Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit"

Freitag, den 30. November 1934

Schiller  , eine Rassenschande

Ueberwunden- wesenlos. abstrakt verblasen!

Die deutschen   Sender dröhnen von Schillers Lobe wider, die deutschen   Schulen legen Feststunden ein. die deutschen Theater überbieten einander in Klassik, man begeht die Gedenkwochen mit so feierlichem Prunk, daß selbst ein Horst Wessel   sich einer solchen Huldigung kaum zu schämen brauchte. Womit hat der Sänger menschlicher Gewissens­freiheit das verdient? Wer so fragt, braucht noch kein Staats­feind zu sein selbst nachdenklichen Nationalsozialisten ist es aufgefallen, daß hier etwas nicht stimmt. und es ist gerade­zu erquickend, wenn in dem allgemeinen Gedenkrausch ein­mal eine ehrliche Stimme laut wird, die den verdächtigen Schiller so verreißt, wie er von hakenkreuzoffizieller Seite verrissen zu werden verdiente.

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In der Zeitschrift für Deutschkunde", Teubner- Verlag, Leipzig  - Berlin  , die hauptsächlich von Lehrern für Lehrer geschrieben wird, setzt sich so ein Aufrechter mit Schiller auseinander und kommt zu dem Ergebnis, daß mit dem Geistesheroen eigentlich nicht viel los ist. Patriotisch? Völkisch? Aber keine Idee! Man sehe sich nur seine Dramen an:

,, Schillers geschichtlich politische Dramen sind von vorn­herein nicht völkisch, sondern allgemein menschlich ein­gestellt."

Darum hat er's auch immer mit der inneren Politik, über die eigentlich gar nicht debattiert werden dürfte.

..Gleich das erste geschichtlich- politische Drama, der ..Fiesco  ", stellt innerpolitische Fragen vor das Auge: re­publikanische Volksfreiheit oder Tyrannei in Genua  ?" Und es ist schon eine Gemeinheit, daß er den Fiesco   nicht an die Macht läßt:

,, Dem Dichter des., Fiesco  " ist in seiner letzten drama­tischen Entscheidung die allgemeine Idee der Freiheit mehr als die konkrete Wirklichkeit des mit echten Führereigen­schaften ausgestatteten, seiner Vaterstadt als Gabe des Schicksals geschenkten Fiesco, dessen Herrschaft aus Genua  wahrscheinlich mehr machen würde, als eine demokratische Republik tun könnte. Und die lebensferne und gedanken­blasse Fremdheit des ,, Fiesco  " und im besonderen seines Schlusses beruht wesentlich auf diesem Totschlag lebendiger Wirklichkeiten durch die allgemeine Idee."

Na, und der ,, Don Carlo s"? Dem wirft der Autor dieser herben Kritik rund und schlicht abstrakte Verblasenheit" vor. er schimpft ihn ,, das Hohelied der freiheitlichen, auf­klärerischen Ideen" und fährt dann fort:

..Marquis Posa und Don Carlos entwerfen den Plan zu sinem Befreiungskampfe, und rücksichtslos wird zugunsten der Menschheit, der allgemeinen europäischen   Entwick­lung über alle völkischen Lebensgrundsätze hinweg­geschritten."

Was den..Wallenstein" anlangt, so

..offenbart der heldische Tod des Max Piccolomini, wie sehr im Wallensteindrama die völkischen Angelegenheiten zugunsten der rein menschlichen zurückgestellt sind". Und die Jungfrau von Orleans":

..würde kein völkischer Franzose als völkische Tragödie anerkennen, da auch hier die eigentlich völkischen Fragen

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an­

nicht in der tragischen Mitte, sondern im weiteren Um­kreis liegen. Nicht daß die Französin Johanna den Eng­länder Lionel liebt, führt die Katastrophe herbei.. sondern daß sie überhaupt liebt. Und gerade auf die Rassenschande wär's doch einzig und allein gekommen! Ein ganz tolles Machwerk ist die ,, Braut von Messina  ". Dieser Don Cesar nimmt sich das Leben, nur weil er seinen Bruder erschlagen hat. Er macht sich's bequem ( wer hat sich nach dem 30. Juni in Deutschland   das Leben genommen?). Daß mit ihm ,, das normannische Fürsten­geschlecht, dessen letztes Glied er ist", ausstirbt, daß die ,, nor­mannische Herrschaft zusammenbricht", braucht diesen Schwächling nicht zu kümmern.

,, Keine völkisch- politische Pflicht kann ihn abhalten, die rein menschliche zu erfüllen."

