Deutsche   Stimmen Beilage

Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Geschichten

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Freitag, den 9. November 1934

Wenn sie den Mund auftun

Von Klaus Mann  

Was die deutschen   Instanzen mit diesen Ausbürge rungen" eigentlich bezwecken, ist nicht ganz klar. Für unsereinen haben sie keinerlei praktische Bedeutung. Als Bürger eines Deutschland  , wie es heute aussieht, hatten wir uns ohnedies nicht gefühlt; und Bürger des eigentlichen Deutschland   bleiben wir ob man uns von Berlin Bann­flüche nachkräht oder nicht. Leonhard Frank   ist ein deutscher   Schriftsteller; Hitler   jedoch ist keiner. An diesem Tatbestand ändert der komische Bannfluch nichts. Was soll also der ganze Scherz? Er hat genau die Funktion, die Scherzen zukommt: er soll wohl die Zuhausgebliebenen ein wenig ablenken, amüsieren, mal auf andere Gedanken bringen. Der Zuhausgebliebene denkt: Donnerwetter, jetzt haben sie gleich achtundzwanzig Stück ausgebürgert. Teufel noch eins, die Carola Neher   ist auch dabei, die habe ich doch mal auf der Bühne gesehen, wieso hetzt sie denn so, man geht aber scharf ins Zeug. Also wird dieser Zeitungsleser eine Viertelstunde lang nicht an die steigenden Preise, an die Rüstungen, an das gegenwärtige und kommende Elend denken. Das ist der Effekt. Ein kleiner Ablenkungsscherz wie ein anderer auch.

Auch beim Witzemachen aber wird man liebgewordenen Gewohnheiten nicht untreu. Die zentrale Eigenschaft aller, die Nazitum repräsentieren oder in seinem Namen sprechen, ist doch, daß sie ununterbrochen lügen. Sie können schon nicht mehr anders, es ist ihre Natur. Im Wichtigsten wie im Kleinsten müssen sie unter allen Umständen die Unwahrheit sagen. Sogar wenn die Wahrheit genau so bequem verwend­bar ist, zieht ein Nazi aus Instinkt die Lüge vor.

Beaune Pornographie

Aber Herr Rust!

Das

,, Der deutsche Mann und die deutsche Frau sind Deutsch­ land   und aus ihrer Vereinigung wächst das Deutschland  von morgen. Wenn sie das neue Deutschland   erringen sollen, müssen sie in demselben Geist miteinander verbunden sein, müssen sie sich in der neuen Welt des jungen Deutschland  gleichberechtigt und gleich stark zurechtfinden. Daraus er­gibt sich, daß die Pflicht der deutschen Frau, sich mit dem nationalsozialistischen Gedankengut vertraut zu machen, noch nicht beendet ist.

Ich wünsche aus der Mädchenschule das herauszutun, was das Mädchen belastet und hineinzutun, was es stark macht, in vollem Bewußtsein sich selbst inmitten der deutschen   Geschichte als lebendiges Glied zurückzufinden. Jedem das Seine! Es gibt aber auch etwas, was als besondere Aufgabe gegeben ist, und diese Bezirke dürfen nicht mit­einander vermengt werden."

*

Also Reichsminister Rust   auf der Gauschulungstagung der NS.  - Frauenschaft des Gaues Südhannover- Braunschweig. Der Bericht stammt mit obigen Hervorhebungen aus der ,, Berliner Börsen- Zeitung"( 5. Nov.).

daß

Deutsche Nachrichtenbüro" etwa hat mitzuteilen, Leonhard Frank   ,, ausgebürgert" ist. Es muß eine Lüge hinzufügen, sonst würde ihm die ganze Nachricht den halben Spaß machen. Es verbreitet also: Leonhard Frank  . sei ein kommunistischer Schriftsteller und lebe in Prag  . Nun versteht sich ja schon von selbst, daß Frank weder Kommu­nist ist noch sich in Prag   aufhält. Wäre er wirklich ein in Prag   lebender Kommunist, dann würde das Nachrichtenbüro doch verbreiten: der sich in Spanien   herumtreibende theo­sophische Lyriker usw. Auch von Balder Olden   weiß die Agentur so manches, zum Beispiel, daß er der Autor einer Broschüre Hitler der Eroberer" ist; unnötig zu sagen, daß es nicht stimmt. Zu den Gründen, die Anlaß zu meiner ,, Aus­bürgerung" gaben, erwähnt das Nachrichtenbüro meine Mit­arbeiterschaft an einem Prager Hetblatt ,, Neue Freie Presse". Aber von dem wußte ich gar nichts. Ich kannte immer nur das ehrwürdige Organ gleichen Namens in Wien  , und eine Zeitschrift namens ,, Freie Presse", die einige Monate lang in Amsterdam   erschienen ist.

