Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit

Donnerstag, den 1. November 1934

Fälische Literaturstunde

Justinus Keeners ostischer Kopf und Schillers Dinaciechaupt

Die Zeitschrift für Deutschkunde" erscheint im Teubner­Verlag, Leipzig  , dem bedeutendsten Schulverlag des Deut­schen Reiches. Wie die Geisteshelden aussehen, die im ,, dritten Reich" die Schule formen helfen, zeigt sich wieder einmal im Oktoberheft dieser Zeitschrift. Da beklagt sich ein Mann namens Heinz Otto Burger   bitter darüber, daß der rassische Gedanke noch nicht recht in die Literatur­geschichte eingedrungen sei. Seiner Meinung nach muß die ganze Literaturforschung auf eine neue Basis gestellt wer­den, und er gibt an Ort und Stelle ein Pröbchen seiner weltweiten Planung. Wir zitieren:

.., Der erste in der deutschen Literaturgeschichte, den ich mit einiger Bestimmtheit als fälisch bezeichnen möchte, ist Hans Sachs  . Jost Ammanns Stich von 1576 zeigt zwar keine fälische Nase, aber die fälische Kopfform. Den ersten repräsentativen Falen finde ich erst wieder in Friedrich Rückert  ( sehr bezeichnend die Ueberaugengegend und der Mund)... Der klassisch ostische Kopf sitzt Justi­ nus Kerner   auf den Schultern. Auch in dem etwas weniger ostischen Möricke ist viel ,, magischer Idealismus" lebendig.

Ereignisse und Geschichten

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Abschied von Erich Kästner  

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Und ein Schweizer  : Gottfried Keller  . Seine Statur, aber auch, namentlich wenn man Jugendbilder betrachtet, seine Gesichtszüge stempeln ihn deutlich zum Osten... Johann Christian Günther  ( siehe besonders die Unterkiefer- und Mundpartie!)... Der ostbaltische Sachse Paul Gerhardt  ( siehe besonders den Mund und den Abstand der inneren Augenwinkel von der Nase!).. Und ist nicht Nietzsche  ein Dinarier? Hölderlins Schädelbildung ist stark dinarisch. Groß steigt hinter Nietzsche  , hinter Hölderlin   das Dinarier­haupt Schillers empor."

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So hast auch Du uns schließlich noch verraten Und leckst den Stiefel, der den Geist zertrat. Du trägst das Schandmal eines Renegaten Und deckst von nun an jede Greueltat.

Wohl warst Du unser, doch nur im Verneinen. Sehr lange warteten wir auf Dein Ja. Jetzt ist es, wenn auch leise, plöglich da, Doch nur als ein Bekenntnis zum Gemeinen. Dein Ja zur Barbarei ist schwach und ärmlich Und kommt vor allen Dingen reichlich spät. Selbst als Verräter bist Du noch erbärmlich. in Ein Blender starb in Trivialität.

( Stenokritiken) I

Das ist nur eine Kostprobe es geht so weiter viele Seiten lang. Ob Kleist oder Adalbert Stifter  , ob Schlegel, Deutsches Theater in Paris  Schleiermacher   oder Beumelberg sie alle kriegen einen Steckbrief mit genauen Nasenangaben und Augenwinkel­messungen auf den Weg. Nur einer ist weggelassen, ein ganz kleiner: Goethe! Offenbar sieht er schon allzu ..ostisch" aus und hat sich nicht recht eingliedern lassen Wenn er sich nicht entschließt, nachträglich seine Gesichts­züge zu korrigieren, wird man ihn kurzerhand aus dem Schulplan streichen müssen.

Die Dilettantenfcont

oder: Dec rasende Stümpec

In der Deutschen Bühnenkorrespondenz wird einem haken­kreuzlerischen Dramaturgen, Wolf Braumüller, das drama­tische Wams zu eng und er enthüllt ein Theaterelend, von dem er nicht einmal weiß, wie schlimm es ist. Warnend er­hebt er die Feder gegen die ,, dramatische Produktion von heute und wirft den braunen Stückeschreibern vor, daß sie den Gedanken der nationalsozialistischen Volksgemein­schaft mit phrasenhafter Leitartikel- Gelehrsamkeit" zu ge­stalten suchten oder historische Persönlichkeiten en Masse vergewaltigten. Ebenso entsetzlich sei die Verballhornung der germanischen Vorgeschichte, der Edda   oder der Werke gro­Ber Autoren.