Das hätten die nationalsozialistischen Hof- und Hausdichter ganz anders geschrieben. Bei Wotan! Da hätte es erst mal einen fröhlichen Zucht- und Hegehof gegeben der Selbst­mord wäre höchstens wegen Altersschwäche erfolgt.

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Selbst beim ,, Tell" handelt es sich nach Ansicht des Kritikers ,, nicht um einen im reinen Sinn völkischen Stoff". Der Tell ist nämlich kein SA.- Mann, der auf Kommando funk­tioniert und schießt, sondern ein Einzelgänger, der natur­haft unzerrissen sein eigenes erfülltes Leben lebt".

..In der dramatischen Mitte steht nach wie vor die all­gemein menschlich bestimmte sittliche Entscheidung, der Willensschluß Tells, der vom Völkischen   unberührt bleibt." Und wenn der gestrenge Rezensent das alles so zusammen­hält, dann kommt er zu dem Schluß, daß zwar., der nordische Willenslehrer Schiller   einer der Größten, ein Künder nor­disch germanischer Gesinnung?, daß er aber leider, leider aus nordischem und dinarischem Bluterbe" sehr unglücklich gemixt ist und daß die Gegenwart deshalb nichts Rechtes mit ihm anfangen kann:

..Die Trennung des Geistigen und Sinnlichen ist das bluthafte Vermächtnis der dinarischen Rassenanlage in dem nordisch- dinarischen Schiller. Indem Schiller den Kern des Menschen in die intelligible Freiheit setzt, gelangt er notwendig zu dem Aufklärungsgedanken der allgemeinen Menschlichkeit. Grundsätzlich ist keine Entwicklungsstufe einem Menschen, einem Volksstamme verschlossen. Ver­nunft, Erkenntnis des göttlichen Sittengesetzes, sittliche Freiheit können von jedem Menschen errungen werden." Nachdem der neudeutsche Schiller  - Interpret das richtig er­kannt hat richtet er sein Untersuchungsobjekt kurz ent­schlossen hin:

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,, Diese aufklärende Fassung des Menschheitgedankens ist heute überwunden und tatsächlich wesenlos geworden. Sie ist eine Phrase der Diplomatie, keine bluthafte Wirk­lichkeit der Geschichte."

So! Jetzt hat er's ihm gegeben, dem sauberen Klassiker, dem diplomatischen Phraseur, dem Duckmäuser!

Was sind alle Rundfunk- Festgesänge gegen diese eine, nicht ehrliche Stimme? Hier spricht das neue Deutschland  am Mikrofon des deutschen   Senders!

Geschichten aus Dresden  

I

Wissenschaft für einen Groschen

Im Drei- Kaiser- Hof in Dresden  - Löbtau  , von früher her als Versammlungslokal der Dresdener Arbeiterschaft be­kannt, läuft ein Kursus der Deutschen Arbeitsfront   für die Vertrauensräte der Dresdener   Metallbetriebe. Der Kursus dauert mit wöchentlich einer, Unterrichtsstunde" 9 Wochen. Die Teilnahme kostet pro Kopf und Stunde einen Groschen; 250 bis 300 Vertrauensräte nehmen zwangsweise daran teil, darunter viele geschulte Arbeiterfunktionäre und Ver­trauensräte, die, was praktische Erfahrung und politisches Wissen anbelangt, die Lehrer ihrer ,, Lehrer" sein könnten. Wie das Wissen" beschaffen ist, das in diesem Kursus verzapft wird, läßt eine Probe genügend erkennen. Ein ge­wisser Dr. Schmidt, bis dahin in weitesten Kreisen unbe­kannt, verkündete seinen Hörern folgende Weisheit:

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,, Bebel hat die Arbeiter falsch geführt! Karl Marx   hat das Kapital falsch geführt! Lassalle   war der erste Na­tionalsozialist.( Wer ist denn nun eigentlich der erste? Hit­ler? Friedrich der Große  ? Nietzsche? Lassalle?) Aber Marx  und Bebel haben ihn gehindert, die deutsche Arbeiterschaft nationalsozialistisch zu erziehen!"