Es wäre ja genug gegen mich vorzubringen, vom Stand­punkt des Deutschen Nachrichtenbüros" aus. Aber nein, gelogen muß werden. Das hat nichts mit Schlamperei zu tun, das ist Prinzip. Man nennt den Namen einer Zeitung, die nicht existiert. Bei den Leuten muß eine Art von physischem Ekel vor der Wahrheit herrschen. Wir wissen ja, wer das Beispiel gibt. Einer plappert immerfort das Wort Frieden". was aber meint der denn eigentlich? Ach, das, was sie jedesmal meinen, wenn sie den Mund auftun: das Gegenteil von dem, was sie sagen.

Daluege läßt Wettschießen

Die neue Herrenschicht amüsiert sich

In der Frankfurter Zeitung  "( 4. Nov.) lesen wir: ,, Der Befehlshaber der deutschen   Polizei, General Daluege, hatte eine große Zahl bekannter Persönlich­keiten aus den Ministerialbüros und aus sonstigen Dienst­stellen zu einem kameradschaftlichen Wett­schießen in die Versuchsanstalt für Handfeuerwaffen, Wannsee  , eingeladen. Wie der General in einer Ansprache sagte, finden die Herren, die sonst niemals aus ihrem ministeriellen Aktenstaub herauskämen, in solcher Veranstal­tung eine angenehme Abwechslung. Am Büchsen­stand sah man u. a. den Reichsführer der SS., Himmler  , Staatsrat Dr. Lippert und die Staatssekretäre Grauert, Bracht. Pfundtner und Milch. Bei sechs Schuß auf hundert Meter holte sich zur Ueberraschung aller Anwesenden ein Zivilist, nämlich der Reichsleiter der Heimstätten, Herr v. Conta, vor einem Gendarmerieobersten den ersten Preis. Die Ehren- und Ruhmesscheiben fielen ausschließlich an die Uni­formen. Das Revolverschießen wurde nicht gewertet. General Daluege will fortab jeden dritten Monat ein ähnliches Wett­schießen durchführen, bei denen dann Bedingungen gestellt würden, denen sich auch verschiedene Minister unterwerfen sollen."

Schlagt den Takt!

Fort mit dem Schacher und her mit dem Recht! König ist König! Und Knecht ist Knecht! Arbeit ist Herzblut und wird nicht verschenkt! An die Laterne, wer anders denkt! Revolution!

Trommler wirble mit jedem Schritt: Revolution! Die Masse muß mit! Trommle die Straßen so lang wie breit, Schlage den Takt, bis die Menge schreit: Revolution!

Fahnen heraus und den Stock in die Hand! Dumpf geht die Trommel herum im Land, Züge um Züge durchwandern die Nacht, Rot hinter Dunkel der Ruf erwacht: Revolution!

Trommler trommle, das Volk marschiert, Not macht frei, aber Schande verliert! Brauche die Faust, wenn der Schlägel   bricht, Pauke mit brillendem Angesicht: Revolution!

Gott im Himmel, du liebst uns doch Hilf uns nicht, wir schaffen es noch! Unser das Werk, doch Dein die Ehr! Brause hinter den Scharen her: Revolution!

Schlage, Trommler! Der Sturm bricht los! Die Menschen sind klein und Gott   ist groß! Doch alle sind wir sein Ebenbild! Brüder, handelt, der Himmel schrillt: Revolution!

Der Verfall der Schule

Aus Rheinland- Westfalen   berichten uns Päda­gogen über die unvorstellbar schlechten Leistungen der höheren Schulen. Der Unterricht hat einen so oberflächlichen Charakter angenommen, daß man vor dem Bildungsgrad der kommenden Jugend ein wahres Grauen haben muß. Die Durchführung des geordneten Schulbetriebs durch alle mög lichen Maßnahmen zugunsten des nationalsozialistischen Staates und der verschiedenen Organisationen der Nazis ist monatelang fast unmöglich gewesen. Jeder dummfreche Nazi­bengel kann bei Leistungsforderungen den Studienrat oder Professor durch dreistselbstbewußte Redensarten ignorieren. In den Lehrerkreisen an höheren Schulen ist mit Ausnahme fanatischer Nazis und meistens Nichtskönner nach vorüber­gehender tiefer Depression die passive Abwehr ge­treten. In familiären Zirkeln suchen diese Pädagogen sich zu sammeln.