..Ehrfurcht vor den Werken deutscher Geistesheroen scheint überhaupt von vielen Autoren als unnationalso­zialistisch ein für allemal abgelehnt zu werden."

Naive Klage! Woher sollen Hitlers   Barden diese Ehrfurcht haben, wenn der Geist verbannt, verbrannt, verfemt wird?! ,, Weiterhin scheint die fröhliche Muse aus der Dra­matik der Gegenwart verbannt zu sein." Ein Lustspiel, eine reizende Komödie zu schreiben, scheint als frivol verschrien..." Aber wir haben leider eine er­schrecklich hohe Zahl von Dilettanten, die durch ihr Massenauftreten die keuschen Quellen wah­rer dramatischer Dichtung nur allzu leicht verschütten können."

Wir sind es der Reinheit der nationalsozialistischen Revolution schuldig, diesen Kräften den schärfsten Kampf anzusagen..."

Namen nennt Braumüller nicht, sonst könnte sich heraus­stellen, daß aus dem Heer der Konjunkturritter" verschiedene braune Oberbonzen, wie Goebbels  , Rust, Buch­

Das braune Säugetier

Appelschnut   ist wieder da

Der Verlag L. Staackmann, Leipzig  , hat eine literarische Tat vollbracht, er hat Otto Ernsts Appelschnut" in einer neuen, reich illustrierten Ausgabe unters Volk geworfen. Der gleichgeschalteten Presse gefällt das, sie findet es rei­zend. Appelschnut" war ein Buch von jener Art, wie sie die Kaffeekränzchentanten und Großmütter im wilhelmini­schen Deutschland   schätzten, so ein Büchlein mit Blauäuglein und zartrosa Wänglein. Süße, rote Kinderlippen kamen darin vor, die an Papas Studierstubenfenster einen Kuß drückten, dessen Abklatsch noch lange haften blieb. Und Papas Blicke wanderten natürlich immer wieder sinnend zu der gesmaŋz­ten Scheibe.

Die gleichgeschaltete Presse hat recht: den alten, be­währten Konzentrationslagerschindern des dritten Reiches" gefällt das Buch bestimmt. Der deutsche Büchermarkt ist völlig auf den Hund gekommen aber Appelschnut, das ist was anderes, Appelschnut wird bestimmt ein Geschäft. Denn Roheit und verlogene Sentimentalität, Gemeinheit, Blau­veigeleinlyrik und Bestialität verbinden sich im n Deutschland zu einer so seltsamen Mischung, daß bei der Lektüre des Büchleins mit den raso Wänglein bestimmt kein SA.- Auge trocken bleiben wird.

Der Wunsch des Despoten

neuen

Als der junge Cajus, genannt Caligula  , den Thron des römischen Kaiserreiches bestieg, begannen alle seine Wün­sche in Erfüllung zu gehen. Jede Frau, die er begehrte, ge­hörte ihm, und wenn sie die Frau eines hohen Würden­trägers war; jedes Gut, nach dem er die Hand ausstreckte, fiel ihm zu. Er wünschte ein Gott zu sein der Senat er­kannte ihm göttliche Ehren zu; er verhöhnte diese Unter­würfigkeit, indem er sein Leibroß zum Senator ernannte, der Senat duck te sich. Doch das Schönste deuchte ihn, daß

was

horn usw. herausragen. Der verzweifelte Kritiker hat durch­aus Unrecht und seine Dilettanten haben Recht. Denn aus dem Goebbels- Maulkorb kann kein Kunstwerk kommen, und gar Stücke ,, nationalsozialistischer Weltanschauung" soll das eigentlich sein? Es gibt konservative, liberale oder sozialistische Kunstwerke, aber was soll der braune Schrei­ber eigentlich dramatisieren? Etwa die ausgebliebene Bre­chung der Zinsknechtschaft, oder die ,, Volksgemeinschaft", in der Direktor Meier die Klassengegensätze beseitigt, in­dem er mit seiner Kontoristin tanzt? Oder die Konzentra­tionslager mit Bunker und Gefangenenmord? Nationa les Denken hat seine Dichter seit Jahrhunderten, dazu be­darf es keines Nationalsadismus. Die ,, fröhliche Muse" je­doch, die lustige Komödie, wie soll die zwischen K- Z und Schutzhaft ge ihen? Die braucht Freiheit, wie jedes andere. Kunstwerk. Man lasse in Hitlerdeutschland ein einziges lustiges Zeitstück zu, das auch nur milde einige ,, Schwächen" der deutschen Gegenwart zeigt und die Massen werden nur so strömen, sie werden auch das bescheidenste kritische Wort mit einem Beifall überschütten, der die Szene zum Tribunal und den Bonzen Angst und Bange macht. Nein, auch so ein aktuelles Lustspielchen dürfen die Oberbonzen nicht gestatten.