*

Gerechtigkeit an der Bierausgabe

Im Stadtwaldschlößchen, dem Stadtlokal der Dresdener Waldschlößchen- Brauerei am Postplats, beschwerte sich ein Vertrauensrat des Restaurationsbetriebes beim zweiten Di­rektor darüber, daß der Bierausgeber den Hitlergruß nicht erwidere. Der zweite Direktor verwies den Beschwerde­führer an den ersten Direktor, der Jude ist. Diesen grüßt der Vertrauensrat mit ,, Guten Tag" und trägt ihm seine Be­schwerde vor. Der Direktor aber macht ihn darauf aufmerk­sam, daß er ja soeben selbst den..Deutschen Gruß" unter­lassen und mit Guten Tag" gegrüßt habe. Der Vertrauens­rat erwidert, daß er den Deutschen Gruß unterlassen habe, weil der Herr. Direktor ja Jude sei. Auf diese Antwort wird der Beschwerdeführer sofort entlassen; der Bierausgeber hingegen bleibt bei seinen Bierhähnen. Der Vertrauensrat klagt gegen die fristlose Entlassung. Das Dresdener Arbeits­gericht verwirft die Klage und erklärt die Entlassung für berechtigt, weil die Bemerkung dem Betriebsführer gegen­über als ungebührliches Benehmen anzusehen sei. einem Juden gegenüber? Ungebührliches Benehmen

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Das soll ein Entlassungsgrund sein! Ja, wo bleiben denn da die Rechtsgrundsätze des dritten Reiches"! So wird sich, völlig durcheinandergebracht, der entlassene Vertrauensrat fragen. Und Julius Streicher  , Gottes Zuchtrute in Nürnberg  . würde ihm recht geben. Er würde es diesem Waldschlößchen­Juden so gründlich beibringen, wie auch diesem Arbeits­richter. Aber leider so wuchern die verfluchten libera­listischen Ideen überall und immer wieder durch...

II.

Der Lohnzettel als Manifest

An einem Telegrafenmast an der Leipziger Straße in Dresden  - Pieschen hatte ein Arbeiter der Firma Seidel& Naumann  ( Schreibmaschinen, Nähmaschinen, Fahrräder; ge­genwärtig zirka 3000 Mann Belegschaft) in Dresden  - Cotta einen. Lohnzettel geheftet, aus dem hervorging, daß der Ar­beiter in 48stündiger Arbeitszeit 11,70 Mark verdient hatte. Mit roter Tinte hatte er quer über den Zettel geschrieben: ,, Das ist der Lebenstandard eines kultivierten Arbeiters im ,, dritten Reich"!"

Ereignisse und Geschichten

Kleiner Hymnus

an einen Journalisten

Ja sagt er nie,

selbstvergessen streicht

er den Sinn. Aus Ja wird Vielleicht, aus Nein Als- ob- Philosophie.

Denn sein Ziel ist erreicht, er hat nichts zu sagen.

Er kann sich nicht selbst davonjagen: ihm fällt das Lügen zu leicht.

So zu leben ist made in Germany, zu lügen, um zu essen,

mehr Hunger ist gleich mehr Fantasie über Blut- und Bodeninteressen.

Es ist nicht zu scherzen,

worüber er sich nicht ausdrücken kann, die deutsche Sprache ist auszumerzen, weil die des Führers Deutsche   entzücken kann. Theodor Fanta.

Pfeffermühle"

Ein Kapitel über Taktlosigkeit

die

Salander schreibt in der Basler ,, National- Zeitung":" Die beschämenden Züricher Kundgebungen um Pfeffermühle und das Schauspiel ,, Professor Mann­heim" haben bewiesen, daß die terroristischen Elemente, die sich mit der., seelischen Erneuerung" im Dritten Reiche ver­bunden fühlen, in der Nachahmung ihrer nordischen Vor­bilder keineswegs zu erlahmen gedenken.

Es sind die alten Provokationsmethoden der ..glorreichen" Kampfjahre des Nationalsozialismus, die hier. bei uns wieder erprobt werden sollen. Das Verfahren be­steht bei miẞliebigen künstlerischen Darbietungen darin, diese so nachdrücklich gewaltsam zu stören, bis die Behörden die betreffende Vorstellung zur Wahrung der öffentlichen Ruhe untersagen. Damit hätte die Provokationsgruppe ihren Willen auf undemokratischem und wider. rechtlichem Wege gegen den Willen der Besucher und die Ordnung eines Rechtsstaates durchgesetzt. Neben der. psychologischen Suggestionswirkung eines solchen Erfolges wären gleichzeitig die Autorität des freiheitlichen Rechts­staates und das Ansehen der Behörden wirksam geschädigt. Glücklicherweise haben die Züricher Stadtbehörden die Gefahr gesehen und sind festgeblieben.