Jeder erkennt heute mit Hochachtung die vorbildlichen Auffassungen der Weimarer Republik   in Schulfragen an. Die Intellektuellen sind außerordentlich kritisch geworden. Auch in den Kreisen begabter höherer Schüler wächst ständig die Gegnerschaft gegen den Nazistaat. Da finden sich auch Not­kameradschaften zwischen den Lehrern an höheren Schuleu und den antifaschistischen Schülern. Die Volksschule ist eine einzige Kaserne und byzantinische Verdummungsanstalt. Auch hier gibt es Lehrer in immer wachsender Zahl, die sich geistig gegen das System stellen.

Novembechumor von 1918

Die Unterhosen seiner Majestät

Der letzte Bayernludwig war ganz im Gegensatz zum zweiten bayerischen   König seines Namens ein geiziger Knicker. Das pfiffen in München   die Spatzen von den Dächern. Und zuweilen trieb der königliche Geiz höchst un­königliche Blüten.

Am 7. November 1918 war Ludwig III.   per Auto Hals über Kopf aus München   abgereist. Er konnte ja nicht wissen, daß die Revolution den Fürsten   kein Haar krümmen würde.

Wenige Tage nachher wurde im Vorzimmer des neuen bayerischen   Ministerpräsidenten eine Dame aus der Um­gebung seiner Majestät" gemeldet, die den Ministerpräsi­denten zu sprechen wünschte.

Man ließ sie eintreten.

Sie war kaum über zwanzig Jahre alt, hatte ein hübsches Gesichtchen und war gut gekleidet. Vor Angst zitterte sie am ganzen Körper. Ihre Aufgeregtheit ließ sie kaum ein Wort hervorbringen. Es kostete einige Mühe, die königliche Ab­gesandte zu beruhigen, Nachdem sie endlich zaghaft Plat ge­nommen hatte, begann sie stockend mit leiser Stimme ihr An­liegen vorzutragen.

..Es ist doch bekannt, daß Seine Majestät vor einigen Tagen gezwungen waren, München   in aller Eile zu verlassen. Das war so plötzlich gekommen, daß sich nicht einmal Zeit fand, Ich auch nur die allernötigste Leibwäsche mitzunehmen. möchte deshalb fragen, ob es gestattet ist, für Seine Majestät etwas Leibwäsche aus dem Wittelsbacher Palais   abholer zu lassen."

Fechenbach, der als Sekretär des Ministerpräsidenten diese Unterhaltung führte, biß die Zähne aufeinander, um nicht in heftiges Lachen auszubrechen. Jetzt, da es um den Thron der Wittelsbacher   ging, wurde dieser König von der Sorge um seine Unterhosen beunruhigt! Das unkönigliche Ver­langen wurde dem Ministerpräsidenten vorgetragen und der abgesetzte Wittelsbacher bekam die Erlaubnis, sich seine Leib­wäsche aus München   abholen zu lassen.

Während die Abgesandte des Königs ihr Verlangen Fechen­bach vorgetragen hatte, war ein Ministerialbote gekommen, der Akten überbrachte. Er hatte gehört, um was sich das Gespräch drehte. Als nun das Mädchen zum Ministerpräsi­denten ging, gab der im bayerischen Dienst ergraute Bote seinem Mitgefühl mit folgender Bemerkung Ausdruck:

..Ja, mei, unser König, der alt Mann, der hat eine Angst ausstehn müssen. Das glaub ich schon, daß der eine neue Unterhose braucht!"

Er kennt seine Landsleute

Am 9. November 1918 hatte Karl Liebknecht   das Berliner  Schloß unter den Schutz des Arbeiter- und Soldatenrates ge­stellt und die Wache dem Telegrafenbataillon übergeben. Wo sonst die Kaiserstandarte auf dem Schloßdach wehte, flatterte jetzt einé riesige rote Fahne.

Der Wachhabende im Schloß war ein Unteroffizier des Telegrafenbataillons. Er stellte kurz nach der Besetzung fest, daß im Schloßkeller eine Anzahl Soldaten sich daran machten, Wilhelms Weine zu probieren. Da gabs ein heiliges Donner­wetter. Der Gute war weniger um den Wein besorgt, als viel­mehr um die Kampfkraft seiner Truppe. Kurz entschlossen ließ er um die Kellereingänge gewöhnlichen Kupferdraht spannen und Plakate daneben aufhängen, auf denen zu lesen stand: Vorsicht! Hochspannung! Lebensgefahr!"

