den„ Führer"
Eine Kampfansage des Saar - Katholizismus
gegen die nationalsozialistische Weltanschauung und die Proklamationen Hitlers
Alle Anzeichen sprechen dafür, daß man sich im„ dritten Reich" auf eine neue Ae a des„ Kulturkampfes" wider den Katholtzismus einrichtet. Die Heißsporne, an ihrer Spitze der Bannerträger Rosenberg, sind nur noch mit Mühe zurückzuhalten. Nur die Rücksicht auf den Ratholizismus an der Saar hält noch den Damm.
Aber unweit von der Saargrenze, in Trier , hat man am Sonntag doch sehr deutlich geredet. Auf der Tagung der braunen Philologen und Schulmänner sprach hier der Reichsleiter des Nationalsozialistischen Lehrerbundes , Staafs minister Schemm. Wir übergehen seine pädagogischen Grundsätze. Politik für die Schule! Freie" Wissenschaft, soweit sie dem dritten Reich" nützt. Der Angriff ging gegen die Kirchenopposition, vor allem gegen die katholische:
" Diese Volksgemeinschaft ließen wir niemals antasten, auch nicht von den Konfessionen. Wenn der gute Wille dazu wirklich da sei, werde sich eine Trennung nie ergeben. Nur Dummheit oder verbrecherisches Tun könnten so etwas anstreben. Dummheit müsse korrigiert, Verbrechertum müsse ausgerottet werden. Und wenn man sich in Deutsch land mit dem Mythos der alten Germanen beschäftige und mit der Religion unserer Vorfahren, so sei das gewiß keine Gottlosigkeit. Wer das behaupte, der fet ein gemeiner Verleumder. Damit jei kein Wort gegen das Christentum gesagt, denn damals, als die alten Germanen sich auf ihre Art mit ihrem Gott beschäftigten, habe es ja noch feinen Christus gegeben. Der Redner erklärte, er freue sich über jeden Gläubigen und sei der Meinung, daß die Gemeinsamkeit des Christentums start genug sein müsse zur Ueberwindung der Gottlosigkeit. Er sei überzeugt davon, daß er im Namen sämtlicher im NSLB. vereinigten Erzieher spreche, wenn er feststelle, daß der Bund um unsere Jugend eine harte und feste Mauer baue, daß Konfeffionshaß und theologische Spitfindigkeit niemals an sie herankommen."
Zukunft kein objektives Recht mehr geben werde, es ist
behauptet worden, Recht ist, was dem Bolle und dem Der Lump, der Emigrant
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Staate nügt, Unrecht ist, was schadet. Die so sprechen, die stürzen die Autorität des Rechtes das sind die Baumeister, die den Neubau der Zukunft nicht auf dem Eckstein Christi, auf der Autorität des von Menschen unabhängigen Rechtes aufrichten wollen...
Aber derselbe hl. Paulus, der uns so stark zum vollen Gehorsam gegen die Obrigkeit verpflichtet, er schreibt auch das andere Wort: Macht Euch nicht zu Sklaven von Menschen. ( 1. Kor.) Wie ist das mit der Gehor: samspflicht gegenüber der staatlichen Obrigkeit zu vereins baren? Der hl. Paulus gibt selbst die Antwort indem er sagt: die Obrigkeit ist Gottes Dienerin- nud: es sind Be auftragte Gottes, die diesen Dienst versehen.
Wir bekennen es, daß für uns niemand anderes der Inhaber der staatlichen Gewalt ist als unser König Jesus Christus. Ihm gehört unser Dienst und unser Ges horsam, den wir der Regierungsautorität leisten müssen. Ihm dienen wir allein, darum lassen wir uns auf feinen Menschen verpflichten, denn für uns, die wir durch Christi Blut erfaust sind, ziemt es sich nicht, Menschen zu dienen.
Wir find ans föniglichem Geschlecht und dürfen und wollen uns nicht erniedrigen zu einem menschlischen Dienst.
Katholische Jugend! Erhalte und wahre dir den Adel eines Gehorsams, der den Menschen gegenüber frei, dafür aber umso tiefer an Chistus gebunden ist. Für die Freiheit hat uns Chriftus frei gemacht. So steht denn fest und laßt Euch nicht aufs nene das Joch der 5,
Nach den Objekten dieſer ungezügelten Polemik braucht man nechtschaft aufbürden!"( Gal. 4, 31; 3, 1).
nicht lange zu suchen. Es sind die Hirtenbriefe der deutschen Bischöfe, die sich immer wieder gegen das Neuheidentum und die Vergottung des Nationalsozialismus wenden.