Höchst sonderbar haben sich gegenüber der leider nur zu unmißverständlichen Rechtswidrigkeit der plumpen Ord­nungsstörung die Versuche gewisser tantenhaft ängstlicher, Kreise ausgenommen, den Kunstinstituten, Künstlern und dem ihnen zustimmenden Publikum Belehrungen und Mah­nungen über ,, mehr Takt" angedeihen zu lassen. Es sind ver­mutlich dieselben Leute, die sich immer noch von jener grotesken Legende nicht freimachen können, daß Hitler Deutschland oder gar Europa   vom Bolschewismus errettet habe. Jeder deutsche   Geschäftsfreund könnte ihnen zwar beschreiben, wie es heute um die Freiheit des Unternehmers im Dritten Reich   bestellt ist, aber die Legende wirkt immer noch nach.

Der Begriff Takt  " erleidet eigenartige Schicksale, wenn er von ängstlichen Leisetretern gehandhabt wird. Diese sind. gar zu leicht geneigt, ihn überall schon dort verletzt zu sehen, wo eine ihnen unbequeme Wahrheit zum Ausdruck kommt. Sein wirklicher Sinn wird aber geradezu ins Gegenteil ver­kehrt; wenn ausgerechnet den Opfern einer Taktlosig keit, ja eines Rechtsbruchs, pharisäisch ,, mehr Takt" ge­predigt wird. Da kann die wohlweise Mahnung selbst zur krassen Taktlosigkeit werden.

Bei Anlaß dieser Mahnungen ist nebenbei auch die Be­zeichnung ,, E migranten" wieder einmal mit einer Be­tonung gebraucht worden, wie wenn diese Unglücklichen, die gewiß ihre menschlichen Schwächen mit ihren Vorzügen in die Fremde mitgebracht haben mögen, schon geradezu wegen ihres meist unverschuldeten Schicksals sozusagen Minder­wertige wären, die wohl gnädig geduldet werden können, aber sonst gefälligst sich nicht bemerkbar machen sollten.

Es scheint mir da eine Un ritterlichkeit zum Aus­druck zu kommen, die menschlich recht wenig anziehend wirkt. Und zu wessen Schutz sollen diese Schulmeistereien an die Adresse dieser landfremden Flüchtlinge eigentlich ge­meint sein? Zugunsten unseres schweizerischen Eigenlebens? Dazu gehört aber gewiß nicht die pöbelhafte Störungsaktion der fanatisierten Radaubrüder. Wo Tränengasampullen zur Verwendung kommen, da handelt es sich sicher nicht mehr um Tells Geschoß". Solche Werkzeuge der Erneuerung" kommen weiter her. Tränengas ist nicht Schweizer   Luft. sondern kommt von des Nordes winterlichem Weh'n".

クラ

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Der Zettel hing von morgens acht bis nachmittags zwei Uhr. Ständig waren Leute davor versammelt, die das ein­fache und wirksame Manifest vielsagend besprachen. Auch SA.- Leute standen davor und studierten den Zettel, machten Ist das Auslese?

aber nur ironische Bemerkungen über die jetzigen hohen Einkünfte!" Erst nach zwei Uhr nachmittags wurde der Zet­tel von der Polizei entfernt.

III

Wenn er gut brennt...

Beim Dresdener   Arbeitsamt spricht ein Erwerbsloser vor und fragt:, Guten Tag. Gibt es denn noch keine Kohlen­karten? In früheren Jahren haben wir sie um diese Zeit doch immer schon bekommen?"

Nazi- Kunstpleite

Die..NS.- Kulturgemeinde" hat nach langen vorberei­tungen die mit Pomp angekündigte Ausstellung bildender Künste eröffnet, Rosenberg hat die Eröffnungsrede ge­halten. Nun schreibt selbst die Berliner ,, Börsen- Zeitung", daß kleinere Motive und Stilleben" vorherrschen, die die Gefahr ankündeten, in leere Glätte zu münden... Die faschistische Nachtausgabe" fragt ironisch: Ist das Aus­lese?" und stellt fest, die Parole der Ausstellung sei offen­bar: ,, Ruhe ist die erste Bürgerpflicht"; was man sehe, sei ..lau erwärmte Sachlichkeit, die sich ins romantische Idyll flüchtet".

Der Beamte wühlt in einer Karthotek und schweigt. Der Erwerbslose meint, der Beamte habe seine Frage überhört und beginnt von vorn: ,, Guten Tag..." Da fährt der Beamte herum und fragt grimmig: ,, Kennen Die Rasse- Konfektion

Sie den Deutschen Gruß?!**

Der Erwerbslose weiß wohl, was der Beamte meint, tut aber, als verstünde er Grus, Kohlengrus, und sagt freundlich: ,, Deutschen Grus? Wenn er gut brennt ich nehme gern

ein paar Zentner!"

Inserat in der Woche":

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..Thale  - Harz  , Töchterheim. Ziel: Die deutsche   Frau fürs deutsche Haus!"

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