クラ

Das wirkte. Niemand wagte sich mehr in den Keller.

Am Abend kommt der Wachhabende zum Arbeiter- und Soldatenrat und gibt seinen Tagesapport ab. Dabei erzählt er auch den Trick mit dem Kupferdraht. Karl Liebknecht  meint dazu:

,, Das ist ja ganz schön, war aber höchst überflüssig. Wir sind doch in Deutschland  . Den Draht konnten Sie sich schenken. wenn Sie an der Tür ein Plakat angeschlagen hätten: Eintritt verboten!"

ララ

Sturm auf den Franzl

Auf zum Franzl!" schallt es durch die Menge, als am 7. November 1918 in München   schon alle Kasernen in der Hand der Arbeiter und Soldaten waren.

Der Franzl", das war die Militäranstalt. Und wie ein Lauffeuer gings durch die aufgeregten Massen:

..Zum Franzl, zum Franzl!"

Da gabs kein Halten. In breitem Strom, die ganze Straße einnehmend, wälzte sich's zur Leonrodstraße. Der leichte Lattenzaun vor dem Haus mit den vergitterten Fenstern hielt dem Ansturm nicht stand. Aber die schwere Eingangstür war verriegelt.

Die Menge tobte, die Gefangenen sollten freigelassen werden!

Die hinten standen, drängten nach vorne. Die in der vordersten Reihe wurden gegen die Tür gepreßt. Aufgeregte Rufe schallten über die Köpfe.

Da

ein Schuß...

Er kam von drinnen durchs Fenster.

Ein einziger, wuterfüllter Schrei gellt aus der andrängen­den Menge. Gewehrkolben werden von schwieligen Fäusten gegen die schwere Tür geschwungen. Nach wenig Schlägen gibt sie nach. Die Vordersten dringen ein.

Ein Feldwebel, den Revolver in der Hand, steht hinter der aufgebrochenen Tür. Er wird niedergeschlagen.

Besonnenere springen herzu, tragen den Verwundeten ins Wachtzimmer. Dann beginnt ein aufgeregtes Suchen nach den Zellenschlüsseln. Sie sind nirgends zu finden.

Auch die Aufseher sind verschwunden. An ihnen hatte so mancher sein Mütchen kühlen wollen. Aber nicht ein einziger Aufseher läßt sich blicken.

,, Die haben sich verzogen," meint einer der Suchender Wie nun die Gefangenen aus den Zellen bringen?

Rasch ist Hilfe geschaffen. Die Gewehrkolben, die im Felde so manche Tür geöffnet haben, müssen als Zellen­schlüssel dienen.

Schwere Schläge wuchten gegen die Zellentüren und bringen den Häftlingen die Freiheit. Keiner wird gefragt, wer er ist, warum er hier unfreiwillige Gastfreundschaft ge­nießt. Alle, die in den Zellen sind, werden befreit.

Zwei Tage nach dem Sturm auf den ,, Franzl" wurde es offenbar, wo die Aufseher an jenem kritischen Tag waren. Sie hatten vermutet, daß man sie nicht allzu freundlich behandeln werde und zu ihrer Rettung folgenden Plan durch­geführt:

Alle legten ihre Dienstmützen, Leibriemen und Seitenge­wehre ab, so daß sie sich in nichts von den Militärhäftlingen unterschieden. Der Feldwebel sperrte jeden einzelnen in eine Zelle und verschloß sie wieder.

Dann waren die Stürmenden gekommen, hatten die Zellen aufgeschlagen, die Häftlinge befreit und damit auch die Aufseher.

Deer revolutionäre Schauspieler

In Berlin   tobten Straßenkämpfe. Es war im November 1918. Trotz der aufregenden Ereignisse spielten abends die Theater wie sonst auch. Kurz vor Beginn der Aufführung im Staatstheater stürmt der Darsteller des jugendlichen Helden in die Garderobe, um sich rasch umzukleiden. Dabei erzählt er atemlos:

..Dreimal habe ich heute auf den Barrikaden mitgestürmt. Jetzt eben setzten sie zum vierten Sturm an, aber da mußte ich weg, um rechtzeitig ins Theater zu kommen..."