Was also die braunen Schreiber schließlich als ihre., Welt­anschauung" verarzten können, das sind die wirren Phrasen ihrer Demagogen. Und hier bedingt eine Verschwommenheit die andere, ein Dilettantismus den anderen. Der arme Pe­gasus der braunen Barden gibt nach einem unerschütterlichen Naturgesets lediglich den unverdaulichen Phrasenmist wie­der, mit dem er durch Rundfunk und feile Pressekulis tag­Was will Braumüller nun eigent­aus. tagein er lich?!

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B. Br.

es waren genau siebenundsiebenzig an der Zahl ge­wesen als der junge Kaiser vor sich hinseufzte: 0 Chae­rea, mein Wackerer, ich habe einen Wunsch." Sprich ihn aus, mein Kaiser," erwiderte der Tribun ,,, ich brenne, ihn auszuführen." Wehmütig schüttelte Caligula   sein Haupt: ,, Du kannst es leider nicht, auch wenn du wolltest." ,, Ich schwöre, alles zu tun!" rief der Tribun. ,, Du schwörst es? Nun, so höre Chaerea: Soeben wünschte ich mir, das ganze römische Volk hätte nur ein einziges Haupt, und du solltest es dann mit einem Schlage herunterhauen."

Der Tribun erwiderte nichts. Aber bei sich dachte er nach: ,, Ein einziges Haupt das ganze römische Volk? Hat es das nicht? Ist der Kaiser nicht das alleinige Haupt des römischen Volkes? Ist er nicht der einzige, der Willen, Macht und Gewalt hat? Nun, ich habe geschworen. Auf des Kaisers Befehl mußte ich unlängst den eigenen Bruder vom Leben zum Tode befördern, warum nicht ihn selber?" Einige Tage später fiel Caligula   unter den Streichen seines Leibwächters. Tyrannen sollen vorsichtig in ihren Wün­

schen sein...

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Demütig und feiedlich

Wir danken Dir, Herr Gott  , demütig für Deine Seuche.

M

Wir danken Dir, daß Du unsere alte Erde gesegnet hast mit Kriegen, Feuer und Rauch, damit sie in tausend Jahren ganz unser werde gedrängt vom Blut und von unserer Väter Staub. Wir danken Dir, indem wir Söhne zeugen, die nach uns über den deutschen Acker gehen! ( Walter Erich Schäfer  in ,, Westermanns Monatsheften  ".) Einer von den lyrischen Experten für Hitlers   konsequente Friedenspolitik!

er jeden, den er haßte oder fürchtete, durch ein einziges Lohnabbau mit Militärmusik

Wort vom Leben zum Tode befördern konnte

und er

tat es, so oft sein Geist ihn dazu trieb. Und doch gab es einen Wunsch, den er selber für unerfüllbar hielt. Lange bewahrt er ihn in seinem Innern. aber einmal kam die Gelegenheit, wo er ihn nicht zurückhalten ließ.

Der Tribun der Leibwache, der grimmige Chaerea, er­stattete dem Kaiser Rapport über die jüngsten Hinrichtun­

..Im oberschlesischen Industriegebiet erschien in den letzten Tagen ein Musikkorps des Infanterieregiments in Breslau   zu verschiedenen Zeiten auf den Grubenhöfen und in den Werken, um Freikonzerte zum Besten zu geben. Von den Betriebsführungen wurden aus diesem Anlaß Pausen eingelegt."( Reichsdeutsche Zeitungsmeldung.)

Grundsatz:

Horatio.

Sollten die Leistungen spärlich sein, Wird doch der Kritikus ehrlich sein;

Nichts vertuschen,

Auch wenn sie pfuschen.

Doch wenn sie Giebel und Gipfel streifen, Wird er hell in die Harfe greifen. II

Zwei Gastspiele. Alwin Kronacher   gab auf deutsch   La Francerie" von Raynal  ( ,, Die Marne  " betitelt).

Die gallische Schloßfrau, bei der ein Pubertätszögling haust, bekommt zur Einquartierung einen deutschen Oberst­leutnant. In langen Gesprächen überwiegt( über Strate­gisches und Nationales) das Menschliche.