Der Diözesansekretär Kaplan Müller
Wie groß der Gegensatz ist, zeigte sich am Sonntag, nicht sehr weit von Trier entfernt, in Saarbrücken . Bei einer Christkönigsfeier der katholischen Jugend in der großen. Kirche St. Michael sprach vor der sich im überfüllten Gewölbe drängenden Menge der Diözesensekretär Kaplan Müller. Seine Predigt war eines der fämpferischsten Bekenntnisse, daß man seit langem von einem be= amteten katholischen Priester vernommen hat. Wir zitieren nach der gleichgeschalteten, früher katholischen Saarbrücker Landeszeitung" vom Montagmorgen:
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Was ist Recht? Ist das Recht der Wille eines einzelnen Menschen? Ist das Recht die Befehls: gewalt der herrschenden Schicht? Ist das Recht das Brivileg einer besonderen Rasse? Woher hat dann das Recht seine Autorität? Seine Gewalt, die die Menschen nicht nur äußerlich zwingt, sondern sie auch innerlich ver pflichtet. Recht ohne Autorität ist kein Recht, ist nur schlecht verhüllte Gewalt! Die Autorität des Rechts fann niemals aus einem Menschen kommen, denn aus sich selbst kann kein Mensch einen anderen in seinem Gewiffen sich unterwerfen dem Wesen nach find wir ja alle einander aleich. Und was von dem einzelnen Menschen gilt, das gilt auch von bestimmten Menschengruppen, mögen fie nun vorgeben, besseres Blut zu befizzen oder mögen sie gerade die Machtmittel in ihrer Hand haben weder die Summierung noch die Qualität des Blutes, noch der Besik der Mochtmittel erhebt einen Menschen über den anderen! Die Autorität des Rechtes kommt aus einer höheren Welt, fie kommt von Gott, Recht, das ist der Wille Christi , des Königs. Deshalb steht die Autorität des Rechtes unabhängig da von den Menschen, unabhängig von Raffe und Blut, unabhängig von Gewalt und Macht. In dieser Rede wurde das Wort„ Nationalsozialismus " nicht au nesprochen. Mit keinem Satz wurde der Führer" erwähnt. Aber was dieser offizielle katholische Kanzelredner sprach waren Keulenschläge geger die braune Gewaltanbetung und gegen Hitler . Ein anderer katholischer Priester an der Saar , Pfarrer Arends, hat kürzlich Hitler als„ Abgesandter Gottes " bezeichnet. Kaplan Müller sagt mit jedem Sage d as unzweideutige und offensive Gegenteil:
„ Es ist ausgesprochen worden, daß der Wille eines Menschen das Recht sei, es ist gesagt worden, daß es in
„ Wir sind in Christus gern und willig der recht: mäßigen staatlichen Autorität gehorsam. Dieses in Christus" das ist eine Bindung an Verantwortung und Pflicht, wie sie in diesem Maße bei anderen Welt anschauungen nicht zu finden ist, aber dieses in Chriftus ift zugleich unsere Freiheit, unsere innere Freiheit aller irdischen Macht und allen ungerechtfertigten Forderungen unserer Mitmenschen gegen: über. Die äußere Freiheit, sie mag uns eingeschränkt und genommen werden, aber die innere Freiheit, die soll man uns nicht antasten dürfen
In diesem Dienst kämpfen wir um Freiheit und Menschenwürde. Wir sind ganz Dein eigen. Für Dein Reich kämpfen wir. Dir halten wir die Trene, auch wenn sie harte Opfer von uns fordert, an Dich glauben wir und bekennen
Sollten diese Säße beduten, daß sich der saarländische Katholizismus zum Opfer" anschickt? Will er gegen die Macht den Kampf beginnen, mit der diese widerchristlichen Anschauungen und Lehren verbunden sind? Der Diözesanpräses hat noch mehr gesagt, als die„ Saarbrücker Landeszeitung" zu berichten wagt. Ein korrekter Zuhörer hat sich noch die folgenden Säße notiert:" Wir kennen keine Edel: menschen und keine nordische Raffe, die bevorzugt werden soll Christus allein hat dem Menschen das Leben gegeben, und der allein hat das Recht, das Leben eines Menschen zu fordern."
Die dicht aneinandergedrängten Gläubigen hörten sich, so berichtet uns der Kirchenbesucher weiter, diese leidenschaftliche Predigt tiefernst und in großer Ergriffenheit an. Sie war das Tagesgespräch des katholischen Saarbrücken . Viele wollten darin ein Zeichen sehen, daß sich der Saar - katholizismus offiziell vom Hitlerismus trennen und in Kürze bestimmte Entschlüsse im Hinblick auf die Abstimmung zu treffen gedenkt.