Sehr wackeres Zusammenspiel. Sibylle Binder( feinfühlig). Ferdinand Hart  ( mehr Wucht und Zucht als Vielfalt). Berg­hof( bißchen reift als Pubertäter). Gesamtwirkung: löblich und achtungswert.

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III

Zweites Gastspiel: Barnowsky mit ,, Wie es euch gefällt  " von Shakespeare   in französischer Uebersetzung. durch Supervielle. Ich will oder kann darüber nicht richten. Sondern bloß zwei der Gründe für den mangelnden Besuch feststellea der zum Abbruch führte.

Erstens. Copeau, der als zukunftsträchtiger Spielmeister Frankreichs   gilt, gab dasselbe Stück zur selben Zeit.

Zweitens. Die Leute hier gehen zwar ins Theater, um fremde darstellerische Kanonen( vedettes, stars) zu sehen; sie betrachten aber einen fremden Regisseur nicht als Kanone.

es hier erst am Annabella, bezaubernd im Film, war Schluß: wenn Rosalinde den Epilog sagt:( Das Neckischsein vorher lag ihr nicht.)

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Sie könnte mit der zuletzt herabschwebenden feinen eine wesent­Unterschiedlichkeit und zarternsten Anmut liche Darstellerin heutiger Sprechstücke werden. ( Aber man wartete drei Stunden darauf.)

Zuchtwart auf dem Dorfe-

aber mit Erbfolge

K... r

Es wird in Deutschland   offenbar noch viel zu viel durch­einander geheiratet. Schließlich genügt es nicht, daß ,, am Walde die Heckenrosen blühn", daß ein Burschenherz voll Liebeslust schlägt", daß zwei junge Leute..am Holderbusch Hand in Hand saßen" es kommt vor allem auf die beiderseitigen Großmütter, Stammbäume, Ahnenkarten und Sippenbücher an. Im Hauptblatt des Reichsnährstandes wurde soeben ein beachtlicher Vorschlag gemacht, wie die Liebesromantik auf dem Lande zugunsten der Aufzucht ab­zuschaffen sei. Der Dorfarzt", so behauptet Darrés Leibnährblatt, kann und muß auch Zuchtwart sein"

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Und auf diesen Zuchtwart werden große Hoffnungen gesetzt. Er müsse, so heißt es da, durch Beratung und Be­lehrung weitgehenden Einfluß auf die Ehewahl der länd­lichen Jugend gewinnen. Besonders wertvollen Ehegatten werde er klarmachen, daß sie verpflichtet sind, eine mög­lichst große Zahl von Kindern zu haben. Ob der Dorfarzt die möglichst große Zahl von Kindern dann auch ernähren wird, steht zwar nicht dabei. Aber die wertvollen Paare werden sich wohl dennoch drum reißen, ihrem lieben Dok­tor gefällig zu sein.

Aber auch der Zuchtwart selbst tut gut daran, sich eifrig fortzupflanzen, denn die Nährständler sind der Ansicht, daß der Dorfarzt hauptsächlich dann mit Erfolg Zuchtwart sein könne ,,, wenn wir erst Dorfarztgeschlechter haben, wenn also einer der Söhne des Dorfarztes wieder im selben Dorfe Arzt wird". Dafür soll das Einkommen der medizinischen Dynastie durch ,, Gewährung fester Bezüge für den Volks­zucht- und Gesundheitswart" ergänzt werden.

Wir würden empfehlen, daß der Zuchtwart, wenn er schon mal bei der Arbeit ist, gleich die Kühe und ihre Bullen, die Ziegen und ihre Böcke mit betreut und belehrt. Da es hier wie dort nur auf die Jungen ankommt, ist ja der Unter­schied nicht so groß, und die Menschenpärchen dürften sich bestimmt geehrtfühlen, wenn sie mit dem Hausvieh unter einer Personalunion vereinigt würden.

Laẞt Inserate sprechen!

Alle ehemaligen Freunde und Gönner der... Frankfurter Nachrichten" bitten wir herzlichst, uns bei der Unterbrin­gung unserer arbeitslos gewordenen Mitarbeiter zu unter­stützen.

I. G. Holtzwarts Nachfl. GmbH. in Liquidation Verlag der Frankfurter Nachrichten".

Ein deutsches Inserat. Eine kleine Illustration zu Hitlers  erfolgreicher Arbeitsbeschaffung!