Wir gehen nicht soweit. Wir glauben auch nicht daran, daß die katholische Hierarchie ihre vielverzweigte Diplo= matie preisgeben und im Saarkampf die Schlußfolge= rungen aus der katholischen Glaubens- und Sittenlehre ziehen wird. Aber es gibt zu denken, daß sie den Kaplan Müller als Kanzelredner bei solch offiziellem Anlaß vorschickte. Seine Anschauungen konnten an höherer autoritativer Stelle nicht unbekannt sein. Es ist sogar wahrscheinlich, daß diese sensationelle Rede wohlüberlegte Kollektivarbeit ist. Zwar wird darin immer wieder betont, daß man der rechtmäßigen Autorität" gern und willig Gehorsam leiste. Jedes Wort des Priesters von St. Michael kann jedoch nur so gedeutet werden, daß das dritte Reich"
So mußt du aus dem Vaterlande gehn. Dies wollen sie, dies ist's, worauf sie denken; Und wo man Christtum frech zum Markte trägt, Dort wird zur Tat, was not tut, dich zu kränken. Wie hart es ist, zu steigen fremde Stiegen, Wird dann durch die Erfahrung dir entdeckt. Doch wird so schwer nichts deinen Rücken biegen Als die Gesellschaft jener schlechten Schar, Mit welcher du dem Bann wirst unterliegen. Ganz toll und ganz verrucht und undankbar, Bekämpft sie dich; doch zeiget bald, zerschlagen, Ihr Kopf, nicht deiner, wer im Rechte war. Wie dumm sie ist, das wird ihr Tun besagen; Und daß du für dich selbst Partei gemacht, Wird dir erwünschte, schöne Früchte tragen. Der Emigrant Dante Alghieri ,, Paradiso", Canto 17( 1321). Ein Schimpfwort hallt, neben vielen anderen, gegenwärtig durch die Straßen und durch die Gassen des Saargebiets. Es lautet:„ E migrant!" Es kommt gleich hinter ,, Gefindel" und„ Separatist" im unerschöplichen Lexikon der verächtlichen Worte, die diesen Abstimmungskampf vor den Augen und den Ohren Europas begleiten. Man muß es einmal in einer Versammlung der deutschen Front" erlebt haben, wenn ein Redner von Emigranten spricht. Da verzerren sich die anständigsten Gesichter. Selbst in zarte Frauenwangen drängt das Blut. Kommt dazu die Parole:„ Hinausjagen!", dann branden die Wogen des Hasses.
Muß man es immer wieder sagen, daß es im Saargebiet keine Emigranten gibt? Hier leben Deutsche auf deutschem Boden, die einen erzwungenen Ortswechsel im Bereich ihres Vaterlandes vorgenommen haben in dem Augenblick, als eine diktatorische Gewalt herrschaft sie ächtete, beraubte und bedrohte. Wahrhaftig, einige kamen sogar bei„ Nacht und Nebel", und es ist nicht zu bestreiten, daß der„ Staatsanwalt" hinter ihnen her war, wie man es an beiden Saarufern immer wieder hören kann. Aber was hatten sie getan? Sie hatten nichts unterschlagen, keinen andern ermordet, keinen Meineid begangen und auch den§ 175 StrGB. niemals verlegt. Sie hatten nur in einem Punkt gesündigt: in der Gesinnung und vielleicht durch Geburt. Dafür sollten sie in Schutzhaft, ins Konzentrationslager, um später auf der Flucht ers schossen zu werden.
,, Legal ,, hatte man das Allerbeste mit ihnen vor. Aber in der braunen Pragis konnte jeder Sadist mit ihnen machen, was er wollte. Und dann hatten diese Männer noch eine Eigenschaft, die sie den Anbetern Hitlers an der Saar unsympathisch und verdächtig machte. Sie meinten, ohne den Atem der Freiheit, ohne die ehernen Tatsachen eines Rechtsstaates nicht existieren zu
diese rechtmäßige Autorität im Sinne des Katholizismus richt ist.
Denn: es hat die Befehlsgewalt einem einzelnen Menschen ausgeliefert.
Es erkennt nicht an, daß die Autorität des Rechts von Gott kommt.
Es hat, wider den Apostel Paulus, Menschen zu Sklaven gemacht.
Es hat den widerchriftlichen Saß, daß Recht sei, was dem Volfe und dem Staate nüße, zu herrschenden Magime ers hoben.
Es proklamiert jeden Tag das Vorrecht der nordischen Raffe.
Es mordet Menschen unter angemaßtem Recht und vers legt täglich Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde.
Die Botschaft ist gut und wahr. Die Einsicht ist vortrefflich. Vielleicht bedeuteten sie im Augenblick noch nicht viel mehr, als das Bekenntnis, daß der Katholizismus Opfer und Martyrium nicht allein dem oppositionellen Protestantismus überlassen will. Eine breite Breche ist schon geschlagen. Nach der Kanzelrede des Kaplans Müller ist es mit dem Wanderpredigttum katholischer Priester zugunsten der braunen Front an der Saar für immer zu Ende.